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Merkel, Seehofer & Scholz zum Koalitionsvertrag – BPK vom 12. März 2018

 

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Komplettes BPK-Wortprotokoll vom 12. März 2018:

BK’IN DR. MERKEL: Ich freue mich, dass wir heute bei Ihnen sind, bevor wir in wenigen Minuten gemeinsam mit den Fraktionsvorsitzenden und Generalsekretären der Parteien den Koalitionsvertrag unterzeichnen werden. Wir haben uns für unsere Arbeit sehr viel vorgenommen. Ich denke, alle haben das Gefühl, dass es Zeit ist, endlich mit der Arbeit zu beginnen. Ein neuer Aufbruch für Europa, eine neue Dynamik für Deutschland, ein neuer Zusammenhalt für unser Land, das haben wir uns vorgenommen. Unter diesen Überschriften sind die einzelnen Maßnahmen verborgen.

Diese Regierung beginnt ihre Arbeit nach langer Zeit der Regierungsbildung. Das hat sicherlich auch etwas mit dem Wahlausgang zu tun. Deshalb haben wir versucht, in dem Koalitionsvertrag die Antworten zu finden, die die Menschen bewegen. Wie ich finde, haben wir das auch richtig und gut versucht. Dabei geht es vor allen Dingen darum, dass wir das Wohlstandsversprechen, das die soziale Marktwirtschaft uns immer wieder abverlangt, unter neuen Gegebenheiten in Zeiten der Globalisierung und der Digitalisierung wirklich erneuern können. Das bedeutet konkret: Der Wohlstand unseres Landes muss bei allen Menschen ankommen. Das heißt, wir müssen die Grundlagen dafür schaffen, dass unsere Wirtschaft erfolgreich ist, dass unsere Beschäftigungssituation so bleibt, wie sie ist, dass Menschen in neuen Technologien auch lernen und neue Fähigkeiten erwerben können und dass die Lebensbedingungen in allen Teilen Deutschlands gleichwertig sind. Das ist eine große Aufgabe, da die Probleme in Stadt und Land inzwischen sehr unterschiedlich sind.

Die Menschen wollen einen handlungsfähigen Staat. Das bedeutet, dass wir gerade in Fragen der Sicherheit nicht nur der sozialen Sicherheit, sondern auch der inneren Sicherheit unsere Aufgaben erledigen müssen. Das bedeutet, dass wir gerade in der Frage der Integration von Flüchtlingen, aber auch der Handlungsfähigkeit des Staates da, wo Menschen kein Aufenthaltsrecht in Deutschland haben, zeigen müssen, dass Recht und Gesetz eingehalten werden. Hier liegen große Aufgabenschwerpunkte.

Wenn es um Europa geht, dann merken und spüren wir alle, dass viele der großen Probleme der Menschheit, angefangen beim Klimaschutz bis hin zu einem fairen Handel und auch zur Bekämpfung von Fluchtursachen, nicht von einem Land allein erledigt werden können, auch nicht von einem so großen Land wie Deutschland, sondern dass wir dafür Europa brauchen, ein Europa, das die gleichen Werte teilt und das gemeinsam agiert, gerade auch nach außen. Dafür werden wir als Bundesrepublik Deutschland unseren Beitrag leisten, sowohl wenn es um die Stabilisierung unserer Währung, des Euros, geht, als auch wenn es um die Frage der gemeinsamen Verteidigungsanstrengungen auch innerhalb des Bündnisses der NATO, aber auch als europäische Verteidigungskomponente, um den Schutz unserer Außengrenzen und vor allen Dingen auch unserer außenpolitischen Aktivitäten im Blick auf das transatlantische Bündnis, aber auch im Blick auf die Fragen des Verhältnisses zu Russland, zu China und zu anderen Regionen der Welt geht.

Vor uns liegt also sehr viel Arbeit. Ich habe den Eindruck, dass wir uns in den Verhandlungen fest vorgenommen haben, diese Arbeit auch zu erledigen. Das schließt nicht aus, dass wir auch vor neue Herausforderungen gestellt werden. Die jüngsten Entwicklungen zum Beispiel im Handel zeigen das ja schon. Das hatten wir uns in der Koalitionsvereinbarung noch nicht vorgestellt. Darauf werden wir antworten müssen. Aber ich bin optimistisch, dass das auch gelingt.

BGM SCHOLZ: Regieren war und ist für die SPD nie Selbstzweck. Die Übernahme von Regierungsverantwortung muss immer gut begründet werden. Sie begründet sich für die Sozialdemokratische Partei aus dem Willen, das Leben der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes besser zu machen und dafür zu sorgen, dass es in unserem Land sozial gerechter zugeht, Schritt für Schritt, Tag für Tag, und genau das tun wir.

Wir unterschreiben heute einen Koalitionsvertrag, der unser Land und unsere Gesellschaft und der Europa in den kommenden Jahren voranbringen wird. Darum, dass das gelingt, haben wir in den vergangenen Monaten mit der CDU und der CSU hart gerungen. Für das Ergebnis hat die Führung der SPD bei den Mitgliedern geworben, mit Erfolg. Wir werden nun mit der gebotenen Ernsthaftigkeit, mit der notwendigen konstruktiven Haltung und dem nötigen Optimismus an die Arbeit in der Regierung gehen. Ich denke, es ist sehr gut, dass damit eine Phase der Verunsicherung ein Ende findet, die sich durch die lange Zeit der Regierungsbildung in diesem Land herausgebildet hat.

Trotz der zahlreichen nationalen und internationalen Herausforderungen das muss auch gesagt werden steht unser Land ganz gut da. Wir sind eine starke Demokratie mit einer lebendigen Gesellschaft, einer starken Wirtschaft und einem sehr entwickelten Sozialstaat. Darauf können wir stolz sein. Wir haben deshalb allen Grund, mit Zuversicht in die Zukunft zu schauen.

Zwei große Herausforderungen sind vor allem zu beachten. Die eine und das aus meiner Sicht wichtigste nationale Anliegen ist die Weiterentwicklung der Europäischen Union. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass das Projekt in diesen nächsten Jahren so vorangetrieben werden kann, dass die politische Zukunft von Demokratie und Marktwirtschaft in Europa damit gesichert werden kann. In einer schwieriger werdenden Welt über Zollpolitik hat die Kanzlerin eben schon gesprochen ist es unbedingt notwendig, dass die Europäer zusammenhalten und für sich Wege und Methoden entwickeln, wie sie ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen und selbst gestalten können.

Die zweite große Frage bewegt viele Bürgerinnen und Bürger sehr stark. Sie kommt in vielen Schlagworten der politischen Debatte immer wieder vor, aber sie verhandelt tatsächlich ein sehr ernsthaftes Thema, nämlich die Frage, wie wir übrigens mitten in einem Wirtschaftsboom damit umgehen, dass ein größerer Teil der Bürgerinnen und Bürger unsicher ist, ob die gute Entwicklung für sie und ihresgleichen in zehn oder 15 Jahren noch anhält. Wir reden auch in diesem Koalitionsvertrag richtigerweise über Digitalisierung und darüber, wie wir dafür Sorge tragen, dass Deutschland in dieser Entwicklung vorn steht. Aber das ist ja nur die eine Seite. Die andere Seite ist die Frage, wie wir sicherstellen können, dass diese Veränderungen trotzdem sichere und gute Arbeitsplätze für jeden in diesem Lande möglich machen. Das wird eine der großen Aufgaben sein, die auch in diesem Koalitionsvertrag und vor allem in dieser Regierungstätigkeit zu lösen sind.

Politik unterscheidet sich von Wissenschaft und Journalismus in einem zentralen Punkt. Wir können uns nicht damit begnügen, die Realitäten zu beschreiben und zu analysieren. Als Politikerinnen und Politiker gleich welcher Couleur ist es unsere Aufgabe, zu handeln. Wir müssen Lösungen finden, Entscheidungen treffen, die Zukunft gestalten, mitunter in Situationen, in denen nicht alle Informationen verfügbar sind, mitunter in Abstimmung mit Partnern, die von anderen Motiven geleitet sind. Warum sage ich das hier und heute? Weil ich den Eindruck habe, dass es gut ist, an diese ganz besondere Aufgabe der Politik zu erinnern. Die vierte Große Koalition in Deutschland ist nicht von Anfang an als Liebesheirat losgegangen. Aber CDU, CSU und SPD sind, obwohl sie grundverschiedene Parteien sind und bleiben werden, trotzdem in der Lage, konstruktiv miteinander zusammenzuarbeiten und ordentlich zu regieren. Das ist die Aufgabe, die wir haben, und die werden wir auch erfüllen.

MP SEEHOFER: Meine Damen und Herren, wir sind mit dem Koalitionsvertrag sehr zufrieden. Die Reaktion unserer Anhänger und Mitglieder in den letzten Tagen war ausnahmslos positiv. Wir bilden jetzt eine Große Koalition das ist ein sehr starker Kern dieses Koalitionsvertrags für die kleinen Leute das ist übrigens die breite Mitte unserer Gesellschaft , also für die ganz große Mehrheit der Gesellschaft. Ich nenne nur die Stichworte Arbeitsplatzsicherheit mit dem Versprechen der Vollbeschäftigung, Grundrente, Mütterrente, Stabilisierung des Rentenniveaus wie der Rentenversicherungsbeiträge, Erhöhung der Familienleistungen, Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule, Steuerentlastung bei den kleineren und mittleren Einkommen 90 Prozent der Steuerpflichtigen werden durch die vorgesehene Abschaffung beim Soli entlastet , ein nationaler Kraftakt für die Bildung, Bildung als Tor zum Leben für die jungen Leute, Verbesserung der Erwerbsminderungsrente, ein gigantisches Sofortprogramm für Pflege allein 8000 neue Pflegestellen und bessere Bezahlungen in der Pflege in diesem Jahr , umfangreiche Verbesserung der Gesundheitsversorgung insbesondere für den ländlichen Raum und nicht zuletzt eine Wohnraumoffensive für mehr bezahlbaren Wohnraum. Ich habe etliche Koalitionsverträge mit verhandelt und kann mich nicht erinnern, dass es jemals einen Koalitionsvertrag gab, der die soziale Dimension in unserem Lande in dieser Breite abgebildet hat übrigens auch eine richtige Antwort auf das Wahlergebnis am 24. September.

Ich sehe auch, dass auf uns eine Menge Arbeit wartet. Wir als CSU werden besonderen Wert darauf legen aber dabei haben wir keinen Unterschied , dass wir bei der Arbeit Tempo machen. Wir haben einige Monate geredet, gewartet, verhandelt. Jetzt erwartet, denke ich, die Bevölkerung mit Recht, dass wir ein hohes Tempo bei der Umsetzung dieses Koalitionsvertrages vorlegen. Deshalb gehen wir ab Mittwoch, Donnerstag mit aller Kraft und mit aller Dynamik vor. Ich denke, das ist auch das beste Mittel, um wieder das notwendige Vertrauen in der Bevölkerung herzustellen. Vertrauen durch Leistung, das ist, denke ich, das einzige Mittel bei der Debatte, die wir im Lande haben.

Insgesamt sind wir also in jeder Beziehung das ist bei Bayern nicht so selbstverständlich sehr, sehr zufrieden.

