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Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) + eure Fragen – Folge 258

Zu Gast bei der Bundesministerin für Umwelt, Bau, Naturschutz & Reaktorsicherheit, Barbara Hendricks (SPD). Nachdem wir schon in Folge 212 über ihren Werdegang sprachen, geht in diesmal u.a. um Klimaschutzpläne statt Klimaschutzgesetze, die Bedeutung von Mooren, die Rückkehr der Wölfe, Feinstaubbelastung, Plastiktüten, Wohnungsbau und leerstehende Wohnungen.

Außerdem eure naiven Fragen ab 36:15 min:
– Ist sich die Regierung der Wichtigkeit der Bienen nicht
bewusst, oder warum will sie das Pestizidgesetz lockern?
– was hat dich zur Umweltministerin qualifiziert?
– Wann werden die Subventionen für die Tierprodokution eingestellt und dafür solche Lebensmittel wie Obst und Gemüse subventioniert, was a) der Umwelt und b) dem Menschen hilft???
– Welche Lobby versucht den meisten Einfluss zu nehmen?
– Mich würde interessieren ob sie persönlich schonmal den TTIP Lesesaal besucht hat und was sie besorgten Bürgern antworten würde, die ein „Standard-Dumping“ der Umweltschutzregulierungen als Folge dieses Abkommens befürchten.
– Haltung zu Fracking?
– Wann kommt das Glyphosatverbot?
– Wird der Atomausstieg 2021 erreicht?
– Hast Du als LGBT Frau bereits Diskriminierung im politischen Umfeld
erfahren müssen? (Arno)
– Sind Chemtrails eine Verschwörungstheorie?
Podcast-Version dieser Folge
Folge 212: Die Bundesumweltministerin (Teil 1)
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Jung
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Transkript:

So, eine neue Folge Jung&Naiv. Wir sind zum ersten Mal im Umweltministerium, aber nicht zum ersten Mal bei dir.

Richtig. Wir haben uns schon einmal getroffen, da waren wir aber im Paul-Löbe-Haus, also in einem der Gebäude des Deutschen Bundestages. Das war vor gut einem Jahr.

Kannst du dich noch einmal vorstellen?

Barbara Hendricks, ich bin die Umweltministerin für Umwelt, Naturschutz, Bauen und Reaktorsicherheit.

Was ist aktuell dein größtes Thema?

Neubau zu bezahlbaren Preisen ist ein ganz wichtiges Thema. Aber natürlich auch die Vorbereitung des Klimaschutzplanes. Denn wir haben ja in Paris die Konferenz gehabt und jetzt können wir uns ja nicht auf den Lorbeeren ausruhen, sondern müssen das auch vor Ort, zu Hause, umsetzen.

Erzähl mal: Was wollt ihr da umsetzen?

Wir haben den Auftrag, bis zur Mitte des Jahrhunderts weitgehend klimaneutral zu wirtschaften. Und wenn man sich das überlegt, muss man natürlich wissen, wie man da hinkommt. Das sind ja noch 35 Jahre ungefähr, das ist noch eine ganz schön lange Zeit. Aber trotzdem sind wir dabei, einen Klimaschutzplan 2050 zu erarbeiten. Den werden wir noch diesen Sommer im Kabinett beschließen und da werden wir die Pfade aufzeigen, wie wir denn da hinkommen können. Es sollen ja auch Strukturbrüche vermieden werden. Wir müssen/ wollen die Leute mitnehmen. Der Klimaschutz ist eine richtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Und das geht aber auch nur, wenn die Leute freiwillig… nicht alles wird immer freiwillig sein, es wird vielleicht auch gesetzliche Regelungen geben, aber wenn die Leute mit Überzeugung dabei sind. Das ist wichtig. Und deswegen müssen wir auch darauf achten, dass wir niemanden so vor den Kopf stoßen, sondern dass wir das so hinkriegen, dass die Leute schon sagen: Ja, das ist gut so. So machen wir das.

Was heißt klimaneutral?

CO2-neutral heißt das im Wesentlichen. Also wir dürfen eben keine klimaschädlichen Gase mehr ausstoßen. Das bedeutet, dass wir sowohl in der Energiewirtschaft als auch in der Industrie weitgehend treibhausgasneutral sein müssen und nicht klimaschädlich. Es wird aber auch nach 2050 noch Bereiche geben, wo wir nicht ganz ohne klimaschädliche Bereiche ausgehen. Zum Beispiel in der Landwirtschaft.

Weil Kühe Methan ausstoßen und weil wir auch CO2 ausblasen?

Ja, genau. Man kann dem aber auch begegnen, das ist klar. Es gibt ja, und das ist gerade auch für Länder, die auf einem anderen Entwicklungsstadium sind als wir, kann man natürlich ganz viel machen, indem man in Wälder und Moore wieder regeneriert. Das sind sogenannte… CO2 senkend. Wenn man etwas Positives auf der einen Seite macht, dann darf auf der anderen Seite auch noch etwas Negatives passieren, weil sich das dann ausgleicht. Und da müssen wir dann auch Wege dafür finden, wie das auch in einem industrialisiertem Land wie der Bundesrepublik Deutschland gut funktioniert.

Das ist ein guter Punkt: Manchmal ist es ja gar nicht so schlimm, wenn ganz viel CO2 ausgestoßen wird, solange es auch Pflanzen gibt, die das CO2 auch wiederaufnehmen. Das ist ja dieser Kreislauf. Ist das ein Punkt, dass es viel, viel mehr CO2-Fresser… also dass es viel mehr braucht?

Ja, das ist ein ganz wichtiger Punkt und deswegen haben wir ja zum Beispiel auch schon vor einigen Jahren auch international uns darum gekümmert. Wir haben die sogenannte Bonn-Challenge ins Leben gerufen. Das heißt deswegen Bonn-Challenge, weil wir das in Bonn zum ersten Mal gemacht haben. Und das geht darum, dass wir tatsächlich die Wiederaufforstung von Wäldern hinbekommen und zwar weltweit. Das ist ja beim Klima klar, das macht ja nirgendwo halt. Und wir wissen ja, wie schädlich das ist, wenn auch verbotene Brandrodungen zum Beispiel stattfinden in Indonesien  oder in Teilen Mittel- und Südamerikas. Die Wiederaufforstung von Wäldern ist nicht nur für die Artenvielfalt von hoher Bedeutung, sondern eben auch als Klimaschutzmaßnahme. Weil die tatsächlich negative Entwicklungen an anderer Stelle positiv kompensieren. Wälder sind ganz wichtig, aber Moore zum Beispiel auch. Überhaupt auch, wo es Vernässung gibt, wo nicht alles ganz trocken ist. Das ist auch wichtig.

