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Bundesregierung für Desinteressierte: BPK vom 2. November 2016

Maulkorb ► BPK vom 2. November 2016

Themen: Kabinettssitzung (Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an den UN-Missionen UNAMID und UNMISS, Entwurf zur Änderung des Gentechnikgesetzes, Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Verbesserung des Hochwasserschutzes), Novellierung der Arbeitsstättenverordnung, Klimaschutzplan 2050, Minderjährigenehen, Angleichung der Rentenwerte in West- und Ostdeutschland, Aufklärung der NSU-Morde, Entlassung von Lehrkräften an der deutsch-türkischen Universität in Istanbul, „Brexit“, geplantes Verbot des Versands von rezeptpflichtigen Arzneimitteln, Äußerungen des türkischen Staatspräsidenten hinsichtlich territorialer Ansprüche der Türkei, Kritik des chinesischen Außenministeriums an Äußerungen des EU-Kommissars Oettinger, Bürgerkrieg in Syrien, geplante Entsendung eines deutschen Hubschrauber-Kontingents im Rahmen von MINUSMA nach Mali

Keine naiven Fragen heute. Themenliste:

01:45 Seibert Kabinettsbeschlüße

06:37 Gentechnik-Gesetz

17:20 Klimaschutzplan

25:14 Minderjährigen-Ehe

29:14 Ost-Renten Vorschlag des Sachverständigenrates

33:12 Plate reicht nach dass er Recht hatte

33:39 NSU-Aufklärung Vorwürfe Amnesty International

35:54 Türkei, Seibert wird hart angegangen, Schäfer übernimmt

47:47 Brexit

51:08 Versand von rezeptpflichtigen Medikamenten

53:38 Türkisch-Griechische Grenze, Erdogan würde da gerne noch 1-2 Inseln haben wollen

56:10 Oettingers Äußerungen über Chinesen

57:33 Syrien, Russische Vorschläge zur Waffenruhe & Assad 2021

01:03:38 Bundeswehr, Hubschraubereinsatz in Mali

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Komplettes BPK-Wortprotokoll vom 2. November 2016:

VORS. FELDHOFF: Liebe Kolleginnen und Kollegen, herzlich willkommen an diesem Mittwoch in der Regierungspressekonferenz. Ich begrüße Staatssekretär Steffen Seibert und die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien. Außerdem begrüßen wir heute zum ersten Mal die neue Sprecherin des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, Frau Dr. Christina Wendt.

WENDT: Mein Name ist Christina Wendt. Ich bin seit dem 1. September im Bundeslandwirtschaftsministerium tätig und freue mich, Ihnen künftig an dieser Stelle Fragen beantworten zu können.

VORS. FELDHOFF: Schönen Dank und auf gute Zusammenarbeit. Heute ist Mittwoch und wir beginnen mit dem Bericht aus dem Kabinett.

STS SEIBERT: Guten Tag auch von mir. Wir beginnen mit dem Kabinettsbeschluss, zwei Auslandseinsätze der Bundeswehr zu verlängern. Es geht einmal um UNAMID in Darfur im Westsudan und um UNMISS im Staate Südsudan. In beiden Fällen bezieht sich der deutsche Beitrag im Wesentlichen auf Führungs-, Beratungs- und Unterstützungsaufgaben. Dieser soll in beiden Fällen bis zum 31. Dezember 2017 mit einer unverändert personellen Obergrenze von jeweils bis zu 50 Soldatinnen und Soldaten fortgesetzt werden.

In beiden Fällen kann man sagen: Dieser Einsatz ist Teil unserer langjährigen Bemühungen um eine dauerhafte Konfliktbeilegung und um eine Stabilisierung und Friedenskonsolidierung in dieser Region.

Ich will kurz auf Darfur eingehen: Die Lage dort, muss man leider sagen, bleibt weiter angespannt. Sie bleibt weiter instabil. Auch die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen ethnischen Gruppen, zwischen Regierungen, Rebellengruppen, Milizen dauern an. Es sind im Frühjahr dieses Jahres wieder Kämpfe aufgeflammt. Das hat zu einer neuen Welle von Binnenflüchtlingen in der Region geführt. Umso mehr ist UNAMID als ein stabilisierendes Element weiterhin unverzichtbar, um die Sicherheitslage in Darfur zu verbessern, wie es auch unverzichtbar ist, um die politischen Bemühungen um eine Beilegung der dortigen Krise zu begleiten. Es sind dort derzeit vier deutsche Soldaten sowie drei deutsche Polizisten eingesetzt.

In Bezug auf Südsudan stellt sich die Lage folgendermaßen dar: Humanitär muss man sie wohl katastrophal nennen. Es sind dort beinahe fünf Millionen Menschen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Es sind über eineinhalb Millionen Menschen innerhalb des Landes Südsudan vertrieben. Es gab bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Regierungs- und Oppositionstruppen im Juli dieses Jahres, die eine hohe Zahl von Opfern auch unbeteiligter Zivilisten gefordert haben. Es herrscht also Instabilität. Das macht das weitere internationale Engagement unverzichtbar.

Im Rahmen von UNMISS sind derzeit 15 deutsche Soldaten eingesetzt. Der mögliche weitere Einsatz von bis zu 20 Polizistinnen und Polizisten wird zurzeit mit den Vereinten Nationen abgestimmt.

Das nächste Thema ist der Entwurf zur Änderung des Gentechnikgesetzes, den das Bundeskabinett heute beschlossen hat. Damit kann Deutschland den Anbau von in der EU zugelassenen gentechnisch veränderten Organismen auf seinem Gebiet unter bestimmten Voraussetzungen beschränken oder untersagen. Damit macht die Bundesregierung deutlich, dass sie die Vorbehalte vieler Bürger gegenüber dem Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen ernst nimmt.

Grundlage für diese neue gesetzliche Regelung ist die sogenannte Opt-out-Richtlinie der Europäischen Union. Diese sieht vor, dass die Mitgliedstaaten regionale Anbauverbote erlassen können. Das ist die Einigung, die man Mitte 2014 gefunden hat.

Ein letztes Thema betrifft den Hochwasserschutz. Wir alle erinnern uns an die Hochwasserereignisse des Jahres 2013. Das war für die Bundesregierung Anlass, die Regeln des Hochwasserschutzes noch einmal zu überprüfen. Wir wissen: Wir müssen den voranschreitenden Klimawandel dabei berücksichtigen. Wir wissen, dass es unser Ziel sein muss, den Flüssen wieder mehr Raum zu geben. Deshalb hat die Bundesregierung den heute von der Umwelt- und Naturschutzministerin vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Verbesserung des Hochwasserschutzes beschlossen.

Einige kurze Stichworte dazu. Was soll dieses Gesetz? Es soll zum Beispiel dazu führen, dass Verfahren für die Planung, Genehmigung und den Bau von Hochwasserschutzanlagen soweit wie möglich erleichtert, beschleunigt werden, ohne die Beteiligung der Öffentlichkeit zu beschneiden. Es soll dazu führen, dass Gerichtsverfahren gegen geplante und genehmigte Hochwasserschutzmaßnahmen soweit wie möglich und sinnvoll beschleunigt werden. Es soll zusätzliche Vorschriften schaffen, die dazu beitragen, die Entstehung von Hochwasser einzudämmen. Es soll schließlich Regelungslücken schließen, um Schäden durch Hochwasser zu verhindern oder zu vermindern.

Soweit die Themen aus dem Kabinett.

FRAGE SOBOLEWSKI: Eine Frage zu dem Gentechnikgesetz, um das ja in der Bundesregierung, aber auch zwischen Bund und Ländern hart gerungen wurde. Trägt das Bundesforschungsministerium es so mit, dass man pauschal für ein Verbot von Genmais eintritt?

FISCHER: Vielen Dank für die Frage. Wir tragen das Gesetz natürlich mit. Für uns ist wichtig, dass Forschung weiterhin möglich ist. Das ist gewährleistet.

ZUSATZFRAGE SOBOLEWSKI: Wird jeweils im Einzelfall überprüft, wenn solche Zulassungen auf EU-Ebene vorliegen, oder ist es pauschal vom Tisch, dass Genmais in Deutschland angebaut werden kann?

FISCHER: An wen richtet sich die Frage? Das ist keine forschungsspezifische Frage.

URBAN: Vielen Dank für Ihre Frage. Vielleicht vorweg eine kurze einordnende Bemerkung zu diesem Thema: Wir sprechen immer von gentechnisch veränderten Organismen, die von der EU zugelassen sind. Das heißt, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat diese Organismen für in der EU zulässig erklärt, und dementsprechend ist es eine große rechtliche Herausforderung, zugelassene Stoffe wiederum national zu beschränken und vom Anbau auszunehmen.