FRAGE DR. STURM: Frau Merkel, begrüßen Sie, dass Ihnen der Koalitionsvertrag in der Europapolitik maßgeblich auf Betreiben der SPD mehr Handlungsspielraum eröffnet als bisher das Regieren mit Herrn Schäuble? Stichworte: Eurozonenbudget, Milliarden gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa und Schuldenvergemeinschaftung.

BK’IN DR. MERKEL: Ich habe auch in der Vergangenheit den Eindruck gehabt, dass ich den Spielraum habe, den ich für eine vernünftige Europapolitik brauche. Die vergangenen vier Jahre sind ja auch in einer Großen Koalition abgelaufen, und auch da haben wir uns sehr eng abgestimmt. Aber die Dinge entwickeln sich weiter. Nachdem wir jetzt sagen können, dass die Eurokrisensituation, die wirklich akute Krise, überwunden ist, nachdem alle Mitgliedsstaaten des Euroraums wieder Wachstum aufweisen, nachdem überall die Beschäftigung zunimmt, geht es jetzt darum, den Euroraum nachhaltig zu stabilisieren. Da gibt es überhaupt keine Unterschiede, was die Frage der Bankenunion oder der Kapitalmarktunion anbelangt. Es gibt neue Vorstellungen, wie man weiter vorangehen kann.

Was ein Investitionsbudget anbelangt, hatte ich schon sehr früh ich meine 2012 oder 2013 gesagt, dass ich mir so etwas vorstellen könnte. Aber man muss auch sagen, dass die Vorstellungen von Finnland bis Frankreich, Italien, Irland, Deutschland noch nicht so ausgearbeitet sind. Darüber, was genau wir wollen und wie sich das auch zu dem gesamteuropäischen Haushalt verhält, den wir ja auch neu aufstellen müssen, müssen wir sprechen. Mit diesen Fragen werden wir uns sehr früh und sehr rechtzeitig beschäftigen müssen.

Dann gibt es das zweite große Thema für Europa, das aus meiner Sicht genauso gelöst werden muss. Das ist die gemeinsame Lösung der Migrationsproblematik. Seit Langem genießen wir alle miteinander den Schengen-Raum, die Tatsache, dass wir uns frei bewegen können. Aber bei Einführung dieser Freizügigkeit hat man nicht ausreichend an den Außengrenzschutz gedacht. Das muss jetzt getan werden, genauso wie eine neue Form der Entwicklungspolitik, die wirklich Ursachen von Flucht und Migration bekämpft.

Was die Jugendarbeitslosigkeit anbelangt, haben wir ein Budget von 7 Millionen Euro zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa gehabt. Das Geld ist jetzt mehr oder weniger aufgebraucht. Da brauchen wir neue Initiativen, dem stimme ich zu.

Ich würde also sagen, das Europakapitel trägt die Handschrift aller Partner, auch der CSU. Im Übrigen gibt es ein klares Plädoyer dafür, dass es den Stabilitäts- und Wachstumspakt gibt, dass es keine Schuldenvergemeinschaftung gibt, sondern dass das Prinzip gilt, dass die Haftung dort liegt, wo auch die Aktion der jeweiligen Länder möglich ist. Wir haben trotzdem ein gemeinsames Interesse daran, dass der Euroraum als ganzer stabil bleibt. Das führt dann eben auch zu Bankenunion, Kapitalmarktunion und anderen Vorhaben.

FRAGE JORDANS: Sie haben, Frau Merkel, nach der Wahl zu dem Ergebnis gesagt: Ich sehe nicht, was wir anders machen sollten. Gilt das auch für die neue Bundesregierung?

Herr Seehofer, ich würde Sie in Ihrer neuen Funktion als Innenminister gern fragen: Der Vorsitzende im Rechtsausschuss, ein AfD-Mitglied, behauptete, in Ostdeutschland einige Mitglieder des Verfassungsschutzes zu kennen, die kurz vor dem Eintritt in seine Partei stünden. Steht eine Mitgliedschaft in der AfD einer Arbeit im Verfassungsschutz irgendwie im Wege?

BK’IN DR. MERKEL: Ich empfehle, noch einmal die ganze Pressekonferenz nach der Wahl nachzulesen. Darin habe ich Licht und Schatten dieses Wahlergebnisses aufgezeigt. Auf der einen Seite hat die Union einen klaren Auftrag erhalten, eine Regierung zu bilden. Auf der anderen Seite waren wir alles andere als zufrieden mit diesem Wahlergebnis. Der Koalitionsvertrag spiegelt wider, was wir aus dem Wahlergebnis gelernt zu haben glauben und welche Aufgaben daraus erwachsen. Das hat uns alle ich denke, das darf ich sagen geprägt, als wir diesen Koalitionsvertrag ausgearbeitet haben.

MP SEEHOFER: Ich habe zwei Grundprinzipien, erstens, personelle Entscheidungen erst zu treffen, wenn man Minister ist und nicht nur einen Koalitionsvertrag unterzeichnet hat, zweitens, Fragen der Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu allererst mit den Fachleuten im Ministerium, mit den nachgeordneten Behörden und natürlich auch mit der Kanzlerin zu besprechen und mir erst dann ein Urteil zu bilden.

FRAGE JOLKVER: Frau Bundeskanzlerin, eine Frage zur Russlandpolitik: Im Koalitionsvertrag steht: „Bei Umsetzung der Minsker Vereinbarungen sind wir zu einem Abbau der Sanktionen bereit“. Wären Sie auch zu einem schrittweisen Abbau der Sanktionen bereit, zum Beispiel im Zuge der Verwirklichung der Blauhelmmission für den Osten der Ukraine?

Eine zweite kurze Frage: Sie schicken angeblich Bier, Radeberger Pilsner, an den russischen Präsidenten. Zumindest behauptet er das in seinem Interview gestern. Mich würde interessieren, ob Sie als Gegenleistung auch etwas aus Moskau bekommen.

BK’IN DR. MERKEL: Erst einmal zu den Minsker Vereinbarungen: Ich warte schon seit Abschluss der Minsker Vereinbarungen auf den Tag, an dem wir wenigstens einen Waffenstillstand das ist der erste Punkt in den Minsker Vereinbarungen über zehn Tage schlüssig verwirklicht haben. Glücklicherweise gibt es dazu immer wieder Anläufe. Aber dass es wirklich zu hundert Prozent umgesetzt wird, haben wir leider noch nicht gesehen. Deshalb wäre es mir recht, wenn wir erst einmal ein paar Schritte hätten. Dann könnten wir auch über die Frage von Sanktionen reden. Aber es müssen eben qualitativ wichtige Schritte sein. Über die Blauhelmmission, die ja im Grundsatz von beiden Seiten, von der Ukraine und von Russland, befürwortet wird, wird schon seit Monaten im UN-Sicherheitsrat verhandelt, ohne dass es zu einem Ergebnis gekommen ist. Ich setze darauf, dass wir auch gerade nach der Wahl in Russland am kommenden Sonntag wieder zu einem Modus kommen, in dem wir noch einmal einen richtigen Anlauf machen und schauen können, ob wir in dem Minsker Prozess qualitativ ein Stück vorankommen.

Zweitens. Es ist bekannt, dass der russische Präsident gern deutsches Bier trinkt. Manchmal ergibt sich die Möglichkeit, dass man sich austauscht. Ich habe schon einmal sehr guten Räucherfisch bekommen.

FRAGE WONKA: Frau Merkel, wie würden Sie einem Außenstehenden das Erneuerungspotenzial beschreiben, das Sie von Herrn Seehofer an Ihrer Seite im Kabinett erwarten?

Planen Sie, nachdem der Vertrag unterschrieben worden ist und falls Sie gewählt werden, ein 100-Tage-Programm zum Nachweis Ihrer Handlungsentschlossenheit? Ist mit der SPD und der CSU schon Übereinstimmung darüber erzielt worden, was darin die zehn oder sieben oder 28 wichtigsten Punkte sind, an denen man nach hundert Tagen messen kann, ob sie etwas taugen oder nicht?

BK’IN DR. MERKEL: Wir wollen sehr zügig mit der Arbeit beginnen und werden deshalb jetzt nicht noch einmal die nächsten zehn Tage mit der Erarbeitung eines 100-Tage-Programms verbringen. Vielmehr werden wir, glaube ich wir haben das noch nicht genau abgestimmt , relativ zügig eine Klausurtagung des Kabinetts durchführen, wo wir uns dann unser Arbeitsprogramm für die nächsten Monate machen. Der Koalitionsvertrag ist reich an Aufforderungen zum Handeln, und das muss man dann auch ein bisschen ordnen. Das werden wir relativ schnell machen.

Horst Seehofer kommt jetzt in die Regierung, nachdem er fast zehn Jahre lang, glaube ich, Ministerpräsident in Bayern gewesen ist. Ich glaube, dass er eine sehr eigenständige Erfahrung aus dieser Arbeit mitbringt, die für viele Themen, die hier zu realisieren sind, von größter Bedeutung ist; denn fast keines der Themen im Zusammenhang mit innerer Sicherheit, mit Integration, mit der Frage der Bekämpfung von Fluchtursachen, mit der Terrorbekämpfung kann der Bund alleine lösen. Gerade deshalb wurde das Ministerium auch ergänzt um die Themen Zusammenhalt der Gesellschaft, um Heimat, Bauen und Wohnen, denn das sind alles Themen, die eine Kooperation von Bund und Länder vorsehen. Wir haben uns eine Vielzahl von Projekten vorgenommen, in denen der Bund alleine gar nichts erreichen kann. Die Tatsache, dass sowohl der zukünftige Vizekanzler als auch Horst Seehofer Ländererfahrung mitbringen, kann diesem Projekt nur dienen.

ZUSATZFRAGE WONKA: Dann sind beide Ihre Traumpartner? Man sieht das nicht so, wenn Sie so eher griesgrämig nebeneinandersitzen.

BK’IN DR. MERKEL: Es sind gute Partner für die Arbeit, die jetzt ansteht, und wir sind schon voller Konzentration auf diese Arbeit und auf Ihre Fragen. Wir können aber auch gerne freundlich gucken; es fällt mir nicht schwer.

FRAGE VATES: Ich würde gerne nach dem Stichwort „Aufbruch und Erneuerung“ fragen. „Aufbruch“ stand ja über Ihrem Koalitionsvertrag, und alle drei Parteien haben in der Diskussion um den Koalitionsvertrag immer angeführt, ein Weiter so dürfe es nicht geben. Was sind jetzt genau die Projekte, die dafür stehen? Gibt es Symbolprojekte, von denen Sie sagen: Daran kann man das festmachen? Denn Sie drei sind nun einmal altbekannte Gesichter, daran kann man es also noch nicht so festmachen.

An die beiden Herren: Ihre Parteien haben ja beide eine Doppelspitze. Herr Seehofer, Sie sind hier als Parteichef, und zu Hause haben Sie noch einen Spitzenkandidaten für den zukünftigen Ministerpräsident. Sie, Herr Scholz, haben noch einen Parteivorsitzenden und einen Fraktionsvorsitzenden. Wer trifft in Ihren beiden Parteien eigentlich die letztendliche Entscheidung, wenn es darauf ankommt?

