Wahllose Bomben ► BPK vom 5. April 2017
Themen: Luftangriff auf die syrische Stadt Chan Scheichun, Kabinettssitzung (Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes, Untergrenzen für Pflegepersonal in Krankenhäusern/Formulierungshilfe für die Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen im Gesetzentwurf zur Modernisierung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer Krankheiten, Berufsbildungsbericht 2017), Reise des Bundesaußenministers nach Mali, erneuter Raketentest Nordkoreas, zweite Überprüfung des dritten griechischen Hilfsprogramms, konsularische Betreuung von Deniz Yücel und anderen in der Türkei Inhaftierten, Medienberichte über die Übergabe von Informationen über vermeintliche Regierungsgegner durch die Türkei an die Bundesregierung, Medienberichte über interne Überlegungen der EU-Kommission zu sogenannten ESBies, Anschlag in St. Petersburg, Änderung des Hochschulgesetzes in Ungarn, Infrastrukturabgabe, Armutsentwicklung in Deutschland, Investitionsförderfonds, Angriff der Anti-ISIS-Koalition auf Wohngebiete im Irak und in Syrien, Pipeline-Projekt Nord Stream 2, Tierwohl-Label
Naive Fragen zu:
Chemiewaffen-Einsatz in Syrien (ab 0:49 min)
– wie bewerten Sie die russische Stellungnahme? Die Russen machen auch das Assad-Regime verantwortlich, sagen aber, dass es ein Angriff auf ein Giftgaslager gewesen sei… (ab 4:42 min)
– wer soll das nun untersuchen? Wenn die Anti-ISIS-Koalition Zivilisten tötet, vertrauen Sie ja darauf, dass der Täter das untersucht. Wer soll das jetzt hier untersuchen? Das syrische Regime?
– die syrischen Chemiewaffen wurden, auch in Deutschland, vernichtet. Wie kann es denn sein, dass dort noch Chemiewaffen eingesetzt werden?
Hasskriminalität im Internetz
– können Sie uns die Anbieter nennen, die Stand heute, betroffen wären und berichtspflichtig? Fallen Whatsapp und andere Messenger-Dienste nicht mehr darunter? (ab 20:52 min)
– wer sind die „drei großen“?
– im Entwurf sind ja Straftatbestände aufgezählt, u.a. Beleidigung des Bundespräsidenten. Warum kann ich auf Facebook den Bundespräsidenten nicht mehr grob beleidigen, aber die Bundeskanzlerin schon? §90b war im Entwurf nämlich nicht mit drin… (24:00 min)
Deniz Yücel
– war die konsularische Betreuung einmalig oder gibt’s die nun regelmäßig? Und was ist mit den anderen fünf deutschtürkischen Inhaftierten? (ab 35:15 min)
– ist die Isolationshaft eigentlich völkerrechtlich okay? Sitzen die anderen Inhaftierten auch in Isolationshaft? Was genau tun Sie für die? (ab 41:33 min)
– Fordern Sie auch die Freilassung der anderen fünf Inhaftierten? (49:45 min)
Deutsch-russische Geheimdienstzusammenarbeit (ab 53:05 min)
– können Sie erläutern, wie deutsche und russische Geheimdienste kooperieren? War BND-Chef Kahl in den letzten Wochen wieder in Moskau? (57:30 min)
Tote Zivilisten durch Anti-ISIS-Koalition (ab 1:11:18 min)
– am 4. Mai 2016 verurteilten Sie Angriffe auf Wohngebiete in Aleppo „auf das Schärfste“. Das BMVg sagte uns letztens, dass Bombardierungen von Wohngebieten eine Form der Kriegsführung seien und legitimes Mittel sein können. Verurteilt das AA auch „unsere“ Angriffe auf Wohngebiete? Wie schätzen Sie die Haltung des BMVg ein?
– d.h. Russen & Assad haben „wahllos“ in Aleppo bombardiert und wir tun das nicht?
Label „Tierwohl“ (ab 1:16:13 min)
– Laut Label-Entwurf dürften Schweine weiterhin im Schummerlicht gehalten werden – auf hartem Spaltenboden, der die Gelenke kaputt macht. Sowas bekommt dann also auch ein „Tierwohl“-Label, ja? (1:17:24 min)
Bitte unterstützt unsere Arbeit finanziell:
Tilo Jung
IBAN: DE36700222000072410386
BIC: FDDODEMMXXX
Verwendungszweck: BPK
PayPal ► http://www.paypal.me/JungNaiv
Fanshop ► http://fanshop-jungundnaiv.de/
(Wer mindestens €20 gibt, wird im darauffolgenden Monat in jeder Folge als Produzent gelistet)
Komplettes BPK-Wortprotokoll vom 5. April 2017:
SRS’IN DEMMER: Wie Sie wissen, hat die Bundeskanzlerin bereits gestern den Angriff auf die Stadt Chan Scheichun scharf verurteilt. Ich möchte das heute noch ergänzen.
