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Bundesregierung für Desinteressierte: Komplette BPK vom 30. Januar 2017

Groteske Vorstellung ► BPK vom 30. Januar 2017

Themen: Angriff auf Gläubige in einer Moschee in Quebec, Beteiligung des IWF am griechischen Hilfsprogramm, von der US-Regierung verhängtes Einreiseverbot gegenüber Flüchtlingen und Bürgern einiger Staaten, Reise des Bundesaußenministers nach Brüssel, Lage in Libyen, Vorgänge am Bundeswehrstandort in Pfullendorf, Asylanträge ehemaliger türkischer Militärangehöriger in Deutschland, anstehende Reise der Bundeskanzlerin in die Türkei, Verstöße gegen den Mindestlohn, Schiedsgerichtsverfahren im Zusammenhang mit dem Atomausstieg, deutscher Leistungsbilanzüberschuss

Naive Fragen zu:
Trumps Einreiseverbot #MuslimBan
– verurteilt die Bundesregierung dieses Einreiseverbot von Herrn Trump? (ab 4:55 min)
– können Sie uns sagen, wie viele Deutsche seit Freitag möglicherweise betroffen sind und was das für Millionen von deutschen muslimischen Bürgern bedeutet?
– Wissen die Briten mehr als Sie, haben aber eine andere Interpretation dieses Dekrets? (ab 9:30 min)
– Es gibt jetzt auch schon einige Bundestagsabgeordnete, die gar keine doppelte Staatsbürgerschaft haben, aber zum Beispiel im Iran geboren worden sind und meinen, dass sie nicht einreisen dürfen. Wie ist da der Stand?
– wie bewertet die Bundesregierung denn dieses Einreiseverbot aus völkerrechtlicher Sicht? (ab 19:05 min)
– Haben sich Vertreter der sieben betroffenen Staaten an die Bundesregierung gewandt, um vielleicht diplomatische Hilfe zu bekommen?
– bei welchen Themen gab es keine Übereinkunft zwischen Frau Merkel und Herrn Trump? Wer sagt, dass Ihre gestrige Mitteilung zum bestmöglichen Zeitpunkt kam? (ab 24:10 min)
– ist die Bundesregierung von dieser Maßnahme der Trump-Regierung politisch überrascht? Das hat er ja im Wahlkampf angekündigt.

Skandalöse Rituale bei der Bundeswehr (ab 37:28 min)
– können junge Frauen, die überlegen, zur Bundeswehr zu gehen, davon ausgehen, dass das Einzelfälle sind? (ab 49:22 min)
– Sie freuen ja stets über Ihre PR-Erfolge und können auch messen, wie erfolgreich Ihre PR ist. Werden Sie nun auch diesen „PR-Erfolg“ zu messen versuchen? Wissen Sie vielleicht schon, wie dieser Skandal Ihre PR-Maßnahmen konterkariert? Werden Sie jetzt vielleicht, basierend auf diesem Skandal, mehr Geld für PR ausgeben?

Merkel besucht Erdogan (ab 57:30 min)
– es ist ja nicht das erste Mal, dass die Kanzlerin vor einer wichtigen Wahl in der Türkei in die Türkei reist. Beim letzten Mal war es so, dass Herr Erdoðan seine Botschaft herausposaunt hat, dass der Besuch der Kanzlerin bedeutet, dass die Kanzlerin den Plan Herrn Erdoðans unterstützt. Dasselbe ist jetzt auch wieder zu befürchten. Ich schätze die Bundesregierung als nicht so doof ein, dass sie diese Bedeutung nicht kennen würde. Fordert die türkische Seite ein, dass die Kanzlerin vor solchen Terminen ins Land reist? (ab 1:00:25 min)
– Es geht ja oft auch darum, einen Eindruck zu vermeiden. Warum versuchen Sie erst gar nicht, diesen Eindruck zu vermeiden? Warum also warten Sie nicht, bis die Wahl gelaufen ist, oder warum treffen sie sich nicht an einem neutralen Ort? Oder planen Sie womöglich, diesen Termin, diesen Besuch ohne Tamtam zu machen, also ohne Kameras, damit Herr Erdoðan das nicht ausnutzen kann?

 

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Komplettes BPK-Wortprotokoll vom 30. Januar 2017:

STS SEIBERT: Die Bundeskanzlerin hat mit Erschütterung von dem mörderischen Angriff auf Gläubige in einer Moschee in der Stadt Quebec in Kanada erfahren. Das kanadische Volk und seine Regierung sollen wissen, dass wir in diesen Stunden in Gedanken bei ihnen sind. Die Bundeskanzlerin übermittelt allen Betroffenen, den Opfern und ihren Angehörigen ihr tiefes Mitgefühl.

Wir wissen noch nicht genau, wer hinter dem Anschlag steht. Was wir wissen, ist dies: Das ist eine verachtenswerte Tat. Wenn es die Mörder darauf angelegt haben, Menschen unterschiedlichen Glaubens gegeneinander aufzubringen oder zu spalten, so darf und wird Ihnen das nicht gelingen. Wir stehen in Trauer an der Seite der muslimischen Gemeinde von Quebec.

FRAGE HELLER: Ich würde gerne das Bundesfinanzministerium befragen. Nachdem wir heute in einer Zeitung lesen konnten, dass der Minister für einen Grexit plädieren werde, weil sich der IWF offenbar nicht am Griechenland-Programm beteilige, würde mich interessieren: Ist das so? Tut er das, oder hat er zumindest vor, für den Grexit zu plädieren?

DR. WEISSGERBER: (Anfang ohne Mikrofon; akustisch unverständlich)

Die Minister haben Griechenland erneut aufgefordert, seine Verpflichtungen zu erfüllen und damit die Voraussetzungen für einen zügigen Abschluss der zweiten Programmüberprüfung und die Beteiligung des IWF zu schaffen. Dabei wurde wiederum betont, dass die Beteiligung des IWF unerlässlich ist. Insofern auch das gilt für uns, und wir haben das stets betont gehen wir von einer finanziellen Beteiligung des IWF aus. Der IWF hat im Eurogruppen-Statement im Mai erklärt, dass er sich beteiligen wird. Die geschäftsführende Direktorin des IWF, Frau Lagarde, hat diese Zusage in Davos vor Kurzem erneut bekräftigt. Wir gehen daher weiterhin davon aus, dass die IWF seine Zusagen einhält.

ZUSATZFRAGE HELLER: Mich bewegt immer das Wort „Zusage“. Eine Zusage ist es ja bisher nicht, was der IWF getan hat; denn dann hätte er ja schon einscheren können. Besteht nicht die Möglichkeit, dass sich der IWF am Ende eben doch dagegen entscheidet, Zusage hin, Zusage her?

DR. WEISSGERBER: Sie kennen ja die Dokumente aus dem Mai vor knapp zwei Jahren. Darin hat sich der IWF dazu bekannt, sich zu beteiligen. Insofern hat sich daran nichts geändert. Es ist jetzt auch viel zu früh, darüber zu spekulieren, was wäre, wenn. Es bleibt bei dem, was ich gesagt habe.

FRAGE JENNEN: Herr Weißgerber, ist denn damit notwendigerweise eine finanzielle Beteiligung gemeint, oder ist auch eine eigentlich jetzt schon bestehende beratende Funktion weiterhin möglich?

DR. WEISSGERBER: Es geht um beides.

ZUSATZFRAGE JENNEN: Ist die finanzielle Beteiligung definitiv eine Voraussetzung für das Weiterführen des Programms?

DR. WEISSGERBER: Ja.

FRAGE JUNG: Herr Seibert, verurteilt die Bundesregierung dieses Einreiseverbot von Herrn Trump?

Herr Schäfer, können Sie uns sagen, wie viele Deutsche seit Freitag möglicherweise betroffen sind und was das für Millionen von deutschen muslimischen Bürgern bedeutet?

STS SEIBERT: Herr Jung, ich darf Sie auf die Erklärung, die die Bundeskanzlerin gestern dazu abgegeben hat, verweisen. Deren erster Satz heißt: „Die Bundeskanzlerin bedauert das von der US-Regierung verhängte Einreiseverbot gegen Flüchtlinge und Bürger einiger Staaten.“

ZUSATZFRAGE JUNG: Heißt das, sie verurteilt das nicht?

STS SEIBERT: Der erste Satz steht.

DR. SCHÄFER: Ich denke, Herr Jung, Sie haben die Stellungnahme des deutschen Außenministers dazu von gestern Abend auch zur Kenntnis genommen. Insofern dürfte Ihnen klar sein, wie die Haltung der Bundesregierung zu den Entscheidungen des amerikanischen Präsidenten vom Wochenende ist.

Ehrlich gesagt, habe ich an dieser Stelle auf Fragen von Ihnen und Ihrer Kollegen, wie es mit der amerikanischen Politik aussieht und wie es weitergeht, schon ganz häufig und immer gesagt: Jetzt müssen wir einmal abwarten, bis es konkrete Entscheidungen gibt. Es gibt da ein gewisses Maß an Ungewissheit, und wir werden versuchen, sobald die Administration im Amt sein wird, diese Ungewissheiten zu klären.

Jetzt haben wir ein erstes Dekret, und leider ist es auch jetzt wieder so, dass wir noch gar nicht recht wissen, was das konkret bedeutet, auch für deutsche Doppelstaatler. Sie können sich darauf verlassen, dass wir schon am Wochenende unter Hochdruck, und zwar in enger Abstimmung mit unseren Partnern innerhalb der Europäischen Union, damit begonnen haben, Kontakte zur amerikanischen Administration zu knüpfen, um uns etwas mehr Aufklärung über das zu geben, was dort tatsächlich entschieden worden ist. Das tun wir natürlich auch hier im Berlin in Gesprächen mit der hiesigen US-Botschaft, um zu verstehen, welche Entscheidungen der amerikanische Präsident jetzt tatsächlich getroffen hat.

