Wir sind zu Gast im Bundestag und treffen Hans-Peter Friedrich, der seit 1998 für die CSU Abgeordneter ist und von 2011 bis 2013 Bundesinnenminister war.
Wir sprechen mit Hans-Peter über seine Karriere: Seit wann ist er politisch aktiv? Warum hat er ein konservatives Weltbild? Hat er als Freund von Unternehmen schon mal in einem Unternehmen gearbeitet? Wie hat er es in den Bundestag geschafft? Wie war die Zeit in der Opposition? Wie ist er Bundesinnenminister geworden? Was hat er bei der Enthüllung der Snowden-Dokumente gedacht und gemacht? Wie ist er auf das Wort „Supergrundrecht“ gekommen? Steht Sicherheit über allem? Warum war Landwirtschaft sein Traumministeramt?
Das und vieles mehr in Folge 264 von Jung & Naiv…
Das Gespräch haben wir am 7. Juli 2016 in Berlin aufgenommen.
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Jung
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Transkript (von Anne Wirth):
Tilo Jung: So, eine neue Folge Jung & Naiv. Wir sind in Berlin – und wen haben wir hier?
Hans-Peter Friedrich, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, CDU/CSU-Fraktion, zuständig für Europa.
Die Hardcore-„Jung&Naiv“-Zuschauer kennen dich. Du bist der berühmte Neo-Feminist.
Ich bin Neo-Feminist, ja. Wobei ich arbeite ja immer noch an den Inhalten… und das Roll-Out, was das genau ist, kommt dann demnächst. Aber ich habe schon viele Leute, die mit mir auch Neo-Feministen sind.
Wer ist es nicht?
Eben!
Bevor wir mal zu den Themen kommen, die dich jetzt beschäftigen… Erkläre uns mal, wie du Politiker geworden bist.
Ich glaube, dass ich eigentlich schon als Jugendlicher Politiker war. Ich war schon immer Klassensprecher, ich habe schon immer versucht auch zwischen den verschiedenen Gruppen in der Klasse zu vermitteln und mit den Lehrern Krisengespräche zu führen, wenn mal wieder Chaos war.
Du warst der personifizierte Vermittlungsausschuss?
Naja, ich habe immer gesagt, man muss doch mit den Leuten reden. Also ich finde, miteinander zu reden, und das ist für mich auch heute noch wichtig, das ist der Kern aller Konfliktlösungen. Und das habe ich damals schon gern gemacht, habe dann den Lehrern die Verweise und Arreste abgehandelt, die sie verteilt haben im Laufe der Stunde, und ja,… Ich fand Politik sehr spannend. Und ich bin natürlich in einer Zeit zur Schule gegangen und politisch aktiv geworden, die ihr euch gar nicht mehr vorstellen könnt, ja? Unsere Schulen waren total politisiert. Also bei uns an der Schule gab es die KPD, die Liga gegen den Imperialismus. Das Vietnam-Komitee. Also alles linke Gruppierungen,…
Du warst in der KPD, oder?
Und ich habe gesagt: Freunde, passt mal auf… Links ist euer Ding, aber ich habe etwas viel Besseres. Ich gründe eine Schülerunion. Und… fanden die alle ganz fürchterlich. Ich war im Einzelkampf dadurch sehr geübt.
Du warst eine 1-Mann-Schülerunion?
Ich war zunächst mal… Also man muss sagen, das war immer dasselbe in so Gruppen. Das war damals so: 20 Leute waren links, 5 waren nicht links, 4 haben kein Wort gesagt – und ich war der einzige, der permanent gegen 20 Linke diskutieren musste.
War das aber schon eine politische Überzeugung oder war es einfach nur „Ich habe einfach keinen Bock auf die Typen da“?
Nö nö, hatte mit den Typen gar nichts zu tun, das waren ja auch meine Freunde. Mit denen habe ich ja auch bis morgens um 5 diskutiert, ja. Aber ich konnte einfach mit diesem linken Zeug nichts anfangen: Wir sind besser als unsere Vorfahren usw. Damit konnte ich überhaupt nichts anfangen. Ich habe gesagt: Leute, passt mal auf. Wir haben da etwas, das ist gut und das müssen wir weiterentwickeln. Also der typische evolutionäre Ansatz im Gegensatz zum revolutionären – und die Revolutionäre sind alle gescheitert. Und ich lebe immer noch, haha.
Deine Freunde von damals auch noch hoffentlich…
Ich glaube schon. Also jedenfalls… Ja, ich glaube, dass die auch gar nicht mehr links sind. Das ist ja auch so etwas… Aber das ist ein anderes Thema.
Das höre ich auch immer wieder: Wenn du mit Mitte 20 nicht links bist, dann machst du irgendetwas falsch. Aber wenn du mit Mitte 40 nicht auch schon wieder konservativ ist, dann ist auch irgendetwas faul.
Naja, man passt sich halt so an die Lebenssituation an. Wenn du links bist, … Damals war das so. Also heute bei der jungen Union, da ist das ja chic. Aber damals war das, bist du links, langhaarig, Jeans, cool. Und wenn du dann dein Medizinstudium abgeschlossen hast oder dein BWL-Studium und aviviert warst, dann hast du dich in eine neue Welt begeben und dann hast du halt konservativ gewählt oder FDP. Also ganz viele der Linken sind heute FDP’ler oder… Also Leute, die jedenfalls auf… von diesem ganzen Kollektivismus nichts mehr wissen wollen. Ich habe im Grunde meine Linie von damals gehalten. Gut, man verändert sich immer so ein bisschen im Laufe der Jahre, aber ich war immer schon konservativ.