BK’IN DR. MERKEL: Wir haben ja versucht, die drei Schwerpunkte zu benennen: Aufbruch für Europa, Dynamik für Deutschland und Zusammenhalt. Damit zeigen sich aus meiner Sicht im Grunde auch Projekte. Wenn ich jetzt wieder drei herausgreifen sollte, dann wäre das nicht ganz einfach. Für mich ist das Thema Sicherung von Beschäftigung mit dem Ziel der Vollbeschäftigung im Jahr 2025 vielleicht eines, das wirklich alles umschreibt, was wir in diesem Land erreichen wollen. Das ist angesichts von riesigen Veränderungen nicht einfach.

Wir haben in der Bundesregierung Umstrukturierungen vorgenommen, das haben Sie gesehen zum Beispiel mit dem Ministerium von Horst Seehofer, aber auch mit dem Versuch, digitale Kompetenzen zu bündeln. Auch im Arbeitsministerium wird es einen Schwerpunkt für die Arbeit 4.0 geben. Wir gehen vollkommen neue Wege, was die Weiterbildung sowohl die berufliche Bildung als auch das lebenslange Lernen anbelangt. Wir werden auch völlig neue Aufgaben in der gesamten Außenpolitik haben Sie sehen alle, wie sich die Welt verändert. Das kann aber immer nur ein Ausschnitt sein, ohne die Bedeutung anderer Projekte jetzt schmälern zu wollen.

Ansonsten sehen Sie ja: In der CDU gibt es zum Beispiel Ursula von der Leyen und mich, ansonsten sind alle anderen Akteure jetzt zum Teil sehr neu im Amt und in Verantwortung. Das wird natürlich auch die Diskussionen verändern, weil sich dadurch auch Sichtweisen verändern. Das Kabinett ist sehr unterschiedlich von dem Kabinett, das wir die letzten vier Jahre hatten. Ich freue mich insofern auf diese Zusammenarbeit, und die wird auch neue Impulse mit sich bringen; das ist vollkommen klar.

BGM SCHOLZ: Ich fange mit der zweiten Frage an: Die Zusammenarbeit zwischen Andrea Nahles und mir ist seit Jahren sehr gut sie wird es in den nächsten Jahren auch bleiben und sehr stabil. Vielleicht ist eine Besonderheit auch, dass wir ein Thema gemeinsam haben, das ich jedenfalls für die Zukunft unseres Landes für sehr zentral halte: Wir beide waren einmal Arbeitsminister bzw. Arbeitsministerin, und wir waren nicht nur eine Zeit lang, sondern auch viele Jahre davor mit den Fragen beschäftigt, die die Arbeitswelt betreffen. Da das für die meisten von uns ein ganz zentraler Abschnitt des Lebens ist, ist die Sorge, die sich viele um diese Zukunft machen, auch ein Thema, das für die SPD und für die künftige Bundesregierung von großer Bedeutung bleiben wird. Wir haben uns fest vorgenommen, an dieser Stelle sowohl die Fortschritte zu erreichen, die in der Regierung möglich sind, als auch über die Zeit dieser Koalition hinaus Perspektiven für das 21. Jahrhundert, für die 20er- und 30er-Jahre zu entwickeln.

Ein Thema wurde schon genannt: Das ist die Frage der Digitalisierung. Ich wiederhole noch einmal, was ich eingangs zu erläutern versucht habe: Aus meiner Sicht geht es dabei nicht nur darum, dass wir es hinbekommen, den technologischen Fortschritt gewissermaßen voll für unser Land möglich zu machen und mitzunehmen, sondern es geht auch darum, dass das nicht bedeutet, dass viele Bürger Angst um ihre eigene berufliche Zukunft haben müssen. Diese Fragen sind noch nicht beantwortet, sonst würde man sich die doch ähnlichen Wahlergebnisse in vielen Ländern, die klassische Industriestaaten sind, nicht erklären können; sonst könnte man sich weder den Brexit noch die Wahl amerikanischer Präsidenten, wie sie stattgefunden hat, erklären. Die Frage, ob wir mehr können als reden und beschreiben, nämlich auch eine Antwort geben, wird zentral sein für die Zukunftshoffnungen der Bürgerinnen und Bürger, und das ist das, was wir gemeinsam zu erreichen versuchen wollen.

Aus unserer Perspektive ist es eine sehr kluge Entscheidung, dass die Partei- und Fraktionsvorsitzende ein eigenes Kraftzentrum zusammen mit der SPD in dieser Regierungskonstellation darstellt; denn sonst würde es nicht gelingen, über das hinaus, was im Alltagsgeschäft des Regierens zu tun ist, Perspektiven zu entwickeln. Diese Perspektiven brauchen wir aber, wenn wir im Wettbewerb mit anderen antreten wollen.

Was die wichtigen Fragen betrifft eine habe ich schon angesprochen : Ich will noch einmal erwähnen, dass es auf diesen Wandel bezogen für uns ganz zentral sein wird, dass wir es möglich machen, dass man, wenn man 46 oder 51 Jahre alt ist, noch einmal beruflich neu starten kann und sich keine Sorge machen muss und darf, wie das geht und ob das geht und ob das wirtschaftlich überhaupt vertretbar ist. Wir können aber nicht einfach hinnehmen, dass es einen so schnellen technischen Wandel gibt, wie wir ihn jetzt erleben, und dann jemandem suggerieren, dass er gewissermaßen irgendwie alleine damit klarkommen muss. Das ist schon unsere gemeinschaftliche Verantwortung, und das wird auch deshalb ein wichtiges, bedeutendes Thema sein für das, was wir hier zu bewerkstelligen haben.

Im Übrigen freue ich mich, dass schon eingangs Horst Seehofer die vielen Dinge, die der SPD wichtig sind, noch einmal aufgezählt hat. Das wird eine gute Regierung.

MP SEEHOFER: Und eine soziale Regierung. Die Zusammenarbeit zwischen Markus Söder und mir wird gut sein; dafür sorgt schon die Größe bzw. die Vielfalt der Aufgaben, die wir in absehbarer Zukunft zu bewältigen haben. Da wissen wir um unsere Verantwortung nicht nur für Bayern, sondern für die ganze Union.

Noch einmal zur Innovation oder zur Erneuerung: Ich weise noch einmal die soziale Dimension dieses Koalitionsvertrages hin. Eine Grundrente in Deutschland: Wenn das keine Neuerung ist! Ein weiteres Beispiel ist der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule. Mir haben unzählige Frauen immer wieder gesagt: In Deutschland haben wir das Problem, dass bis zum Kindergarten die Plätze da sind; dann kommt das Kind in die Grundschule und die Betreuung ist nicht mehr gewährleistet. So könnte man die Beispiele jetzt endlos fortsetzen.

Ich nehme jetzt einmal mein künftiges Ministerium mit der Heimat: Ich habe das Heimatmuseum

(Heiterkeit)

das Heimatministerium in Bayern begründet. Das ist am Anfang immer beschmunzelt und verspottet worden. Es ist jetzt für alle Parteien im Bayerischen Landtag der große Renner, und auch während dieses Landtagswahlkampfes bemächtigen sich alle dieses Themas des Heimatministeriums.

Jetzt haben wir eine Abteilung im Innenministerium mit drei Unterabteilungen; zwei davon sind besonders wichtig. Zum einen ist das die Unterabteilung, die sich mit dem Zusammenhalt der Gesellschaft beschäftigt. Es ist ja eine Erkenntnis aus dem letzten Jahr, dass es eine große Aufgabe sein wird, die Polarisierung in der Gesellschaft zu überwinden und die Menschen wieder zusammenzuführen. Ich habe da vor, dass man so etwas wie ein Wertebündnis schmiedet, in dem man alle gesellschaftlich relevanten Gruppen an den Tisch zusammenbringt, um dieses Ziel gemeinsam zu verfolgen. Daneben gibt es die Unterabteilung, die sich mit gleichwertigen Lebensverhältnisse in allen Regionen Deutschlands beschäftigt. Das Problem unterschiedlicher Lebensverhältnisse gibt es in Ost wie in West. Auch das ist eine hochspannende Aufgabe. Beides ist nur im Dialog mit der Bevölkerung und vor allem im Dialog mit den Bundesländern zu leisten, und da ist der Föderalismus wenn man im Föderalismus eine gewisse Erfahrung hat nicht hinderlich, eher förderlich. So gibt es eine ganze Reihe von Prozessen, die neue Wege gehen und neue Weichenstellungen beinhalten.

FRAGE STEINER: Frau Merkel, Herr Seehofer, Sie haben jetzt mehrfach das Thema Digitalisierung angesprochen, auch Herr Scholz hat es angesprochen. Jetzt ist das ganze Thema ein großes Koordinierungsthema; dessen sind Sie sich ja offensichtlich gewahr. Jetzt hatte ich aber, nachdem Sie, Herr Seehofer, Frau Bär vorgestellt hatten, den Eindruck, dass das Ganze danach von der CDU gleich wieder eingefangen wurde und gesagt wurde: Ja, das macht die Frau Bär, aber das Ganze geschieht unter Helge Braun im Kanzleramt. Da würde ich dann doch ganz gerne verstehen: Wie wollen Sie diese große Koordinierungsaufgabe der Digitalisierung denn jetzt konkret organisieren? Sie ist verstreut über fast alle Ministerien; Herr Scholz hat gerade auch noch einmal seinen Beitrag dazu geleistet, klar zu machen, wie wichtig dabei auch das Arbeitsthema ist. Wie soll es jetzt ganz konkret passieren, dass Sie das zusammen mit der europäischen Ebene und der Länderebene im Kanzleramt so verheiratet bekommen, dass das Ganze auch wirklich vorangeht? Dass der Breitbandausbau Bestandteil vieler der letzten Koalitionsvereinbarungen bisher nicht so funktioniert hat, wie man das vorgesehen hatte, ist ja allgemein bekannt und offensichtlich.

BK’IN DR. MERKEL: Im Kanzleramt gibt es ja auch noch eine Bundeskanzlerin, und die hat glücklicherweise einen Kanzleramtsamtsminister. Dem helfen Staatsminister, und dazu gehört, als Staatsministerin Dorothee Bär bestimmte Aufgaben zu lösen. Der andere Staatsminister in diesem Zusammenhang ist dann erst einmal Herr Hoppenstedt, der die Kontakte zu den Ländern und den Bundestagsfraktionen pflegen wird.

Wenn Sie sich die Regierung jetzt anschauen, dann sehen Sie, dass fast jedes Ministerium eine wichtige digitale Aufgabe hat. Das ist im Innenministerium zum Beispiel das Bürgerportal, das ist im Arbeitsministerium die ganze Frage der Arbeit 4.0, wie wir das nennen, das ist im Verkehrsministerium die Infrastruktur, das sind im Wirtschafts- und Forschungsministerium die Plattformwirtschaft Industrie 4.0 um nur einmal einige Bereiche zu benennen. Wir werden also einen Staatssekretärsausschuss haben, der erst einmal vom Kanzleramtsminister geleitet wird, und wir werden eine Staatsministerin haben, die in diesem Staatssekretärsausschuss natürlich ebenfalls eine zentrale Aufgabe spielen wird. Sie wird darüber hinaus aber auch die Kontakte in die Gesellschaft pflegen, also in die Start-up-Szene, hinsichtlich der Frage der digitalen Bildung usw., und auch da gibt es natürlich wiederum Querschnittsaufgaben.