Das betrifft eben nicht nur die Konstellation mit Doppelstaatlern, die ja heute in den deutschen und internationalen Medien schon sehr prominent beschrieben wird. Es gibt auch andere Probleme. Was ist etwa mit einem Staatsangehörigen der sieben Staaten, die da auf diese Liste gekommen sind, der eine Greencard hat, der sich rechtmäßig in den USA aufhält und in den Schengen-Raum etwa nach Deutschland reisen möchte? Können wir dem ein Visum geben? Die Voraussetzung dafür wäre, dass er auch wieder zurückkehren kann. Oder was ist mit den Ehepartnern von ausländischen Diplomaten in Washington, die Staatsangehörige eines dieser sieben Staaten sind? Ist das diplomatische Visum wichtiger als diese exekutive Anordnung, dieses Dekret des amerikanischen Präsidenten? Das sind alles ganz praktische Fragen, die womöglich zehntausende und vielleicht mehr Menschen betreffen.

Was ich Ihnen also nur sagen kann, ist: Wir bemühen uns wirklich mit Hochdruck, zu verstehen, was da passiert ist, und wir brauchen dazu natürlich auch Auslegungsunterstützung durch diejenigen, die dieses Dekret verabschiedet haben, und diejenigen, die es anzuwenden haben. Da sind wir leider noch nicht so weit.

Ich habe gerade, kurz bevor ich hierhergekommen bin, gesehen: Das britische Außenministerium hat gerade eine Presseerklärung veröffentlicht ich lese das einmal vor und übersetze es dann gerne , in der es heißt: „The Presidential executive order only applies to individuals travelling from one of the seven named countries.“ Das britische Außenministerium geht also davon aus, dass eine Einreisesperre nur dann verhängt wird, wenn es Personen gibt, die aus diesen Ländern eingereist sind. Das ist ein anderes Verständnis als das, das jedenfalls wir aus dieser „executive order“ abgeleitet haben.

Ein anderes Beispiel ist, dass die Briten heute Morgen auf der Webseite der britischen Regierung veröffentlicht haben: Wenn Sie ein britischer Staatsangehöriger sind, dann wird dieses Dekret nicht für Sie anwendbar sein, sogar dann nicht, wenn Sie in einem dieser sieben Länder geboren worden sein sollten. – Das heißt, die Briten gehen offensichtlich davon aus und schreiben, dass es Kontakte des britischen Außenministeriums zur amerikanischen Administration gegeben hat, ohne zu sagen, mit wem der britische Außenminister gesprochen hat, und dass zumindest britische Doppelstaatler von diesem Dekret nicht betroffen sind.

Ich mache es kurz, indem ich abschließend sage: Ich weiß es nicht.

ZUSATZFRAGE JUNG: Wissen die Briten mehr als Sie, haben aber eine andere Interpretation dieses Dekrets?

Es gibt jetzt auch schon einige Bundestagsabgeordnete, die gar keine doppelte Staatsbürgerschaft haben, aber zum Beispiel im Iran geboren worden sind und meinen, dass sie nicht einreisen dürfen. Wie ist da der Stand?

DR. SCHÄFER: Auch das habe ich gestern Abend und heute Morgen zur Kenntnis genommen. Ich glaube, beim Iran ist es so: Selbst wenn man will, kann man die iranische Staatsangehörigkeit gar nicht aufgeben. Wenn man aus Sicht des iranischen Staates iranischer Staatsangehöriger geworden ist mit der Geburt oder aus anderen Gründen , dann ist man aus Sicht der iranischen Regierung oder des iranischen Staates eben Iraner.

Noch einmal, Herr Jung: Ich wünschte, ich könnte Ihnen definitiv vernünftige, belastbare Auskunft geben. Das kann ich nicht; das tut mir leid. Aber wir haben dieses Dekret auch nicht erlassen, sondern grundsätzlich ist es die Aufgabe derjenigen, die es zu erlassen oder umzusetzen haben, zu erklären, was damit gemeint ist. Ich hoffe sehr, dass es jetzt in den nächsten Stunden zu entsprechender Aufklärung kommen wird. Washington wird jetzt so langsam wach. Gleich wird es in Washington 5.40 Uhr sein. Ich hoffe, dass der heutige Tag der erste Arbeitstag in Washington nach dem Wochenende da Aufklärung bringen wird.

Sie können sich, noch einmal gesagt, darauf verlassen: Wir machen das mit Hochdruck, erstens, weil es für uns das hat Herr Seibert schon gesagt eine wichtige politische Frage ist, aber zweitens auch, weil es eine wichtige konsularische Frage ist, die viele, viele deutsche Staatsangehörige in der näheren Zukunft betreffen kann.

FRAGE WONKA: Herr Seibert, die Bundeskanzlerin hatte ja Gelegenheit, alles ausgiebig mit Herrn Trump zu besprechen. Geht die Bundeskanzlerin denn davon aus, dass Herr Trump eine Rückkehr zu normalen demokratischen Handlungsgepflogenheiten in der Politik zuzutrauen ist, oder ist sie nach dem Telefonat pessimistisch gestimmt?

Herr Schäfer, beabsichtigt die Bundesregierung eigentlich, eine Reisewarnung für Reisende in die USA herauszugeben? Die Amerikaner haben ja beispielsweise auch, wenn irgendwo fremdenfeindliche Übergriffe stattfanden, eine Reisewarnung für bestimmte Gegenden in Deutschland ausgesprochen.

DR. SCHÄFER: Was wäre aus Ihrer Sicht der Grund für eine solche Reisewarnung?

ZUSATZ WONKA: Dass man nicht weiß, wo man landet, wenn man in die USA fliegt – am Flughafen oder im Knast.

DR. SCHÄFER: Es ist ganz einfach: Wenn Sie auf die Webseite des Auswärtigen Amtes schauen, finden Sie unter dem Stichwort USA bereits Hinweise darauf, dass es dieses Dekret des amerikanischen Präsidenten gibt, um dessen Auslegung wir uns zurzeit kümmern. Es ist ein Ding der Selbstverständlichkeit, dass wir uns da als Dienstleistung allen deutschen Staatsangehörigen gegenüber auf dem Laufenden halten, und das finden Sie auch schon auf unserer Webseite.

Das ist aber ausdrücklich ein Reisehinweis und keine Reisewarnung. Eine Reisewarnung wäre nach der Terminologie, wie wir sie verwenden, die klare Aufforderung an deutsche Staatsangehörige, nicht in die USA zu reisen, meinetwegen wegen einer drohenden Naturkatastrophe oder wegen anderer Umstände. Eine solche kann ich zurzeit nicht erkennen. Wir können vielmehr nicht mit Sicherheit sagen, wie sich die zuständigen Behörden bei der Einreise gegenüber bestimmten deutschen Staatsangehörigen verhalten, und weil das so ist, findet sich das natürlich auch auf unserer Webseite.

STS SEIBERT: Zu Ihrer Frage an mich: Die Bundeskanzlerin hat am Samstag am späten Nachmittag ein längeres Telefongespräch mit dem amerikanischen Präsidenten geführt. Das, was es zu diesem Telefongespräch, das natürlich vertraulich ist, von unserer Seite aus zu sagen gibt, ist in der gemeinsamen Presseerklärung des Weißen Hauses und unserer Seite am Samstagabend enthalten. Ich habe nicht vor, über das gemeinsam in dieser Presseerklärung öffentlich Gemachte hinaus hier weitere Dinge öffentlich zu machen.

Die Bundeskanzlerin hat sich ja mehrere Male über ihre Herangehensweise in diesem Fall geäußert. Ich kann noch einmal auf Äußerungen verweisen, in denen sie gesagt hat: Das deutsch-amerikanische also das transatlantische Verhältnis wird in diesen Zeiten kein bisschen weniger wichtig sein als zuvor. Sie wird für ein gutes deutsch-amerikanisches Verhältnis arbeiten. Sie wird sich im Übrigen sehr dafür einsetzen, dass es ein gemeinsames, auf gemeinsamen Werten beruhendes und regelbasiertes Agieren in der internationalen Handelsordnung, bei der Verteidigungspolitik, also im Bündnis, wie auch bei anderen wesentlichen globalen Fragen gibt.

ZUSATZFRAGE WONKA: Hat die Bundeskanzlerin eigentlich die Einladung zu einem Besuch in Washington angenommen?

STS SEIBERT: Der Präsident hat gesagt, er freue sich darauf, die Bundeskanzlerin bald empfangen zu können. Nun wird „bald“ sicherlich nicht in ein paar Tagen sein. So ein Besuch muss von beiden Seiten gut vorbereitet sein. Darüber wird man Gespräche führen, und dann werden wir Sie wie immer rechtzeitig informieren. Aber die Absicht eines Besuches besteht.

FRAGE HELLER: Gibt es irgendwo innerhalb der Bundesregierung sei es beim Auswärtigen Amt oder vielleicht auch beim Innenministerium Erkenntnisse darüber, wie viele Doppelstaatler mit der Staatsangehörigkeit eines dieser sieben Länder, die Trump aufführt, in Deutschland leben?

Zweite Frage an das Wirtschaftsministerium: Sind Ihnen Befürchtungen oder konkrete Ansätze von Ihrer Klientel, von Unternehmen oder Verbänden, bekannt geworden, und zwar in Hinsicht darauf, dass sie durch die Einreiseverbote beeinträchtigt werden, die Herr Trump da verhängt hat?

ALEMANY: Dann beginne ich einmal mit der Unternehmerschaft. Wir stehen natürlich in sehr engem Kontakt mit unseren Unternehmen und auch mit den Kammern vor Ort, um erste Reaktionen zu eruieren. Bislang liegen uns aber keine Beschwerden oder Fakten auf dem Tisch. Wir werden das sehr genau im Auge behalten.

DR. SCHÄFER: Mir liegen solche Statistiken nicht vor.

ZUSATZFRAGE HELLER: Sind das ein paar Tausend, Zehntausend oder mehr?