Dein Weltbild ist noch immer dasselbe wie als du 18 warst?
Also sagen wir mal so: Mein Weltbild damals war, dass ich wusste, wie der Mensch ist wie er ist, mit all seinen Fehlern. Dass du ihn nicht ändern kannst. Sondern dass du ein System, ein politisches System schaffen musst, wo du mit dem positiven wie negativen Seiten des Menschen einfach rechnen musst. Während diese ganzen kommunistischen Utopien davon ausgehen, dass du den Menschen.. Ja, Sein ändert das Bewusstsein,… Dass du den Menschen einfach durch Erziehung und Entwicklung zu einem guten Menschen ändern kannst. Fand ich immer blöd, ja. Völlig sinnlos. Insofern… ja, das ist mein Weltbild.
Hast du studiert?
Ich habe Jura studiert in München.
Ja, das war so: Also ich bin, ich habe schon mit 16 mich interessiert für Volkswirtschaft. Also Wirtschaftswissenschaft, das war mein Ding. Ludwig Erhard, soziale Marktwirtschaft, Mittelstand – das fand ich schon als 17-Jähriger total spannend. Und dann habe ich aber gedacht: Da laufen dann diese Juristen rum. Und irgendwann bist du dann fertig mit dem Studium und dann kommt so ein Jurist und sagt: Mmmh, das geht aber rechtlich gar nicht. Und dann musst du dir von diesen Juristen ein x für ein u machen lassen. Und damit das nicht passiert, habe ich gedacht, studierst du Jura. Habe das auch gemacht. Aber meine Leidenschaft zur Wirtschaftswissenschaft war so groß, dass ich das noch angehängt habe. Das habe ich dann noch,… nach dem ersten Staatsexamen habe ich dann noch Volkswirtschaft studiert.
Wow.
Das war meine Leidenschaft – und ist es heute eigentlich noch.
Also ich bin eigentlich ein leidenschaftlicher Wirtschaftspolitiker. Ich finde einfach diese mittelständischen Unternehmen, diese kleinen Start-Ups, die Leute, die etwas machen und Arbeitsplätze schaffen, eine Idee haben und die umsetzen, und Tag und Nacht arbeiten, und nur vom Pizzaservice leben, die finde ich einfach cool.
Hast du mal in einem Unternehmen gearbeitet?
Nein. Also ich habe sehr früh erkannt, dass ich kein Unternehmer bin.
Aber du wolltest BWL studieren?
Ich wollte Volkswirtschaft studieren. Ich fand jetzt nicht die Gewinnmaximierung im Unternehmen als Ziel für mich gut, sondern ich fand einfach ein Wirtschaftssystem zu schaffen wie bei uns hier,… Wie gesagt, ich bin ja schon ein paar Jahre alt. Ludwig Erhard war ja damals noch ganz frisch in Erinnerung der Leute damals. Das war einfach erfolgreich. Und in den 70er Jahren, da gab es ja noch den Ostblock, die haben ja noch an Kommunismus, an Kollektivismus und so einen Quatsch, ist ja alles weg, ist ja alles tot. Und Ludwig Erhard lebt. Also jedenfalls müssen wir noch versuchen, ihn am Leben zu halten – auch wenn wir ja inzwischen in eine Art Bevormundungsrepublik einmünden. Also das ist ja bei den Grünen ganz typisch, die den Leuten vorschreiben, was sie essen, was sie denken, was sie machen und was sie reden. Also die Grüninnen und Grünen, wenn du weißt, was ich meine. Und das ist nicht so mein Ding. Ich bin nach wie vor für individuelle Freiheit.
Und dann nach dem Studium bist du gleich Politiker geworden?
Nein, nach dem Studium bin ich weg aus meiner bayrischen Heimat Bayern, aus meiner oberfränkischen Heimat Oberfranken, und bin nach Bonn ins Bundeswirtschaftsministerium.
Wie kommt man an den Job?
Ja, man muss sich bewerben und wenn man dann Jura und Wirtschaft studiert hat und gerade ein Privatisierungsprojekt ansteht, damals Deutsche Airbus GmbH. Da hat man genau so jemanden gesucht und na gut.
Warst du damals schon in einer Partei?
Ich bin schon mit 16 in die Junge Union eingetreten, mit 17 in die CSU. Und war aber, bin aber dann, als ich zum Studium bin nach dem Abitur nicht mehr politisch aktiv gewesen. Also die Junge Union, das macht man meistens daheim in seinem Wohnort. Und wenn man dann an die Uni kommt, hat man ja im Grunde den Kontakt zu der Heimat verloren. Und in der Zeit war ich dann nicht mehr politisch aktiv. Eigentlich erst wieder, als ich dann nach einer gewissen Zeit im Wirtschaftsministerium gesagt habe, ich muss aus dem Ministerium raus, ich muss wieder Richtung Politik irgendetwas machen und habe dann bei der CDU/CSU-Fraktion angeheuert.
Hier?
Also in Bonn. War Wirtschaftsreferent der CSU-Landesgruppe. Habe Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft – das waren meine drei Themen. Und es war spannend. Und irgendwann einmal, hieß es dann, dass der Bundestagsabgeordnete aus meiner Heimat, die ich 20 Jahre vorher verlassen hatte, dass der aufhört. Und da dachte ich, bewirbst du dich mal. War nicht ganz einfach, weil mich natürlich niemand mehr gekannt hat, ja. Also wenn du da mit 17 in der Jungen Union aktiv bist, und kommst mit 40 wieder, sagen die: Nie gehört, nie gesehen.