Sie haben den Punkt völlig richtig getroffen: Es muss für jede einzelne Pflanzlinie, für jeden einzelnen Zulassungsantrag dieses Verfahren für sich erneut in Gang gesetzt werden. Es gibt keine pauschale Möglichkeit zu sagen: Wir als Deutschland wollen keine grüne Gentechnik. Das reicht nicht aus, um den Kriterien der Opt-out-Änderungsrichtlinie der Europäischen Union gerecht zu werden. Das heißt, im Einzelfall stellt ein Pflanzenhersteller, ein Saatguthersteller einen Antrag bei der Kommission auf Zulassung. Wir kommunizieren dann über die Kommission mit diesem Hersteller und bitten darum, dass das Bundesgebiet mit seinen 16 Bundesländern davon ausgenommen werden soll. Dann wird das Verfahren ganz regulär in Gang gesetzt. Das muss, wie gesagt, für jede einzelne Pflanzlinie gesondert gemacht werden. Das erklärt auch die hohen rechtlichen Hürden und den langen Prozess, den es bedurfte, um hier eine Einigung herzustellen.

FRAGE SIEBERT: Nur zum Verständnis: Sie sagten, über die Kommission werde dann der Saatguthersteller gebeten, Deutschland auszunehmen. Ist die Bitte der erste Schritt und dann gibt es ein Prüfverfahren? Wie muss man sich den Ablauf eines solchen Verfahrens konkret vorstellen?

URBAN: Der Saatguthersteller Alpha stellt einen Zulassungsantrag bei der Kommission auf Zulassung seines Saatguts in der EU. Die EFSA überprüft diesen Stoff auf Gefährdung für menschliche Gesundheit, Tiergesundheit, Pflanzenschutz etc., und die Kommission lässt diesen Stoff zu. Danach müssen wir als Deutschland an die EU-Kommission herantreten und müssen sagen, dass wir als Deutschland gerne ausgenommen werden wollen. Das Ganze vollzieht sich dann ein zwei Phasen. Phase 1 ist eine noch relativ allgemeine Darstellung des Sachverhalts es gab diesen Fall erst Anfang des Jahres mit verschiedenen Maispflanzlinien , indem wir darum bitten, Deutschland aus dieser Anbauzulassung auszunehmen. Wenn der Saatguthersteller nicht reagiert oder sagt, dass ihm das als Begründung nicht ausreicht, müssen wir in die Phase 2 gehen. Dann greifen die sogenannten zwingenden Gründe dieser Opt-out-Änderungsrichtlinie das ist alles von der Europäischen Kommission sehr feinmaschig vorgegeben , und wir schauen anhand dieser einzelnen Gründe entsprechend der Bund-Länder-Zuständigkeit, welche Gründe wir anführen können, um die einzelnen Pflanzlinien letztendlich für Deutschland ausnehmen zu lassen.

ZUSATZFRAGE SIEBERT: Kann der Saatguthersteller in dieser Phase der Prüfung auf Bundes- und Landesebene dieses Saatgut in Deutschland ausbringen? Ist er rechtlich an diese Bitte oder wie immer Sie das nennen gebunden?

URBAN: Das ist eine Aufforderung an die Kommission. Wir richten diese im Prinzip über die Kommission an den Saatguthersteller.

ZUSATZFRAGE SIEBERT: Die Kommission und der Saatguthersteller müssen dieser Aufforderung nachkommen?

URBAN: In der Phase 1 ist die Situation so, dass wir erst einmal diese Aufforderung an die Kommission richten, und diese übermittelt das an den Saatguthersteller. Sollte der Saatguthersteller, wie ich gerade schon gesagt habe, nicht auf diese Aufforderung reagieren oder sollte er sagen „Nein, wir wollen aber trotzdem, dass Deutschland bei dieser Zulassung der entsprechenden Pflanzlinie inkludiert ist“, gehen wir in die Phase 2. Diese ist die engmaschige Begründung, wie ich gerade schon gesagt habe, also diese zwingenden Gründe aus der Opt-out-Änderungsrichtlinie, an denen wir uns dann entlanghangeln. Dies sind agrarpolitische, umweltpolitische Ziele, sozioökonomische Auswirkungen, um nur einige Bespiele zu nennen, welche zwingenden Opt-out-Gründe vorliegen können.

Noch einmal: Diese sind Bestandteil der Opt-out-Änderungsrichtlinie. Das ist nichts, was wir als Bundesregierung beeinflussen können. Dann versuchen wir, ein engmaschiges Netz aus verschiedenen Gründen, basierend auf den Beiträgen der Länder und den Beiträgen der Bundesebene, weiter zu kommunizieren und auf diesem Weg die Anbauzulassung zu verhindern.

FRAGE LEIFERT: Mir kommt gerade spontan ein Gedanke. CETA ist ja jetzt unterschrieben worden. Hat der Saatguthersteller bei vorläufigem Inkrafttreten des Handelsabkommens die Möglichkeit, gegen die Bundesregierung vor einem Schiedsgericht für die Nicht-Zulassung oder die Bitte, die Aufforderung, das hier nicht auszuüben, eine Klagemöglichkeit?

URBAN: Mir ist bislang kein Zusammenhang zwischen der Opt-out-Änderungsrichtlinie der Europäischen Union, die den Gentechnikanbau betrifft, und gleichzeitig des Handelsabkommens CETA bekannt. Dementsprechend ist mir auch nicht bekannt, dass die Opt-out-Änderungsrichtlinie durch CETA irgendeine Einschränkung erfahren würde.

FRAGE SIEBERT: Nur noch einmal zum Verständnis: Der Hersteller Alpha hat die Zulassung durch die EU, durch die EFSA, wie Sie sagen. Sie sagen jetzt: Augenblick mal, wir haben andere Vorstellungen. Kann er in dieser Phase, bis Ihr Verfahren abgeschlossen ist, also von der Zulassung durch die EU bis zum Abschluss des Verfahrens auf deutscher Seite, sein Saatgut an einen deutschen Bauern verkaufen oder nicht?

URBAN: Nein.

ZUSATZFRAGE SIEBERT: Eine Frage an das BMBF: Sie sagen, dass Sie den Gesetzentwurf mittragen. Wenn es um einen solchen konkreten Einzelfall geht, dass ein Saatguthersteller eine Zulassung für dieses Saatgut durch die EU erhält, können Sie dann auf dieses Verfahren, von dem Herr Urban jetzt spricht, Einfluss nehmen und sagen „Augenblick mal, wir wollen kein Opt-out, sondern wir wollen, dass das bei uns stattfinden darf“?

URBAN: Wenn ich vielleicht einordnend vorab als federführendes Haus kurz das Verfahren erläutern darf: Es ist in der Tat so Sie haben es gerade angesprochen , dass eine Mehrheit der Bundesländer hergestellt und eine Ressortabstimmung zwischen den sechs beteiligten Ressorts auf Bundesebene erfolgen muss. Dies sind BMEL, BMAS, BMG, BMWi, BMBF und BMU.

FISCHER: Wenn ich das kurz ergänzen darf: Es ist genauso, wie ich es gesagt habe, dass wir, wenn Forschungsfragen von Belang sind, ein Mitspracherecht haben. Es ist auch so angelegt, dass für Forschungszwecke die Möglichkeit weiterhin besteht.

FRAGE: Meine Frage richtet sich an das Arbeitsministerium. Heute wurden im Kabinett neue Vorschriften für Arbeitsstätten beschlossen. Was genau ändert sich? Was ist neu an diesen Vorschriften?

WESTHOFF: Wir haben dazu eine Pressemitteilung versendet, in der wir die allerwichtigsten Punkte schon einmal niedergelegt haben. Es ändern sich zum Beispiel die Anforderungen, die an die Einrichtung von Bildschirmarbeitsplätzen gestellt werden. Es ändert sich auch, dass psychische Belastungen stärker ins Auge gefasst werden, dass es also bestimmte Vorschriften gibt, dass über diese aufklärt und man im Auge hat, welche psychischen Belastungen eine Rolle spielen können.

Es geht um die berühmten Kleiderablagen, die immer einmal wieder Thema waren. Müssen diese abschließbar sein oder nicht? Es hat einen langen Prozess hin zu der Arbeitsstättenverordnung gegeben. Es gab aus dem Bundesrat verschiedene Wünsche, bei denen es um abschließbare Kleiderablagen und dergleichen ging. Jetzt gibt es eben bestimmte Vorschriften darüber, wo die Bediensteten, die Beschäftigen, die Dinge, die sie während der Arbeit nicht brauchen, ablegen können, müssen oder dürfen. Dafür müssen eben bestimmte Orte vorgesehen werden.

Was auch immer ein Thema war, ist eine Sichtverbindung nach außen. Es gibt die Klarstellung, dass es im Allgemeinen, wenn die baulichen Umstände es zulassen, schon schön ist, wenn man in den acht Stunden auch einmal das Tageslicht sieht.