Haben wir hier genug Moore in Deutschland?

Eigentlich nicht.

Nicht?

Nein. Die Welt hat sich sozusagen immer anders verhalten. Über Jahrhunderte sind Moore eigentlich trockengelegt worden. Wenn man durch flache Regionen, sagen wir mal, durch Niedersachen fährt, dann sieht man überall Entwässerungsgräben. Weil damals ist dieses Land für die Landwirtschaft hergerichtet worden. Oder in Mooren wurde und wird zum Teil noch immer Torf abgebaut. In Mooren entsteht ja Torf, das ist eine natürlich Entwicklung. Also eigentlich müssten wir vieles von dem, was in dem seit dem hohen Mittelalter auch in Deutschland passiert ist, mindestens zu Teilen auch wieder rückgängig machen. Also eine Wiedervernässung von Landschaften bräuchten wir mindestens in Teilen von Deutschland auch, ja.

Das hört sich so an, als ob das der Landwirtschaft nicht so gefallen würde.

Ja, das kommt halt darauf an. Natürlich kann die intensive Landwirtschaft mit Mooren nichts anfangen. Das ist klar, das liegt auf der Hand. Aber man kann sich natürlich trotzdem entscheiden und sagen: Wir nehmen bestimmte Regionen und dann tun wir das. Wir fördern das auch. So wie wir es auch fördern: Wir wollen, dass 5 Prozent unserer Wälder gar nicht für Forst und Holzwirtschaft genutzt werden, sondern als Urwälder bestehen. Und in dem Zusammenhang fördern wir auch die Wiedervernässung von Regionen, von Wäldern, von Mooren.

Gibt’s einen Nutzen für den Menschen von Mooren? Oder ist das nur für die Umwelt gut?

Ja, das ist für den Menschen deshalb gut, weil sie natürlich das schädliche CO2 aus der Luft rausfiltern. Insofern ist das für den Menschen auch gut.

Kann man irgendwas machen?

Also riechen können wir das nicht. Man riecht CO2 zum Beispiel nicht.

Ich meine von den Mooren. Also gibt es irgendein Vorteil für Wirtschaftsgruppen, wenn wir jetzt die Moore wiedereinführen, oder wir wieder mehr Moore haben? Hat man da etwas davon?

Ich glaube, da muss man sagen: Ja, wir haben etwas davon, weil wir eine Artenvielfalt wieder zurückgewinnen können und alle, jede einzelne Art, hat ja zwar einen eigenen Wert für sich sowieso. Jedes Lebewesen, egal ob Tier oder Pflanze, hat auch ein eigenständiges Recht zu leben und muss uns nicht beweisen, wozu es gut ist. Aber trotzdem wissen wir auch gar nicht, wozu nicht alles gut ist, was sonst vielleicht verschwindet. Also dass es ja ganz viele Lebewesen gibt, die uns Menschen nützen. Nehmen wir zum Beispiel nur den Bereich der Pharmazie. Das ist ja so, das wissen wir. Darum kann es auch sein, dass es für uns Menschen ganz schlimm wäre, wenn manche Lebewesen ganz verschwinden würden. Wir wissen es nicht so genau. Das ist eigentlich noch ziemlich unerforscht.

Ist letztes Jahr irgendein Lebewesen aus Deutschland verschwunden?

Ich glaube ja, bedauerlicher Weise. Die Artenvielfalt geht auch in Deutschland zurück. Auf der Roten Liste stehen ja auch für Deutschland eine ganze Reihe von Tieren und Pflanzen. Ich könnte jetzt aber nicht sagen, ob eine Art… Wenn dann am ehesten eine Pflanze und nicht ein Tier,… ob eine Art vollständig aus Deutschland verschwunden ist. Aber auszuschließen ist es auf jeden Fall nicht.

Bist du auch verantwortlich für die Wölfe und so, oder ist das jemand anderes?

Nein, nein. Da sind wir auch für verantwortlich. Die Wölfe sind natürlich streng geschützt, auch nach den europäischen Naturschutzrichtlinien. Und wir haben dafür Sorge zu tragen, dass die ihren Lebensraum haben in  Deutschland und dass wir zugleich auch hinbekommen, dass es einen Ausgleich gibt zwischen den verschiedenen Interessen. Natürlich sind Wölfe Raubtiere. Es ist irgendwie natürlich, dass sie mal ein Schaf reißen. Das kommt vor. Da gibt es auch Entschädigungen, das machen die Länder. Das ist soweit okay. Und wir haben gerade bundesweit aufgesetzt ein sogenanntes Wolf-Monitoring. Die sitzen in Görlitz, in Sachsen. Und da arbeiten verschiedene, auch virtuell miteinander zusammen. Auch das Senckenberg-Institut in Frankfurt, die wirklich ein ganz herausragend gutes Institut sind. Und die haben diese Nebenstelle in Görlitz eingerichtet. Die arbeiten aber auch mit universitären Instituten aus Berlin und anderswo zusammen. Und da geht es eigentlich darum, dass wir den Verantwortlichen vor Ort, also den Naturschutzbehörden in den Kreisen zum Beispiel, einfach Hinweise geben, wie man denn mit Wölfen umgeht, wenn die wieder da sind.

Wölfe waren in Deutschland ca. 150 Jahre ausgestorben, sind aber in den letzten etwa zehn, 15 Jahren nach Deutschland zurückgekommen, von Osten herkommend. Insbesondere in Brandenburg und Sachsen. Und haben sich von da jetzt auch weiter nach Westen ausgebreitet. Auch in Niedersachsen gibt es jetzt Wölfe. Natürlich in Brandenburg und Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern auch. Es wird aber in Zukunft wahrscheinlich in allen Bundesländern wieder einzelne Wölfe geben. Manche kommen auch von Süden. Denn es gibt auch in Frankreich und in Italien gibt es auch Wölfe. Es kann gut sein, dass sich zum Beispiel in Bayern die Wolfspopulationen treffen. Die einen von Süden kommend, die anderen von Sachsen oder von Tschechien einwandernd. Die Anzahl der Wölfe nimmt zu. Nach allem, was wir wissen, haben wir im Moment so um die 30 Rudel. Und jedes Rudel besteht aus… Das ist ja ein Familientier. Jedes Rudel besteht so aus 5 bis 6 Wölfen.