Wir haben das als Union übrigens auch im Regierungsprogramm so beschrieben. Wir haben gesagt: Wir wollen Staatsminister für Digitalisierungsfragen. Wir wollen einen Digitalisierungsrat, in dem wir Fach- und Sachverstand bündeln dem werde auch ich angehören; ich will ja auch etwas dazulernen und dann die entsprechenden Umsetzungen voranbringen. So wird die Arbeit relativ einfach zu organisieren sein. Das Ganze hängt aber natürlich davon ab, dass in den einzelnen Ministerien die jeweiligen Aufgaben auch erledigt werden.

Der Sinn der Funktion im Kanzleramt besteht im Grunde darin, dass man da, wo sich Konflikte aufbauen, schnell handeln kann, diese Konflikte schnell überwinden kann und dann natürlich auch mit den Ländern sprechen kann. Wir haben regelmäßige Ministerpräsidentenkonferenzen mit den Bundesländern und der Bundesregierung unter meiner Leitung und natürlich der Leitung der jeweiligen MPK-Vorsitzenden. Wenn wir einmal ein so riesiges Projekt wie das Bürgerportal nehmen: Das liest sich so einfach, aber das bedeutet letztendlich, dass jeder Bürger zum Schluss einen und seinen Zugang zu allen Dienstleistungen des Landes hat, das heißt, der kommunalen Ebene, der Landesebene und der Bundesebene. Das wird man nur über all diese Kanäle machen können. Deshalb erfordert das ein hohes Maß an Kooperation, und da ist das Kanzleramt zum Teil sozusagen nichts weiter als der Mediator, der die Sache voranbringt. Wir haben ja selber im Kanzleramt keine exekutive Arbeit; die wird ja in den Ministerien erledigt.

MP SEEHOFER: Ja, genau so ist das.

BGM SCHOLZ: Der große Unterschied soll sein, dass es nicht nur Papiere gibt, sondern auch Taten. Wenn man einmal das Thema Breitbandverkabelung nimmt: Es gibt ja Beschlüsse, an deren Richtigkeit nichts zu kritisieren ist, die schon viele Jahre alt sind. Aber nicht jeder erlebt, dass sich die Kabel gewissermaßen in gleicher Weise wie die Papiere ausgebreitet haben. Das, glaube ich, muss sich ändern. Das muss jetzt alles Realität werden.

FRAGE DR. SCHÄFERS: An alle drei Parteivorsitzenden: Wäre es Ihrer Ansicht nach einmal Zeit, dass ein Deutscher an die Spitze der Europäischen Zentralbank rückt, vielleicht auch, um den Reputationsverlust der EZB in Deutschland, dem bevölkerungsreichsten Mitgliedsland der Eurozone, wieder zu stärken?

BK’IN DR. MERKEL: Wir werden zum gegebenen Zeitpunkt, wenn diese Personalien alle anstehen, darüber reden. Natürlich werden wir für alle Positionen im nächsten Jahr wird es sehr viele Positionen im Zusammenhang mit der Europawahl zu besetzen geben gute Personalangebote haben, aber ich möchte heute noch nicht spekulieren. Unabhängig davon, ob an der Spitze einer europäischen Institution ein Deutscher ist oder kein Deutscher ist, muss die Reputation dieser Institution möglichst gut sein, und dazu kann nicht nur die Spitze dieser Institution beitragen, sondern dazu können alle beitragen.

BGM SCHOLZ: So ist es.

MP SEEHOFER: Für den Fall, dass man so etwas im Kopf haben sollte, wäre es am schlechtesten, wenn man zur Unzeit öffentlich darüber redet.

FRAGE GEERS: Herr Scholz, Sie treten als Finanzminister in die Fußstapfen von Wolfgang Schäuble. Deshalb die Frage: Welche Bedeutung hat für Sie generell das Thema eines ausgeglichenen Haushalts?

Zweitens zu Ihrem künftigen Auftreten in Europa: Herr Schäuble ist in Brüssel, glaube ich, eher als etwas von den anderen EU-Partnern hartleibig aufgenommen worden. Werden Sie da einen anderen Akzent setzen? Wenn ja, welchen?

BGM SCHOLZ: Wir haben uns alle gemeinsam die schwarze Null vorgenommen; die steht auch im Koalitionsvertrag. Das war aber kein Verhandlungserfolg von irgendwem, vielmehr fanden das alle von selber richtig. Ich will Sie auch gern noch einmal daran erinnern, dass wir einen so großen politischen Konsens über diese Fragen haben, dass wir das Grundgesetz geändert haben, um die Frage der Haushaltspolitik da zu regeln. Auch die meisten Länderverfassungen sehen mittlerweile Neuverschuldungsverbote vor. Das ist schon etwas, was wir in Deutschland gemeinsam richtig finden, und ein Finanzminister wird das immer beachten müssen. Das ist unser Ziel, das wir erreichen wollen, und das verfolge ich auch. Ich habe mit Wolfgang Schäuble ziemlich gut zusammengearbeitet. Wir haben große Konsense erzielt, zum Beispiel bei den Bund-Länder-Finanzen. Das zeigt, glaube ich, dass da in den letzten Jahren schon immer eine enge Gesprächskultur bestanden hat.

Was Europa insgesamt betrifft, werden wir natürlich versuchen, den Konsens herzustellen, der notwendig ist. Meine feste Überzeugung ist, dass Deutschland als großes Land mitten in Europa mit einem so großen Sozialprodukt, mit einer so großen Bevölkerung, eine Aufgabe hat, die darin besteht, die Einigkeit mit möglich zu machen. Das ist nicht ganz, weil es viele gibt, die vor ihren nationalen Fernsehkameras auftreten und erst einmal sagen, was sie von den anderen halten und was sie von wem erreichen wollen, und die dann, nachdem sie irgendwelche Konsense in Brüssel geschmiedet haben, zurückkommen und sagen, wie alle anderen sie über den Tisch gezogen haben. Ich glaube, dass die deutsche Politik anders sein muss. Die Regierung, der Bundesminister der Finanzen, die Bundeskanzlerin, der Bundestag, die Bevölkerung müssen diejenigen sein, die wissen, dass das ein Projekt ist, das gemeinsames Handeln und Denken aus europäischer Perspektive erfordert und so wird es sein.

FRAGE SAVELBERG: Ich habe eine Frage an die Frau Bundeskanzlerin. Es geht auch um das Thema Heimat. Dient es Ihrer Heimat, Deutschland, wenn sich die Fraktionsvorsitzende der AfD, Alice Weidel, in ihrer Heimat, in der Schweiz, mit Steve Bannon, also dem ehemaligen König des Fake-News-Portals „Breitbart News“, trifft? Dient das aus Ihrer Sicht den Interessen der Bundesrepublik Deutschland? Können Sie vielleicht sagen, inwieweit das auch den Interessen in Bezug auf den Handelskrieg mit den USA, also auf die Strafzölle, schadet?

Dann habe ich auch noch eine Frage an Herrn Scholz. Ich war in Hamburg beim G20-Gipfel und habe erleben können, wie dort sozusagen der absolute Ausnahmezustand stattfand. Das war eigentlich sehr traurig und sehr beängstigend. Ich habe es auch ein bisschen als ein Staatsversagen erlebt, muss ich ehrlich sagen, dass die Menschen in dem Viertel mit den Plünderungen und den Krawallen alleingelassen wurden. Das war schon ziemlich krass, muss ich sagen. Das war, glaube ich, auch ein Versagen des Staates, und man hat zu lange gewartet hat, um diese Plünderer und diese Krawallmacher dort aus dem Viertel zu drängen. Was qualifiziert Sie also dazu, jetzt die Finanzen dieses Landes auf einen besseren Stand zu bringen, wo es in Hamburg so schwer danebengegangen ist und wo das Ihre Heimat Hamburg betroffen hat?

BK’IN DR. MERKEL: Zu Ihrer Frage kann ich nur sagen: Diese Treffen, die Sie angesprochen haben, zeigen ja die fundamentale Unterschiedlichkeit meiner politischen Auffassung zu der anderer. Insofern sehe ich da nichts Gemeinsames. Aber das ist der politische Wettbewerb. Wir in meinem Fall ich als CDU-Vorsitzende wollen Menschen dafür gewinnen, die CDU wählen zu können, und deshalb kümmern wir uns um die Lösung der Probleme, die diese Menschen haben. Ich habe meine Vorstellungen von Heimat. Das soll ein guter Ort für die Menschen sein, die in Deutschland wohnen, damit sie ihr Leben gut führen können. Dazu gehört Arbeit, dazu gehört ein Auskommen. Der Ort von Treffen interessiert mich dabei weniger; es geht um die politische Grundausrichtung.

BGM SCHOLZ: Ich bin jetzt seit sieben Jahren Hamburger Bürgermeister. Das bin ich sehr gerne gewesen. Ich hätte auch noch Pläne für weitere sieben Jahre. Aber wenn man ein bisschen Bilanz zieht, dann kann man schon sagen: Das ist eine boomende Stadt mit vielen, zigtausend zusätzlichen Arbeitsplätzen, die in dieser Zeit entstanden sind. Es werden irgendwann um 2019 herum 1 Million sein. Wir haben als Allererste damit angefangen, das Thema zu bewegen, das jetzt Gegenstand des Koalitionsvertrages ist, nämlich Wohnungen zu bauen. Wir haben das größte Wohnungsbauprogramm und das größte Programm des sozialen Wohnungsbaus in Deutschland auf den Weg gebracht. Wir haben schon erreicht, was sich Deutschland jetzt mit dem Koalitionsvertrag vorgenommen hat, nämlich flächendeckende Angebote an gebührenfreien Krippen und Kitas, Ganztagsangebote an allen Schulen und Oberstufen, die Möglichkeit, dort Abschlüsse zu machen, einen guten Übergang in die Berufsausbildung, gebührenfreie Universitäten und einen ganz stark ausgeweiteten Wissenschafts- und Forschungsstandort. Das sind viele Erfolge, die da in den letzten Jahren stattgefunden haben, und deshalb blicke ich auf die Bilanz dieser Regierungstätigkeit sehr gerne zurück.

Ich habe mich sehr bewusst dafür eingesetzt, dass auch internationale Treffen in der Stadt stattfinden. Die Polizei hat dort eine sehr schwierige Arbeit geleistet, und zwar mit großer Kompetenz angesichts der Gewaltbereitschaft einiger sowie sogar mit großem persönlichem Einsatz. Ich bin den Polizistinnen und Polizisten, die aus ganz Deutschland gekommen sind, sehr dankbar für ihre gute Tätigkeit, die sie dort geleistet haben.

Ich glaube, dass es angesichts der Tatsache, dass wir in Hamburg seit mehreren Jahren Haushaltsüberschüsse haben und ich mich so viel mit Finanzen beschäftigt habe, niemanden gibt, der die Frage hat, was ich da wohl bewirken könnte. Ich glaube, dass das eine gute Zeit sein wird, und werde mir alle Mühe geben, dass wir zum einen die Aufgaben in Deutschland voranbringen können, was das Wachstum betrifft, was einen ausgeglichenen Haushalt betrifft und was den sozialen Zusammenhalt betrifft. Wenn wir nämlich den sozialen Wohnungsbau in Deutschland ausbauen wollen, wenn wir Krippen und Kitas in Deutschland gebührenfrei machen wollen, wenn wir die Ganztagsbetreuung einführen wollen, wenn wir die Infrastruktur ausbauen wollen und wenn wir die Forschung weiterentwickeln wollen, dann geht das ja nur, wenn wir die Haushaltsvoraussetzungen dafür schaffen. Gleichzeitig wird es eine ganz, ganz zentrale Aufgabe sein, dafür zu sorgen, dass Europa zusammenhält und weiter zusammenwächst; denn das ist die wichtigste Frage für unsere Zukunft.