Das sind alles Bestimmungen und Vorschriften, die letztendlich dazu dienen, die Arbeitswelt menschengerecht zu gestalten und auch auf die Beschäftigten Rücksicht zu nehmen, die acht, neun oder zum Teil mehr Stunden am Arbeitsplatz verbringen. Das sind die allerwichtigsten Bestimmungen. Es gibt noch eine Fülle von anderen. Das Ganze ist ein Werk von, glaube ich, 500 Seiten. Dieses wird in Kürze verfügbar sein, wenn es tatsächlich in Kraft getreten ist. Der nächste Schritt nach dem Kabinettsbeschluss ist die Veröffentlichung im Bundesanzeiger, und am Tag danach tritt die Verordnung in Kraft. Insgesamt ist das ein wichtiger Schritt hin zu mehr Arbeitsschutz. Es wird manchmal vorschnell als Bürokratie abgetan. Aber wenn man sich überlegt, dass wir in Deutschland weit über 40 Millionen Beschäftigte und Erwerbstätige haben, braucht es schon Vorschriften, wenn man einen so maßgeblichen Teil seines Lebens mit Beschäftigung und Arbeit verbringt.

FRAGE LEIFERT: Auch zum Kabinett. Herr Seibert, warum haben Sie den Klimaschutzplan 2050 im Kabinett nicht beraten?

STS SEIBERT: Er wurde heute im Kabinett nicht beraten, weil er ganz offensichtlich heute noch nicht beschlussfertig ist.

Ich kann Ihnen dazu aber sagen, dass sich die Bundesregierung und zwar die ganze Bundesregierung ganz klar zu einem Klimaschutzplan 2050 bekennt. Das ist ein gemeinsames Vorhaben der Bundesregierung. Wir wollen damit das bestehende deutsche Klimaziel 2050 und die vereinbarten Zwischenziele im Lichte der Verhandlungsergebnisse von Paris konkretisieren und mit Maßnahmen unterlegen. Das ist unsere gemeinsame Absicht. Deswegen ist es unser gemeinsames Interesse obwohl die Materie in mancherlei Einzelpunkten schwierig ist , die Ressortabstimmung schnellstmöglich zu einem einvernehmlichen Abschluss zu bringen.

ZUSATZFRAGE LEIFERT: Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie Marrakesch erst abwarten wollen, um die Ergebnisse dort mit in den Plan einzuarbeiten?

STS SEIBERT: Nein, das haben Sie falsch verstanden. Das habe ich auch so nicht gesagt. Ich habe gesagt: Der Klimaschutzplan 2050 soll im Lichte der Ergebnisse der Klimaschutzkonferenz von Paris, die hinter uns liegt, unsere Ziele konkretisieren und mit Maßnahmen unterlegen. Wir streben eine schnellstmögliche Ressortabstimmung mit einem einvernehmlichen Ende an. Daran arbeiten alle.

FRAGE SOBOLEWSKI: Herr Seibert, greift die Bundeskanzlerin die Anregung ihrer Ministerin Hendricks auf, jetzt einmal in der Frage ein Machtwort zu sprechen? Anders gefragt: Wo steht denn die Bundeskanzlerin in dem Streit?

STS SEIBERT: Auch für die habe ich ja gesprochen. Ich verweise noch einmal auf den Koalitionsvertrag, auf dessen Grundlage wir ja hier alle in dieser Bundesregierung zusammenarbeiten. In diesem wird eben der gemeinsame Wille ausgedrückt, einen solchen Klimaschutzplan 2050 zu erarbeiten, vorzulegen und zu beschließen. Der gemeinsame Wille, den Koalitionsvertrag auch in diesem Punkte umzusetzen, besteht.

ZUSATZFRAGE SOBOLEWSKI: Nun sagt Frau Hendricks, ihr Vorschlag sei mit dem Kanzleramt abgestimmt und könne eigentlich nicht mehr verändert werden. Ist das so korrekt?

STS SEIBERT: Ressortabstimmung heißt Ressortabstimmung, Gespräch unter den Ressorts über schwierige Punkte, die sich noch ergeben mögen. Das Ziel, wie gesagt, ist, dass das rasch oder auch schnellstmöglich zu einem einvernehmlichen Abschluss gebracht wird.

FRAGE JESSEN: Ich habe eine Frage an Herrn Seibert und auch an Herrn Schroeren.

Erstens. Wenn die Ministerin ohne eigenen nationalen Klimaschutzplan nach Marrakesch kommt, ist dann nicht zu befürchten, dass damit die deutsche Rolle geschwächt ist, wenn sich eines der wichtigsten Unterstützerländer von Paris nun nicht in der Lage zeigt, zu der nächsten Folgekonferenz mit einem eigenen handlungsfähigen Plan zu kommen?

Zweitens. Herr Schroeren, die Kritik an dem Plan war ja, dass einzelne Maßnahmen willkürlich und unwissenschaftlich zusammen da hineingeschrieben worden seien. Wie sehen Sie das?

STS SEIBERT: Wenn ich anfangen darf, Herr Jessen. – Das ist eine hypothetische Frage; denn das entscheidende Ministersegment der Konferenz von Marrakesch beginnt ja nicht heute Nachmittag. Deswegen möchte ich jetzt auf hypothetische Verläufe nicht eingehen. Ich habe Ihnen die Absicht der ganzen Bundesregierung erklärt.

ZUSATZFRAGE JESSEN: Das bedeutet, Sie sehen noch eine Möglichkeit, dass in die Konferenz von Marrakesch ein Klimaschutzplatz eingebracht wird?

STS SEIBERT: Das bedeutet, dass es in unserem gemeinsamen Interesse ist, diese durchaus schwierige Ressortabstimmung schnellstmöglich zu einem einvernehmlichen Abschluss zu bringen.

ZUSATZFRAGE JESSEN: Noch im Laufe der Konferenz?

STS SEIBERT: Schnellstmöglich.

SCHROEREN: Ja, das entspricht auch unserem Wunsch. Die Ministerin hat immer gesagt, dass bei diesem Thema der Zeitdruck weniger wichtig ist als die Substanz, als die Inhalte eines Klimaschutzplans. Der Klimaschutzplan, den wir anstreben, muss glaubhaft dazu in der Lage sein, das Pariser Abkommen als Langfriststrategie umzusetzen. Insofern wünschen wir uns natürlich, dass wir damit vor Marrakesch oder zumindest vor der Abreise der Ministerin nach Marrakesch durch das Kabinett kommen; das wäre schön.

Wir freuen uns auch, dass es nach den gestrigen Äußerungen der Ministerin offenbar Bewegung an dieser Stelle gibt oder dass sich Bewegung abzeichnet, was die Zeitschiene betrifft. Deswegen gehen jetzt die Gespräche innerhalb der Ressorts, im Ressortkreis auf allen Ebenen weiter, damit wir da zu einem vernünftigen Ergebnis kommen.

Ihre Frage an mich habe ich jetzt nicht mehr genau im Sinn.

ZUSATZFRAGE JESSEN: Die zweite Frage war: Ich glaube, aus mindestens einem Ressort war die Kritik an dem Plan mit der Bewertung verbunden, dass einzelne Forderungen willkürlich und ohne wissenschaftliche Fundierung hineingeschrieben worden seien.

SCHROEREN: Diese Auffassung teilen wir in keiner Weise.

FRAGE LEIFERT: Wenn ich das richtig wahrgenommen habe, gibt es Kritik und Verbesserungswünsche vor allen Dingen seitens des Verkehrs- und Landwirtschaftsressorts. Vielleicht könnten die beiden Häuser erläutern, was sie an dem jetzt vorliegenden Plan auszusetzen haben.

STS SEIBERT: Das tun die sicher gerne gleich. – Vielleicht darf ich kurz vorweg sagen, dass es natürlich gute Übung bei uns ist, von der wir jetzt auch nicht massiv abweichen werden, dass wir Ressortabstimmungen der Natur der Sache entsprechend intern durchführen.

ZUSATZ LEIFERT: Das werte ich als Maulkorb für die beiden Kollegen, die jetzt gerne noch etwas sagen würden.

STS SEIBERT: Nein. Ich beschreibe Ihnen nur das, was wir zu Ressortabstimmungen hier immer sagen. Das ist definitiv nicht das, was Sie da darstellen.

URBAN: Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt hat sich heute Morgen im Deutschlandfunk lange über dieses Thema geäußert. Er hat in einem zehnminütigen Interview sehr detailliert dazu ausgeführt, wo er noch Möglichkeiten sieht, wo wir die eine oder andere Stellschraube drehen.