Wer bist du?
Genau. Also Drei kannten mich noch, aber die restlichen 117 nicht. Von den 120 Wahlmänner. Aber ich habe es dann… ich bin dann nominiert worden.
Wie hast du es geschafft? Hast du mit deinen Ideen überzeugt?
Joar,…
Oder gab es keine Gegenkandidaten?
Doch, es gab zwei Gegenkandidaten. Aber ich bin eben gewählt worden. Also ich meine, es war halt so.
Und wann bist du in den Bundestag gekommen?
Dann bin ich 98 in den Bundestag. Das ist jetzt wie viele Jahre her? 18 Jahre.
Als Kohl abgewählt wurde, bist du rein.
Genau. Und das war richtig frustrierend, weil… Man muss sich das so vorstellen: Man kommt in den Bundestag und denkt: Jetzt kann ich hier mal richtig gestalten. Und dann gehst du in den Ausschuss, ich bin damals in den Sozialausschuss gekommen. Wirtschaftsausschuss, haben sie gesagt, ist schon besetzt. Sozialausschuss. Und dann sitzen dann die Sozis und die Grünen und sagen: Du kannst hier reden, was du willst, wir haben die Mehrheit.
Und das haben die am Anfang, nach 16 Jahren CDU/CSU-FDP-Koalition total ausgekostet, ja. Und das bringt dich zum Rasen. Du diskutierst mit denen bis Mitternacht. Und dann sagen sie um Mitternacht: Okay, wir haben die Mehrheit, wir stimmen jetzt ab. Und alles ist für die Katz, ja. Auch diese Frustrationsphase musste man mitgemacht haben.
Ich meine: Macht ihr das heute nicht auch?
Also mit heute kannst du das gar nicht vergleichen, weil heute ist ja diese Große Koalition, die es so gibt, die walzt ja sowieso alles nieder. Also Opposition gibt es ja faktisch gar nicht. Gut, dort wo mal Opposition notwendig wäre, feuern sie die Regierung noch an. Also wie bei der Zuwanderungspolitik, wo man sagen müsste: Da müsste jetzt doch einer mal dagegenhalten, ja? Da sind die Grünen und die Linken ja noch verrückter und wollen noch mehr die Grenzen aufmachen. Also das ist alles nicht mehr so, wie es mal war – aber kommt wieder.
Waren es frustrierende Jahre für dich bis Merkel dann quasi an die Macht kam?
Es war… Das erste Jahr war frustrierend, einfach zu sehen, du hast keine Mehrheit. Und egal was du und wie du argumentiert und was vorschlägst, du kannst nichts durchsetzen, weil die anderen sagen: Mmmh, wir regieren aber.
Und dann wurde ich stellvertretender Vorsitzender des Parteispenden-Untersuchungsausschusses. Das war eine irre Geschichte damals, also da kann sich kaum jemand erinnern von den jetzt aktiven Abgeordneten. Das war 1999, wo rauskam, dass es irgendwie Parteispenden an die CDU gab, Helmut Kohl das auch eingeräumt hat. Wo sie herkamen, wollte er nicht verraten. Und dann gab es einen Untersuchungsausschuss und das war damals heftig. Das war… Weil ein Untersuchungsausschuss war im Grunde das Instrument des politischen Gegners gegen die CDU, die ja damals in der Minderheit war. Und da wurde ich stellvertretender Vorsitzender und war dann im Grunde die ganze erste Wahlperiode mit Untersuchungsausschuss beschäftigt.
Ich meine, das muss ja… Wenn es einen Untersuchungsausschuss über die CDU-Spendenaffäre gibt und du quasi der stellvertretende Unionsmann bist, was hat man da für eine Rolle? Kommen da deine Kollegen von der CDU an und dagegen: Na du, Hans-Peter, nicht so stark nachfragen oder verhindere doch da mal mehr als…
Nein, das ist anders. So ein Untersuchungsausschuss ist ja… Und das schätzen viele falsch ein… Ist ein Kampfinstrument meistens der Opposition gegen die Regierung.
Aber es ging ja um die Oppositionspartei.
Genau. Die Regierung entscheidet irgendetwas und die Opposition kann als Minderheit einen Untersuchungsausschuss einsetzen und hat dann alle Möglichkeiten wie ein Gericht, wie eine Staatsanwaltschaft auch zu befragen. Wenn du da lügst, ja… Knast.
Und es war aber die ganz untypische Situation, dass in diesem Untersuchungsausschuss die Regierung die Ankläger waren, also die SPD, die inzwischen die Mehrheit hatte. Die hatten dann auch im Untersuchungsausschuss die Mehrheit, die haben auch den Vorsitzenden gestellt. Und insofern war es sozusagen eine Abwehrschlacht der CDU/CSU gegen die Angriffe der SPD. Und wir haben am Ende des Untersuchungsausschusses dann den Spieß einfach umgedreht. Und haben bei dieser Gelegenheit auch diverse Verflechtungen der SPD in den, ich sage mal, ökonomischen Bereich hinein, untersucht. Also es hat dann immer neue Wendungen genommen und dann ging es damals… Vielleicht erinnert sich der ein oder andere an den Herrn Schreiber, der in Kanada war, den haben wir in Toronto untersucht/ befragt in einer… Das war eine ganz spannende Geschichte, war ich mit Ströbele da.
Du und Ströbele?
Jajajaja, also der Vorsitzende und Ströbele für die Grünen, ich für die CSU. Ja, das war eine heiße Geschichte.
Habt ihr herausgefunden, wo Kohl die Spenden herbekommen hat?