FRAGE DR. DELFS: Frau Bundeskanzlerin, ich muss noch einmal ganz kurz zur Euro-Politik zurückkommen. Da war ja von Ihnen für den nächsten Gipfel im März eigentlich eine gemeinsame Positionierung mit Herrn Macron angekündigt worden. Das ist ja jetzt offenbar verschoben worden. Können Sie noch einmal ganz kurz sagen, was die Hintergründe dieser Verschiebung sind? Wo hakt es jetzt eigentlich genau? Ist es so, dass zwischen Ihnen und Herrn Macron noch keine Einigkeit herrscht, innerhalb der gesamten EU oder vielleicht auch zwischen Ihnen und Herrn Scholz?

Herr Scholz, was ist eigentlich Ihre Position zu dem Thema? Hätten Sie jetzt schon gerne gesehen, dass sich Deutschland dazu positioniert? Liegen Sie bei diesem Thema auf einer Linie mit der Bundeskanzlerin? Die SPD war ja den Vorschlägen von Herrn Macron gegenüber immer etwas offener.

Dann noch ganz kurz, Frau Bundeskanzlerin, zu diesem Deal zwischen RWE und E.ON vom Wochenende: Fürchten Sie, dass das zu einer noch größeren Monopolisierung auf dem Energiemarkt führt? Fürchten Sie auch steigende Strompreise für die Verbraucher?

BK’IN DR. MERKEL: Sie haben in Ihrer Frage danach, was wir jetzt beim Europäischen Rat im März als gemeinsame Position Frankreichs und Deutschlands haben wollen, ja das Wort „offenbar“ untergebracht. Ich habe mit Interesse gelesen, dass irgendetwas verschoben wurde. Ich habe mich nie zu einer Verschiebung geäußert. Wir werden sicherlich noch nicht die letzte Frage geklärt haben, aber wir werden mehr sagen können, als wir im Dezember sagen konnten, und das ist das, was wir den Menschen versprochen haben.

Es wird sehr schnell eine Reise des Finanzministers nach Paris geben. Es wird eine Reise von mir nach Paris geben, nämlich zum Antrittsbesuch bei Emmanuel Macron, und dabei werden wir auch diesen Europäischen Rat vorbereiten. Es wäre sicherlich zu viel, jetzt schon jede Facette der Eurozone für die nächsten 20 Jahre auszubuchstabieren, aber da wird sich schon einiges klären, was wir uns als nächste Etappe vorstellen können. Genauso hat sich einiges geklärt oder wird sich einiges klären im Zusammenhang mit der Migrationspolitik, die wir gemeinsam vertreten, und der Verteidigungspolitik. Das alles sind ja drei wesentliche Elemente, und dann kommt noch der ganze Bereich der Forschung hinzu. Das sind wesentliche Elemente, die zwischen Deutschland und Frankreich vorangebracht werden sollen.

Wir haben uns bereits dazu verpflichtet, dass wir einen neuen Élysée-Vertrag ausarbeiten werden, der natürlich auch im Hinblick auf die europäische Rolle Deutschlands und Frankreichs eine Funktion hat. Das haben ja auch die Parlamente beschlossen. Außerdem werden wir das Thema das kommt auch im Koalitionsvertrag vor der gemeinschaftlichen Bemessungsgrundlage bezüglich der Unternehmenssteuerreform noch einmal ganz konkret aufrufen, auch mit Blick auf die neue Steuerreform der Vereinigten Staaten von Amerika. Das beflügelt uns eher. Insofern wird es auch innerhalb relativ überschaubarer Zeit einmal ein Treffen der im Zusammenhang mit der deutsch-französischen Zusammenarbeit wichtigen Ministerien geben. Ich sehe also gar keinen Grund für Verschiebungen, sondern glaube, wir kommen Schritt für Schritt voran.

BGM SCHOLZ: Wir müssen vorankommen. Wenn man sich überlegt, woher die Skepsis vieler Bürgerinnen und Bürger im Hinblick auf Europa rührt, dann geht es ganz sicherlich weniger um die Frage, dass sie sich darüber beschweren, was Europa kann, als darum, was Europa nicht kann. Deshalb werden wir dort, wo es um echte Politik geht, Fortschritte im Bereich der Außenpolitik, der Sicherheitspolitik, unserer gemeinsamen Grenzen, der Fragen von Flucht und Migration und natürlich auch all der Fragestellungen, die anstehen, wenn es darum geht, wie wir zum Beispiel den ganzen Bereich der Wirtschaft und Finanzen organisieren, machen müssen.

Ich finde es gut, dass Präsident Macron mit Vorschlägen vorangegangen ist; denn es ist ja vielleicht etwas Neues in der politischen Debatte Europas, dass man das Risiko eingeht, einen Vorschlag zu machen, von dem man weiß, dass davon viel kommen kann, aber vielleicht nicht alles eins zu eins und so, wie man es einmal gesagt hat. Aber meine feste Überzeugung ist: Wir müssen alle in dieser Hinsicht ein bisschen mutig sein, gewissermaßen „outspoken“ werden und das sagen, was wir als Perspektive erreichen wollen, damit daraus dann ein Konsens erreicht werden kann.

Meine Vorstellung ist, dass das in enger Abstimmung und in enger Partnerschaft mit Frankreich passieren muss. Deshalb sind auch die von der Kanzlerin eben genannten Treffen bereits alle vorbereitet worden, und das wird auch so sein. Das geht nur, wenn wir uns gewissermaßen verpflichten, Schritte voranzugehen, damit das als gemeinschaftliche Handlung in Europa funktionieren kann. Die deutsch-französische Zusammenarbeit ist dabei jedenfalls für mich und für die Bundesregierung von allergrößter Bedeutung.

Wir haben uns schon mehrfach über diese Themen unterhalten und werden es auch weiterhin tun, weil es ja am Ende darauf hinauslaufen muss, dass Deutschland mit den anderen Ländern der Europäischen Union einen Konsens erzielt. Das können wir und werden wir als Regierung insgesamt schaffen. Dass die SPD dabei eine ganz klar proeuropäische Haltung verfolgt, ist nicht neu. Der Koalitionsvertrag ist aber für gemeinsames Handeln eine sehr gute Grundlage.

MP SEEHOFER: Auch wir vertreten eine proeuropäische Haltung, wollen aber schon darauf hinweisen, dass wir im Koalitionsvertrag Leitplanken für die Freizügigkeit, die Sicherheit, die Reformen, die Subsidiarität sowie für die Währung und die Stabilität gesetzt haben. Die CSU wird sehr darauf achten, dass diese Stabilitätskriterien und die Stabilitätspolitik fortgesetzt werden. Wir sind auch dafür, dass das nationale Parlament mit diesen Fragen immer rechtzeitig befasst wird. Wir wollen also gegenüber der deutschen Bevölkerung schon klarmachen, dass die Stabilitätskultur ein ganz wichtiger Punkt bleibt.

BK’IN DR. MERKEL: Ich habe die RWE/E.ON-Frage nicht beantwortet. Deshalb möchte ich gerne noch darauf zurückkommen. Ich habe heute mit Interesse von diesen Plänen gelesen. Die Bundeswirtschaftsministerin, Frau Zypries, hat auch erklärt, dass sie das im Grundsatz für gut und begrüßenswert hält. Die Details muss man sich anschauen. Aber ich habe Vertrauen in unsere Energieunternehmen, dass sie auf jeden Fall die beste Variante dafür suchen, wie sie die Energiewende und die nachhaltige Energieversorgung wirklich schaffen können.

Die Tatsache, dass wir dem Thema des Ausbaus der Energieleitungen eine große Wichtigkeit einräumen, will ich an dieser Stelle noch erwähnen. Im Augenblick ist sozusagen der Flaschenhals nämlich eigentlich, dass wir die großen Trassen nicht schnell genug gebaut haben. Deshalb spielt das bei uns bzw. in der Koalitionsvereinbarung eine große Rolle; sonst wird die Energiewende nicht gelingen.

Vielleicht noch ganz kurz zu dem Thema, wie wir vorankommen: Nehmen wir einmal das Thema der Bankenunion. Da können wir die Überschrift „Wir wollen die Bankenunion“ alle sofort unterschreiben. Trotzdem müssen wir dann ja in die Details gehen, weil da die Wahrheit sehr konkret ist: Ab wann können wir denn auch einen Letztmechanismus in Europa einführen? Was bedeutet das für die Kredite, die nicht so gut laufen? – Da muss man sich natürlich sehr detailliert Vorstellungen davon machen, wann die Risikoreduzierung so weit fortgeschritten ist, dass man einen nächsten Schritt einleiten kann. Dass darüber geredet wird, ist ja nun das Normalste von der Welt; das macht man auch zuhause, wenn man sich eine Bank anschaut. Insofern ist das nicht irgendein Ausweichmanöver, sondern das ist dann die konkrete Arbeit an einem Werkstück, das Bankenunion heißt.

Genauso ist es bei der Kapitalmarktunion, also dass es endlich möglich sein muss, dass Kredite auch über die Landesgrenzen hinweg vergeben werden. Es ist ja ein seltsamer Zustand, dass sozusagen deutsche Banken für den italienischen Mittelstand und italienische Banken für den deutschen Mittelstand längst nicht so viele Kredite miteinander ausmachen wie Menschen die Grenze überqueren. Das sind sinnvolle Vorhaben, aber die müssen gut vorbereitet sein und eben in diese Leitplanken hineinpassen.

FRAGE GOFFART: Frau Bundeskanzlerin, Herr Scholz, diese Regierung hat jetzt so viel Geld zur Verfügung wie nie eine andere zuvor. Das beruht ja auf der Annahme, dass das Wachstum einfach immer weitergeht. Meine Frage ist: Wie realistisch ist diese Annahme angesichts der Tatsache, dass wir jetzt schon seit neun Jahren einen Aufschwung haben? Geht der noch einmal vier Jahre weiter?

Herr Scholz, was machen Sie, wenn der Konjunkturzyklus dann vielleicht einmal einbricht, wobei Sie die schwarze Null gut finden und Steuererhöhungen ja auch ausgeschlossen sind? Fangen Sie dann an zu sparen? Wie sieht der Plan B für den ja nicht ganz so unwahrscheinlichen Fall aus, dass die Konjunktur nicht mehr ewig so weiterläuft?