Er hat unmissverständlich deutlich gemacht, dass auch ihm an einer schnellstmöglichen einvernehmlichen Ressortabstimmung dieses Themas gelegen ist. Er hat deutlich gemacht, dass die Landwirtschaft klar Betroffene und insofern Interessent des Klimawandels ist, weil wir Ernteausfälle, Extremwetterlagen etc. hautnah zu spüren bekommen. Deswegen gibt es ein elementares Interesse in der Landwirtschaft, einen Klimaschutzplan zum Abschluss zu bringen.

Der Minister hat aber auch deutlich gemacht, dass wir uns auf allen Ebenen in guten Gesprächen befinden. Das kann ich auch für unser Haus noch einmal ganz deutlich machen. Ich bitte um Verständnis, dass wir die Details aus diesen Gesprächen jetzt hier nicht berichten werden.

STRATER: Auch ich mache es relativ kurz und allgemein. – Der Klimaschutz spielt auch für die Verkehrspolitik eine große Rolle, wie Sie wissen. Wir wollen eine tragfähige Klimaschutzpolitik. Dafür braucht es realistische Zielstellungen. Wir als BMVI arbeiten in dieser Ressortabstimmung eng und konstruktiv mit dem BMUB und den anderen Ressorts der Bundesregierung zusammen.

FRAGE GEUTHER: Herr Dr. Plate, ich habe eine Frage zu der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu Minderjährigenehen. Es gibt in der „WELT“ Berichterstattungen über den Vorschlag oder die Forderung aus dem BMI, dass Bußgelder für die Imam-Eheschließung von Minderjährigen angedroht werden sollten.

Erstens. Könnten Sie dazu Näheres sagen? Zweitens. Sehe ich das richtig, dass sich das nicht nur auf Imame bezieht, sondern insgesamt auf religiöse oder soziale Eheschließungen?

DR. PLATE: Vielen Dank für die Frage. – In der Tat ist die Berichterstattung auch an uns nicht vorbeigegangen. Ganz zutreffend ist sie nicht, aber ein bisschen was ist dran. Deswegen will ich das ein bisschen aufhellen.

Grundsätzlich: Die Arbeitsgruppe, in deren Rahmen das, was Sie gerade beschrieben habe, erörtert wird, ist eine Arbeitsgruppe, die unter der Federführung des BMJV tagt und dort verschiedene Ansätze parallel erörtert, gemeinsam vor allen Dingen mit Leuten aus den Regierungsfraktionen. Aus diesem Kreis ist an das BMI die Bitte herangetragen worden, einen Vorschlag zu erarbeiten, wie man ein sogenanntes Verbot der Voraustrauung als Ordnungswidrigkeit ausgestalten könnte.

Für diejenigen, die keine leidenschaftlichen Rechtshistoriker sind: Das ist etwas, was es schon einmal gab. Das befand sich im sogenannten Personenstandsgesetz, das verboten hat, religiöse Trauungen bzw. trauungsähnliche Zeremonien die haben zivilrechtlich in Deutschland ohnehin keine Rechtswirkung vor einer staatlichen, also standesamtlichen, Trauung vorzunehmen. Ganz früher gab es das einmal. In der Praxis kam das in Deutschland, jedenfalls in den letzten Jahren, im Prinzip sehr wenig vor. Die Idee ist, dass eine kirchliche Trauung erst dann vollzogen werden darf, wenn vorher bereits die staatliche Trauung unter Dach und Fach gebracht worden ist, wenn ich das so ausdrücken darf.

Der Formulierungsvorschlag, der den Mitgliedern der Arbeitsgruppe zur Verfügung gestellt worden ist, beinhaltet die Ausgestaltung als Ordnungswidrigkeit, wenn man das doch macht, und zwar religionsneutral. Ganz egal, ob ein Imam oder ein christlicher katholischer, evangelischer, wie auch immer Geistlicher eine solche Voraustrauung vornimmt, wäre das dann nach dem Vorschlag eine Ordnungswidrigkeit, allerdings nur dann, wenn eine Person minderjährig ist.

FRAGE SIEBERT: Herr Plate, wenn ich das richtig verstanden habe, gab es eine solche Regelung; sie gibt es aber nicht mehr. Aus welchen Gründen ist die denn weggefallen?

DR. PLATE: Das müsste ich, ehrlich gesagt, im Einzelnen rechtshistorisch nachvollziehen. Aber das gibt es schon relativ lange nicht mehr. Ich glaube, seit einer Neufassung aus dem Jahr 2009, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Damals ist insbesondere kein fachlicher Bedarf mehr dafür gesehen worden.

Nun hat sich aber die Lage insofern ein bisschen verändert, als das Phänomen von Ehen unter Beteiligung von Minderjährigen durch viele Flüchtlinge in ihren Ländern sowohl rechtlich als auch kulturell ein bisschen anders ist. Auch zahlenmäßig hat das wieder eine andere Bedeutung erlangt. 2009 war das so nicht der Fall.

ZUSATZFRAGE SIEBERT: Ging es damals allgemein um die Eheschließung und nicht nur um die Eheschließung von Minderjährigen?

DR. PLATE: Das war damals, wenn ich das richtig in Erinnerung habe ich müsste dies aber verifizieren und dann nachreichen , ein allgemeines Voraustrauungsverbot und wohl nicht spezifisch auf Minderjährige bezogen. Aber ich will gerne verifizieren, ob ich damit richtig liege.

FRAGE SAGURNA: Ich habe eine Frage an das Arbeitsministerium. Der Sachverständigenrat zur Angleichung der Ostrenten hat einen Vorschlag eingebracht, statt den Rentenwert-Ost auf Westniveau anzuheben, einen durchschnittlichen gesamtdeutschen Rentenwert einzuführen. Wie wird das bewertet?

WESTHOFF: Wie wird das bewertet? – Es gibt eine ganze Menge möglicher Modelle, wie man zu einem einheitlichen Rentenrecht kommen kann. Wie Sie wissen, laufen innerhalb der Koalition, innerhalb der Bundesregierung dazu gerade vielfältige Gespräche.

Es gibt ein Modell, das die Arbeitsministerin im Sommer vorgeschlagen hat, das im Moment noch in der Diskussion ist. Dabei geht es um zwei Schritte. Es ist auch gut begründet, dieses Modell so zu wählen, weil es einen Ausgleich der Interessen vornimmt und aus unserer Sicht das sehr komplexe Unterfangen auf dem bestmöglichen Weg umsetzt. Sie können aus dem Vorschlag, der im Sommer gemacht wurde, schon ersehen, dass andere Alternativen eher verworfen wurden, weil sie im Zweifel zu neuen Ungerechtigkeiten führen, die Sache in die Länge ziehen oder teurer machen oder die Sache noch komplexer gestalten könnten.

FRAGE LEIFERT: Herr Westhoff, der Sachverständigenrat hat, wie auch viele andere, eine Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung gefordert. Sind Sie bereit, sich dieser Forderung anzunehmen und das umzusetzen?

WESTHOFF: Auch dazu nur für das Protokoll der Verweis auf die anhaltenden Gespräche innerhalb der Bundesregierung.

Die Arbeitsministerin hat ja mehrmals für November ein Gesamtkonzept für die Rentenversicherung und Alterssicherung angekündigt. Dabei wird es um Maßnahmen gehen, um die Alterssicherung in Deutschland zu stabilisieren und zukunftsfest zu machen.

Natürlich ist immer auch wieder eine Forderung nach einer weiteren Erhöhung des Renteneintrittsalters in der Diskussion. Wir sind im Moment auf dem Weg zur Rente mit 67. Das ist ein Prozess, der noch läuft und bei dem noch einiges an Hausaufgaben zu machen ist, auch in den Unternehmen, was die Arbeit betrifft.

Ansonsten hat die Ministerin, wenn ich mich richtig erinnere, schon in der Vergangenheit ihre fachliche Position durchblicken lassen. Sie hat gesagt, dass es ihr eher um eine Flexibilisierung des Renteneintritts geht. Das heißt, diejenigen, die länger arbeiten wollen und können, sollen das machen dürfen. Aber auch für diejenigen, die vorher rausmüssen sei es wegen Erwerbsminderung oder anderer Gründe , muss es Möglichkeiten geben. Dazu gab es gerade mit der sogenannten Flexi-Rente erste gesetzliche Schritte, die schon in die richtige Richtung gehen, auch aus Sicht der Arbeitsministerin.

Worauf man sich jetzt verständigt oder worüber man im November innerhalb der Bundesregierung im Zuge der Rentenreform, die noch im Raume steht, diskutiert, wird man sehen. Aber die Position der Arbeitsministerin hat sich da jetzt nicht grundlegend verändert.

ZUSATZFRAGE LEIFERT: Die Flexi-Rente nimmt ja eher Rücksicht auf die körperliche Belastbarkeit in bestimmten Berufen oder auf andere persönliche Wünsche, früher oder später in die Rente eintreten zu wollen. Dies hat aber nicht unbedingt etwas mit der Kopplung an die Lebenserwartung zu tun. Warum wollen Sie sich diesem Konnex verweigern?