Wozu brauchen wir denn Wölfe?

An der Stelle ist es auch wieder so: Wölfe haben auch das Recht zu leben als eine eigene Art. Und sie sind streng geschützt. Sie machen durchaus auch einen Ausgleich in der freien Natur. Denn wir haben in durchaus manchen Regionen, wo wir einen Überbesatz haben an wildlebenden Tieren wie zum Beispiel Wildschweine und zum Teil auch Rehe oder so. In manchen Regionen kann das durch die Jäger gar nicht mehr sozusagen geregelt werden. Und Wölfe sind auch wiederum für den Ausgleich da. Es können durch zum Beispiel Wildschweine im Ackerbau durchaus größere Schäden entstehe,n als wenn ein Wolf ein Schaf reißt.

Du hast in Sachen Klimaschutz gesagt, dass ihr nicht alles freiwillig regeln könnt. Was denn nicht?

Wir werden ein Szenario brauchen, wie wir uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auf diese Klimaneutralität in der Wirtschaft einstellen. Wir machen jetzt kein Gesetz, sondern wir machen einen Klimaschutzplan, in dem wir aufzeigen, wie sich das entwickelt so bis zur Mitte des Jahrhunderts. Und dann wird es von Fall zu Fall auch möglicherweise tatsächlich auch die Notwendigkeit geben, eine Verordnung zu erlassen oder so. Aber im Moment ist es noch nicht so absehbar.

Für mich kommt es darauf an, dass wir uns als Gesellschaft klar werden: Ja, wir brauchen eine weitgehende Treibhausgasneutralität bis zur Mitte des Jahrhunderts. Und wie geht der Weg dahin: Wie wollen wir wirtschaften, wie wollen wir leben und arbeiten? Vieles wird sich auch von alleine entwickeln. Zum Beispiel die Elektromobilität ist wichtig. Im Verkehrsbereich müssen wir tatsächlich noch einiges machen. Da sind eigentlich seit den 90er Jahren die Treibhausgasbelastungen praktisch noch gar nicht zurückgegangen. Die einzelnen Autos schon. Das einzelne Auto hat weniger Ausstoß als früher. Aber es gibt mehr Autos und es gibt eine höhere Motorisierung, also dann auch Verbrauch. Der Verkehr als solcher muss tatsächlich sich noch einmal umstellen. Ich glaube, wir müssen uns darüber im Klaren werden, dass wir eine neue Art von Mobilität brauchen, was sich ja durchaus schon abzeichnet. In den Städten ist es klar, dass längst nicht mehr alle jungen Leute ein eigenes Auto haben wollen.

Ich bin auch mit dem Fahrrad gekommen.

Ja,ja. Und von den meisten Leuten in den großen Städten wollen die meisten jungen Leute ja gar kein Auto mehr besitzen. Weil sie entweder Fahrrad fahren oder ÖPNV oder Carsharing oder so. Das lässt sich in den Städten auch gut regeln. Auf dem Land ist es wieder anders. Carsharing zum Beispiel kann man auf dem Land nicht irgendwie wirtschaftlich betreiben. Da müssen wir einfach mehr ÖPNV-Angebote bekommen. Manches muss auch durch Incentives gehen und durch mehr öffentliche Mittel zum Beispiel zu Gunsten des öffentlichen Personennahverkehrs auf dem Land oder zu Gunsten einer Taktverdichtung auch in den Städten. Eine U-Bahn kann alle 10 Minuten fahren oder alle 5 Minuten fahren. Das ist ja ein Unterschied. Und da gibt es natürlich noch viele Möglichkeiten, die auch in Zukunft sicherlich noch kommen werden und wo wir auch die öffentlichen Fördermittel oder Investitionen neu austarieren werden.

Also ich bin eigentlich sehr sicher, dass wir unter dem Gesichtspunkt von Klimaschutz zwar anders leben werden als heute, aber nicht schlechter. Sondern dass wir uns einfach gemeinsam auf den Weg machen: Was machen wir in Zukunft anders? Und vieles von dem geht ja schon allein. Also es ist ganz sicher richtig, dass es besser ist, wenn man nicht ganz so viel Fleisch isst. Aber ich würde jetzt nicht sagen, wir verbieten Fleischessen oder so. Der Pro-Kopf-Verbrauch an Fleischkonsum geht zurück in Deutschland. Das machen die Leute von allein. Das ist auch okay. Ich will nicht alles verbieten.

Du hast gerade gesagt, ihr macht ein Klimaschutzplan.

Ja.

Warum kein Gesetz?

In der Tat haben wir uns in der Koalition nicht darauf verständigen können, im Koalitionsvertrag da ein Gesetz zu machen.

Um es zu übersetzen: Du warst dafür, andere dagegen?

Ja. Es hat keine Einigung gegeben. Und deswegen haben wir uns darauf verständigt, wir machen einen Klimaschutzplan.

Wer war denn dagegen.

Hach… Es war vermischt. Es haben ganz viele mitverhandelt – von Bund und Ländern. Es war mit der Union nicht zu machen. Und es gab auch einzelne Ländervertreter aus einer anderen politischen Couleur, die das auch nicht wollten. Also sind wir mal so… Komm!

In der Bundesregierung ward ihr euch einig?

Die Bundesregierung musste ja nach der Koalitionsvereinbarung erstmal gebildet werden. Und dann sind wir uns klargeworden: Dann machen wir halt einen Klimaschutzplan, den verabschieden wir im Kabinett und da halten wir uns auch dran. Wir definieren die Maßnahmen, die wir in die Wege leiten, in welchem Zeitraum und so. Und ich glaube, das ist auch genauso verlässlich wie ein Gesetz.

Wirklich? Ein Plan ist so verlässlich wie ein Gesetz?

Ja, also ich meine, ein Klimaschutzgesetz müsste man auch wirklich neu erfinden, um es mal so zu sagen.

Da kannst du dich verewigen.

Ja. Aber es könnte auch sein, dass ein Klimaschutzgesetz so aussehen würde, dass man in schon bestehenden Gesetzen ganz viele kleine Änderungen vornimmt. Das nennt man dann ein sogenanntes Artikelgesetz. Und wenn das dann der Mensch liest, dann steht dann so etwas drin wie: Im Strafgesetzbuch oder im Gesetz für die Allgemeinen Geschäftsbedingungen etc. wird Paragraph 3 Absatz x geändert folgendermaßen… Da wird der Mensch auch nicht klüger draus! Ich glaube, da kann man besser so einen Klimaschutzplan aufschreiben, wo alles drinsteht, was gemacht wird.