Nein, das hat man nie herausgefunden. Aber ich kann mich also erinnern, als ich mit Ströbele in Paris auch war im Knast, also besuchshalber. Dort haben wir auch einen Manager vernommen von Elf Aquitaine. Auch das war damals die Frage: Elf Aquitaine, das war oder ist ein französischer Konzern, der das Tankstellennetz in den neuen Ländern gekauft hat. Also es hat dann immer größere Erweiterungen genommen, aber so richtig herausgekommen ist bei der ganzen Geschichte nichts – außer dass wir in vielen Dingen Transparenz geschaffen haben. Und das ist schon mal das Allerwichtigste, dass man Transparenz schafft. Dass man sagt: Okay, das ist Sache. Und das waren die Fakten…
Am Ende gings um Korruption?
Naja, es ging nicht um Korruption. Es ging um die Frage, wo sind Gelder hergekommen für Parteien? Und da ist man dann auch ein bisschen in der Geschichte zurückgegangen. Wobei man sagen muss, dass es früher, vor 40, 50 Jahren, noch ganz andere Möglichkeiten gab für Parteien an Geld zu kommen. Da konnten zum Beispiel Verbände spenden. Das war natürlich eine komfortable Geschichte – ist alles nicht mehr zulässig. Also heute können nur Privatpersonen noch spenden. Auch da ist viel Transparenz inzwischen erreicht worden.
Aber es hat natürlich alles auch seine zwei Seiten. Die Parteien müssen natürlich auch funktionsfähig sein. Sie müssen auch Geld haben. Und wenn die Parteien nicht mehr mitwirken an der Willensbildung und dort versagen, dann hat man Fehlentwicklungen, die man schnell bereut. Also wenn ich jetzt mal nach England schaue und den Brexit mir anschaue, sehe ich ein eklatantes Versagen der britischen Parteien in dieser Diskussion. Keiner hat sich so richtig ins Zeug gelegt und Kampagne gemacht, sondern jeder hat so halbherzig. Die Tories waren gespalten, die Labour Party hat auch nur so halb hin und halb her.
Ich glaube, dass Parteien eine wichtige Funktion haben. Steht bei uns extra im Grundgesetz: Parteien wirken an der politischen Willensbildung mit. Und dann muss man sie aber auch in die Lage versetzen, dass sie auch Finanzmittel haben. Nun gibt es staatliche Mittel für Parteien. Das ist ganz ordentlich, also anders als in Amerika, wo du als… Musst du dir mal vorstellen: In Amerika muss jeder Abgeordnete für seinen Wahlkampf 3/ 4 Millionen Dollar alle vier Jahre, alle 6 Jahre…
Ich habe gelernt, ein Drittel der Arbeitszeit eines Abgeordneten in Amerika, also der US-Bundesabgeordneten, geht für Spendenzeit drauf.
Ja. Er muss ja die Kohle dann ranschaffen. Das brauchen wir in Deutschland nicht, weil wir eine staatliche Parteienfinanzierung haben. Und das ist ja auch das Argument zu sagen: Dann können wir aber auch diese Spendengeschichten ein bisschen einschränken. Und das wird auch gemacht. Also das Parteienfinanzierungsgesetz ist inzwischen sehr, sehr restriktiv.
Irgendwann bist du aber mal Minister geworden, oder?
Ja. Also ich bin dann in der zweiten Wahlperiode, 2005 war ich dann,… Nein, 2002 bis 2005 war ich Justiziar, also das ist sozusagen der Rechtsberater der Fraktion. Und 2005 wurde ich stellvertretender Fraktionsvorsitzender und habe damals hauptsächlich Verkehrspolitik gemacht. Verkehrspolitik, aber auch Tourismus, Kommunalpolitik. Aber Verkehrspolitik war deswegen spannend, weil es damals um die Frage ging: Soll die Deutsche Bahn AG an die Börse gehen?
Hast du ja oder nein gesagt?
Und ich habe damals in einer bemerkenswerten Allianz mit der FDP, die in der Opposition war, und den Grünen, die in der Opposition waren, gegen diesen Börsengang gestimmt, äh gekämpft.
Die FDP war dagegen? Du auch?
Die FDP wollte den Börsengang nicht und die Grünen wollten ihn nicht. Wir waren der Auffassung, dass das Schienennetz, also Infrastruktur, in keinem Fall an die Börse darf, in keinem Fall Privataktionären ausgeliefert werden darf, weil Infrastruktur ein politisch essenzielles Thema ist, das man nicht Privatinvestoren überlassen darf, sondern wo es immer um eine politische hoheitliche Entscheidung geht. Und das war damals Große Koalition, 2005 bis 2009. Und im Grunde waren sich viele in der Union und der SPD einig: Jawohl, geht an die Börse, die Kohle holen wir. Aber wir haben gesagt: Moment mal, aber dann habt ihr amerikanische Aktionäre, amerikanische Aktionärsschützer, amerikanische Anwälte, die euch die Hölle heiß machen bei jeder Strecke, die ihr baut, bei der ihr nicht nachweist, dass es sich betriebswirtschaftlich rechnet.