WESTHOFF: Aus Sicht der Bundesarbeitsministerin ist es schon so, dass man dann, wenn man jetzt das Renteneintrittsalter für alle weiter erhöhen würde, Ungleiches gleich behandelt, dass man Menschen, die nicht unbedingt heute schon bis 67 oder 65 arbeiten, dann dazu bringen müsste, auf Gedeih und Verderb noch länger als bis 67 oder 65 zu arbeiten. Dazu sind die Lebensumstände, die Gesundheitszustände der Menschen und auch die persönlichen Planungen zu unterschiedlich.

Insofern versteht sich die Idee einer weiteren Flexibilisierung des Renteneintritts mit Möglichkeiten sowohl nach vorne als auch nach hinten als Alternative zu einem pauschalen weiteren Aufwachsen der Regelaltersgrenze.

VORS. FELDHOFF: Bevor wir zu einem nächsten Thema kommen, möchte Herr Plate noch etwas zu dem vorherigen Punkt aufklären.

DR. PLATE: Ich möchte nur ganz kurz bestätigen, dass das, was ich aus der Erinnerung gesagt habe, richtig gewesen ist. Das Voraustrauungsverbot gab es seit 1875 bis zum 31. Dezember 2008. Es hatte keine altersmäßige Beschränkung. Es bezog sich nicht nur auf Minderjährige, sondern ganz generell.

FRAGE: Herr Seibert, Amnesty International wirft der Bundeskanzlerin vor, dass sie den Familien der NSU-Opfer eine vollständige Aufklärung versprochen, aber dieses Versprechen nicht eingehalten habe. Was sagt die Bundeskanzlerin dazu?

STS SEIBERT: Bei der Trauerfeier für die Opfer dieser entsetzlichen Gewalttatenserie hat die Bundeskanzlerin von der Scham gesprochen, die wir alle in Deutschland empfinden angesichts dieser Serie und angesichts der Tatsache, dass diese Mordserie so lange unaufgeklärt geblieben ist. Sie hat tatsächlich gesagt: Der deutsche Staat wird alles tun, um das vollkommen aufzuklären.

Wir haben inzwischen sehr viel getan, und zwar strukturell im Zusammenwirken der verschiedenen staatlichen Stellen, um sicherzustellen, dass solche Fahndungspannen, sage ich jetzt einmal, wie sie aufgetreten sind, wenn irgend möglich nicht wieder auftreten können.

Es gibt ein Verfahren, das in München, ich glaube, inzwischen eine dreistellige Zahl von Prozesstagen gehabt hat, bei dem der Fall mit aller Gründlichkeit des deutschen Justizsystems aufgearbeitet wird.

ZUSATZFRAGE: Heißt das, dass die Bundeskanzlerin mit dem jetzigen Stand der Aufklärung zufrieden ist?

STS SEIBERT: Das Verfahren ist ja noch nicht beendet. Ich glaube, dass die Bundesregierung grundsätzlich keine Kommentare zu laufenden Gerichtsverfahren geben sollte. Wenn neue Hinweise in irgendeine Richtung auftauchen würden, wäre auch diesen neuen Hinweisen nachzugehen; das versteht sich von selbst. Aber das ist Sache der Ermittlungsbehörden und der Justiz.

FRAGE BOESE: Herr Seibert, die „WELT“ berichtet, dass Lehrpersonal der deutsch-türkischen Universität in Istanbul entlassen wurde, insgesamt sechs Mitarbeiter. Was sagen Sie denn dazu?

STS SEIBERT: Auch wir haben das zur Kenntnis genommen. Dies passt ja leider in das traurige Bild von Maßnahmen des türkischen Staates, der türkischen Justiz gegen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Akademiker in der Forschung und an den Universitäten.

Wir haben mehrfach darauf hingewiesen, dass es richtig und berechtigt ist, dass der türkische Staat versucht, die Schuldigen für den blutigen Militärputschversuch dieses Jahres zur Rechenschaft zu ziehen, dass dies aber immer heißt, dass es auch des konkreten Vorwurfes der Beteiligung an einer Straftat bedarf, nicht nur eine Geisteshaltung, die als kritisch gilt, und dass dabei immer auch rechtsstaatliche Grundsätze zu beachten sind. Das gilt leider auch für dieses.

Lassen Sie mich, da es auch heute wieder neue Veröffentlichungen über das Vorgehen in der Türkei gegen Journalisten in der Presse gegeben hat, dazu noch einmal ganz klar sagen: Für die Bundeskanzlerin und die ganze Bundesregierung ist es in höchstem Maße alarmierend, wie die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei durch Staat und Justiz immer wieder aufs Neue eingeschränkt wird. Das jüngste Beispiel für diese traurige Entwicklung sind die Verhaftungen zahlreicher Journalisten der angesehenen Zeitung „Cumhuriyet“.

Wir haben großen Zweifel daran, ob das Vorgehen gegen den Chefredakteur Murat Sabuncu und seine Kollegen rechtsstaatlichen Prinzipien entspricht. Die Bundesregierung wird, wie im Falle des früheren Chefredakteurs Can Dündar, auch in diesen Fällen den weiteren Verlauf der Entwicklungen und gegebenenfalls Verhandlungen gegen die „Cumhuriyet“-Journalisten sehr aufmerksam beobachten. Dies macht auch der gestrige Besuch unseres deutschen Botschafters in der Türkei, Herrn Erdmann, in der „Cumhuriyet“-Redaktion deutlich.

Unsere Solidarität gilt allen, die unter den erschwerten Bedingungen in der Türkei mutig für die Freiheit des Wortes und der Berichterstattung eintreten und, um auf Ihre Frage zurückzukommen, könnte ich sagen: auch für die Freiheit der Wissenschaft, der Forschung und der Lehre. Die Haltung, dass diese Freiheiten eine zentrale Voraussetzung eines demokratischen Rechtsstaates sind, wird die Bundeskanzlerin persönlich und die ganze Bundesregierung auf allen Ebenen gegenüber der türkischen Regierung weiterhin vertreten. Auch im Hinblick auf das Verhältnis der Türkei zur Europäischen Union und auf die laufenden Beitrittsverhandlungen sind diese Themen der Freiheit von zentraler Bedeutung.

ZUSATZFRAGE BOESE: Sie sprechen von Solidarität. Lassen Sie auch Taten folgen?

STS SEIBERT: Wenn Sie mir sagen, was Sie sich für Taten vorstellen.

ZUSATZ BOESE: Ich hatte gehofft, Sie könnten das sagen.

STS SEIBERT: Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass nicht nur wir, sondern auch andere Regierungen, andere Stellen und Nichtregierungsorganisationen in der Welt klarmachen, dass sie ein sehr genaues Auge auf diese Fälle haben, dass sie Solidarität für die betroffenen Personen haben und dass sie sie nicht vergessen, wenn sie in das türkische Justizsystem sozusagen hineingezogen werden. Das wird die Bundesregierung tun. Das wird auch unsere diplomatische Vertretung in Ankara tun. Wir werden dies immer wieder sehr nachdrücklich in unseren Gesprächen mit der Türkei und der türkischen Regierung vorbringen.

Was wir nicht tun werden, ist, die Gespräche abzubrechen, weil wir es für sinnvoll halten, gerade auch wenn solche schwerwiegenden Probleme auftauchen und wenn wir bestimmte Maßnahmen der türkischen Seite so missbilligen, wie wir diese missbilligen, dass dann weiter gesprochen wird.

FRAGE SOBOLEWSKI: Herr Seibert, der von Ihnen gerade schon genannte Can Dündar sagt heute in der „WELT“ Zitat :

„Seit Jahren sind die Europäer dauernd besorgt. Aber das ändert nichts. Besorgt sein hilft uns türkischen Journalisten nicht.“

Was würden Sie denn Can Dündar darauf sagen?

STS SEIBERT: Sowohl ich als auch der außenpolitische Berater der Bundeskanzlerin, Herr Heusgen, haben sich mit Herrn Dündar getroffen und ein ausführliches Gespräch gehabt. Im Übrigen haben wir uns, bevor Herr Dündar nach Deutschland kommen konnte, auch mit seiner Ehefrau zu diesem Thema ausgetauscht, die ja ebenso aktiv und engagiert ist wie er.

Wenn Sie das Interview genau lesen, dann werden Sie feststellen, dass Herr Dündar nicht der Meinung ist, dass es sinnvoll wäre, Gespräche abzubrechen oder nicht zu sprechen. Genau das tun wir. Wir tun dies auf der Basis der ganz klaren Überzeugungen, die wir haben und die nicht nur unsere, sondern die europäischen Überzeugungen sind.