BK’IN DR. MERKEL: Erst einmal haben wir in der Koalitionsvereinbarung darauf geachtet, dass wir die Maßnahmen so ausrichten, dass wir die Wahrscheinlichkeit dafür erhöhen, dass es vernünftig weitergeht. Wir haben doch erlebt, dass die günstige steuerliche Situation im Augenblick daraus resultiert, dass die Binnennachfrage gestiegen ist. Das hat sehr viel mit der Tatsache zu tun, dass noch nie so viele Menschen in Deutschland Arbeit hatten, wie es im Augenblick der Fall ist. Deshalb setzen wir genau an diesem Thema an, für die, die schon sehr lange langzeitarbeitslos sind, auch mit neuen Methoden zu versuchen, Brücken in den Arbeitsmarkt zu bauen, so durch Qualifizierung und die Möglichkeit, auch für Ältere, was Herr Scholz eben gesagt hat, die Berufsperspektiven zu verbessern. Das ist der Beitrag, den wir leisten können, im Übrigen auch mit dem Vorhaben, dass wir mehr investieren wollen und dass wir festgestellt haben, dass im Augenblick Geld da ist, aber die Investitionen gar nicht stattfinden, weil manches zu langsam läuft. Das heißt, das Thema Geschwindigkeit und auch die Frage, wie schnell man Genehmigungen erteilen kann, spielen in unserem Koalitionsvertrag auch eine große Rolle. Das sind die Dinge, die wir beeinflussen können und mit denen wir dafür Sorge tragen wollen, dass dieser Aufschwung weitergeht.

BGM SCHOLZ: Wenn Sie sich die Vereinbarung der künftigen Regierung genau anschauen, dann sehen Sie, dass wir sehr seriös vorgegangen sind. Wir haben nicht alle Möglichkeiten genutzt, mögliche Haushaltsperspektiven und Einnahmenzuwächse zu kalkulieren, sondern sind bei denen, die man plausibel errechnen kann, geblieben und haben darüber dann Entscheidungen getroffen. Ganz bewusst haben wir nicht alles ausgereizt, was man sich denken könnte, weil man dann wirklich in einer schwierigen Situation wäre, wenn es mit der Konjunktur einmal eine Zeit lang anders laufen sollte als jetzt. Trotzdem ist es mir wichtig, an dieser Stelle zu sagen: Es sieht alles danach aus, dass es, was die konjunkturelle Entwicklung der nächsten Jahre betrifft, eher besser werden wird, als es bisher gewesen ist, und das ist ja auch eine gute Botschaft.

FRAGE KÜFNER: Frau Bundeskanzlerin, Sie hatten eingangs ganz kurz auch den Handel erwähnt. Im Koalitionspapier steht, dass Deutschland zwei zentrale Ziele verfolge: Europa müsse international eigenständiger und handlungsfähiger werden, gleichzeitig wolle Deutschland die Bindung an die USA festigen. Im Lichte der Äußerungen von Donald Trump am vergangenen Wochenende, in denen er gezielt auch über deutsche Autohersteller gesprochen hat, frage ich: Verändert sich das Klima jetzt schon? Das klingt ja jetzt schon nach einem etwas widersprüchlichen Ziel.

BK’IN DR. MERKEL: Das Ziel bleibt ja unsererseits erhalten; daran hat sich ja nichts geändert. Die Umstände sind vielleicht etwas komplizierter geworden, und deshalb werden das Thema Handel und die Frage der fairen Handelsbedingungen sicherlich beim kommenden Europäischen Rat eine Rolle spielen, bei dem wir dann mit der Kommission darüber diskutieren werden. Ich begrüße es sehr, dass die Europäische Kommission jetzt Gespräche führt. Das werden wir auch von unserer Seite aus tun, wenn die neue Regierung im Amt ist. Denn solche unterschiedlichen Auffassungen darüber, ob es gerechte Situationen gibt oder nicht, müssen ja nach meiner Vorstellung gesprächsweise gelöst werden, nicht, wenn es irgendwie zu vermeiden ist, über einseitige Aktionen. Wenn aber diese einseitigen Aktionen nicht zu vermeiden sind, dann müssen wir natürlich auch überlegen, wie wir in reziproker Weise darauf antworten können. Aber ich setze jetzt erst einmal noch auf Gespräche, und dazu wird es vielerlei Gelegenheit geben.

ZUSATZFRAGE KÜFNER: Ich habe auch noch eine Frage an Herrn Seehofer und Herrn Scholz. Herr Seehofer, Sie verstehen sich ja auch als einen Brückenbauer, gerade zu Herrn Orbán. Es gibt da jetzt eine sehr tief greifende Freundschaft. Hat Deutschland einen Orbán-Versteher als Innenminister? Inwieweit wird sich denn die deutsche Innenpolitik gerade im Hinblick auf Flüchtlinge eher in Richtung Ungarn öffnen? Wie viel Öffnung erwarten Sie von der ungarischen Seite in Richtung der deutschen Politik, die ja auf europäischer Ebene immer noch gerade diese Solidarität einfordert?

Herr Scholz, eine kurze Frage: Die Sozialdemokraten sind ja jetzt durch diesen Regierungseintritt einem geradezu europäischen Trend des Bedeutungsverlustes von sozialdemokratischen Parteien entgangen. Wie muss sich denn der Regierungsstil in dieser GroKo ändern, damit Sie sagen, dass Sie in dieser Vernunftsehe bleiben?

MP SEEHOFER: Wir haben in der Koalition eine wirklich erstklassige Vereinbarung zur Migrationspolitik getroffen, sehr klar und alle Felder umfassend, von den Fluchtursachen bis zur Integration bis hin zur Begrenzung. Deshalb werde ich mich sehr stark auch in der Umsetzung auf diesen Koalitionsvertrag berufen und auch darauf setzen.

Wenn ich von Tempo sprach, dann ist das Tempo deshalb möglich, weil wir klare Vereinbarungen haben. Allerdings muss man immer hinzufügen: Dieses Thema der Sicherheitspolitik ist nur in einer Verantwortungsgemeinschaft zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Bundesländern zu erreichen.

Zweitens: Ich habe mich in meiner ganzen politischen Laufbahn immer um vernünftige bilaterale Beziehungen zu den Staaten auf dieser Erde bemüht. Das gilt als bayerischer Ministerpräsident ganz besonders für Beziehungen zu den Staaten in Mittel- und Osteuropa. Wir haben nach 40 Jahren die Spannungen zwischen Tschechien und Bayern beendet; mehr als 40 Jahre lang war kein Ministerpräsident in Bayern oder umgekehrt in Prag. Darauf bin ich sehr stolz. Dabei haben uns auch die Sudetendeutschen sehr geholfen. So habe ich mich mit Bulgarien, mit Rumänien, mit Polen, mit Ungarn, mit Österreich und mit allen Staaten um eine vernünftige bilaterale Beziehung gekümmert, und das wird auch künftig der Fall sein. Aber das ist jetzt keine Nebenaußenpolitik durch den Bundesinnenminister.

BGM SCHOLZ: Man könnte es etwas flapsig beantworten: Lesen Sie mein Buch! Es heißt „Hoffnungsland“. Falls es Ihnen zu lang ist, beschränken Sie sich auf das letzte Kapitel. Darin stehen alle Antworten auf Ihre Frage.

Aber ernsthaft: Ihre Frage zeigt, dass es eine strukturelle Herausforderung gibt. Deshalb ist es gar kein Zufall, dass ich in der Bundespressekonferenz und bei vielen anderen Gelegenheiten immer wieder darauf hingewiesen habe: Da ist wirklich etwas los in der Welt! Wenn wir uns die Wahl von Herrn Trump in den USA anschauen, wenn wir uns die Brexit-Entscheidung anschauen, wenn wir uns die Erfolge rechtspopulistischer Parteien in verschiedenen Ländern Europas anschauen, wenn wir sehen, was zum Beispiel mit den klassischen sozialdemokratischen Parteien geschieht, dann sehen wir, dass es offenbar die Notwendigkeit für etwas anderes und für neuen Antworten auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gibt.

Ich hoffe, dass ich das noch einmal sagen darf: Die SPD ist eine Partei, die mit der Industrialisierung entstanden ist. Was wir jetzt haben, ist, wie es ein Bestseller genannt hat, das „second machine age“, also eine Zeit, in der durch die Digitalisierung und durch den technischen Wandel viele Fragen anders werden, als sie bisher sind. Es ist, verdammt noch einmal, unsere Pflicht, dass nicht nur zu beschreiben und bedeutungsvoll zu schauen, sondern es ist unsere Pflicht, dass wir eine Antwort darauf haben. Ich habe dafür sehr konkrete Vorstellungen. Die werden unsere Regierungsarbeit hier beeinflussen, weil wir da etwas erreichen wollen, und sie werden das ist die Aufgabe von Frau Nahles und der Sozialdemokratischen Partei darüber hinaus bedeuten, dass wir diese Antworten auch politisch weit über die nächsten vier Jahre hinaus mit entwickeln. Ich glaube schon, dass die deutsche sozialdemokratische Partei vielleicht als die Erfinderin der Idee von Sozialdemokratie in Europa dabei auch die Aufgabe übernehmen muss, diese Antworten mit zu entwickeln – für sich, aber natürlich auch als etwas, das dann, wenn diese Analyse stimmt, auch woanders gilt. Ich halte das schon für eine große Herausforderung, und die politischen Führerrinnen und Führer der SPD in Deutschland dürfen sich dieser Aufgabe nicht verweigern. Wir werden das tun.

BK’IN DR. MERKEL: Ich will vielleicht nur sagen, dass das ja für alle Parteien gilt, insbesondere für die, die auch den Anspruch haben, Volksparteien zu sein. Wir leben in einem Wandel, der die Welt wahrscheinlich in etwa so verändern wird wie der Wandel von der Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft. Das ist ja, wenn man mitten in diesem Wandlungsprozess steckt, nicht ganz einfach. Herr Scholz hat ja am Anfang darauf hingewiesen, dass wir an Problemen arbeiten, deren Auswirkungen wir noch nicht vollkommen kennen. Jetzt müssen wir sozusagen Projektionen in die Zukunft vornehmen: Was bedeutet das? Was bedeutet das für die Art der Bildung?

Wir alle, die wir hier im Raum sitzen, erleben doch aus unserer Perspektive, was das für die Medien bedeutet. Plötzlich ist jeder Bürger auch potenziell ein Medienschaffender. Er kann ein Blog schreiben, er kann sich einbringen, er ist Partizipant in den sozialen Netzwerken. Das revolutioniert doch unsere Art der Kommunikation, aber auch der Datenerfassung, der Faktenerfassung und der Einordnung dieser Fakten vollkommen. In Bezug darauf, was diese Revolution einmal im Hinblick auf die Frage bedeuten wird, wem ich glaube, wo Nachrichten falsch sind und wie die Kontexte sind, bildet sich doch auch in der medialen Landschaft zurzeit eine völlig neue Welt heraus. Es gibt Leute, die etwas überprüfen, die plötzlich über andere schreiben. Wenn Sie das mit dem Zustand von vor 15 Jahren vergleichen, dann ist das doch eine ganz neue Welt.

So ist es auch bei uns. So werden auch Parteimitgliedschaften ganz neu wahrgenommen. Warum binde ich mich? Binde ich mich noch ein ganzes Leben lang, wenn die Welt so im Wandel ist, an eine einzige Partei? – Wir würden, glaube ich, die Lösungen nicht gut finden, wenn wir so täten, als würde sich so gut wie nichts ändern und wir könnten einfach einmal so weitermachen, sondern wir müssen viele Dinge bis hin zu unseren Steuersystemen und wahrscheinlich bis hin zu unseren sozialen Sicherungssystemen, weil sich die Arbeitswelt massiv ändert vollkommen neu denken.