DR. DIMROTH: Ich kann Ihnen jedenfalls eine Größenordnung nennen. Allerdings muss ich darauf verweisen, dass das Zahlen der Länder sind, die regelmäßig nur im Rahmen des sogenannten Mikrozensus konsolidiert erhoben werden. Die letzte Befragung, die im Zuge dieses Mikrozensus erfolgt ist, stammt aus dem Jahr 2011. Insofern sind die Zahlen, die ich hier habe, nicht sonderlich aktuell und können allenfalls als Richtgröße dienen. Aus dieser Befragung ergibt sich aber, dass das für den Iran etwas mehr als 80 000 Doppelstaatler waren, für den Irak etwas mehr als 30 000, für Syrien ca. 25 000, für den Sudan etwas mehr als 1000, für Somalia etwas mehr als 500, für Libyen etwas mehr als 400 und für den Jemen etwas mehr als 350. Ich sage das, wie gesagt, mit der gebotenen Vorsicht, die aufgrund der von mir genannten Umstände hier zu walten hat.

FRAGE JORDANS: Herr Schäfer, Sie sprachen gerade von einer Größenordnung von Zehntausenden oder mehr. Meinen Sie damit jetzt allgemein Leute, die von dieser Maßnahme betroffen sind, oder Leute speziell in Deutschland?

Gibt es auch schon irgendwelche Überlegungen, Ausnahmen für Greencard-Inhaber zu machen, die, wie Sie gesagt haben, die USA verlassen haben und sich jetzt möglicherweise hier gestrandet fühlen, damit die nicht irgendwelche Visaregelungen im Schengen-Raum verletzen, ohne es tun zu wollen?

DR. SCHÄFER: Ich finde es gut, dass Sie diese Frage stellen, Herr Jordans. Das ist jetzt, ehrlich gesagt, der erste Arbeitstag, wenige Stunden, nachdem das hier am Freitagabend bekannt geworden ist. Natürlich muss man sich irgendwann darum kümmern, was mit solchen Menschen sein könnte, wenn die tatsächlich nicht mehr zurückreisen können. Aber so weit sind wir ja zum Glück noch nicht, sondern es geht uns jetzt erst einmal darum, zu verstehen, was da tatsächlich entschieden wurde und wie es umgesetzt wird, und dann werden wir schauen, welche Folgen das hat.

Meine Zahl „Zehntausende“ bezog sich nicht notwendigerweise nur auf Deutschland. Aber selbst für Deutschland ist das, glaube ich, keine ganz abwegige Zahl. Wenn ich die von Herrn Dimroth gerade genannten Zahlen hochrechnen und die Familienangehörigen einbeziehen, dann ist das, glaube ich, nicht allzu weit hergeholt.

FRAGE JUNG: Herr Schäfer, wie bewertet die Bundesregierung denn dieses Einreiseverbot aus völkerrechtlicher Sicht?

DR. SCHÄFER: Es ist zu früh dafür, dazu ein abschließendes Urteil abzugeben. In der Tat kümmern sich unsere Kollegen aus der Rechtsabteilung jetzt darum, einmal zu schauen, welche Regelungen des Völkerrechts es gibt. Ich kann Ihnen vielleicht sagen, dass eine erste Erkenntnis die ist, dass es durchaus völkerrechtliche Instrumente der Vereinten Nationen gibt, denen die Vereinigten Staaten von Amerika auch beigetreten sind, die es sehr schwer machen, eigenen Staatsangehörigen es kann ja sein, dass es amerikanisch-sudanesische Staatsangehörige gibt die Einreise in die Vereinigten Staaten zu verweigern. Zu allem darüber hinaus Gehenden dem Umgang mit Doppelstaatlern und den anderen technischen Fragen und Fallkonstellationen, die ich vorgestellt habe kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt noch keine vernünftige, wirklich abgewogene und geprüfte Analyse vortragen. Dafür muss ich Sie noch um ein bisschen Geduld bitten.

ZUSATZFRAGE JUNG: Wie bewerten Sie, dass Saudi-Arabien nicht auf dieser Liste steht?

Haben sich Vertreter der sieben betroffenen Staaten an die Bundesregierung gewandt, um vielleicht diplomatische Hilfe zu bekommen?

DR. SCHÄFER: Zur ersten Frage: Das bewerte ich gar nicht.

Zur zweiten Frage: Das ist mir nicht bekannt.

FRAGE: Frau Alemany, Sie haben ja gerade gesagt, Sie hätten noch keine Informationen von Ihren Unternehmen. Wie bewertet das Wirtschaftsministerium dieses Einreiseverbot denn insgesamt?

ALEMANY: Zu verfassungsrechtlichen Dingen kann ich hier keine Stellung nehmen. Was uns betrifft und, sagen wir einmal, den freien bilateralen Handel für die Wirtschaftsunternehmen angeht, hat sich Frau Ministerin Zypries ja schon am Freitag geäußert. Sie hat deutlich gemacht, dass es unser Ziel ist, fairen Handel in die Welt zu tragen. Abschottung macht alle ärmer. Das betrifft alle protektionistischen Tendenzen, die weltweit als Trend ein bisschen zunehmen, nicht nur in Amerika, aber auch dort. „Mauern bauen hilft nicht“, so hat sie es genannt. Das schadet nicht nur den USA, sondern auch ihren Handelspartnern.

FRAGE FISCHER: Herr Seibert, ich habe eine Nachfrage zu der gemeinsamen Presseerklärung, die Sie jetzt auch zitiert haben. Können Sie erläutern, warum es diese gemeinsame Presseerklärung gab? Man hätte ja auch ein beiderseitiges „readout“ machen können. Warum also die Gemeinsamkeit?

Zweitens: Warum haben Sie dann am nächsten Tag ich glaube, um 11 Uhr oder 10.30 Uhr noch die Kritik bzw. das Bedauern über den „Muslim ban“ nachgereicht?

STS SEIBERT: Zu Ihrer ersten Frage: Die Bundeskanzlerin und der Präsident haben sich in dem Gespräch darauf verständigt, dass man eine gemeinsame Presseerklärung herausgeben will, um hervorzuheben, dass es bei diesem ersten inhaltlichen Gespräch der beiden eine ganze Reihe wichtiger Übereinstimmungen und gemeinsamer deutsch-amerikanischer Interessen gab.

Die Erklärung vom zweiten Tag steht für sich. Die Erklärung der Bundeskanzlerin am Sonntag kam zum exakt richtigen Zeitpunkt.

ZUSATZFRAGE FISCHER: Warum haben Sie bis 10.30 Uhr am Sonntag gewartet?

STS SEIBERT: Wie gesagt: Die Erklärung der Bundeskanzlerin am Sonntag kam zum exakt richtigen Zeitpunkt.

DR. SCHÄFER: Ich möchte eigentlich nur etwas Technisches sagen: Die Kollegen haben mich gerade darauf hingewiesen, dass die US-Botschaft in Berlin vor einer Stunde auf Facebook einen Post abgesetzt hat. Der ist dann, denke ich, öffentlich einsehbar. Darin heißt es: Auch Doppelstaatler also deutsche Staatsangehörige und solche der sieben inkriminierten Länder mögen bitte bis auf Weiteres davon absehen, bei den Vereinigten Staaten von Amerika um ein Visum nachzusuchen. Ich nehme an, das ist eine erste Interpretation dessen, zumindest durch die US-Botschaft hier in Berlin, was das denn tatsächlich bedeutet. Das würde auch dafür sprechen, dass die britische Interpretation vielleicht nicht zutreffend ist.

FRAGE JUNG: Herr Seibert, bei welchen Themen gab es keine Übereinkunft zwischen Frau Merkel und Herrn Trump?

Wer sagt, dass Ihre gestrige Mitteilung zum bestmöglichen Zeitpunkt kam?

STS SEIBERT: Der exakt richtige!

ZURUF JUNG: Ja. Wer sagt das?

STS SEIBERT: Das sage ich.

Im Übrigen möchte ich jetzt über die gemeinsame Presseerklärung und die Erklärung vom Sonntag hinaus keine weiteren Einzelheiten aus diesem Gespräch wiedergeben. Dass es auch unterschiedliche Einschätzungen gibt, war schon vorher bekannt.

ZUSATZFRAGE JUNG: Ja, aber bezüglich welcher Themen?

Herr Schäfer, ist die Bundesregierung von dieser Maßnahme der Trump-Regierung politisch überrascht? Das hat er ja im Wahlkampf angekündigt.

STS SEIBERT: Ich bleibe dabei, dass ich für die Bundesregierung zu diesem vertraulichen Telefonat von Samstagnachmittag jetzt das Notwendige gesagt habe.

DR. SCHÄFER: Ich glaube, Emotionen und Gefühle, ob überraschte oder nicht, tun hier jetzt gar nichts zur Sache. Wir nehmen das zur Kenntnis, was da entschieden worden ist, und versuchen jetzt, damit umzugehen. Ich hatte Ihnen gesagt, wie wir das tun: Wir tun das politisch, indem wir unsere Meinung dazu äußern, und wir tun das, indem wir unser Bestes geben, damit die möglicherweise betroffenen deutschen Staatsangehörigen erstens wissen, was auf sie zukommt, und sich dann zweitens darauf vorbereiten können, was das für sie bei der Einreise in die Vereinigten Staaten von Amerika bedeuten mag.

FRAGE JORDANS: Herr Schäfer, Sie mutmaßen bezüglich des Posts der US-Botschaft, dass es sich bei der Interpretation der Briten vielleicht um eine Fehleinschätzung handeln könnte. Wenn dem aber nicht so wäre, wenn also britische Doppelstaatler und deutsche Doppelstaatler unterschiedlich behandelt werden würden, wäre das dann mit EU-US-Vereinbarungen vereinbar, oder trifft da jedes Land der EU für sich eine Vereinbarung mit den USA?