ZUSATZFRAGE SOBOLEWSKI: Herr Dündar sagt, er wünsche sich ein mutiges Signal für die Demokratie. Mit anderen Worten, wie es auch die Kollegin schon gesagt hat: Lasst den Worten Taten folgen. Folgen denn irgendwann einmal Taten auf das, was in der Türkei in Sachen Menschenrechten vorgeht?

STS SEIBERT: Ich wiederhole: Ich halte es, wie auch in anderen Staaten, in denen wir menschenrechtliche oder rechtsstaatliche Bedenken haben, vor allem für wichtig, dass wir denjenigen, die von diesem repressiven staatlichen Verhalten betroffen sind, klarmachen, dass wir es nicht zulassen, dass ihr Schicksal sozusagen unerwähnt bleibt, dass ihr Schicksal vergessen wird und dass niemand darüber spricht, was mit ihnen vor Gericht oder sonst wo passiert. Das ist die erste Verantwortung, die wir haben.

FRAGE LEIFERT: Wir haben ja schon am Montag hier darüber gesprochen. In Reaktion auf die Äußerungen vom Montag hat Can Dündar die Reaktion der Bundesregierung kritisiert. Heute haben Sie gesagt, die Bundesregierung sei über die Vorgänge im höchsten Maße alarmiert. Wie viele diplomatische Formulierungsstufen sind wir noch von der Verurteilung dieser Vorgänge entfernt?

STS SEIBERT: Es geht doch nicht um solche semantischen Fragen. Es geht darum, dass man eine ganz klare Haltung zu den entscheidenden Fragen von Rechtsstaat und Pressefreiheit hat. Diese ganz klare Haltung hat die Bundeskanzlerin, hat die Bundesregierung insgesamt, und diese vertritt sie.

Dass wir das missbilligen, verurteilen oder für in höchsten Maße alarmierend halten – ich glaube, die Formulierung ist nicht das Entscheidende. Die Haltung der deutschen Regierung ist klar. Wir wissen uns da auch einig mit unseren europäischen Partnern. Genauso wird es auch in den Gesprächen mit der Türkei vorgebracht.

FRAGE CHILAS: Könnte diese Haltung die Form von Sanktionen gegen die türkische Regierung annehmen?

STS SEIBERT: Wir führen derzeit keine Sanktionsdebatte.

DR. SCHÄFER: Vielleicht noch zum Thema Taten: Herr Seibert hat gerade ausgeführt, dass der deutsche Botschafter gestern Nachmittag in den Redaktionsräumen des Hauptstadtbüros von „Cumhuriyet“ gewesen ist und sich die dort von Herrn Erdmann gemachten Äußerungen auch in den türkischen Medien wiederfinden. Ich glaube, in dem Verhältnis zwischen zwei Staaten, die auf vielfältige Art und Weise miteinander zu tun haben, die Partner in der NATO sind und die ganz viele gemeinsame Interessen haben, ist das eine Tat, nämlich eine ziemlich klare und deutliche Aussage.

Im Übrigen gibt es da eine klare rote Linie in der Haltung der Bundesregierung und ihres Botschafters in der Türkei. Manche von Ihnen werden sich vielleicht noch daran erinnern, dass Herr Erdmann auch als Botschafter präsent war, als in Istanbul bereits Anfang des Jahres gegen Journalisten in der Türkei ein Prozess geführt worden ist und er höchstpersönlich für die Bundesregierung diesen Prozess beobachtet hat.

Ich glaube, Kritik daran, in welcher Weise die Bundesregierung auf Ereignisse und Verhalten der türkischen Regierung reagiert, scheint mir auch angesichts dieses Beispiels nicht angemessen zu sein.

Zum Thema Sanktionen von meiner Seite vielleicht nur so viel: Die Türkei ist und bleibt ein ungemein wichtiger Partner für Deutschland und Europa, wahrscheinlich auch darüber hinaus. Bei ganz vielen Themen brauchen wir die Zusammenarbeit mit der Türkei, und zwar um echte Probleme zu lösen: den Konflikt in Syrien, den Nahost-Friedensprozess, andere Probleme im Nahen und Mittleren Osten wie etwa derzeit der Umgang mit ISIS im Irak und in Syrien.

Deshalb ist es richtig, dass die Bundesregierung nicht müde wird, vielleicht gerade angesichts der Meinungsverschiedenheiten und Bewertungsunterschiede, die wir haben, immer wieder mit der Türkei den Dialog und das Gespräch zu suchen, und zwar in einer Weise, die unseren türkischen Gesprächspartnern deutlich macht, dass wir bei manchen Themen einer Meinung sind, bei anderen Themen aber echte Meinungsverschiedenheiten miteinander austragen. Das gehört sich so zwischen Partnern. Ich glaube, eine Debatte über Sanktionen ist da überhaupt nicht angebracht.

FRAGE JESSEN: Herr Seibert, die Klarheit einer Haltung ist eine Sache. Das Gewicht, das diese klare Haltung im internationalen Diskurs hat, hängt doch aber auch davon ab, aus wessen Mund diese klare Haltung geäußert wird. Sie haben ja zum Ausdruck gebracht, wie groß die Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens sind. Wäre es vor diesem Hintergrund nicht doch angebracht, dass die Bundeskanzlerin selbst diese klare Haltung äußert?

STS SEIBERT: Das ist doch aber längst und auch nicht nur einmal geschehen. Ich sitze heute für die Bundesregierung hier und habe für die Bundeskanzlerin und die ganze Bundesregierung diese Haltung klargemacht. Die Bundeskanzlerin hat sich zu diesen Fragen am Montag in ihrer Rede bei der Preisverleihung in Potsdam in Anwesenheit von Can Dündar, den sie auch angesprochen hat, sehr klar zu diesen Fragen geäußert. Sie hat sehr klar gesagt, wie sehr die Pressefreiheit konstitutiv für unser Verständnis eines demokratischen Rechtsstaats ist und was Pressefreiheit bedeutet. Dies bedeutet eben auch, dass Journalisten recherchieren und berichten können müssen, ohne Folgen für ihr eigenes Leben befürchten zu müssen. Dies alles ist klar gesagt worden. Leider haben wir traurigen Anlass, traurige Realität, dies noch einmal genauso klar zu wiederholen.

FRAGE DR. DELFS: Ich habe eine Frage an Herrn Seibert zum Thema „Brexit“. Die Kanzlerin hat vorhin in ihrem Statement bei der Übergabe des Sachverständigengutachtens gesagt, dass man auf jeden Fall versuchen werde, Reibungsverluste für die deutsche Wirtschaft im Zusammenhang mit den „Brexit“-Verhandlungen zu vermeiden. Gleichzeitig konnte man hören: In Großbritannien gibt es offenbar schon Versuche der britischen Regierung, ganz aktuell beispielsweise Nissan, irgendwelche Zusagen zu machen, um die Produktion auch nach einem „Brexit“ dort zu behalten. Nissan werde versprochen, dass man weiter Zugang zum EU-Markt habe. Wie sieht die Bundesregierung solche Zusagen seitens der britischen Regierung, die möglicherweise auch der deutschen Autoindustrie oder anderen irgendwann schaden könnten?

STS SEIBERT: Sie haben recht: Die Bundeskanzlerin hat bei der Veranstaltung mit dem Sachverständigenrat in der Tat gesagt, das eine sei, dass unser Verhältnis zu Großbritannien freundschaftlich und gut bleiben soll und dass auch für die Wirtschaft möglichst wenig Reibungsverluste entstehen sollen.

Sie hat aber genauso gesagt: Auf der anderen Seite müssen wir auch die 27 EU-Mitgliedstaaten zusammenhalten. Wir dürfen keine Maßstäbe setzen, nach denen sich am Ende jeder dieser Mitgliedstaaten im Sinne des Rosinenpickens herauspickt, was er gerade braucht. – Deswegen hat sich die Haltung der Bundesregierung überhaupt nicht verändert. Das hat sie auch angesprochen.

Der Sachverständigenrat hat in seinem Gutachten die vier Grundfreiheiten für unverzichtbar für Europa erklärt. Genau das ist auch die Verhandlungsgrundlage für die Bundesregierung und nach allem, was ich höre auch für unsere europäischen Partner. Daran ändert sich nichts.

Es ändert sich auch nichts daran, dass jetzt erst einmal abzuwarten ist, wie die britische Regierung den Artikel 50 ausruft und mit welcher Erklärung ihrer Vorstellungen von einem künftigen Verhältnis Großbritanniens zur Europäischen Union sie das begleitet. Damit wird Großbritannien den Ton setzen, auf den die anderen auf der Basis dieser Grundüberzeugung reagieren werden. Bis dahin gibt es keine neue Haltung von uns.