Wenn wir gut arbeiten, dann werden wir dafür in den nächsten vier Jahren einige neue Lösungen finden. Aber zu Ende werden wir mit der Arbeit wahrscheinlich nach diesen Jahren nicht gekommen sein, weil sich die Technologie parallel weiterentwickelt.

FRAGE VALASSOPOULOS: Frau Merkel, mein Thema sind die Beziehungen mit der Türkei. Es gab große Spannungen zwischen Deutschland und der Türkei, zwischen Europa und der Türkei. In den letzten Tagen gibt es sehr große Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei, was Zypern und das östliche Mittelmeer angeht. Die Türkei hat vor zehn Tagen zwei griechische Soldaten verhaftet. Diese Soldaten schützen auch die europäische Grenze. Was sagen Sie dazu? Haben Sie über dieses Thema mit Tsipras gesprochen? Was sagen Sie ganz generell? Wie sind die Beziehungen zur Türkei im Moment? Was planen Sie für die Zukunft?

BK’IN DR. MERKEL: Wir haben uns ja auch im Koalitionsvertrag sehr intensiv mit den Beziehungen zur Türkei beschäftigt, weil die Türkei ein Nachbar der Europäischen Union ist und weil die Türkei Beitrittsverhandlungen führt, aber weil sich aus unserer Sicht auch Verschlechterungen der Menschenrechtssituation in der Türkei ergeben haben. Wir haben darüber immer wieder mit den türkischen Verantwortlichen gesprochen und werden das auch als neue Bundesregierung tun. Deshalb sehen wir zurzeit auch keine Grundlage, um zum Beispiel die Zollunion zu vertiefen.

Demnächst, während der bulgarischen Präsidentschaft, wird es ein Treffen zwischen den Institutionen Europas, also dem Kommissionspräsidenten und dem Ratspräsidenten, und dem türkischen Präsidenten geben. Ich begrüße sehr, dass sich Bulgarien sehr für den Abbau von Spannungen und auch für gute Beziehungen zu den Ländern des westlichen Balkans, in denen die Türkei auch eine große Rolle spielt, einsetzt. Hier gilt das, was immer gilt: Wir müssen Gespräche suchen. Wir dürfen mit Meinungsunterschieden nicht hinter dem Berg halten, aber die Gesprächsfähigkeit muss weiter da sein, weil wir auch voneinander abhängen.

Die Türkei hat Großartiges im Zusammenhang mit den vielen Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien geleistet. Sie hat drei Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Auf der anderen Seite wollen wir auch unser Abkommen mit der Türkei einhalten. Das betrifft auch die zweite Tranche, was die drei Milliarden Euro zur Unterstützung der Arbeit mit den Flüchtlingen anbelangt. Trotzdem haben wir in verschiedenen Fragen auch unterschiedliche Meinungen. Das alles kann nur immer wieder durch Gespräch, manchmal auch kontroverses Gespräch, vorangebracht werden.

Gerade in den Fällen, die Sie genannt haben, werden ja Gespräche geführt. Der türkische Präsident war in Griechenland. Das war lange Zeit nicht der Fall. Ich bin sehr froh, dass Alexis Tsipras sehr viele Kontakte mit der Türkei hat, auch wenn sie spannungsgeladen sind. Aber wir haben Riesenprobleme auch mit Blick auf Zypern. Ich arbeite seit Jahren daran, dass wir endlich eine Lösung für das Zypernproblem finden. Wir haben sie bis heute nicht. Dabei spielt die Türkei natürlich auch eine sehr große Rolle.

FRAGE ÖZCAN: Ich möchte zur inneren Sicherheit fragen. Daher richtet sich meine Frage an meinen Landsmann, an Herrn Seehofer. Die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsheime und Moscheen ist in Deutschland erschreckend gestiegen. Welchen Masterplan haben Sie, um diese Angriffe einzudämmen?

MP SEEHOFER: Mit mir gilt das haben Sie am Wochenende gehört in jeder Richtung null Toleranz gegenüber Straftaten und Gewalt, ganz gleich ob diese Gewalt gegen Flüchtlingsheime stattfindet, was absolut zu verurteilen ist, oder ob es sich um den Wohnungseinbruch handelt. Das ist mein Grundprinzip. Das ist schwer genug. Wir können nicht alle Straftaten verhindern. Wir haben dieses Versprechen als Staat auch nie abgegeben. Aber wir müssen der Bevölkerung immer sagen können: Das Menschenmögliche zum Schutz der Bürger, die bei uns im Lande leben, ist getan.

Wir haben viele Verbesserungen vereinbart, was nicht heißt, dass das, was heute ist, schlecht ist, sondern man macht Zusätzliches, um das, was gut ist, auch gut zu halten, um das auch einmal deutlich zu sagen. Die Ausbildung und Einstellung von 7500 Bundespolizisten ist eine der Maßnahmen, die wichtig sind, weil nach meiner persönlichen Erfahrung die Präsenz der Polizei, gerade wenn es um Flüchtlingsheime geht, genauso wichtig ist wie wirksame Paragrafen. Beides brauchen wir.

Nehmen Sie also bitte mit: Auch da gilt null Toleranz. Wo immer wir etwas verbessern können auch hier wieder in Zusammenarbeit mit den Bundesländern , werden wir das hier in Deutschland tun, ohne Ansehen der Herkunft oder der Nationalität. Darauf können Sie sich verlassen.

FRAGE LÜCKOFF: Herr Seehofer, inwieweit kann das bayerische Heimatministerium Blaupause für das Bundesministerium sein, gerade auch vor dem Hintergrund, dass der große Fördertopf für ländliche Entwicklung im Landwirtschaftsministerium verbleibt?

In Bayern ist das Heimatministerin zur Stärkung strukturschwacher Regionen verlagert. Inwiefern planen Sie das auf Bundesebene, zum Beispiel durch eine Verlagerung nach Ostdeutschland?

MP SEEHOFER: Zu Ihrer zweiten Frage: Bevor ich überhaupt begonnen habe, kann ich Ihnen noch gar nichts sagen. Es ginge ja auch nicht ohne die Bundesregierung insgesamt.

Zu Ihrer ersten Frage: Ich habe das Heimatministerium in Bayern gegründet. Dieses Ministerium wird jedenfalls nach meiner Vorstellung hier in Berlin genauso geführt, wie es in Bayern geführt wurde. Man hat in Bayern aus keinem einzigen Ministerium eine Kompetenz abgezogen. Markus Söder hat jetzt also nicht Kompetenzen des Wirtschaftsministers oder des Innenministers bekommen. Es war vielmehr seine Aufgabe, konzeptionell Vorstellungen dafür zu entwickeln.

Ich habe jetzt irgendwo, ich hätte ein Weisungsrecht beansprucht. Dazu sage ich: Nein, das muss immer im Kabinett behandelt werden, damit auch alle Kabinettsmitglieder hinter einer Strategie, hinter einem Konzept stehen. Es bleibt in der Eigenverantwortung jedes Fachministers, jeder Fachministerin, innerhalb des Gesamtkonzepts sozusagen diese Strategie zu realisieren. Etwas anderes ist schlechterdings unmöglich. Es ist eine Kooperationsaufgabe und eine konzeptionelle Aufgabe, und das ist das gleiche Strickmuster wie in Bayern.

Es gibt im bayerischen Finanzministerium eine Kompetenz, die indirekt diesem Ziel dient, nämlich in Bezug auf die Infrastruktur für das schnelle Internet, also die Förderung für die Gemeinden, die dafür sorgen soll, dass überall in Bayern schnelles Internet entsteht. Das haben wir mehr aus finanztechnischen Gründen im Finanzministerium angesiedelt. Es hat natürlich Auswirkungen, wenn überall im Lande das schnelle Internet zur Verfügung steht, aber die Infrastruktur ist gut im Verkehrsministerium aufgehoben.

Insofern will ich heute gerne noch einmal die Gelegenheit wahrnehmen, zu sagen: Es war nie die Absicht auch in keinem Gespräch zwischen der Kanzlerin und mir , aus irgendeinem Ministerium etwas an Kompetenz abzuziehen. Dann müsste ich ja sagen: Warum nicht Wissenschaft und Bildung? Denn das ist für die Struktur vor Ort ungeheuer wichtig. Wir haben die Erfahrung gemacht: Wenn Man in Bildung und Wissenschaft vor Ort Einrichtungen schafft, hat dies große strukturelle, positive Auswirkungen in Bezug auf die Wirtschaft.

Das war also nie die Absicht, aber die Behauptung, dass das doch meine Absicht war, wird jetzt wahrscheinlich einige Monate lang nicht auszutreten sein. Es bleibt also bei den Zuständigkeiten der Fachminister. Ich habe eine Konzeption zu entwickeln auch vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung in unserem Lande, denn diese führt ja auch oft zu einer Auszehrung des flachen Landes. Wenn diese Konzeption entwickelt ist, werde ich dem Kabinett einen Vorschlag machen, und dann wird diese Politik in der Abteilung Heimat koordiniert. Deshalb wird diese Abteilung eine ganze Reihe von Spiegelreferaten bekommen, und auf Deinen Vorschlag hin, Angela, auch eine Geschäftsstelle, die das alles dann koordiniert. Das soll und wird dann im Ergebnis zunehmend zu gleichwertigen Lebensverhältnissen in Deutschland und auch zu einem stärkeren gesellschaftlichen Zusammenhalt führen. Denn unser Ziel ist ja, diese Geborgenheit, den Halt, den die Menschen suchen, durch diese Heimatstrategie zu gewährleisten.

FRAGE NEUHANN: Ich hätte an Sie drei zwei Fragen zu Ihrer Zusammenarbeit.

Im Koalitionsvertrag heißt es bereits in der Präambel, dass Sie in der Debatte die Unterschiede sichtbar werden lassen wollen. Heißt das, Sie und Ihre Parteien wollen sich demnächst auf offener Bühne streiten?

Zweite Frage: Gehen Sie nach jetzigem Stand also sicher davon aus, dass diese Koalition tatsächlich bis zur nächsten offiziell vorgesehenen Wahl halten wird?

BK’IN DR. MERKEL: Ich gehe davon aus.

Was die Frage der Definition anbelangt, was Streit ist, habe ich eine sehr eigene Auffassung. Wir haben zum Beispiel in den Koalitionsverhandlungen sehr gut gemerkt, dass SPD, CDU und auch CSU durchaus unterschiedliche Parteien sind. Wer einmal dabeisitzt, der würde keine Sorge mehr haben, dass die Unterschiede zwischen den Parteien verschwimmen; vielmehr gibt es da sehr unterschiedliche Vorstellungen. Aber die Fähigkeit in einer Demokratie, trotzdem handeln zu können, besteht doch darin, aus den unterschiedlichen Positionen Kompromisse zu schmieden. Nur wenn man den Kompromiss als solchen auch achtet, weil er das Ergebnis sehr vieler Anstrengungen ist, wird man in der Lage sein, gleichermaßen zu sagen: Das waren die Ausgangspositionen. Die waren unterschiedlich, aber das ist das Ergebnis, und das lässt uns wieder handeln. Es geht darum, vielleicht sichtbarer zu machen, wo ich herkomme und wo ich hingegangen bin, ohne dass dieser Weg immer als Streit betrachtet wird und damit negativ konnotiert ist. Eine gute Debattenkultur ist also eigentlich das, was mir vorschwebt. Damit werden dann Wege sichtbar, wie ein Resultat entsteht. Dabei müssen wir auch einmal aushalten, dass das manch einer „Streit“ nennt. Das gehört aber zur Sache dazu, ohne dass wir alle morgens früh aufstehen und zu einem Thema wie zum Beispiel die Steuerreform sofort alle die gleiche Meinung haben. Das ist schier unmöglich. Das passiert noch nicht einmal in meiner Partei, bei den anderen wahrscheinlich noch weniger. Aber unter den Parteien wird es gar nicht passieren.