DR. SCHÄFER: Das ist jetzt eine doppelt hypothetische Frage. Ich glaube, so weit sollten wir es jetzt nicht treiben, dass wir im doppelten Konjunktiv miteinander reden, nach dem Motto: Was könnte sein, wenn es sein könnte, dass etwas sein könnte, was dann ist? Ich glaube, das lassen wir jetzt einmal, sondern halten uns an die Fakten. Wenn es so sein wird, wie Sie sagen, dann werden wir uns dazu äußern.

ZUSATZFRAGE JORDANS: Lassen Sie mich die Frage anders stellen: Ist es so, dass die Visa-Vereinbarungen einzeln von den Ländern oder gemeinsam von der EU getroffen werden?

DR. SCHÄFER: Es hat immer wieder Situationen gegeben nicht so sehr im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika, sondern anderen Drittstaaten gegenüber , in denen diese Staaten eine unterschiedliche Visumspraxis gegenüber unterschiedlichen Mitgliedern der Europäischen Union eingeführt hatten oder einführen wollten. Die Europäische Union hat dann immer wieder versucht ich glaube, in den meisten Fällen auch erfolgreich , darauf hinzuweisen, dass die Europäische Union eine Gemeinschaft ist und dass es Sinn ergibt, und zwar im Sinne einer möglichst großzügigen Auslegung von Offenheit und Reisefreiheit, alle 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union gleich zu behandeln.

VORS. WEFERS: Dann wollte Herr Schäfer noch eine Reiseankündigung loswerden.

DR. SCHÄFER: In der Tat: Die zweite Reise von Außenminister Gabriel wird ihn morgen nach Brüssel führen. Das wird Sie nicht überraschen, wenn Sie verfolgt haben, was er am Samstag in Paris über das deutsch-französische Verhältnis hinaus zur Bedeutung Europas für ihn als Außenminister gesagt hat. Herr Gabriel wird morgen Nachmittag bzw. morgen im Laufe des Tages nach Brüssel reisen, um dort Gespräche zu führen, mindestens mit dem Präsidenten der Kommission, Herrn Jean-Claude Juncker, und mit der Hohen Beauftragten für die europäische Außen- und Sicherheitspolitik, Frau Federica Mogherini. Er wird am späten Nachmittag auch ein Gespräch im NATO-Hauptquartier mit dem Generalsekretär des Bündnisses führen, mit Jens Stoltenberg.

Auch diese Reise zu einem so frühen Zeitpunkt ist Ausdruck der festen Überzeugung des Außenministers, dass die beiden Brüsseler Institutionen, die er da besucht, für ihn, für das Land und für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik von allergrößter Bedeutung sind.

FRAGE: War das Thema Libyen Frage ein Gesprächsthema beim letzten Besuch des ägyptischen Außenministers, und wie bewertet die Bundesregierung die Initiative von Ägypten, Tunesien und Algerien, die Situation in Libyen zu beruhigen oder aus dieser Situation herauszukommen?

DR. SCHÄFER: Vielen Dank für die Frage. In der Tat, der ägyptische Außenminister war letzte oder vorletzte Woche in Berlin und hat hier mit vielen Vertretern der Bundesregierung gesprochen auch mit dem deutschen Außenminister. Ich kann Ihnen bestätigen, dass bei dem Gespräch, das die beiden Minister miteinander geführt haben das war allerdings noch der Vorgänger des jetzigen Außenministers, Frank-Walter Steinmeier das Thema Libyen sehr weit vorne und sehr weit oben auf der Agenda stand. Der deutsche Außenminister hat das Engagement der ägyptischen Außenpolitik gegenüber dem westlichen Nachbarland Libyen ausdrücklich gewürdigt, und er hat, glaube ich, auch in der darauf folgenden Pressekonferenz gesagt, wie wichtig es ist, dass die Nachbarstaaten, die Sie erwähnt haben, Europa und die Europäische Union gemeinsam nach Lösungen für Libyen suchen. Das ist unter ganz vielen Gesichtspunkten eine wichtige Frage. Libyen ist seit 2011 ein, vorsichtig gesprochen, instabiler Staat, ein Staat, der versucht, irgendwie wieder auf die Beine zu kommen mit nicht allzu großem Erfolg, weil es immer noch ganz viele Milizen gibt, unterschiedliche Fraktionen gibt, die miteinander kämpfen bzw. jedenfalls nicht gemeinsam an einem Strang ziehen, um ein libysches Staatswesen wiederaufzubauen.

Der deutsche Sondergesandte der Vereinten Nationen, Martin Kobler, bemüht sich nach Kräften, die vielen Fäden, die es da gibt, zusammenzuhalten, und die Abkommen, die es schon gegeben hat, tatsächlich in die Tat umsetzen zu lassen. Wir stehen hinter der libyschen Einheitsregierung, aber es bedarf weiterer Anstrengungen, gerade auch der Nachbarstaaten und gerade auch Ägyptens, um hier weiter voranzukommen. Sie können sich darauf verlassen, dass die Bundesregierung in Zusammenarbeit und in Partnerschaft mit europäischen Freunden, aber auch mit den Nachbarstaaten darunter allen voran Ägypten weiter daran arbeiten wird, die Lage in Libyen zu verbessern. Auch mit Blick auf manche Berichterstattung, die es über das Wochenende zur fürchterlichen Lage von vielen Flüchtlingen in Libyen gegeben hat, ist das ein sehr wichtiges Thema.

STS SEIBERT: Wenn ich in diesem Zusammenhang etwas hinzufügen dürfte wir haben das möglicherweise schon Ende letzter Woche hier besprochen; ich will es trotzdem noch einmal sagen : Wir begrüßen als Bundesregierung, dass die Kommission und die Hohe Beauftragte, Frau Mogherini, neue Vorschläge vorgelegt haben, wie man den Menschenschmuggel über die zentrale Mittelmeerroute bekämpfen kann Vorschläge, die auch auf eine Unterstützung Libyens bei dieser Bekämpfung hinauslaufen. Einer der Vorschläge ist, dass man die Ausbildung von Sicherheitskräften des libyschen Küstenschutzes stärkt. Das heißt, unser Interesse daran, mit Libyen zusammenzuarbeiten, ist groß und nimmt konkrete Formen an. Das wird sicherlich auch eines der Themen auf dem europäischen Treffen in Malta sein.

FRAGE JORDANS: Laut Unterlagen, die am Wochenende veröffentlicht wurden und auch der AP vorliegen, geht das Auswärtige Amt von schwersten Menschenrechtsverletzungen in libyschen Flüchtlingslagern aus und spricht sogar von Exekutionen dort. Was tut die Bundesregierung denn, um so etwas zu verhindern?

Zweite Frage: Was ist mit der geplanten „line of protection“ ich weiß nicht, wie das fachtechnisch auf Deutsch übersetzt würde gemeint, die möglicherweise in Libyen oder vor der libyschen Küste eingerichtet werden soll?

DR. SCHÄFER: Sie werden sicherlich gut verstehen, Herr Jordans, dass ich zu einem Bericht in einer großen deutschen Sonntagszeitung über einen angeblichen Bericht aus dem Auswärtigen Amt nichts sagen kann. Das gehört sich nicht, und es wäre auch total unüblich, zu bestätigen oder zu dementieren, dass das ein Bericht ist, der tatsächlich an die Bundesregierung abgesandt worden wäre.

In der Sache ist es aber natürlich richtig, dass die menschenrechtliche Situation in Libyen katastrophal ist. Es trifft sozusagen die Schwächsten der Schwächsten immer am meisten, und das sind in diesem Fall womöglich hunderttausende Menschen, die sich von Westafrika aus auf den Weg in ihr vermeintlich gelobtes Land, nach Europa, machen und einfach um das riesige Land Libyen, die Sahara und die Sahelzone nicht herumkommen, sondern mittendurch müssen. Ganz viele von denen bleiben dabei leider und traurigerweise buchstäblich auf der Strecke entweder, indem sie auf dem Weg an die nordafrikanische Mittelmeerküste ums Leben kommen, oder eben indem sie auf unterschiedliche Art und Weise in Libyen hängenbleiben. Dazu gehören eben auch die in manchen Berichten über das Wochenende angesprochenen Privatgefängnisse, in denen die menschenrechtliche Lage tatsächlich ein Desaster ist.

Was machen wir? Ich glaube, Herr Jordans, die Ehrlichkeit gebietet da schon ein wenig Bescheidenheit. Wir bemühen uns das haben sie in den letzten Jahren hoffentlich mitverfolgt oder glauben es uns so wirklich nach Kräften um eine politische Stabilisierung dieses Landes, das nach jahrzehntelanger Herrschaft von Gaddafi jetzt in eine neue schwierige Phase geraten ist. Wenn man ehrlich ist, muss man sagen: Der Staat funktioniert nicht oder funktioniert nur rudimentär. Deshalb sind Gespräche, die wir mit der libyschen Regierung etwa über die Lage der Flüchtlinge führen, wenig ergiebig, weil diese Regierung, die vielleicht in Tripolis oder in einem bestimmten Teil von Tripolis Macht ausüben kann, überhaupt nicht in der Lage wäre, das von uns und vielleicht auch von der libyschen Einheitsregierung gewünschte Ergebnis zu erzielen. Deshalb sind die Verhältnisse, wie sie sind, ohne dass wir darauf unmittelbar Einfluss haben.

Was tun wir deshalb? Wir bemühen uns darum, die Menschen in Westafrika, die diesen beschwerlichen, gefährlichen, womöglich tödlichen Weg nach Europa antreten, davon abzuhalten und sie darüber zu informieren, was das bedeuten mag über die ungewissen Aussichten, durch Libyen durchzukommen, über die ungewissen Aussichten, im Mittelmeer von Schleppern vielleicht dem Tod ausgeliefert zu werden, über die ungewissen Aussichten, tatsächlich jemals in Europa ein Aufenthaltsrecht und politisches Asyl zu bekommen. Das tun wir auf unterschiedlichen Wegen, und wir tun das auch dadurch, dass wir der IOM, der Internationalen Organisation für Migration, Mittel in die Hand geben, um mögliche Rückkehrer, die in Libyen entweder gestrandet sind und freiwillig zurückkehren, oder die an oder in Libyen abgeprallt sind, zu beraten und ihnen dabei zu helfen, in ihre Heimatländer zurückzukehren.