Ich habe mal zwei konkrete Probleme bezüglich Klimaschutz in Deutschland: Feinstaub und Plastiktüten. Beim Feinstaub habe ich gelernt: Allein an Silvester, in einer einzigen Nacht, werden 4.000 Tonnen Feinstaub in die Luft geschleudert. Ein Monat Straßenverkehr sind 2.200 Tonnen. Das heißt: In einer Silvesternacht werden fast zwei Monate an Straßenverkehr-Feinstaub in die Luft geschleudert. Wäre es da nicht eigentlich logisch zu sagen: Wir verbieten das Böllern?

Ja. Das wäre logisch, da hast du schon recht. Es wäre logisch. In der Tat, das steht eigentlich in keinem Verhältnis zu dem. Gerade im Straßenverkehr… Das ist wirklich so. das sind mindestens 15 Prozent dessen, was der Straßenverkehr im ganzen Jahr macht. Trotzdem: Wenn ich jetzt sagen würde, lasst uns das verbieten, würde ich unglaublich Shitstorm oder sonst etwas bekommen. Vielleicht…

Aber Leute würden dich auch feiern: Die Umweltministerin macht mal was Logisches. Hast du doch gerade gesagt.

Sicher. Es wäre logisch, wirklich logisch. Und es wäre in der Tat objektiv leichter umzusetzen als zum Beispiel, ich sage mal, die Umweltzonen in den Städten einzurichten, die ja auch dem Feinstaub entgegensteuern. Das tun sie auch mit Erfolg, durchaus. Aber es gibt Dinge, die sind einfach noch nicht reif.

Ist es logisch, aber politisch doof?

Ja, so kann man sagen, politisch doof. Das durchzusetzen wäre richtig schwierig. Nicht nur aufgrund der Tatsache, dass natürlich Diejenigen, die damit ihre Geschäfte machen, auch einmal im Jahr ihre Geschäfte machen wollen. Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt ist, dass ganz viele Menschen sagen würden: Wie, jetzt wollen sie das auch noch reglementieren? Jetzt wollen sie das auch noch verbieten? Jetzt sind sie völlig verrückt. Ich glaube ja, dass es wahrscheinlich noch ein bisschen dauern wird, aber dass die Menschen irgendwann einsichtiger werden. Ich hoffe es zumindest mal. Gut, ich weiß nicht genau…

Ich komme ja aus dem Grenzbereich zwischen Deutschland und den Niederlanden. Und in den Niederlanden ist es erlaubt, die Dinger abzuschießen. Also unter Klimagesichtspunkten oder so ist das auch nicht anders als bei uns. Aber die werden da nicht produziert. Und wenn sie da verkauft werden, sind sie sowas von teuer… Ja, gut aber was hilft es?

Steuer drauf! Eine richtig fette Steuer…

Nicht auszuschließen. Aber ob das was hilft, weiß ich nicht. Jedenfalls bei uns ist das so, dass die Niederländer, sobald die Verkaufssaison dann anfängt, das ist ja erst ein paar Tage… Dann gibt es bei uns am Niederrhein Schlangen von Niederländern, die also armeweisevoll das ganze Böllerzeug in ihre Autos tragen. Da soll besser mal keiner mehr einen Auffahrunfall machen.

Eine andere Idee wäre doch, wenn das Umweltministerium deutschlandweit am Ende des Jahres eine Werbekampagne macht und sagt: Wenn ihr Böller kauft, schadet ihr die Umwelt.

Das – in der Tat – finde ich durchaus richtig. Da müssen wir mal überlegen, ob wir das nicht auch in diesem Jahr machen. Dass das Böllern tatsächlich der Umwelt schadet – unter den Gesichtspunkten Feinstaub – ist keine Frage. Es ist so!

Die Tiere und so…

Das schadet natürlich auch den Tieren. Das ist völlig klar. Jeder Hundebesitzer weiß das, da kriegt man das mit. Aber die Tiere, die woanders halt leben, und die man nicht sozusagen in der eigenen Wohnung hat, die leiden natürlich mindestens genauso.

Plastiktüten. Bist du gegen Plastiktüten? Sag mir mal deine Haltung.

Wir sollten Plastiktüren soweit wie möglich vermeiden. Wir haben jetzt in Deutschland pro Kopf immer noch 71 Plastiktüten im Jahr. Das ist europaweit betrachtet verhältnismäßig gut. Aber längst nicht richtig gut! In Irland verbrauchen sie knapp 20 Tüten.

21.

21? Kann sein. So um die 20 pro Kopf im Jahr. Und europaweit sind es, glaube ich, noch über 190. Das ist viel. Wir müssen bis spätestens 2025 – das ist eine europapolitische Vorgabe, dürfen wir maximal noch 40 haben. Das finde ich eigentlich nicht ehrgeizig genug. Das müssten wir hinbekommen, dass wir da weiter drunter sind.

Ich mache jetzt erstmal eine freiwillige Vereinbarung mit den Handelsverbänden. Das klappt ja eigentlich gut. Im Lebensmitteleinzelhandel, da werden die Tüten ja nicht mehr kostenfrei abgegeben. Ich möchte, dass hier auch in anderen Bereichen wie Schuhhandel, Textil- und Drogeriemärkte und so auch nicht mehr kostenfrei abgegeben werden und dass es uns gelingt in den nächsten zwei Jahren mindestens 80 Prozent der Einzelhändler dazu zu bringen, nicht mehr kostenfrei abzugeben. Oder was ich noch besser fände: auf andere Materialien umzusteigen, also zum Beispiel Papier. Ich weiß, in der Produktion ist das auch nicht ganz Ohne. Aber am allerbesten ist natürlich, wenn man seine eigenen Tüten mitbringt. Ich gehe immer einkaufen mit dem berühmten Jutebeutel. Aber ich muss gestehen: Ich habe mir am Wochenende ein paar Klamotten gekauft und da kriegste halt eine Plastetüte. Und was machste denn? Die können es auch nicht in den Jutebeutel packen.

Da musste sagen: Ich bin die Umweltministerin und ich möchte, dass sie mir irgendetwas Anderes geben.