Und für mich ist Infrastruktur, Eisenbahnbau, Straßen, ein öffentlich-rechtlicher Auftrag und nicht nur eine Frage der betriebswissenschaftlichen Rechnung. Das ist jetzt wieder der Unterschied betriebswirtschaftlich – volkswirtschaftlich. Betriebswirtschaftlich ist es natürlich Quatsch eine Autobahn zu bauen, wenn man keine heftigen Einnahmen hat. Volkswirtschaftlich ist es ganz wichtig, eine Autobahn zu bauen und damit eine ganze Region zu erschließen. Der bayrische Wald zum Beispiel hatte damals im Winter eine Arbeitslosigkeit von 40 Prozent, im Sommer eine Arbeitslosigkeit von über 20 Prozent. Als Strauß da gesagt hat, wir bauen dahin eine Autobahn. Als er in Dingolfing in der Folge BMW angesiedelt hat, ist der bayrische Wald aufgeblüht. Also Infrastrukturentscheidungen sind politische Entscheidungen, volkswirtschaftlich wichtig, betriebswirtschaftlich rechnet es sich zumindest in den ersten Jahren.
Aber du bist irgendwann Minister geworden?
Genau, 2011 Innenminister geworden.
Wie ist das passiert?
Ja, mein Freund Karl-Theodor zu Guttenberg, viele werden sich erinnern, … KT ist zurückgetreten 2011 im März. Am 1. März.
Weil er plagiiert hat.
Was weiß ich, was da war. Also jedenfalls ist er zurückgetreten und da war dann eine Stelle frei und dann hat man gesagt: Thomas de Maizière – Verteidigung, und Innenministerium… CSU… ja.
Hat die Kanzlerin dann angerufen und gesagt: Hans-Peter, machst du das…
Nein, man trifft sich da ja sowieso. Ich war ja damals Landesgruppenvorsitzender, ich habe ja sowieso alle handelnden Personen ständig getroffen. Und irgendwann mal hat mich.. Die Kanzlerin hat insofern nichts zu bestimmen, weil über die CSU-Minister da natürlich der bayrische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Seehofer bestimmt.
Achso, weil Guttenberg CSU’ler war, …
Ja. Wir hatten damals 3 Ministerposten. Ilsa Aigner – Landwirtschaft, Verkehr war der Peter Ramsauer und KT war Verteidigung. Und Verteidigung wurde gegen Innen, also wurde wieder von der CSU besetzt, also das Innenministerium. Und dann ging es darum, einen CSU-Innenminister zu finden.
Und, wie war der Job?
Ja, anstrengend. Man muss sich vorstellen, du hast als Innenminister ein Riesenressort, weil es natürlich unheimlich viele Aufgaben hat. Von der gesamten Inneren Sicherheit über das Thema Kirche, Sport, Integration, …
Warst du Sportminister, Verfassungsminister, … quasi.
Ja. Du hast insgesamt 18 Oberbehörden – vom Statistischen Bundesamt bis zum Verfassungsschutz und Bundespolizei, … Als es ist ein Riesenressort.
Was war dein Lieblingsthema als Innenminister?
Die Innere Sicherheit ist natürlich spannend, weil du da schon die Verantwortung spürst, ja. Und dann gibt es zur Entschädigung Sport, wo du dann zu den Olympischen Spielen fährst, dich freust mit den Goldmedaillen-Gewinnern. Aber die Innere Sicherheit ist natürlich DAS zentrale Thema für den Innenminister. Und dann gab es auch die Frage Demografie, das war auch beim Innenministerium angesiedelt. Demografiegipfel. IT. Die ganze Frage der Computersicherheit, Datenschutz, all das ist Innenministerium. Insofern ist es ein Riesenressort und man kann da sehr viel machen.
Was hast du an dem Tag gemacht, als der Edward Snowden da die Dokumente rausgeholt hat oder als die veröffentlicht wurden?
Ahhh, Snowden…
Das war deine Zeit.
Wir wussten, dass Snowden alles an Daten und Knowhow mitgenommen hat auf mehreren Laptops und Datenträgern, die er da kriegen konnte. Wir waren erst fassungslos darüber, dass die Amerikaner wirklich solche Sicherheitslücken lassen, dass einfach ein Snowden das mitnehmen kann. Und dann wurde es ein bisschen dubios. Also dann ist Snowden ja nach Hongkong gegangen, also hat sich in den Schutz der Chinesischen Regierung begeben… okay. Und dann ist er von China nach Moskau, von Hongkong nach Moskau. Naja, da machst du dir dann so deine Gedanken, was das wohl für ein Typ ist.
Hast du gleich an Asyl gedacht?
Nein, ich habe sofort an Spionage gedacht. Und dass er beauftragt ist von irgendjemand,… Geheimdienst, wie auch immer. Das war mein erster Gedanke.
Ist doch normal. Mittlerweile ist es doch Gang und Gebe, dass es Whistleblower gibt, die sagen: Wegen meinem Gewissen muss ich das jetzt tun.
Ja, das versuchen die natürlich zu suggerieren, dass das eine wichtige Gewissensentscheidung war. Im Grunde hat er die gesamten Abwehrmechanismen der USA verraten an die Russen oder vielleicht Chinesen. Ich weiß es nicht so genau. Man weiß, er hatte ja nichts dabei,…
Uns alle…
Ja, nix. Das führt halt dazu, dass die terroristischen Netzwerke in der Welt, als sie dann wussten, wie die amerikanischen Behörden versuchen Netzwerke aufzuklären, ihre Kommunikation total verändert haben. Ich glaube, dass wir damit insgesamt einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt waren. Und mich hat das schon sehr beunruhigt.
Welche Folgen hast du als Innenminister veranlasst?