Diese Menschen das stimmt berichten furchtbares über ihre Erlebnisse in Libyen. Ich glaube, es ist eine gute Idee, dass wir diesen Menschen dabei helfen, zu Hause eine neue Perspektive zu entwickeln. Das tun wir auch mit Mitteln der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik. Das ist auch deshalb sinnvoll, weil diese Menschen dann ihre Geschichte zu Hause erzählen können und vielleicht auf diese Art und Weise andere davon abhalten, diesen gefährlichen und potenziell tödlichen Gang zu gehen.

FRAGE KRAUS: Herr Flosdorff, können Sie uns helfen, die Situation am Bundeswehrstandort in Pfullendorf noch ein bisschen auszuleuchten? Dazu hätte ich drei Fragen:

Erstens. Das Heer hat in seiner Pressemitteilung von einer Häufung von Fällen gesprochen, die dort vorgekommen sind. Sie haben eine erste Untersuchung abgeschlossen. Wie viele Fälle von gravierendem Fehlverhalten hat es in welchem Zeitraum in Pfullendorf gegeben?

Zweitens. Was für Vergehen sind das genau?

Drittens. Wann hat das Verteidigungsministerium den ersten Hinweis bekommen, dass in dieser Kaserne etwas gravierend schiefläuft?

FLOSDORFF: Vielen Dank, Frau Kraus, für die Fragen; das gibt mir auch noch einmal Gelegenheit, einiges einzuordnen, denn verständlicherweise geht es dabei um einen sehr komplexen Sachverhalt, und auch in der Berichterstattung ist einiges durcheinandergegangen.

Vorweg möchte ich noch einmal betonen: Die Vorkommnisse in Pfullendorf bzw. solche Vorkommnisse, wie wir sie jetzt aus Pfullendorf gehört haben, sind völlig inakzeptabel und verletzen auf das Schwerste die Grundsätze der inneren Führung. Sie werden mit aller notwendigen Sorgfalt, aber auch Konsequenz aufgeklärt. Das ist insbesondere auch deswegen wichtig, weil die große Mehrheit der Truppe einen guten Ruf hat und durch das Verhalten von Einzelnen, die gegen Form von Anstand und Respekt verstoßen, beschädigt wird.

Es handelt sich im Wesentlichen um drei zeitlich und räumlich voneinander unabhängige Fälle, die alle am Standort Pfullendorf vorgekommen sind, aber insbesondere im inneren Verhältnis wenig miteinander zu tun haben.

Das eine ist ein Vorfall, eine Meldung aus dem Jahr 2014. Die ging es um eine Eingabe einer Soldatin, die von diesem Standort wegversetzt worden ist, sich im Nachhinein aber noch einmal mit Schilderungen auch an das Ministerium gewandt hat, in denen sie gravierende organisatorische Mängel angeprangert hat, aber auch ein frauenfeindliches Klima. Das war ein nicht im Detail belegter Vorwurf.

Der zweite Komplex, der davon zu trennen ist: Im Kurrikulum, also im Lehrprogramm der Sanitätsausbildung, gab es herabwürdigende Ausbildungspraktiken, und als man dort im Nachgang, im Sommer 2016, Konsequenzen gezogen hat, gab es auch Mobbing gegen die Person, die das gemeldet hat.

Der dritte Vorgang sind die sogenannten Aufnahmerituale, entwürdigende Aufnahmerituale unter Mannschaftsdienstgraden. Diese sind Anfang vergangener Woche bekannt geworden. Das ist auch der Vorgang, der dann sofort an die Staatsanwaltschaft Hechingen abgegeben wurde.

Ich beginne noch einmal von vorne: 2014 gab es das Schreiben mit nicht im Detail belegten Vorwürfen über organisatorische Mängel. Daraufhin ist auch sofort, als das bekannt wurde, eine Kommission des Ausbildungskommandos Heer in Pfullendorf vor Ort gewesen und hat dort nach umfangreichen Befragungen nicht beweisfest erhärten können, was dort geschildert worden war. Man kam dann zu dem Schluss, dass es sich dabei möglicherweise um eine subjektive Wahrnehmung der Beschwerdeführerin handelt. Das ist natürlich ein Fall, der heute in einem ganz anderen Licht erscheint und den man sich sicherlich auch noch einmal genau anschauen wird.

Beim zweiten Fall in 2016 ging es um eine interne Beschwerde eines weiblichen Leutnants erst einmal gegenüber dem Vorgesetzen, dann aber auch gegenüber der Gleichstellungsbeauftragten beim Ausbildungskommando. Sie monierte dabei teils fachlich unsinnige und herabwürdigende Lehrinhalte. Daraufhin ist auch das Ausbildungskommando nach Pfullendorf gefahren, hat sich das angeschaut und hat im Wesentlichen gesehen: Diese Lehrinhalte sind wirklich nicht so, wie sie sein sollen. Die Lehrpläne sind dann im Sommer 2016 verändert worden. Es kam dann aber im Nachgang dieser Ereignisse zum Mobbing gegen diese Soldatin. Das führte dazu, dass sich die Mutter dieser Soldatin im Herbst 2016 an den Wehrbeauftragten gewandt hat und parallel dazu auch im Ministerium eine Beschwerde der Frau selber einging, mit genauen Schilderungen und zahlreichen Belegen dieser Vorkommnisse sowohl dazu, was dort im Lehrplan war, als auch, was Mobbing angeht. In der Folge hat es auch mehrfache Telefonate des Generalinspekteurs persönlich mit der Betroffenen gegeben. Er hat ihr versichert, dass sie sich keine Sorgen über ihre Karriere machen soll Stichwort Mobbing und dass das Ministerium diese Vorgänge aufklärt.

Der Wehrbeauftragte hat Ende vergangenen Jahres Vertreter an den Standort geschickt, ebenso war der Beauftragte des Generalinspekteurs vor Ort und hat dort ermittelt und Befragungen durchgeführt. Man hat in weiten Teilen das bestätigt gefunden, was die Frau auch schon detailliert belegt und geschildert hat. In der Folge gab es auch schon erste organisatorische und personelle Veränderungen in dieser Sanitätsausbildungsinspektion.

Ende Januar das war praktisch die letzte Folge; das war jetzt am Donnerstag gab es dann den Zwischenbericht des Heeres zu diesem Komplex ich nenne ihn jetzt einmal Fall zwei , in dem noch einmal detailliert aufgeführt ist, was das Heer dazu ermittelt hat.

Der dritte Fall, der Anfang vergangener Woche das Ministerium erreicht hat, betrifft Mannschaftssoldaten, die sogenannte Initiationsriten gemeldet haben. Das heißt also, wer neu ist, muss dort teilweise herabwürdigende und brutale Prozeduren über sich ergehen lassen. Das kam am Dienstag ins Ministerium und ist auch noch am Dienstag an die Staatsanwaltschaft Hechingen abgegeben worden. Es sind sofort Uniformtrageverbote und auch ein Verbot der Ausübung des Dienstes ausgesprochen worden und Anträge auf fristlose Entlassungen das geht bei Soldaten, die unter vier Jahren beschäftigt sind eingereicht worden. Das betrifft insgesamt sieben Soldaten.

Im Fall zwei, also der Ausbildungsinspektion, sind Versetzungen initiiert worden, die mit Kommandierungen teilweise auch sofort Folgen für fünf Offiziere und Unteroffiziere hatten, und es gab auch zwei Umsetzungen innerhalb des Standortes. Damit Sie sich das vorstellen können: Das ist ungefähr ein 1000-Mann-Standort, und da gibt es Bereiche, die dann weg sind. Wer sozusagen geblieben ist in der Funktion und in der Rolle, für die sie von Anfang an vorgesehen war, war die Frau Leutnant, die das ins Rollen gebracht hat.

Mit dem, was im Ministerium in der vergangenen Woche passiert ist, und auch dadurch, dass sich die Staatsanwaltschaft in diesem dritten Fall eingeschaltet hat, hat das noch einmal eine neue Qualität bekommen. Am Donnerstag ist auch entschieden worden, dass der Kommandeur versetzt werden soll nicht weil wir Belege dafür hätten, dass er persönlich in die drei Vorfälle involviert war, sondern weil es dort in seiner Kommandozeit eine Häufung von Vorfällen gegeben hat.

Es ist entschieden worden, dass auch der Fall aus dem Jahr 2014 im Lichte der neuen Vorfälle noch einmal neu betrachtet werden soll. Außerdem ist entschieden worden, dass die Ministerin in dieser Woche ein Gespräch mit den Inspekteuren der Teilstreitkräfte führt, um noch einmal klar zu machen, dass das ein gravierender Verstoß gegen die Grundsätze der inneren Führung ist und dass sie das, in welcher Teilstreitkraft auch immer, nicht duldet, und um sie zu ermuntern, solchen Vorgängen mit aller Konsequenz hinterherzugehen und ein Klima zu schaffen, in dem solche Vorfälle ohne Bedenken weitergemeldet werden.

Außerdem wurde entschieden, dass der Generalinspekteur in Kürze nach Pfullendorf fahren wird und dass es auch das wurde am Donnerstag entschieden , nachdem der Zwischenbericht des Heeres, der am Donnerstag das Ministerium erreicht hat, ausgewertet ist, der diese ganzen Informationen zusammengefasst enthalten soll, am Freitag eine Obleuteunterrichtung dazu geben soll.

Heute Abend wird es auch noch eine weitere Unterrichtung des Parlamentes zu den Geschehnissen geben, auch mit der Möglichkeit, Rückfragen zu stellen, um auch Irritationen über die Zeitabläufe auszuräumen. Es wird dann sicherlich auch noch einmal Ergebnisse geben, nachdem der Generalinspekteur in Pfullendorf vor Ort war.