Hätte ich machen müssen. Die hätten nichts Anderes gehabt. Aber hätte ich eigentlich machen müssen. Die kennen mich ja auch, das war bei mir zu Hause. Aber was will man tun? Die Einzelhändler haben in der Tat noch Probleme. Ich denke, die müssen in Richtung Papiertüten umschalten. Denn die müssen ja auch eine entsprechende Größe haben. Wenn man Klamotten kauft, die sind ja so gefaltet, dass man das nicht in einer Tüte hat, die man so beim Lebensmitteleinzelhandel bekommt. Außer Kleinigkeiten natürlich. Ein Pulli oder Strümpfe, das ist ja kein Problem. Aber ich glaube, der Textileinzelhandel muss da in Richtung Papier gehen. Man kann die Sachen auch schlecht einfach über den Arm hängen. Und die passen halt nicht in den Jutebeutel, das ist so.

Warum macht ihr jetzt nicht eine freiwillige Vereinbarung und kein Gesetz?

Das ist in der Tat richtig. Das ist eine gute Frage. Wir haben das damals mit dem Lebensmitteleinzelhandel auch freiwillig gemacht – und das hat gut geklappt. Ich habe aber auch den Einzelhandelsverbänden gesagt, wenn die das nicht hinbekommen, dass da innerhalb von zwei Jahren mindestens in 80 Prozent der Geschäfte dann tatsächlich auch die Tüten nicht mehr kostenfrei abgeben, dann werde ich eine Verordnung machen. Dann werden wir es regeln. Und das können wir machen. Jetzt wissen die bescheid. Jetzt müssen die sich darum bemühen. Und wenn sie es nicht hinkriegen, dann machen wir die Verordnung. Das ist wie ein Gesetz in dem Zusammenhang, ja.

Eine andere Möglichkeit wäre, wie die Iren das gemacht haben: Die haben 15 Cent Steuer pro Tüte eingeführt und das hat einen Rückgang von 328 Tüten auf 21, wie du schon gesagt hast, gebracht. Warum keine Steuer?

Das ist ja dasselbe wie: Geld dafür nehmen, das ist klar. Könnte man auch mit Steuern machen…

Da verdient ihr noch etwas!

Ja, da würden wir noch etwas verdienen. Ja, müssen wir mal dem Finanzminister sagen. Ist vielleicht eine Idee für ihn.

In Sachen Wohnungsbau… Hast ja vorhin schon gesagt, das ist ein großes Thema bei dir. Warum ist das ein Thema?

Also eigentlich ist viele Jahre lang am Wohnungsbau nichts richtiggemacht worden. Es war allerdings auch so, dass lange keine richtige Nachfrage bestanden hat. Es sind im Jahr 2009 nur 160.000 Wohnungen fertiggestellt worden. Aber zu der Zeit haben zum Beispiel in Berlin die großen Wohnungsbaugesellschaften noch um Mieter geworben, ja! Das ist noch gar nicht so lange her. Ich kann mich gut an diese kleinen Plakate erinnern, die immer in den Bushaltestellen hingen. Ich weiß nicht, ob du doch auch erinnerst. Du lebst ja auch in Berlin. Da war immer so ein junges Paar, die lagen so aufgeschreckt im Bett. Ne, so ein Foto… Ein junges Paar wird aufgeschreckt im Bett/ überrascht und dann stand darunter immer: Zeit für eine eigene Wohnung? Und dann die Wohnungsbaugesellschaft. Die hat geworben, dass die Mieter zu ihr kamen. Das ist noch nicht lange her. Paar Jahre. Vier, fünf Jahre oder so.

Und die Entwicklung, die wir jetzt haben, ist auch von den ganzen Wissenschaftlern nicht vorhergesagt worden. Wir haben eine starke Binnenwanderung in der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben ja Regionen, in denen Wohnungen leer stehen. Also zwar nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern auch in den westdeutschen Bundesländern. Aber wir haben eben auch Ballungsräume und Ballungsrandzonen, wo die Menschen hinwollen. In Deutschland sprechen wir von den Big Seven. Das sind die sieben größten Städte in der Bundesrepublik, da ist die Nachfrage am allergrößten. Aber es gibt auch unter denen daneben noch Nachfrageschwerpunkte. Manche Universitätsstädte wie zum Beispiel Regensburg oder Münster, die nicht so groß sind, haben eine unglaubliche Nachfrage nach Wohnungen. Viele Universitätsstädte! Und dann eben die großen Ballungsräume. Das hat mit der Binnenwanderung zu tun. Das hat damit zu tun, dass pro Kopf der Bevölkerung die Quadratmeterzahl zunimmt. Das wieder kommt daher, dass wir mehr Single-Haushalte haben. Wir haben halt mittlerweile viele Haushalte… ältere Menschen, die ihren Partner verloren haben und sagen wir mal auf 65m2 wohnen. Die ziehen ja deswegen nicht aus, weil sie jetzt alleine sind. Und wir haben natürlich auch andere Singles, die… Also vor 50 Jahren ungefähr war der durchschnittliche Wohnungs-Quadratmeter pro Mensch in Deutschland bei 25. Und jetzt sind wir bei 45.

Oh!

Das hat übrigens auch ökologische Folgen, ist ja klar. Muss ja gebaut werden. Fläche, Baumittel,…

Geheizt werden,…

Und es muss geheizt werden. Hat auch ökologische Folgen.

Aber natürlich stimmt das wieder nicht für die Städte. Das liegt auch auf der Hand, dass in München oder so ein 3-Personen-Haushalt nicht auf einmal eine 135m2 Wohnung hat. Wie denn? Kann sich ja keiner leisten. Außer den Fußballspielern von Bayern oder so. Die leisten sich auch noch Größeres, oder so.

Aber nein, also es hat mit der Binnenwanderung zu tun. Das hat natürlich auch mit dem Zuzug von Flüchtlingen zu tun. Es ist mir aber ganz wichtig, darauf hinzuweisen: Dadurch dass jetzt so viele Flüchtlinge zu uns gekommen sind, von denen ein großer Teil ja mindestens mittelfristig und vielleicht auch auf Dauer bleiben wird, nicht alle, aber ein großer Teil… Und wenn die einmal anerkannt sind, wollen die natürlich auch wohnen. Dann werden die nicht mehr irgendwie untergebracht, sondern dann sind die auch auf dem Wohnungsmarkt. Und deswegen kommt es mir darauf an, dass wir da auch Konkurrenzen vermeiden. Und deswegen haben wir auch schon mehr Geld für den Wohnungsbau zur Verfügung, schon seit diesem Jahr. Und das ab nächsten Jahr nochmal mehr. Es wird auch steuerliche Erleichterungen für Investoren geben, damit einfach mehr gebaut wird.