Man muss ja sagen, es ist so, dass die Nachrichtendienste ja die Aufgabe haben, insbesondere Verbrecher- und Terrorstrukturen aufzuklären. Und in der ganzen Vernetzung der Terrororganisationen von Afrika, von Mali bis Pakistan und Afghanistan, spielt natürlich das Internet eine zentrale Rolle. Dort findet die Kommunikation statt. Die Verbrecher, die Terroristen, optimieren ihre kriminelle Energie durch das Netz. Indem sie die Kommunikation benutzen, indem sie Emails haben und so. Und jetzt musst du natürlich die Sicherheitsbehörden in die Lage versetzen, mindestens auf Augenhöhe, wenn nicht eine Nasenlänge voraus zu sein. Das heißt, du musst wissen: Gibt es in Berlin Leute die Kontakt haben zu Al–Qaida in Pakistan oder in Afghanistan? Du musst wissen, wie die Kommunikationsströme laufen. Und wenn das alles verraten wird, wie die da drankommen und was die da machen, dann ist das natürlich ein höchst sicherheitsrelevantes Thema.
Aber hat dich auch gestört, dass jetzt öffentlich wurde, dass die Amis auch bei uns hier spionieren und wie sie spionieren?
Moment. Ich glaube, das ist etwas, was in der Diskussion völlig durcheinandergeht, ja. Also die Frage Aufklärung von Netzwerken auf der einen Seite und das andere, was seit 10.000 Jahren gibt, nämlich Spionage. Also Spionage heißt nichts weiter, ich versuche meinem Verhandlungsgegenüber so viele Informationen im Vornherein abzulocken, abzuluchsen, dass ich in den Verhandlungen gut dastehe. Man kann das auch Aufklärung nennen.
So machen wir es also auch?
Man muss sich das so vorstellen: Wenn ein Bundestagsabgeordneter beispielsweise in ein Land, nehmen wir mal, nach China, Afrika, sonst wo hin fährt, dann bereitet er sich vor. Er will wissen: Was ist in dem Land, wer regiert dort, wer sind da die politischen Kräfte, wie ist dort die wirtschaftliche Lage, was gibt es dort für Probleme, für Gefahren? Nun ist es ein bisschen merkwürdig, wenn ein Politiker aus Zeitungen informiert ist. Sondern es gibt natürlich vom Bundespresse- und Informationsdienst einige Informationen über dieses Land. Wir haben einen Auswärtigen Dienst, der Informationen über dieses Land zusammenstellt. Die sind nicht öffentlich, weil da natürlich viele Erkenntnisse auch der Diplomaten einfließen, wo man es ungern hat, dass der Staatschef von Botswana oder Timbuktu, und was es da alles gibt, weiß, was wir alles wissen. So, und da bedient man sich natürlich auch der Nachrichtendienste.
Nachrichtendienste, die operieren ja nicht irgendwie…
Du sagst…
Die besorgen sich Informationen.
Du sagst nicht Geheimdienste, du sagst Nachrichtendienste…
Naja gut, Nachrichtendienste arbeiten in der Regel geheim. Wobei das Geheime an ihnen ist, dass Untersteht übrigens nicht dem Bundesinnenministerium.
Dem Verfassungsschutz?
Der Bundesnachrichtendienst untersteht dem Kanzleramt. In allen anderen Ländern eigentlich überwiegend dem Außenminister, weil klassischerweise haben diese Nachrichtendienste die Aufgabe Informationen über andere Länder dem Außenminister zu liefern. Und das machen die, da ist nix ungesetzlich. Dass die hin und wieder auch Dinge machen, wo man sagt, ja so ganz entspricht das aber nicht der Gesetzeslage in dem Land, ich glaube, das ist klar. Das ist normal. Und das ist auch schon seit 10.000 Jahren so.
Und wird auch so bleiben?
Also ich glaube, dass es immer Spionage gibt, weil man immer versucht, so viel wie möglich herauszufinden über den anderen – gar nicht in böser Absicht. Aber je mehr ich weiß, umso besser.
Du hast irgendwann mal dieses grandiose Wort… Ist auch mal Wort des Jahres geworden… Supergrundrecht eingebracht. Wie bist du darauf gekommen? Also Supergrundrecht Sicherheit.
Also das ist ein Ausdruck, der im Zusammenhang mit einem meiner Vorgänger, Otto Schily, mal aufkam.
Sicherheit ist ja explizit nicht in einem Artikel im Grundgesetz geregelt, aber man muss wissen: Alle Rechte, alle Möglichkeiten, die einem Bürger aufgrund seiner Grundfreiheiten zustehen, sind eigentlich nur etwas wert, wenn es auch Sicherheit gibt. Also ohne Sicherheit sind alle Grundrechte im Grunde relativ wenig wert. Also was nützt mir das Recht auf Meinungsfreiheit oder Demonstrationsfreiheit oder Religionsfreiheit, wenn ich an der nächsten Ecke von jedem x-Beliebigen umgelegt werden kann? Also Sicherheit ist im Grunde die Voraussetzung für die Ausübung aller Grundrechte. Ohne Sicherheit gibt es keine Grundrechte. Wenn du jetzt damit rechnen musst, dass während wir hier sitzen, deine Bude daheim ausgeräumt wird, dann ist deine Lebensqualität eingeschränkt, würde ich mal sagen. Also bei mir wäre das so.
Ich stell mir das gerade mal vor.
Ja, ne? Mist. Laptop weg.
Den habe ich mit.
Ach, Gott sei dank! Na gut, das ist die andere Möglichkeit: Man kann sagen, ich brauche keine Sicherheit, aber dann muss man alles immer mitnehmen.
Nein, aber wir müssen die Bevölkerung schützen. Ich glaube, dass… Da muss man sehen: Was ist ein Staat überhaupt? Ein Staat ist deswegen gegründet worden, weil man sagt, wir müssen unsere Bürger schützen vor Angriffen von außen. Und dass auch die Regeln…
Von innen.