BGM SCHOLZ: Auch ich bin fest davon überzeugt, dass die Koalition die volle Legislaturperiode halten wird. Das ist gut verhandelt etwas sorgfältig, muss man dazu sagen. Es ist sogar einmal ein Vorlauf mit anderen Koalitionspartnern gemacht worden. Insofern ist das, glaube ich, schon fest gestrickt.

Zweitens. Es wird eine konstruktive Zusammenarbeit sein müssen. Das steht den Bürgerinnen und Bürgern zu, und das haben wir als die Regierenden auch so zu leisten.

Drittens bin ich allerdings fest davon überzeugt, dass wir einen Beitrag dazu leisten müssen, dass Politik nicht so daherkommt, wie sie immer beschrieben wird: als ob sich eigentlich alle einig sind, und dann wird ab und zu einmal so getan, als sei man unterschiedlicher Meinung. Das stimmt ja nicht. Ich will für mich noch einmal wiederholen, was ich während der Koalitionsverhandlungen hinterher immer gesagt habe: Ich wusste jeden Abend genau, warum ich mit 17 in die SPD eingetreten bin. Nie wurde mir das so klar wie während der Koalitionsverhandlungen. Es gibt reale Unterschiede. Dass am Ende Verhandlungserfolge als gemeinsame Ergebnisse aufgezählt werden, ist schon in Ordnung. Trotzdem weiß man ja, wofür man sich eingesetzt hat und was dabei herausgekommen ist. Ich bin allerdings fest davon überzeugt, dass die demokratische Politik es schaffen muss, das, was sie bewegt, was ihre Motive, was ihre Zielperspektiven sind, zu formulieren.

Es wäre, glaube ich, ganz gut, wenn auch unter Ihnen, wenn ich das so sagen darf, nicht jeder vom anderen abschriebe, dass die Parteien sich immer ähnlicher werden. Das ist eigentlich ein antidemokratischer Diskurs, der nicht stimmt, der bestenfalls mit einer romantischen Illusion über die Idee zu tun hat, dass das 19. Jahrhundert die Themen des 21. bestimmen würde und wenn wir uns nicht um die gleichen Fragen wie 1890 streiten, dann sind wir alle gleich. Das ist aber Quatsch. Man leistet mit diesem Argument auch ein bisschen dem Vorschub, was man dann als Skepsis gegenüber der Politik beschreibt. Eigentlich müssten wir doch akzeptieren, dass es eine großartige Sache ist, dass wir Parteien haben. Zum Beispiel diejenigen, die hier miteinander die Koalition eingehen, links der Mitte, rechts der Mitte, die sehr wohl kompromissfähig sind, was man sein muss, die sehr wohl zu Konsensen fähig sind, zum gemeinsamen Regieren jetzt das vierte Mal in einer Großen Koalition in Deutschland , die aber gleichwohl unterschiedlich sind.

Ich will Ihnen gegenüber gar nicht verhehlen, dass ich jedes Mal, wenn ich das in einer Zeitung lese oder in einer Fernsehsendung höre und sehe, unglaubliche emotionale Probleme damit habe, weil ich glaube, dass es in Wahrheit einem antidemokratischen Bild entspricht, so etwas zu sagen. Es würde schon viel helfen, wenn man akzeptierte, dass man zusammenarbeiten kann, obwohl man unterschiedlich ist, und wenn man diese Unterschiede, die natürlich kleiner als früher sind, die anders sind und um andere Frage gehen, auch versteht.

Ansonsten würde auch noch helfen, wenn das Kompromisseschließen nicht nur als gute Sache begriffen wird, sondern man dann auch weiß: Das heißt, dass einer oder eine mal „Das ist meine Perspektive“ gesagt hat und, wenn man mit 60 Prozent von 100 herauskommt, nicht irgendwer auf die Idee kommt, das sei ein Misserfolg. 60 Prozent von 100 sind ganz schön viel.

Der letzte Rat an uns alle ist: John Wayne ist kein Vorbild für die Politik. Wir müssen uns schon irgendwie miteinander arrangieren.

MP SEEHOFER: Die Koalition ist eindeutig auf vier Jahre angelegt.

Zweitens. Die Debatte gehört für mich dazu, auch innerhalb eines Kabinetts und innerhalb einer Koalition. Nicht jede Debatte ist ein Streit, auch wenn er so empfunden wird.

Drittens darf ich einmal zu den letzten Wochen sagen: Zwischen SPD und CDU/CSU waren das, so wie ich es jedenfalls empfunden habe, wirklich Debatten um richtige Lösungen. Das war nicht von persönlichen Herabsetzungen getragen, sondern von der Suche nach der richtigen Lösung, vom gegenseitigen Respekt und vom Interessenausgleich. Es hat mir sehr gefallen, auch jetzt bei den schwierigen Dingen wie Ressortverteilungen und Ähnlichem, dass man immer Verständnis für die jeweiligen Argumente hatte und sich ehrlich bemüht hat, diese unterschiedlichen Interessen auszugleichen. Das war angenehm. Das war manchmal sehr schwierig. Warum sollte man das bestreiten? Aber das gehört auch dazu, weil die Themen oft schwierig sind und sich die Interessen oft hart im Raum stoßen. Aber es ist immer mit einem ganz hohen Maß an menschlichem Verständnis gelöst worden. Das hat mir ausgesprochen gut gefallen.

FRAGE SZENT-IVÁNYI: Zwei Fragen an Frau Merkel. Frau Bundeskanzlerin, es ist ja bekannt, dass Sie nicht so gerne über Gefühle sprechen. Vielleicht können Sie uns doch noch sagen, wie es Ihnen jetzt damit geht, dass Sie es doch noch ohne Neuwahlen geschafft haben, eine Regierung zu zimmern.

Die zweite Frage: Wollen Sie an Ihrem Führungsstil etwas ändern? Denn Ihre bisherige Methode, sehr lange zuzuschauen und dann irgendwann moderierend einzugreifen, hat ja bei den Sondierungsverhandlungen für Jamaika erkennbar nicht geklappt.

BK’IN DR. MERKEL: Ich freue mich vor allen Dingen für die Menschen in Deutschland, dass wir aus dem, was sie uns mit der Wahl aufgegeben haben, auch das gemacht haben, was sie, glaube ich, mit der Abgabe Ihrer Stimme erwartet haben, nämlich dass daraus eine Regierung gebildet wird. Das ist jetzt gelungen.

Zweitens. Allein die Worte „moderierend eingreifen“ bieten ein gewisses Spannungsverhältnis. Ich glaube, es ist richtig, dass, wenn zum Beispiel Konflikte zwischen Ressorts geklärt werden müssen, die Ressorts erst einmal eine Weile ihre eigene Position miteinander austauschen und dass meine Aufgabe dann darin besteht wir haben über Kompromisse gesprochen , wieder einen fairen Kompromiss zu finden. Eingreifen heißt, sich dann darum zu bemühen. Dass aber dann jeder zu Gehör kommt und jeder auch seine Sichtweise darstellen kann, das ist doch ganz selbstverständlich.

Ansonsten hatte ich in meinem bisherigen politischen Wirken, auch als Bundeskanzlerin, hinreichend viele Momente, in denen ich ziemlich schnell entscheiden musste. Meistens wird dann auch das beklagt, dass das nicht richtig war.

FRAGE ISMAR: Ich habe eine Frage an Herrn Scholz. Frau Schwesig hat sich am Wochenende geäußert das war ein neuer Ton in der Führungsriege , und zwar in Sachen Flüchtlingspolitik. Die SPD hat einen etwas unklaren Kurs, wenn man die Basis in Ostdeutschland sieht, wenn man Herrn Stegner sieht. Das sind doch schon sehr entgegengesetzte Meinungen. Es ist klar, dass mit Blick auf die bayerische Landtagswahl in dem Bereich sehr schnell gesetzmäßig etwas kommen wird. Wird die SPD dort ihre Position in der Führung Richtung härterer Kurs etwas korrigieren?

BGM SCHOLZ: Unser Kurs ist pragmatisch-humanitär.

ZUSATZFRAGE ISMAR: Mehr haben Sie dazu nicht zu sagen? Ist das nur eine Meinungsäußerung von Frau Schwesig gewesen?

BGM SCHOLZ: Sie unterschätzen, wie weit wir uns in diesem Kurs, den ich eben beschrieben habe, einig sind. Das hat unser Verhalten in den letzten Jahren bestimmt. Viele von uns haben als Ministerpräsidentin und Ministerpräsident ganz pragmatische Arbeit, haben Integrationsaufgaben gelöst und gleichzeitig auch die Anforderung, die Recht und Gesetz vorgeben, mit erfüllt, und zwar aus tiefer innerer Überzeugung. Insofern sehe ich gar nicht, was Ihre Frage unterstellt.

FRAGE PAULI: Frau Bundeskanzlerin, Herr Scholz, Sie haben schon einmal den Fahrplan für Ihr Regierungshandeln der nächsten Jahre skizziert. Ich würde trotzdem noch einmal für diejenigen fragen, die heute Abend quasi als Wähler und Zuschauer die Zusammenfassung des heutigen Tages und die Zusammenfassung Ihres Regierungshandelns und der Prioritäten sehen: Was muss Ihrer Meinung nach als Allererstes angegangen werden?

BK’IN DR. MERKEL: Ich glaube, jeder Minister wird eine erste Aufgabe haben. Was den Finanzminister angeht, wartet neben den europäischen Aufgaben eigentlich alles auf einen neuen Haushalt für dieses Jahr. Darüber haben wir auch schon gesprochen. Denn so lange kein neuer Haushalt vorliegt, können bestimmte Projekte, die wir uns vorgenommen haben, gar nicht begonnen werden.

Horst Seehofer hat zum Beispiel gesagt, was für ihn ganz wichtig ist, denn gerade die Fragen der Ordnung und der Steuerung der Zuwanderung, die Fragen der Umsetzung von dem, was wir schon als Recht und Gesetz haben, sind sehr, sehr wichtig.

Jedes Ministerium hat seine eigenen Prioritäten. Diese dann zu einem Gesamtbild zusammenwachsen zu lassen, wird sehr schnell geschehen. Ich habe ja darüber gesprochen, dass wir in absehbarer Zeit eine Klausurtagung abhalten werden. Dort wird jeder Minister dann sein erstes Projekt bzw. seine ersten Projekte vorstellen. Ich muss sagen: Eigentlich drängt fast alles, was wir uns vorgenommen haben – vom Wohnungsbau bis zur Weiterbildung und der Umsetzung unserer Haushaltsaktivitäten und der Europaaktivitäten. Wir haben jetzt fast ein halbes Jahr eine Regierung gebildet. Da ist viel Arbeit aufgelaufen. Ich bin nicht bereit, jetzt die Projekte der Koalition zu wichten. Das Parlament wird eine Menge zu tun bekommen.

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