Man kann dem Mangel nur begegnen, wenn an der richtigen Stelle mehr gebaut wird. Und was ich zum Beispiel eine ganz tolle Idee finde, ist, dass man bestehende Gebäude aufstockt. Also Stockwerke obendrauf setzt. Das geht erstens schnell und ist natürlich auch nicht so teuer. Und es versiedet auch nicht noch mehr Grund und Boden. Es ist auch deswegen nicht teuer, weil das Grundstück ist ja schon mal da. Man muss keine Grunderwerbssteuer bezahlen. Die Anschlüsse sind alle da. Es muss nicht extra neu erschlossen werden. Und wir haben viele Regionen in Deutschland, viele Stadtviertel, wo die Häuser nur viergeschossig sind. Parterre plus drei Geschosse. Und wenn man da etwas oben draufsetzt, ein oder zwei weitere Geschosse obendrauf, meistens dann auch in so einer Holzbauweise, was auch ziemlich gut isoliert ist und was trotzdem schnell geht, dann würde man zugleich dafür sorgen können, dass auch noch Aufzüge angebracht werden können. Und in den älteren Häusern wohnen ja häufig auch ältere Menschen, die mit den Wohnungen alt geworden sind. Die kriegen dann auf die Weise endlich mal einen Aufzug. Und obendrauf machen wir die Wohnung etwas größer, damit da jüngere Familien einziehen. Und da haben wir eine ordentliche Mischung. So stelle ich mir das vor.

Das Lustige ist, ich habe einen privaten Bekannten, der genau das gemacht hat, also zwei Stockwerke höher. Und dann war er damit fertig und dann kam die Feuerwehr an und hat gesagt: Du bezahlst erstmal für 120.000 Euro eine Feuerwehrzufahrt, weil die Feuerwehr dann höher kommen muss. Und aus feuerschutzrechtlichen Gründen waren dann auf einmal von einen Tag auf den anderen Mehrkosten von 120.000 Euro entstanden.

Ja, das ist natürlich ein Problem. Und das hört sich jetzt blöd an: Ich bin die Bundesbauministerin, trotzdem sind für den Wohnungsbau als solches die Länder zuständig. Auch übrigens für die Brandschutzverordnungen sind die Länder zuständig. Wir sind aber wirklich – ich sage mal – in enger Abstimmung. Ich habe schon vor 1,5 Jahren das „Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen“ in die Wege geleitet, wo erstmal alle Verbände und Bauindustrie, Wohnungswirtschaft, die Baugewerkschaft, Haus und Grund, der Mieterbund, Städte und Gemeinden, Länder und so, alle drin vertreten sind. Und wir haben 10 Punkte entwickelt, die wir jetzt umsetzen müssen. Und da sind wir dabei. Einen Teil haben wir schon umgesetzt. Nicht alles, aber einen Teil. Und da werden eben die Länder auch adressiert, diejenigen Dinge anzupacken, die in ihrer rechtlichen Verantwortung liegen. Und das ist zum Beispiel auch Brandschutz. Den darf man jetzt natürlich nicht über Bord werfen. Ist ja ganz klar: Brandschutz muss gewährleistet sein. Aber den Brandschutz mal vorurteilsfrei zu überprüfen im Sinne von: Ist es nicht auch auf eine andere Art und Weise möglich, dem genüge zu tun? Ohne dass es an der Sicherheit der Menschen dann irgendwie Abzüge oder Abschläge geben würde, das ist ein wichtiger Punkt. Das ist genau richtig, da muss man sehr darauf achten, dass einerseits die Sicherheit da ist, aber andererseits das Ganze eben auch vernünftig gestaltet werden kann.

Wohnungsbau ist das eine, leere Wohnungen das andere. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung sagt, dass es in Deutschland 2 Millionen leere Wohnungen gibt. Wie kann das sein? Alleine in Berlin gibt es 5.000 Wohnungen, die leer stehen und 150 Wohnhäuser, die komplett leer stehen.

Ja, das gibt es in der Tat. Ob die 2 Millionen-Zahl jetzt noch richtig ist, weiß ich nicht. Weil wir natürlich Zuzug hatten und weil zum Beispiel in den ländlichen Räumen viele Flüchtlinge in leer stehende Wohnungen eingewiesen worden sind, und gar nicht lange in den vorübergehenden Unterbringungen sind. Ganz aktuell ist die Zahl wahrscheinlich nicht mehr. Aber man kann sicherlich davon ausgehen, dass es bundesweit etwa 1,5 Millionen leere Wohnungen gibt. Wir gehen davon aus, dass davon etwa so 600.000 – und das ist immer noch viel – ziemlich rasch wieder herzurichten wären, weil sie sich tatsächlich in Zusammenhängen befinden, wo andere Wohnungen vermietet sind – und das sind einzellne Leerstände. Andererseits gibt es auch Leerstände, wo es sich einfach nicht mehr lohnt, die noch herzurichten. Wenn man sich ein bisschen auskennt, in den neuen Bundesländern zum Beispiel, dann gibt es leer stehende Plattenbauten auf dem Land, in  Dörfern. Weil damals natürlich bei den LPGs Landarbeiter gewohnt und gearbeitet haben. Aber auf den Dörfern da wohnt einfach niemand mehr. Und das muss man auch nicht mehr herrichten. Da ist auch keine dörfliche Struktur. Deswegen werden von den 1,5 Millionen leer stehenden Wohnungen vielleicht 600.000 wirklich gut dem Markt wieder zugeführt werden können. Was ganz bestimmt auch mehr zunimmt, was viele noch nicht so richtig erforscht haben, ist die Tatsache, dass es auch leer stehende Einfamilienhäuser gibt und Zweifamilienhäuser, insbesondere im ländlichen Raum, die auch nicht mehr vermarktungsfähig sind, auch die Erben die nicht mehr verkaufen können. Das nimmt zu. Und ja, es gibt das, was du gerade ansprichst für Berlin: leer stehende ganze Wohnhäuser. Häufig aus Spekulationsgründen. Und das ist in der Tat ein Punkt, wo wir uns Gedanken machen müssen, ob wir da eine Planungsabschöpfung oder so etwas vornehmen müssen.