…dass nicht die Regeln und Grundsätze verletzt werden, die wir uns selber geben klar. Dass nicht einer den anderen umlegt oder was klaut. Sondern das muss alles seine Ordnung haben – und dafür braucht es einen Staat. Der muss die Sicherheit gewährleisten. Und deswegen glaube ich, dass diese Sicherheit sozusagen die Grundlage für alles ist und ich habe das versucht etwas provokativ-plastisch mit Supergrundrecht auszudrücken. Aber allein die Diskussion, die ja dann so entstanden ist, war ja schon sehr fruchtbar. Weil man muss ja darüber reden: Was ist alles wert ohne Sicherheit?
Ist es echt so, das steht über allen von denen?
Naja, es ist die Grundlage für alles. Also in dem Moment, wo du nicht mehr lebst.
Das Grundgesetz ist das.
In dem Moment, wo du nicht mehr lebst, ist auch deine Möglichkeit der Meinungsäußerung relativ eingeschränkt.
Ich kann einen Abschiedsbrief hinterlassen.
Das ist wahr, aber musst du alles vorher machen.
Von daher: Die Ausübung der Grundrechte ist daran gebunden, dass mich andere nicht kaputtmachen dürfen. Aber ich will das jetzt nicht weiter vertiefen. Ich glaube jedenfalls, dass Sicherheit etwas ist, was grundlegend ist für alles menschliche Zusammenleben.
Aber manchmal gibt es Grundrechte, wo die Sicherheit, die du garantieren willst, meine Grundrechte einschränken. Meine Meinungsfreiheit…
Es ist ja so: Alle Grundrechte sind natürlich nie schrankenlos, sondern alle…. Es gibt ja auch Grundrechtskonflikte, wo also die Meinungsfreiheit des einen der Würde des anderen entgegenstehen usw.
Aber diese Konkurrenz, diese Konkordanz der Grundrechte, gibt es immer. Und natürlich gibt es auch dieses Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit. Du kannst in einem Staat, in dem es überhaupt gar keine Freiheit mehr gibt, ist natürlich die Sicherheit auch sinnlos. Da hast du natürlich nichts erreichen. Aber in einem Staat, wo es Faustrecht für alle gibt, hast du auch nichts erreicht. Insofern gibt es immer dieses Spannungsverhältnis. Aber das ist das Wesen der Politik. Politik besteht eigentlich darin, dass du immer Konflikte hast, auch zwischen Menschen, ja?
Also Krankenkassenbeiträge. Der der krank ist, möchte möglichst viel Leistung haben. Der der gesund ist, möchte möglichst wenig Beiträge zahlen. In allen Bereiche, bei Steuerzahlungen,… Bie allem hast du den Grundkonflikt, dass die Interessen des einen und die Interessen des anderen da sind und du musst irgendwie eine Lösung finden. Das ist das Wesen der Politik. Und in diesen Bereich fällt auch das Spannungsverhältnis Freiheit – Sicherheit. Gut, wir haben ein anderes Thema, Vorratsdatenspeicherung, Riesenaufreger-Thema.
Aber warum?
Ich bin da relativ entspannt, was das Thema angeht. Wenn du in der Verantwortung bist, willst du natürlich möglichst schnell dafür sorgen, dass möglichst wenig passiert. Aber wenn das erstmal so ist, dass den Leuten reihenweise das Konto abgeräumt wird, und man nicht mehr nachverfolgen kann, wo das eigentlich herkommt, wo die Verbrecher eigentlich eingedrungen sind, dann werden wir in Deutschland und in Europa automatisch eine Forderung der Bürger kriegen, dass man diese Daten speichert und dafür sorgt, dass ich weiß anhand der IP-Adresse, wer da in meinen Computer reingekommen ist. Also insofern wird sich das alles im Laufe der Zeit entwickeln und entspannen. Und ansonsten glaube ich jetzt nicht, dass Nachrichtendienste daran interessiert sind, deine Telefongespräche abzuhören, ob du mit irgendwas, irgendwo zu tun hast.
Bist du schon einmal Opfer eines Verbrechens geworden?
Nein.
Noch nie?
Ich habe mich immer auf sicheren Wegen begeben. Das heißt, ich habe früher mal… Das ist ein gutes Beispiel… Ich war mal in den 80er Jahren in Washington, habe ich als Referendar bei einem Rechtsanwalt gearbeitet. Und weil ich kein Geld hatte, oder sehr wenig, damals war der Dollar-DM-Kurs sehr, sehr schwierig für mich. Und weil ich kein Geld hatte, habe ich in Southeast-Washington gelebt. Das ist da, wo wirklich Mord an der Tagesordnung war. Und wo immer, wenn ich jemanden erzählt habe, dass ich da wohne, gesagt hat: Oh Gottes Willen, wie kannst du da leben? Ich meine, ich konnte mir halt nur das leisten. Ich war dann…
Du hast eine Waffe gehabt.