Das einmal vorweg. Ich denke, damit habe ich jetzt auch Ihre Fragen beantwortet. Ich möchte noch dazusagen: Wir stehen hier noch an einem Punkt, an dem die Ermittlungen weiter laufen. Es ist auch nicht gesagt, dass mit den Versetzungen alles getan ist. Es laufen jetzt noch weitere interne Ermittlungsverfahren vielleicht gibt es noch Erkenntnisse und Disziplinarverfahren. Wir wissen auch noch nicht, ob nicht vielleicht auch noch andere Vorfälle staatsanwaltschaftlich relevant werden. Das wird sich erst im Laufe der nächsten Wochen herausstellen.

FRAGE HARTWIG: Herr Flosdorff, können Sie sagen, was es heißt, wenn Sie sagen, dass der Generalinspekteur in Kürze nach Pfullendorf fahren wird? Geschieht das noch in dieser Woche oder in den nächsten Tagen?

FLOSDORFF: Ich gehe davon aus, dass das noch in dieser Woche geschieht. Das hängt aber auch damit zusammen, was der genaue parlamentarische Plan ist und ob es eventuell noch eine Sitzung des Verteidigungsausschusses gibt; denn wenn der Generalinspekteur dort berichtet, kann er nicht gleichzeitig in Pfullendorf sein.

ZUSATZFRAGE HARTWIG: Behält sich die Ministerin gegebenenfalls die Beauftragung eines Sonderermittlers in diesem Fall vor?

FLOSDORFF: Was meinen Sie jetzt mit Sonderermittler? Da ist jetzt schon ein Sonderermittler des Generalinspekteurs dran.

ZUSATZFRAGE HARTWIG: Ich meinte jetzt eher einen externen, unabhängigen.

FLOSDORFF: Die Staatsanwaltschaft in Hechingen ist ja praktisch an dem dritten Fall dran. Der zweite Fall ist ja, ehrlich gesagt, seit dem vergangenen Herbst auch beim Wehrbeauftragten bekannt, und da sind seitdem umfangreiche Maßnahmen gelaufen. In der gesamten Zeit wurde die Beschwerdeführerin auch intensiv betreut. Das wird alles noch einmal minutiös dargelegt, sodass die Parlamentarier das alles nachvollziehen können. Von daher sehe ich da jetzt nicht den Raum. Ob es im ersten Fall noch irgendwelche Erkenntnisse gibt ob es vielleicht bereits im Jahr 2014 Informationen gab, die an der Kommission vorbeigelaufen sind , muss man sehen. Das sind im Moment noch interne Ermittlungen, die das alles erst einmal aufarbeiten. Ich sehe jetzt also noch keinen Ansatzpunkt dafür, dass in diesem sehr speziellen Bereich eine externe Ermittlung mehr zutage fördern könnte.

FRAGE JUNG: Herr Flosdorff, können junge Frauen, die überlegen, zur Bundeswehr zu gehen, davon ausgehen, dass das Einzelfälle sind?

FLOSDORFF: Im Großen und Ganzen die Bundeswehr besteht ja aus ca. 250 00 Menschen ist es nicht so, dass wir jeden Tag auf solche Fälle stoßen. Diese Fälle sind abscheulich und abstoßend und sicherlich keine Werbung für die Bundeswehr. Das ist aber auch ein Grund dafür, wirklich offen und sehr genau aufzuklären, ob an diesen Vorwürfen etwas dran ist. Wir müssen uns insbesondere auch fragen, wie intensiv die Regeln, die wir haben und die wir immer vor uns hertragen, auch gelebt werden. Zweitens müssen wir uns auch fragen: Funktionieren die Meldeketten der Fürsorge tatsächlich so, dass Soldatinnen und Soldaten wer auch immer das ist , die sich nicht korrekt behandelt fühlen, das in einem Klima der Offenheit nach oben melden können und dann davon ausgehen dürfen, dass das auch zu Konsequenzen führt?

ZUSATZFRAGE JUNG: Sie freuen ja stets über Ihre PR-Erfolge und können auch messen, wie erfolgreich Ihre PR ist. Werden Sie nun auch diesen „PR-Erfolg“ zu messen versuchen? Wissen Sie vielleicht schon, wie dieser Skandal Ihre PR-Maßnahmen konterkariert? Werden Sie jetzt vielleicht, basierend auf diesem Skandal, mehr Geld für PR ausgeben?

FLOSDORFF: Ich glaube, dass diese Vorkommnisse sicherlich kein Aushängeschild für die Bundeswehr sind. Es wird sehr viel davon abhängen, wie wir mit diesem Fall umgehen, was für Konsequenzen daraus gezogen werden und ob das für die Soldatinnen und Soldaten spürbar wird. Ich möchte hier aber noch einmal sagen: Für die übergroße Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten ist es eine Selbstverständlichkeit, dass sie die innere Führung auch leben und dass sie Respekt erfahren. Das ist auch das, was das gute Bild der Truppe, der Bundeswehr, in der Bevölkerung prägt.

FRAGE STEINER: Herr Flosdorff, wo wir gerade beim guten Bild der Truppe und der Frage der Außenwirkung sind: Können Sie uns kurz noch einmal die aktuellen Zahlen geben, wie viele Menschen sich momentan freiwillig zum Wehrdienst melden?

FLOSDORFF: Ich habe die aktuellen Zahlen jetzt nicht dabei, ich kann Sie Ihnen aber nachliefern. Ich glaube, wir hatten dieses Thema schon in der letzten Woche gehabt. Insgesamt ist die Bewerberlage gut. Sie war im vergangenen Jahr noch einmal besser als im ohnehin schon guten Vorjahr. Wir haben aktuell ein steigendes Interesse auf den Recruiting-Internetseiten, und wir bauen den freiwilligen Wehrdienst schrittweise noch weiter aus, um sozusagen noch mehr Menschen aufnehmen zu können und diesem gestiegenen Interesse auch Rechnung tragen zu können.

ZUSATZFRAGE STEINER: Was sagen Sie denn jemandem, der sich dafür interessiert, den Wehrdienst bei der Bundeswehr freiwillig anzutreten, wenn er von diesen Vorfällen hört? Was erwartet den, wie soll der jetzt mit der Information über diese Vorfälle umgehen?

FLOSDORFF: Ich denke, die Worte waren sehr deutlich gewesen: Das ist inakzeptabel, das ist abstoßend, das wird verfolgt. Menschen, die so etwas tun, haben Konsequenzen zu fürchten ich sage noch einmal: Uniformtrageverbot, sofortiges Verbot der Ausübung des Dienstes und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen. Diejenigen, die des Mobbings beschuldigt worden sind und die solche Ausbildungsinhalte praktiziert haben aus welchen Gründen auch immer , sind nicht mehr auf ihren Stellen; sie haben wahrscheinlich auch weitere, disziplinarische Konsequenzen zu zeitigen. Insofern ist das kein Verhalten, das wir in der Bundeswehr dulden.

Ich betone an dieser Stelle auch noch einmal: Wir gehen ja sehr offen damit um. Die Ministerin betont auch immer, dass es Fehlverhalten gibt und dass es nicht immer reicht zu sagen „Wir haben doch alle Regeln, wir haben eine innere Haltung, unsere Offiziere sind top ausgebildet und wir brauchen keine weiteren Belehrungen“. Hier kommt es vielmehr darauf an, was tatsächlich in der Praxis passiert. Wenn es solche Vorkommnisse gibt ich sage es noch einmal: die Bundeswehr besteht aus einer viertel Million Menschen , dann darf man das nicht verharmlosen, sondern dann muss man das auf den Tisch legen, dann muss man das aufklären und dann muss man konsequent damit umgehen. Ich denke einmal, das ist dann auch ein Umgang und ein Verhalten, das junge Rekrutinnen und Rekruten und Interessenten für diesen Beruf auch einordnen können.

FRAGE KRAUS: Erste Frage: Der Bundestagsabgeordnete Rainer Arnold hat von außergewöhnlichen Erfahrungen bei einem Truppenbesuch in Pfullendorf berichtet und sagt, er habe im letzten Sommer ungewöhnlich hohe Hürden überwinden müssen, um überhaupt Zugang zu dieser Kaserne zu bekommen; der Kommandeur habe alle Anstalten gemacht, sich einem Gespräch mit dem Parlamentarier zu entziehen, und auch vereitelt, dass es zu einem Vier-Augen-Gespräch mit der Personalvertretung kommt. Ist das ein Vorgang, den das Verteidigungsministerium kritisiert? Um den Schlenker zum Thema Compliance zu machen: Ist es in Ihren Augen ein quasi vorauseilend vorbildliches Verhalten, dass er sich da einer Kontaktsuche entzogen hat? Werden Sie diesen Vorgang in den Untersuchungskatalog mit aufnehmen?

Zweite Frage: Sie sagten ja, die Untersuchung sei nicht abgeschlossen, sondern werde weitergeführt. Haben Sie denn im Augenblick eher den Eindruck gewonnen, dass Sie hier die Spitze eines Eisbergs sehen, oder denken Sie, dass Sie schon relativ nah an einem kompletten Lagebild dran sind?

FLOSDORFF: Zur ersten Frage: Ich weiß nicht, ob er diesen Vorgang bzw. diesen aus seiner Sicht missliebigen Vorfall gemeldet hat, also ob er damit an die Bundeswehr herangetreten ist oder ob das jetzt neu ist. Ich traue mir nicht zu, hier aufgrund dieser Angaben, die ich jetzt auch der Presse entnehme, irgendwelche Einschätzungen zu treffen. Es wird sicherlich immer ernst genommen, wenn Bundestagsabgeordnete eigene Erfahrungen haben, die sie hier beisteuern können. Dass an diesem Standort grundsätzlich etwas mit der Führung im Argen liegt, hat ja auch zu der Konsequenz geführt, dass in der letzten Woche beschlossen worden ist, auch die Spitze des Kommandos, den Kommandeur, an einen anderen Posten zu versetzen, um dem Standort einen Neuanfang zu ermöglichen und weitere Ermittlungen zu erleichtern lassen Sie es mich einmal so ausdrücken , sodass dort auch jeder sehen kann, dass es eine neue Führung an diesem Standort gibt, und sich dann vielleicht auch andere dazu ermuntert fühlen, ihre Erfahrungen und ihre Erkenntnisse heranzutragen.