Kann man das irgendwie bestrafen?

Ja, genau das. Das ist aber wirklich ein Punkt, das ist zum Totlachen! Also ich bin ja schon alt und gerade vor kurzem war ich zum 90. Geburtstag von Hans-Jochen Vogel. Manche werden sich noch an ihn erinnern, die Jüngeren können ihn jetzt googlen. So und der Hans-Jochen Vogel war auch mal Bundesbauminister, so vor gut 40 Jahren. Und der hat schon damals solche Bodenrechtsfragen wirklich thematisiert und vorgeschlagen, wie man damit umgeht, dass man nicht bebauten Grund und Boden mobilisieren kann in den Städten. Dass man Wert abschöpfen kann, steigenden Wert sozusagen. Wenn jemand spekulativen Gewinn durch Leerstand macht,… So etwas ist prinzipiell möglich. Also zum Beispiel über eine eigene Grundsteuer. Wir haben bisher Grundsteuerart B für Landwirtschaft und für bebauten und unbebauten Grund. Man könnte eine Grundsteuer B machen, die sagt, da sollte jetzt eigentlich gebaut werden, du willst es aber nicht. Du willst spekulieren, du willst es erst später verkaufen, so. Könnte man mehr Geld abschöpfen, um einfach da mehr einzugreifen. Aber die Vorschläge, die sind wirklich 40 Jahre alt und waren noch nie mehrheitsfähig. Also wirklich: Hans-Jochen Vogel mal googlen, der hatte immer schon tolle Ideen!

Aber woran scheitert’s? Wenn das schon seit 40 Jahren ist, woran scheitert es?

Es gibt dafür keinen politischen Konsens in der Bundesrepublik Deutschland. Bis jetzt nicht. Bedauerlicherweise. Wir bräuchten…

Du bist dafür?

Ja. Ich meine, es ist auch nicht so einfach zu sagen, wir machen das jetzt mal genau so. Aber es gibt Vorarbeiten, auch auf der wissenschaftlichen Ebene, durchaus. Und wir bräuchten dazu eine politische Debatte, die sagt: Welche Instrumente kämen denn dafür tatsächlich in Frage?

Hast du die?

Also ich glaube, dass das eine der Debatten ist, die wir in der politischen Debatte auch in Hinblick auf die nächste Legislaturperiode führen müssen. Denn bezahlbares Wohnen und Bauen ist eines der großen, ganz großen sozialen Themen für die nächste Zeit.

Barbara, Dankeschön.

Wir machen noch ein paar Zuschauerfragen.

Ist sich die Regierung der Wichtigkeit der Bienen nicht bewusst, weil warum will sie (die Regierung) das Pestizid-Gesetz lockern?

Die Regierung ist sich natürlich der Wichtigkeit der Bienen bewusst, ist ja völlig klar! Wir kommen ja ohne Bestäuber nicht aus. Außer der Landwirtschaftsminister würde selber mit dem Pinselchen übers Land laufen… Und deswegen müssen wir da auch mit den Bienen ganz vorsichtig umgehen.

Was hat dich zur Umweltministerin qualifiziert?

Wahrscheinlich die Tatsache, dass ich einfach eine ziemlich gute politische Erfahrung habe und mit Themen umgehen kann, selbst wenn ich vorher nicht ständig damit befasst war.

Also könntest du auch jedes andere Ministeramt übernehmen können?

Wäre rein fachlich oder so gegangen. Aber nicht, dass ich mich jetzt nach etwas anderem sehne… Ich mache das gerne. Und ich hoffe auch gut.

Wann werden die Subventionen für die Tierproduktion eingestellt – und dafür solche Lebensmittel wie Obst oder Gemüse subventioniert?

Naja, die Tierproduktion wird nicht eingestellt in besonderer Weise gefördert, sondern wir haben eine europäische Landwirtschaftsförderung, die sich im Prinzip allein an der Fläche, die bewirtschaftet wird, bemisst. Und ob da dann jemand Gemüse anbaut oder ob jemand Tiere produziert: Da wird dann kein Unterschied gemacht. Ich bin der Auffassung, wir müssen davon wegkommen, alleine nach der Fläche zu subventionieren. Das ist  zur Zeit 290 Euro pro Hektar pro Jahr in der Bewirtschaftung, also egal, ob es einem gehört oder ob man es gepachtet hat. Das geht natürlich irgendwie auch in den Pachtpreis ein. Die Verpächter wissen auch, dass da 290 Euro pro Jahr daraufliegen. Also ob der Bauer, der da wirtschaftet, wirklich etwas davon hat, ist höchst fraglich, weil die Pachten steigen ja auch. Also wir sind der Auffassung hier im Umweltministerium, dass wir viel mehr bei der europäischen Landwirtschaftssubvention umgestaltet müssen – im Hinblick darauf, welche Leistungen werden von der Gesellschaft erbracht, also gesunde Böden, gute Nahrung, gutes Trinkwasser und Stützung des Erhalts der Artenvielfalt. Das sind die eigentlichen Aufgaben. Und dafür würde ich gerne die ganzen Subventionen den Landwirten geben.

Die Leute wollten auch wissen: Welche Lobby versucht bei dir den meisten Einfluss zu nehmen?

Das ist ganz unterschiedlich und man würde so als Normalbürger das alles gar nicht als Lobby bezeichnen wollen, aber… Ich habe den ganzen Bereich der Bau- und Wohnungswirtschaft auf der einen Seite, aber ich habe auch auf der anderen Seite den ganzen Bereich der Naturschutzverbände. So ist es nicht! Die sind nach der Definition auch Lobby. Das sind aber ganz unterschiedliche Menschen.

Ich lese mal den Satz vor: Mich würde interessieren, ob sie persönlich schonmal den TTIP-Lesesaal besucht hat. Und was du besorgten Bürgern antworten würdest, die ein Standard-Dumping in Sachen Umweltschutzregulierungen befürchten.