Nein, natürlich nicht. Ich war dann… Das ist auch verboten in Amerika, entgegen aller Behauptungen, bewaffnet auf der Straße herumzulaufen. Du darfst die Waffe zu Hause haben, aber du darfst nicht damit durch die Gegend latschen. Als ich Jahrzehnte später, 20 Jahre später, 10 Jahre später, oder 20 Jahre später als Innenminister wieder dort war, habe ich festgestellt, dass dieses Washington D.C. plötzlich eine total sichere Stadt war. Früher die Hauptstadt des Verbrechens in den USA! Und jetzt überall da, wo die Verbrecher gewesen sind: Studenten, die gejoggt sind, schöne Blumenbeete. Da sage ich: was ist denn los, wie habt ihr denn das gemacht? Sagen die mir: Naja, wir haben alle Verbrecher eingesperrt. Ich sage: Okay, aber wie? Ja, Kameras. Die haben halt überall an den neuralgischen Punkten, öffentlichen Punkten, Kameras aufgebaut und – das klingt jetzt ein bisschen banal –, aber sie haben mit dieser Kameraüberwachung es fertig gebracht, dass auch in den schwierigen Regionen dieser Stadt die Leute heute relativ sicher fühlen können, weil die Verbrecher spätestens nach dem ersten Verbrechen, das sie begangen haben, in den Knast wandern.
Hast du die Idee übernommen?
Das ist auch so ein Konflikt, den du hast, ja. Auf der einen Seite willst du natürlich nicht, dass jetzt jeder weiß, mit welcher Frau du gerade an welcher U-Bahn stehst, …
Gerade wenn es meine Frau nicht ist.
Ja, so ist es. Aber auf der anderen Seite: Nachrichtendienste haben ja auch Gesetze. Die interessieren sich nicht für deine Freundin und deine Frau, und ob du drei Freundinnen oder fünf Frauen hast, sondern die wollen eigentlich nur Verbrechen aufklären bzw. terroristische Netzwerke aufklären. Und da muss man eben den Konflikt einfach sehen. Jetzt kann ich sagen: Riskiere ich halt, dass jede zweite Nacht am Alex eine abgestochen wird. Oder ich baue Kameras auf, der Alex ist sicher. Und das ist der Konflikt. Das haben wir hier in Berlin in der aktuellen Diskussion. Auch im Senat wird darüber diskutiert, ob am Alexanderplatz Kameras aufgebaut werden oder nicht. Also ich wohne da in der Nähe. Mir wäre es schon recht. Auch auf die Gefahr hin, dass ich da mal vorbeilaufe und nicht gefilmt werden will. Aber mir wäre es schon recht, dass da Kameras stehen.
Aber irgendwann warst du dann nicht mehr Innenminister.
Auch das.
Du musstest zurücktreten, nicht?
Nein, nein. Moment. Ich wurde erst Landwirtschaftsminister.
Und dann musstest du zurücktreten?
Dann musste ich zurücktreten.
Also ich war Landwirtschaftsminister.
Wegen was?
Moment. Ich war Landwirtschaftsminister und das war ein absoluter Traumjob. Das war sozusagen…wusste ich bis dahin nicht, aber als ich es dann war, wusste ich: Das ist es! Wirtschaft, ländlicher Raum, Mittelstand – toll! Und dann im Februar 2014 hat dann ein gewisser Herr Oppermann in einer Presseerklärung behauptet, ich hätte den SPD-Vorsitzenden darüber informiert, dass einer seiner Hoffnungsträger…
Edathy.
Leider da so ein bisschen Probleme hat.
Stimmt das?
Da das auch noch gestimmt hat und ich das auch nicht geleugnet habe, hat die Frau Bundeskanzlerin gesagt: Jetzt wird zurückgetreten. Ja, dann habe ich meinen Parteivorsitzenden gefragt: Was sagst du dazu? Sagt er dazu: Kann man nichts machen.
Hast du was falsch gemacht?
Na, ich hätte den Herrn Gabriel nicht darüber informieren sollen/ dürfen. Sagen die. Aber ich fand, dass ich die darüber informieren musste. Auch heute noch.
Und jetzt, zum Schluss: Was machst du jetzt? Jetzt bist du immer noch im Bundestag.
Jetzt bin ich stellvertretender Fraktionsvorsitzender, mache Europapolitik.
Aber ich kann jetzt nichts dafür, dass die Krise ausgerechnet jetzt kommt, wo ich stellvertretender Fraktionsvorsitzender bin und dafür zuständig bin.
Aha!
Also Europa ist ein total spannendes Thema. Also ich glaube, man muss eines mal vorausschicken: Wer immer das in Deutschland noch nicht begriffen hat, dem muss es mal gesagt werden. Es gibt für dieses Land, unser Land, ohne Europa keine Zukunft! Wir werden uns von den anderen, von dem Schicksal unserer Nachbarn nicht abkoppeln können. Es gibt nur eine Zukunft für ganz Europa. Aber nicht eine Zukunft für einzelne Länder ohne Europa. Deswegen bin ich ein vehementer Kämpfer für das ganze europäische Projekt. Bin aber der Meinung, dass vieles in Brüssel schiefläuft. Dass wir viele Dinge ändern müssen. Und deswegen fahre ich nicht nach Brüssel – auch – , aber in erster Linie in die europäischen Hauptstädte und versuche mit meinen Kollegen dort in den nationalen Parlamenten europäische Themen, gemeinsame Themen, zu vereinbaren und voranzubringen.
Schönes Schlusswort. Vielleicht können wir uns irgendwann nochmal treffen und über genau das Thema intensiver reden. Dann hast du vielleicht auch einen Europa-Button dabei!?
Ja, also ich meine… Deutschland gehört ja zu Europa, insofern ist das auch Europa…
Danke, Hans-Peter. Wird ein langer Tag heute, habe ich gehört.
Joar, gut. Macht man.
Macht man. Und Urlaub bald?
Ja, schauen wir mal. Wir haben in Bayern erst im August Ferien. Bis dahin ist volles Programm.
Wo geht es hin?
Ach.
Danke.