ZUSATZFRAGE DR. DELFS: Noch einmal zu dieser Geschichte mit Nissan nachgefragt: So eine Zusage seitens der britischen Regierung ist doch eigentlich gar nicht möglich, bevor die „Brexit“-Verhandlungen gestartet sind. Sieht man das im Kanzleramt oder im Allgemeinen in der Bundesregierung nicht ein bisschen kritisch?

STS SEIBERT: Ich glaube nicht, dass es sinnvoll wäre, wenn ich jetzt als Regierungssprecher einzelne Äußerungen oder, wie Sie sagen, Zusagen der britischen Regierung kommentierte. Die Äußerung der britischen Regierung, auf die alle in Europa gespannt sind und die dann auch grundlegend sein wird, ist, wenn Großbritannien Artikel 50 in Kraft setzt und uns, den europäischen Partnern, sagt, welches künftige Verhältnis das Land sich mit Europa wünscht.

FRAGE: An das Gesundheitsministerium: Der Gesundheitsminister hat ja angekündigt, er wolle den Versand von rezeptpflichtigen Arzneien verbieten lassen und arbeite an einem Gesetz dafür. Seitdem er das angekündigt hat, mehrt sich die Fundamentalkritik auch vom Koalitionspartner SPD. Wie will man damit umgehen? Gibt es einen Zeitplan, wann dieses Gesetz Wirklichkeit werden soll?

GÜLDE: Vielen Dank für die Frage. Herr Bundesgesundheitsminister Gröhe hat ja bereits vor zwei Wochen deutlich gemacht, dass er fest entschlossen ist, die flächendeckende Arzneimittelversorgung auf hohem Niveau durch ortsnahe Apotheken sicherzustellen. Er hat diesen Vorschlag für das Verbot eines Versandhandels mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln eingebracht, und jetzt finden weitere Gespräche dazu statt. Ich kann Ihnen jetzt aber noch keinen Zeitplan dazu mitteilen.

ZUSATZFRAGE: Wie ist der Zusammenhang zwischen der Versorgungssicherheit in der Fläche und dem Verbot, dorthin etwas zu senden?

GÜLDE: Der Zusammenhang besteht darin, dass man davon ausgeht bzw. dass davon auszugehen ist, dass die damit in Zusammenhang stehenden Rabatte für kleine ortsnahe Apotheken nicht zu gewährleisten sind.

FRAGE LANGE: Herr Gülde, wir hatten dieses Thema hier ja schon ich glaube, in der vergangenen Woche. Da hieß es, der Minister wolle mit den Fraktionen im Bundestag über dieses Thema sprechen. Nun hat die SPD schon ganz klar Nein gesagt. Was für Gespräche wollen Sie da führen, und in welchem Zeitrahmen? Soll das noch in dieser Legislaturperiode vonstattengehen oder wartet der Minister da auf andere Zeiten?

GÜLDE: Die Gespräche laufen bereits. Aber wie gesagt, zu einem konkreten Zeitplan, wann das Gesetz kommen wird bzw. in das Kabinett eingebracht wird, kann ich Ihnen derzeit noch nichts sagen.

FRAGE CHILAS: An das Auswärtige Amt: Der türkische Staatspräsident Erdoğan hat in letzter Zeit wiederholt der Vertrag von Lausanne infrage gestellt, und zudem hat er Teile des Staatsterritoriums von Irak, Syrien und Griechenland für die Türkei beansprucht. Darunter fallen auch Saloniki und diverse griechische Inseln entlang der türkisch-griechischen Grenze. Wie stellt sich das Auswärtige Amt dazu?

DR. SCHÄFER: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das wirklich so ist, wie Sie das in Ihrer Frage zum Ausdruck gebracht haben. So, wie wir das wahrgenommen haben, hat es in der letzten Zeit in der Tat einige Meinungsäußerungen des türkischen Staatspräsidenten gegeben, die die Geltung des Vertrages von Lausanne von 1923 irgendwie mindestens politisch, aber ich glaube, nicht notwendigerweise völkerrechtlich infrage stellen. Auf eine Frage eines Kollegen von Ihnen vor einigen Wochen habe ich an dieser Stelle bereits gesagt, dass aus Sicht der Bundesregierung der Vertrag von Lausanne auch in seinen Bestandteilen, die Grenzen geregelt haben, selbstverständlich ein weiterhin gültiges völkerrechtliches Dokument ist.

Ich würde hinzufügen: Es gibt, glaube ich, gar keinen Grund, in einer Region, in der ganz viel Fürchterliches passiert, die furchtbar in Unordnung geraten ist und in der immer wieder die Gefahr besteht, dass aus einzelnen Konflikten, die für sich schon schrecklich genug sind siehe Syrien, siehe der Umgang mit IS , buchstäblich ein Flächenbrand in der ganzen Region wird, nun auch noch Grenzen infrage zu stellen. Das ist einer der Gründe, aus denen sich die internationale Staatengemeinschaft auch unter Beteiligung der Türkei im Wiener Prozess unzweideutig für die Einheit des syrischen Staatsgebietes eingesetzt hat. Das ist die klare Haltung der Bundesregierung: Dass jetzt sicherlich nicht der richtige Moment ist, Grenzfragen aufzumachen, die sich eigentlich gar nicht stellen, weil es gültige völkerrechtliche Regelungen dafür gibt.

FRAGE SOBOLEWSKI: Herr Dr. Schäfer, Ihre Kollegin in Peking hat heute recht klare Worte zu den Äußerungen von EU-Kommissar Oettinger über Chinesen gefunden. Wie lange ist denn für die Bundesregierung ein EU-Kommissar, der Chinesen als „Schlitzohren“ und „Schlitzaugen“ bezeichnet, noch tragbar?

DR. SCHÄFER: Mit meiner Kollegin meinen Sie eine Sprecherin des chinesischen Außenministeriums? Ich habe das in Agenturmeldungen gelesen. Ich habe für das Auswärtige Amt nichts zu dem Vorgang Oettinger beizutragen.

ZUSATZFRAGE SOBOLEWSKI: Dann würde ich die Frage gern an Herrn Seibert weiterreichen.

STS SEIBERT: Wir haben ja am Montag schon über dieses Thema gesprochen. Ich sage noch einmal: Jeder hat seine Sprache und seinen Vortragsstil. Das, was da zu hören war, war in einigen Passagen ganz sicherlich nicht die Sprache und der Vortragsstil der Bundeskanzlerin. Es muss eben auch jeder aufpassen, dass er mit seiner Sprache andere nicht verletzt. Aber Herr Oettinger das hatte ich am Montag schon gesagt hat ja auch selber bereits einige der umstrittenen Passagen seiner Rede eingeordnet, und darüber hinaus habe ich jetzt nichts zu kommentieren.

ZUSATZFRAGE SOBOLEWSKI: Würde sich die Bundesregierung denn eine Entschuldigung von Herrn Oettinger wünschen? Die fehlt ja bisher, „einordnen“ ist ja nicht das gleiche wie entschuldigen.

STS SEIBERT: Ich habe keinen weiteren Kommentar dazu.

FRAGE JESSEN: Eine Frage an das Auswärtige Amt zu Syrien: Russland hat für den Freitag zusätzlich zum Bombardierungsstopp eine zehnstündige Feuerpause am Boden angekündigt, hat dies allerdings mit der Aufforderung verbunden, dass die Zivilbevölkerung Ost-Aleppo verlassen solle. Wie bewertet das Auswärtige Amt diese kombinierte Strategie?

Zweite Frage: Gleichzeitig hat Assad angekündigt, er wolle auf jeden Fall bis 2021 weiter regieren. Das widerspricht, denke ich, dem bisherigen Ansatz der Bundesregierung, der heißt: politische Zukunft in Syrien eigentlich mit Assad nicht vorstellbar. Erschwert diese Ankündigung, die Herr Assad ja wohl kaum ohne Absprache mit seinen wichtigsten politischen Unterstützern gemacht haben dürfte, die internationale Kooperation im Hinblick auf Syrien und IS?

DR. SCHÄFER: Zu Ihrer ersten Frage, Herr Jessen. Ich glaube, zu dem, was wir da sehen, lässt sich zunächst einmal sagen: Es ist gut, dass die Waffen bis übermorgen schweigen; es ist jedenfalls besser, als wenn die Kämpfe um und in Ost-Aleppo weitergehen. Aber ich glaube, zu den Ankündigungen der russischen Seite muss man hier und jetzt auch das Gleiche sagen wie das, was wir zu den zehnstündigen Waffenruhen gesagt haben, die von russischer Seite immer wieder angekündigt wurden und dann teils auch von der syrischen Armee mit eingehalten worden sind: Das reicht einfach nicht aus, um die Vereinten Nationen in die Lage zu versetzen, die notwendigen Genehmigungen, die notwendigen Sicherheitsgarantien und sonstigen Voraussetzungen zu beschaffen, um das zu tun, was wirklich nötig ist, nämlich Verletzte sicher aus Aleppo herausbringen zu können und humanitäre Hilfe nach Aleppo hineinbringen zu können.