Nein, ich war nicht im TTIP-Lesesaal. Ich habe auch nicht vor, das zu tun. Aber wenn jemand Sorge hat, dass also unsere Umweltstandards wegen TTIP heruntergehen, dann möchte ich doch gerne für Entwarnung sorgen: Wir werden darauf achten, dass wir erstens die Regeln, die wir haben, behalten und zweitens, auch in Zukunft neue und fortentwickelte Regeln natürlich in unserer Macht liegen. Wir sind eine Demokratie und wir werden uns nicht von Freihandelsabkommen daran hindern lassen, ich sage mal, gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen. Ich habe vor Monaten irgendwann mal gesagt, es kommt darauf an, dass wir das mit den Investitionsschutzabkommen gut hinbekommen, sodass wir nicht beschränkt werden in unseren Möglichkeiten. Das sieht jetzt wirklich gut danach aus, dass diese Investitionsschutzbedingungen jetzt tatsächlich zurückgedrängt werden und wenn, dann vor ordentlichen Gerichten geklärt werden. Und ich habe vor einiger Zeit gesagt, also wir können es uns jedenfalls nicht leisten, dass 150 Jahre Arbeiterbewegung, 100 Jahre Frauenbewegung und 50 Jahre Umweltbewegung einfach in die Tonne gekloppt werden.

Also hat/ wird TTIP keine negativen Konsequenzen für Umwelt- und Naturschutz haben?

Darauf werden wir achten.

Wie ist deine Haltung zu Fracking?

Meine Haltung zu Fracking ist eigentlich sehr reserviert, um es mal vorsichtig auszudrücken. Ich möchte es eingrenzen.

Du bist nicht dagegen?

Wir haben zur Zeit eine Erlaubnis. Es ist im Prinzip im Moment fast alles erlaubt. Wir haben zwar im Moment ein Moratorium: Es wird ja im Moment nicht ausgeübt. Aber die Rechtslage ist so, dass man es dürfte. Und deswegen habe ich einen Gesetzentwurf vorgelegt im Bereich des Naturschutz  und im Bereich des Wasserhaushaltsgesetzes – und Sigmar Gabriel hat es im Bergrecht entsprechend auch vorgelegt –, das die bisherige breite Möglichkeit des Frackings sehr einschränkt. Nicht zu 100 Prozent verbietet, das räume ich ein. Aber sehr einschränkt.

Es ist nicht so einfach. Man kann nicht alles so leicht verbieten. Es ist nicht zu bestreiten, dass von Fracking, was übrigens, wenn wir das in Zukunft in dieser eingeschränkten Form erlauben würden, jedenfalls nur ohne Chemikalien gehen würde und so, um das mal deutlich zu sagen,…  Dass von Fracking eine potenzielle Gefahr ausgeht, ist nicht zu bestreiten. Also eine 100-prozentige Sicherheit können wir damit nicht verbinden. Aber es gibt natürlich auch andere Lebensbereiche in der Bundesrepublik Deutschland, von denen eine potenzielle Gefahr ausgeht, und die wir trotzdem nicht verbieten. Was weiß ich… Autofahren zum Beispiel! Also es ist von Verfassungswegen nicht so einfach, alles zu verbieten, von dem eine potenzielle Gefahr ausgeht. Denn es gibt auch so etwas wie Forschungsfreiheit in der Verfassung. Es gibt Gewerbefreiheit in der Verfassung. Es gibt Freiheit der Berufsausübung in der Verfassung. Das ist nicht so einfach, schlankweg alles zu verbieten.

Aber so Henker gibt’s ja auch nicht mehr.

Nein, da haben wir uns in der Verfassung ja entschieden, dass die Todesstrafe abgeschafft wird.

Kurze Frage: Wird der Atomausstieg 2021 erreicht?

2022 – ja.

Wann kommt das Glyphosat-Verbot?

Da habe ich in der BPK mitbekommen: Ihr seid dafür, aber das Landwirtschaftsministerium ist dagegen.

Also gerade geht es auf der Europäischen Ebene darum: Wird das noch einmal verlängert? Wir haben im Hinblick auf Artenvielfalt unsere Bedenken angemeldet – das muss man ganz deutlich sagen! Es gibt ja auch da bedenken, dass es auch gesundheitlich schädlich sein könnte. Das ist jetzt nicht,… – nicht dass ich mich drücken will, aber das ist nicht meine Verantwortung. Ich kann jetzt nur die Dinge anmelden, auch in der Diskussion mit den Kollegen, also einmal im Europäischen Parlament, aber auch in der Diskussion mit dem Kollegen Landwirtschaftsminister, kann ich nur die Dinge ansprechen und kritisch hinterfragen, die in meiner Verantwortung liegen. Und das ist in diesem Fall Artenvielfalt. Und wir haben uns verständigt, der Landwirtschaftsminister und ich: Wenn die Europäische Union entsprechend Rücksicht nimmt auf die Artenvielfalt, dann kann die Bundesregierung der Verlängerung auch zustimmen, aus meiner Sicht. Damit ist die Frage der Gesundheitsschädlichkeit nicht beantwortet. Darum müsste sich dann der Gesundheitsminister kümmern.

Und die allerletzten beiden Fragen: Hast du als LGBT-Frau bereits Diskriminierung im politischen Umfeld erfahren müssen? Will Arno wissen.

Nö.

Noch nie?

Nö.

Und sind Chemtrails eine Verschwörungstheorie?

Bitte was?

Chemtrails?

Ehrlich gesagt: Ich glaube ….

Du kannst als Umweltministerin den Leuten sagen, dass das absoluter Blödsinn ist – oder nicht.

Ja, natürlich ist das absoluter Blödsinn. Diesen ganzen Verschwörungstheorien, wie Menschen im 21. Jahrhundert, die wirklich alle Formen von seriöser Information haben können, wie die diesen ganzen Verschwörungstheorien aufsitzen können, das ist mir völlig unverständlich!

Ich habe vor einiger Zeit mal eine Fernsehberichterstattung gesehen, da wurden menschen interviewt, die zu so einer „geheimen“ Veranstaltung über Chemtrails gingen. Vor der Tür haben sie die Leute interviewt und dann gingen sie in die geheime Veranstaltung in irgendsoeiner Stadthalle. Ich weiß nicht mehr, in welcher Stadt. Und dann habe ich gedacht: Mein Gott, was für verschrobene Menschen gibt es doch!

Kannst du kurz erklären, was das denn da ist, wenn es keine Chemtrails sind? Kondensstreifen?

Ja, das sind Kondensstreifen von Flugzeugen. Ja, klar.

Da wird ja dann gesagt: Die Flugzeuge sprühen das über uns aus, damit wir beeinflusst werden. Kannst du definitiv sagen: Das ist Bullshit?

Das ist Bullshit.

Dankeschön. Ciao!

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