Das führt auch zu Ihrer zweiten Frage: Ich kann es Ihnen jetzt nicht sagen, ich weiß es nicht. Wir hoffen, dass sich dadurch, dass das mittlerweile auch öffentlich geworden ist die Konsequenzen sind ja teilweise schon im Sommer letzten Jahres gezogen worden , und durch das Bekanntmachen dieser Konsequenzen, dieser personellen und organisatorischen Veränderungen und auch der klaren ethischen Bewertung dieser Vorgänge auch andere ermuntert fühlen, sich mit ihren Beschwerden zu melden. Es gibt ja unterschiedlichste Formen, das zu tun und es ist auch gut, dass die Soldatinnen und Soldaten das wissen : Man kann sich an den Generalinspekteur wenden, man kann sich an den Wehrbeauftragten wenden, man kann sich an die Ministerin wenden, wenn man den Eindruck hat, dass die Vorgesetzten Beschwerden nicht ernst genug nehmen. Es ist gut, wenn die Soldatinnen und Soldaten davon Gebrauch machen.

FRAGE STEINER: An Herrn Seibert: Die Kanzlerin wird sich mit Herrn Erdoðan in absehbarer Zeit noch einmal treffen bzw. in die Türkei reisen. Ich würde gern wissen, wie Sie die aktuellen Äußerungen aus der Türkei zum Thema des Flüchtlingsabkommens und der Frage der Verknüpfung mit Asylanträgen momentan bewerten und ob das irgendetwas an der Grundlage für die Gespräche ändert.

STS SEIBERT: Zunächst einmal: Sie haben recht, die Bundeskanzlerin wird, wie angekündigt, am 2. Februar in die Türkei fliegen, und zwar nach Ankara zu einem Arbeitsbesuch. Das Programm dieses Türkei-Besuchs der Bundeskanzlerin wird derzeit mit der türkischen Seite noch erarbeitet. Deswegen kann ich heute noch keine weiteren Einzelheiten nennen.

Zu der Frage der Asylanträge türkischer Staatsbürger und ehemaliger Militärs hier in Deutschland hat das Innenministerium am Wochenende schon sehr klar gesagt, dass das für uns keine politische Frage ist, sondern eine Frage, bei der entsprechend den Regelungen des deutschen Asylrechts Einzelfall für Einzelfall von der zuständigen Behörde geprüft werden wird.

ZUSATZFRAGE STEINER: Herr Dimroth, vielleicht können Sie es konkretisieren. Wie viele Fälle von Asylsuchenden dieser Art aus der Türkei können Sie momentan tatsächlich verzeichnen? Haben Sie aktuelle Zahlen für uns?

DR. DIMROTH: Dann müsste ich zunächst gegenfragen und Sie zu konkretisieren bitten, was Sie mit Asylsuchenden „dieser Art“ meinen.

ZUSATZ STEINER: Türkische Militärangehörige oder Personen aus dem diplomatischen Korps oder Vergleichbares.

DR. DIMROTH: Nein, das kann ich nicht. Ich kann Ihnen sagen, dass wir im Jahr 2016 tatsächlich eine Zunahme von Antragstellungen aus der Türkei zu verzeichnen haben, und zwar durchaus eine bemerkenswerte. Wir hatten im Jahr 2015 insgesamt etwas mehr als 1700 Anträge und im Jahr 2016 etwas mehr als 5700. Das ist schon eine bemerkenswerte Zunahme.

Aber wir erfassen nicht statistisch beispielsweise die Berufszugehörigkeit, sondern dafür gibt es eine Art von Selbstangabemöglichkeit, die aber sehr unspezifisch ist. Wir erfassen auch sonst nicht statistisch beispielsweise die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe aus einem Herkunftsstaat, sodass ich Ihnen dazu keine festen Zahlen nennen kann.

Neben dem, was Herr Seibert gerade richtigerweise gesagt hat, was die Entscheidungspraxis betrifft, würden wir zu Einzelfällen aus datenschutzrechtlichen Gründen ohnehin nicht sprechen können. Insofern bitte ich dafür um Verständnis.

Die Zahlen haben im vergangenen Jahr zugenommen; das ist so. Es ist auch so, dass jeden Monat Entscheidungen produziert und auf der Webseite des BAMF in den Asylgeschäftsstatistiken auch veröffentlicht werden. Das lässt sich also nachlesen. Das ist für uns, insbesondere für das Bundesamt, wenn man so will, „business as usual“. Es gibt Anträge. Deren Zahl hat im vergangenen Jahr etwas zugenommen. Über diese Anträge wird auf Grundlage der geltenden rechtlichen Vorgaben entschieden. Mehr gibt es dazu eigentlich nicht zu sagen.

FRAGE JUNG: Herr Seibert, es ist ja nicht das erste Mal, dass die Kanzlerin vor einer wichtigen Wahl in der Türkei in die Türkei reist. Beim letzten Mal war es so, dass Herr Erdoðan seine Botschaft herausposaunt hat, dass der Besuch der Kanzlerin bedeutet, dass die Kanzlerin den Plan Herrn Erdoðans unterstützt. Dasselbe ist jetzt auch wieder zu befürchten. Ich schätze die Bundesregierung als nicht so doof ein, dass sie diese Bedeutung nicht kennen würde.

Fordert die türkische Seite ein, dass die Kanzlerin vor solchen Terminen ins Land reist?

STS SEIBERT: Ich bitte Sie! Das sind doch groteske Vorstellungen, wie Reisepläne einer Bundeskanzlerin oder eines Mitglieds der Bundesregierung zustande kommen.

Diese Reise, dieser Arbeitsbesuch findet statt, weil es nach unserer Überzeugung wichtig ist, mit der Türkei, einem NATO-Partner, einem sehr wichtigen Nachbarstaat der Europäischen Union, in kontinuierlichem Kontakt zu bleiben. Gerade in diesen Zeiten, in denen wir über die syrische Lage sprechen müssen, in denen es Grund gibt, über bilaterale Fragen zu sprechen, über Beziehungen der Türkei zu Europa in diesen Tagen ist es wichtig, das Gespräch zu suchen.

Jeder Gedanke, dass damit irgendeine Positionierung der Bundeskanzlerin bei dem anstehenden türkischen Verfassungsreferendum verbunden wäre, ist absurd. Ich kann ihn mit einem ganz klaren Nein beantworten. Solche Erwägungen sind der Bundeskanzlerin fremd.

ZUSATZFRAGE JUNG: Es geht ja oft auch darum, einen Eindruck zu vermeiden. Warum versuchen Sie erst gar nicht, diesen Eindruck zu vermeiden? Warum also warten Sie nicht, bis die Wahl gelaufen ist, oder warum treffen sie sich nicht an einem neutralen Ort? Oder planen Sie womöglich, diesen Termin, diesen Besuch ohne Tamtam zu machen, also ohne Kameras, damit Herr Erdoðan das nicht ausnutzen kann?

STS SEIBERT: Ich möchte sehen, wie Sie reagieren würden, wenn wir einen Besuch ohne Kameras und journalistische Begleitung machen würden. Ich wäre sehr interessiert, dann Ihre Haltung dazu zu erfahren.

Also: Ich habe jetzt zu dem Zeitpunkt des Besuches das gesagt, was zu sagen ist.

FRAGE KRAUSS: Herr Flosdorff, hat das Verteidigungsministerium eigene Kenntnisse inoffizieller oder offizieller Art über türkische Militärangehörige, die in Deutschland Asyl suchen könnten? Ist das ein Thema bei Militärkooperationen, die bereits laufen?

FLOSDORFF: Die erste Frage kann ich bejahen. In der Zeit, nachdem der Militärputsch stattgefunden hat, gab es informelle Meldungen darüber, dass türkische Militärangehörige, die mit Bundeswehrsoldaten zusammenarbeiten, sei es bei der NATO, sei es in multilateralen Konstellationen, einen Asylantrag stellen. Das ist aber nichts, was man uns unbedingt melden muss, sondern das ist nur das, was wir gelegentlich von den Ebenen, die das mitbekommen haben, zur Kenntnis bekommen haben.

ZUSATZFRAGE KRAUSS: Aber Sie haben nicht mitgezählt?

FLOSDORFF: Nein. Ich kann Ihnen auch nicht sagen Es werden ja keine Asylanträge beim Verteidigungsministerium oder bei der Bundeswehr gestellt, sondern das machen sie ja bei den dafür zuständigen kommunalen Behörden. Insofern kann ich Ihnen dazu kein Schaubild geben.

FRAGE: Einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung zufolge wird der Mindestlohn teilweise vehement unterschritten. Meiner Information zufolge wäre eigentlich der Zoll dafür zuständig, das zu kontrollieren.

Zwei Fragen dazu an das Finanzministerium: Wie kann das passieren, und, zweitens, was soll jetzt geschehen?

An das Arbeitsministerium die Frage, was es davon hält, dass der Zoll dabei offenbar nicht hinterherkommt.

DR. WEISSGERBER: Vielen Dank für die Frage. Es ist tatsächlich so, dass die Finanzkontrolle Schwarzarbeit als Teil der Zollverwaltung zuständig ist für die Einhaltung der Mindestlohnpflichten, und zwar in allen Branchen und Branchenbereichen. Die FKS, wie die Finanzkontrolle Schwarzarbeit abgekürzt heißt, prüft risikoorientiert. Das heißt, es erfolgt eine risikoorientierte Auswahl der zu prüfenden Sachverhalte, bei der einzelne oder mehrere Risikokriterien, zum Beispiel branchenspezifische Erkenntnisse, ausschlaggebend sein können. Die Beschäftigungsstruktur der jeweiligen Branche wie beispielsweise der Anteil der geringfügig Beschäftigten oder die Lohnhöhen sind Bestandteil der Risikobewertung.

Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Zollverwaltung hat im Haushaltsjahr 2017 7211 Stellen zur Verfügung. Für die Verstärkung der Kontrollen des Mindestlohns sind für die Finanzkontrolle Schwarzarbeit insgesamt 1600 neue Stellen vorgesehen. Diese werden seit 2015 über einen Zeitraum von fünf Jahren sukzessive durch zolleigene Nachwuchskräfte zugeführt.

So weit zu Ihrer Frage.

STELTEN: Ich kann zur Studie gern ergänzen. Zunächst einmal sind Befragungen wie die, auf der die WSI-Studie beruht, immer mit Unschärfen und Messungenauigkeiten verbunden. Beispielsweise kann nur schwer berücksichtigt werden, dass bestimmte Entgeltbestandteile auf den Mindestlohn angerechnet werden können. Auch sind die Monats- und Arbeitszeitangaben der Befragten, aus denen der Stundenlohn berechnet wird, nicht immer präzise, vor allem nicht bei unsteten Beschäftigungsverhältnissen.

Wir kennen andere Studien, die zum Teil auf größeren Datenquellen basieren und die Aussagen des WSI in dieser Form nicht belegen. Auch hat das Statistische Bundesamt ermittelt, dass gerade die Stundenlöhne von geringfügig Beschäftigten 2015 überdurchschnittlich stark gestiegen sind.

Gleichwohl können natürlich Verstöße gegen das Mindestlohngesetz nicht ausgeschlossen werden. Dessen waren wir uns vor allem bei Minijobs immer bewusst. Deswegen haben wir im Mindestlohngesetz eine Dokumentationspflicht für geringfügige Beschäftigung eingeführt. Dies erleichtert auch die Kontrollen durch die FKS erheblich.

Ansonsten kann ich zur Bilanz zum Mindestlohn allgemein noch ergänzen, dass sich die Einführung des Mindestlohns als großer Erfolg gezeigt hat. Die Löhne sind 2015 überdurchschnittlich stark gestiegen. Die durchschnittliche Lohnerhöhung betrug 18 Prozent. Davon haben insbesondere Frauen und Beschäftigte in Branchen mit niedriger Entlohnung, insbesondere im Einzelhandel, in der Hotellerie bzw. im Tourismusbereich und in der Gastronomie, profitiert. Die Zahl der Minijobs ist deutlich gesunken. Dabei sind aus rund 100 000 geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse geworden. Das waren im Übergang 2015 doppelt so viele wie üblich.

FRAGE: Ich habe nur eine kurze Nachfrage. Die Studie spricht davon, dass fast die Hälfte der Minijobber keinen Mindestlohn bekommt. Haben Sie genaue Zahlen?

STELTEN: Uns sind die genauen Methoden der Studie nicht bekannt. Das müssten wir erst einmal überprüfen. Ich kann zu den Zahlen konkret jetzt nichts sagen.

FRAGE JENNEN: Herr Seibert, die Bundeskanzlerin reist nach Stockholm. Das Parlament hat schon Ende vergangenen Jahres eine Resolution verabschiedet, wonach die Schiedsgerichtsverfahren gegen die Bundesregierung zum Atomkompromiss, insbesondere das ausstehende Vattenfall-Verfahren, eingestellt werden sollen und sich die Bundesregierung dafür einsetzen sollte. Wird das Thema von der Bundeskanzlerin im Gespräch mit dem schwedischen Ministerpräsidenten angesprochen?

STS SEIBERT: Das ein bilateraler Besuch in Schweden, bei dem es zunächst einmal den Programmpunkt einer Begegnung mit dem König und der Königin gibt, dann natürlich ein Arbeitsmittagessen mit Ministerpräsident Löfven. Ich kann Ihnen hier nicht vorgeben, was die Themen dort sein mögen. Da es anschließend einen gemeinsamen Besuch im Deutsch-Schwedischen Technologieforum gibt, kann man davon ausgehen, dass Fragen der Wirtschafts- und Innovationspolitik eine gewisse Rolle spielen werden. Darüber hinaus kann ich es hier nicht sagen. Wir werden es abwarten. Es gibt eine Pressekonferenz gemeinsam mit dem Premierminister. Schauen wir, was dort aus dem Gespräch berichtet wird.

ZUSATZFRAGE JENNEN: Der Bundestag hat die Bundesregierung explizit aufgefordert, in dieser Sache aktiv zu werden. Insofern: Wird die Bundeskanzlerin das ansprechen?

STS SEIBERT: Ich werde Ihnen dazu eine Antwort nachreichen müssen.

FRAGE HELLER: Eine Frage an Frau Alemany und vielleicht auch an Sie, Herr Seibert: Nach neuen Berechnungen des ifo Instituts ist für Deutschland im vergangenen Jahr der Leistungsbilanzüberschuss erneut gestiegen. Deutschland ist jetzt das Land mit dem größten Überschuss in der Welt und hat China überholt. Zugleich sind die USA mit großem Volumen das größte Defizitland, das es in der Welt gibt.

Muss die Bundesrepublik angesichts dieses seit Jahren bestehenden Ungleichgewichts ihr Wirtschaftsmodell, ihr Geschäftsmodell in irgendeiner Weise ändern, gerade mit Blick auf den neuen US-Präsidenten, der das ja auch im Visier hat?

Wie sehen die Aussichten in der Zukunft aus? Werden wir jedes Jahr immer wieder neue Rekorde zu vermelden haben?

ALEMANY: Sie wissen ja, dass wir uns mit Prognosen über die Zukunft immer sehr zurückhalten. Das möchte ich auch heute nicht anders halten.

Zum Thema Leistungsbilanzüberschuss haben wir auch hier in der Regierungspressekonferenz schon oft gesprochen. Sie wissen, dass die EU-Kommission den deutschen Leistungsbilanzüberschuss regelmäßig überprüft und untersucht. Das Verfahren nennt man Verfahren zur Vermeidung makroökonomischer Ungleichgewichte. Wir nehmen in der Regel im Jahreswirtschaftsbericht, der ja vor Kurzem wieder vorgestellt wurde, ausführlich dazu Stellung. Das ist auch nachlesbar.

Insgesamt kann ich Ihnen sagen das ist aber auch keine neue Erkenntnis , dass die Bundesregierung die Auffassung der EU-Kommission teilt, dass der deutsche Leistungsbilanzüberschuss als hoch einzustufen ist. Sie ist aber der Auffassung, dass er kein übermäßiges Ungleichgewicht darstellt. Zudem ist der Leistungsbilanzüberschuss keine wirtschaftspolitische Steuerungsgröße, sondern Ergebnis von marktbestimmten Angebots- und Nachfrageentwicklungen, sodass politische Maßnahmen nur wenig Einfluss darauf haben. Es geht dabei vor allem um Investitionen, Vermögenseinkommen usw.

Insgesamt lässt sich in der Entwicklung des deutschen Leistungsbilanzüberschusses verzeichnen, dass er zunehmend gegenüber Handelspartnern außerhalb der Eurozone besteht. Denn gegenüber der Eurozone hat sich der deutsche Leistungsbilanzüberschuss halbiert, zum Beispiel von 4 Prozent des BIP im Vergleichsjahr 2007 auf nur noch 2 Prozent im Jahr 2015. Daran sehen Sie, dass es einen Abbau außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone gibt.

Allerdings gehen 44 Prozent des deutschen Leistungsbilanzüberschuss auf die Handelsbeziehungen mit den USA und dem UK zurück. Entwicklungen in diesen Staaten können den Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands nachhaltig beeinflussen. Deswegen bleibt auch abzuwarten, wie sich der Regierungswechsel in den Vereinigten Staaten zum Beispiel auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken wird. Auch da ist es noch zu früh, irgendwelche Prognosen abzugeben. Die Zinserwartungen und die daraus resultierenden Konsequenzen für den Wechselkurs können wir als Bundesregierung nicht beeinflussen. Klar ist aber natürlich, dass ein niedriger Wechselkurs zum US-Dollar unsere Produkte im Ausland günstiger macht und somit zumindest tendenziell die Exporte fördert.

Die ifo-Zahlen, die Sie nennen, kann ich nicht bestätigen. Wir können nur auf die Zahlen zurückgreifen, die uns bislang vorliegen. Danach betrug das Leistungsbilanzsaldo im Jahr 2015 252 Milliarden Euro. Für 2016 haben wir noch keine abschließenden Zahlen für das Gesamtjahr, weil die Zahlen für Dezember noch nicht da sind. Das wird im Februar so weit sein. Unsere Prognose für 2016, die Sie auch in unserem Jahreswirtschaftsbericht finden, lautet, dass wir ein Leistungsbilanzsaldo in Höhe von 8,7 Prozent haben werden. Das hat aber, wie gesagt, bis zur Vorlage der finalen Zahlen noch prognostischen Charakter.

Vielleicht ist es wichtig, als Fazit zu ziehen, dass wir im JWB für 2017 einen sinkenden Leistungsbilanzüberschuss prognostizieren. Der Rückgang ist Ergebnis der Verteuerung der Ölimporte, aber auch der starken Binnennachfrage. Wie Sie wissen, können wir diese nur zum Teil durch Maßnahmen beeinflussen, weil es zum Beispiel auch mit der Demografie und der Struktur der Volkswirtschaft zusammenhängt. Die Maßnahmen allerdings, die die Bundesregierung tätigen kann, haben wir ergriffen und werden das auch weiterhin tun. Ich nenne nur beispielhaft die Stichworte Mindestlohn, aber auch die Bundeshaushaltsmittel für Investitionen. Wir sind sehr dafür, diese auszubauen.

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