Insofern kann ich, glaube ich, sagen ohne dass ich jetzt die Details des Vorschlags kenne, den ich wie Sie den Agenturmeldungen entnommen habe , dass das im Hinblick auf die Bewältigung der humanitären und politischen Krise um Aleppo herum ganz sicherlich kein Durchbruch ist und dass wir auch über den 4. November hinaus bis dahin will die russische Regierung laut ihrer Ankündigung ihren Stopp von Luftangriffen fortzusetzen keineswegs eine Lösung haben werden. Dafür braucht es sehr viel mehr; dafür braucht es im besten Fall eine Wiederbelebung der amerikanisch-russischen Vereinbarungen vom September. Jedenfalls braucht es die Bereitschaft aller Seiten die Bereitschaft in Aleppo, aber auch die Bereitschaft der Regionalmächte sowie der Vereinigten Staaten und insbesondere Russlands , ihren Teil der Verantwortung dafür zu übernehmen, dass die humanitäre Tragödie in Aleppo jetzt beendet werden kann.

Zu Ihrer zweiten Frage möchte ich sagen: Mich jedenfalls hat es nicht überrascht, dass Herr Assad in den spärlichen Interviews, die er ab und zu westlichen Medien gibt, Durchhalteparolen pflegt und sagt, dass er am liebsten im Amt bleiben würde. Ich bin mir nicht sicher, ob Sie Recht haben, Herr Jessen, dass das mit irgendjemandem abgestimmt wäre; vielmehr scheint diese Sprache, die der syrische Präsident wählt, eine Sprache zu sein, die wir seit Jahren kennen. Entscheidend ist, dass die politischen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, die Gespräche zwischen syrischer Regierung und syrischer Opposition fortzusetzen. Diese Gespräche hat es in Genf ja schon einmal gegeben, sie waren aber letztlich nie in ihre wirklich entscheidende Phase gekommen nämlich in eine Phase, in der über die Bildung einer exekutiven Übergangsregierung gesprochen worden wäre, die dann tatsächlich die Amtsgeschäfte von Präsident Assad übernimmt. Wenn wir da wären, wo wir längst hätten sein sollen und uns gewünscht hätten zu sein, dann hätten wir auch eine Situation, in der man sich der Frage Assad wieder neu zuwenden könnte. Die Haltung der Bundesregierung zum Schicksal und zur Zukunft der Personalie Assad hat sich überhaupt gar nicht geändert.

ZUSATZFRAGE JESSEN: Nun hat Herr Assad, wenn er von den Agenturen richtig zitiert wird, auch gesagt, dass politische Veränderungen in Syrien überhaupt erst denkbar und machbar seien, wenn sozusagen die syrische Regierung und das Militär wieder komplett die Kontrolle übernommen hätten. Ist das nicht eine deutliche Absage an den Prozess, den Sie eben als entscheidenden bezeichnet haben, nämlich die Aufnahme von Gesprächen mit der Opposition und die Suche nach einer Übergangsregierung?

DR. SCHÄFER: Auch da kann ich nur sagen: Mich persönlich überrascht es jetzt nicht, dass eine solche Haltung immer mal wieder vonseiten des Assad-Regimes zum Ausdruck gebracht wird. Dass es politischen Drucks bedarf insbesondere politischen Drucks derjenigen, die Assad politisch und militärisch stützen, also insbesondere der Regierungen in Moskau und in Teheran , ist auch eine Binsenweisheit. Unsere Aufforderung und unser Appell gilt eigentlich regelmäßig den Unterstützern von Assad, alles dafür zu tun, dass er sich an das hält, was im Wiener Prozess von der Staatengemeinschaft beschlossen worden ist. Dass wir hier und heute noch nicht soweit sind, ist offensichtlich auch angesichts der schrecklichen Grausamkeiten, die in Aleppo begangen werden. Sie können aber sicher davon ausgehen, dass es weiter unser Ziel bleibt, gemeinsam mit allen dahin zu kommen.

FRAGE SOBOLEWSKI: Zu einem Thema, das wir schon am Montag hatten: Herr Henjes, können Sie etwas spezifischer sein, was die Planungen für den Einsatz von Hubschraubern in Mali angeht, insbesondere, was die Zahl der zusätzlichen Soldaten, die dort künftig eingesetzt werden, angeht?

Wenn Sie die Hubschrauber Mitte 2018 wieder abziehen wollen, welche anderen Teilfähigkeiten wollen Sie dann denn noch abziehen?

HENJES: Erst einmal vielen Dank für die Frage. Wir haben am Montag gegenüber der UN angezeigt, dass wir bereit sind, die Fähigkeiten MedEvac und Unterstützung aus der Luft bzw. Schutz im Bereich Hubschrauber in dieser Mission vorbehaltlich einer parlamentarischen Zustimmung für das Jahr 2017 zu erfüllen. Jetzt gehen wir in diese Planung hinein. Zur Anzahl der Hubschrauber, dem Personalumfang usw. kann ich zurzeit nichts sagen. Wir werden uns jetzt vor Ort anschauen, wie groß bei den beiden Fähigkeiten, die ich gerade benannt habe, letztendlich der Bedarf ist. Insofern kann man jetzt nicht mehr dazu sagen.

ZUSATZFRAGE SOBOLEWSKI: Wird denn daran gedacht, auch andere Fähigkeiten, die Deutschland dort jetzt vorhält, zurückzuziehen, wenn die Hubschrauber irgendwann durch eine andere Truppenstellernation abgelöst werden? Oder bleibt es abgesehen von den Hubschraubern bei den Planungen, die wir jetzt haben?

HENJES: Wie gesagt, wir reden jetzt erst einmal über diese beiden Kernfähigkeiten in diesen wesentlichen Missionen. Insofern: Die Frage eines Abzugs oder der möglichen Reduzierung anderer Fähigkeiten ist jetzt gar nicht Gesprächsgegenstand.

DR. SCHÄFER: Letzte Woche haben wir genau über dieses Thema bereits auf viele Fragen ich glaube, ähnliche Fragen von Herrn Wiegold und Ihren Kollegen geantwortet. Ich möchte das noch einmal in Erinnerung rufen und auch noch einmal bekräftigen: Was jenseits des jetzt von Herrn Henjes dargestellten Standes sagen wir, 2018 in Mali geschieht, können wir jetzt noch gar nicht sagen. Was wir tun wollen ist, einen substanziellen Beitrag zu den Bemühungen um Frieden und Stabilität in Mali zu leisten. Das wollen wir im Wesentlichen aus zwei Gründen: Zum einen, weil der islamistische Terrorismus in der Sahelzone auch unsere Sicherheit bedroht und beeinträchtigt, und zum anderen, weil Mali auch als ein Staat, der bei der Kontrolle und der Steuerung von Migrationsströmen in Afrika und aus Afrika heraus eine ganz erhebliche Bedeutung hat, unsere Unterstützung verdient.

Die beiden Minister haben sich in der Tat ich habe in den Agenturmeldungen gelesen, dass das bereits öffentlich bekannt geworden ist mit dem von Herrn Henjes beschriebenen Angebot an den Generalsekretär der Vereinten Nationen gewandt. Allerdings ist dieses Angebot nicht unbefristet: Genauso wie unsere niederländischen Partner und Freunde den Wunsch geäußert haben den wir respektieren und verstehen , sich bei der einen oder anderen Fähigkeit ablösen zu lassen, gilt das für uns ganz genauso, und zwar aus militärischen wie aus politischen Gründen.

Wir wünschen uns eigentlich, dass es in absehbarerer Zeit in den nächsten 18 Monaten bzw. bis irgendwann Mitte 2018 erstens Fortschritte im Stabilisierungsprozess in Mali gibt, dass es aber darüber hinaus innerhalb der Staatengemeinschaft auch wie könnte man sagen? im Rahmen eines Rotationsmodells die Bereitschaft von anderen Partnern und Freunden gibt, manche der Fähigkeiten, die wir zurzeit stellen, dann auch wieder für eine gewisse Zeit zu übernehmen und in die Zukunft zu tragen. In diesen Gesprächen sind wir. Für das Gelingen dieses Ansatzes der Bundesregierung brauchen wir aber auch die Unterstützung der Vereinten Nationen, die wir da in allererster Linie in der Verantwortung sehen; denn es sind die Vereinten Nationen, die solche internationalen Militärmissionen planen logistisch planen, militärisch planen und die die Beiträge miteinander in Einklang bringen. Ich denke, wir haben mit dem Schreiben der beiden Minister auch eine Menge Verständnis in New York gefunden.

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