Die Bundesregierung hat die Berichte über einen Chemiewaffenangriff auf den Ort Chan Scheichun mit Entsetzen zur Kenntnis genommen. Es erreichen uns grauenhafte Bilder aus Syrien. Das Leid der Bevölkerung nimmt kein Ende. Deutschland wird alles tun, um den bedrohten und vertriebenen Menschen in Syrien zu helfen.
Dass dieser grauenhafte Angriff am Vortag der Syrien-Konferenz in Brüssel geschah, auf der die internationale Gemeinschaft alles daransetzt, um dem Land und seinen Menschen zu helfen, lässt das Vorgehen der Täter in einem zusätzlich zynischen Licht erscheinen.
Der Einsatz von Giftgas ist ein Kriegsverbrechen; Kriegsverbrechen müssen geahndet werden. Deswegen finden wir es richtig, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sich heute mit dem Fall dieses Giftgasangriffs beschäftigt. Die Verantwortlichen für dieses menschenverachtende Verbrechen müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Dies schließt lassen Sie mich das betonen Präsident Assad und seine Regierung ein.
Auch wenn in diesem Fall die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind, so muss doch darauf hingewiesen werden, dass die Verantwortlichkeit des Assad-Regimes für Chemiewaffeneinsätze in der Vergangenheit bereits nachgewiesen wurde.
Die Bundesregierung begrüßt, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sich noch heute mit den jüngsten Vorgängen befassen wird. Wir gehen davon aus, dass sich Russland und China einer unabhängigen Untersuchung des Vorfalls in Chan Scheichun nicht verweigern werden und dass die dann identifizierten Verantwortlichen auch zur Rechenschaft gezogen werden.
Die Bundesregierung sieht auch hier Russland und Iran als Verbündete des Assad-Regimes in der Verantwortung. Wir sind überzeugt: Ohne ihre massive militärische Unterstützung hätte das Regime längst ernsthaften Verhandlungen über eine politische Lösung zustimmen müssen.
Die Bundesregierung fordert die russische und die iranische Regierung zum wiederholten Male dazu auf, ihre Partner im Assad-Regime zu einer sofortigen Einstellung aller bewaffneten Einsätze und zum Einhalt der vereinbarten Waffenruhe zu bewegen. Sie erwartet ferner, dass Russland im Sicherheitsrat und andernorts die Suche nach den Verantwortlichen für das gestrige Verbrechen nicht behindern, sondern aktiv unterstützen wird.
FRAGE JESSEN: Frau Demmer, hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, ob die Attacken aus der Luft lanciert wurden? Hat sie, falls ja, Erkenntnisse darüber, welcher Nationalität die Flugzeuge waren?
SRS’IN DEMMER: Ich habe keine genaueren Erkenntnisse, vielleicht das Auswärtige Amt.
FISCHER: Das, was wir wissen, stammt aus verschiedenen Quellen, die wir auch vor Ort haben. Danach scheint es durchaus schlüssig, dass es Angriffe aus der Luft gegeben hat. Wir belassen es erst mal dabei.
FRAGE HELLER: Wenn Sie von der Hoffnung sprechen, dass Russland und China einer unabhängigen Überprüfung dieses Vorfalls zustimmen, ist das eine allgemeine Hoffnung, oder fußt sie auf irgendwelchen konkreten Gesprächen, Signalen, Ähnlichem, die Sie aus den beiden Ländern bekommen haben?
SRS’IN DEMMER: Ich habe Ihnen jetzt erst einmal den Appell so vorgetragen. Über Hoffnungen kann ich Ihnen keine Auskunft geben.
FRAGE JUNG: Frau Demmer, Herr Fischer, wie bewerten Sie die russische Stellungnahme? Diese haben die syrische Regierung ebenfalls verantwortlich gemacht, aber sie sagen, dass die syrische Luftwaffe einen Angriff auf ein genutztes Lager mit Giftstoffen unternommen hat. Sie sagten ja, dass es eine Giftattacke war. Das ist ja quasi eine Attacke auf ein Giftlager.
FISCHER: Wir haben keine Hinweise, die diese These belegen würden. Wir kennen keine Bilder von einem Angriff auf ein solches Lager. Vor dieser Regierungspressekonferenz habe ich auch mit unseren Experten gesprochen. Sie sagten selbst: Wenn es einen Angriff auf ein Lager voller Giftgas gegeben haben sollte, würde das nicht notwendigerweise bedeuten, dass es dann auch zu dieser Art von Auswirkungen käme. Es kann also durchaus sein, dass so ein Lager angegriffen wird, ohne dass irgendetwas danach passiert, vor allen Dingen nicht mitten in einer Stadt.
Es gibt weder Bilder, noch gibt es konkrete Hinweise darauf, was für ein Lager das gewesen sein soll, noch sagen unsere Experten, die sich mit Chemiewaffen beschäftigen, dass ein Angriff notwendigerweise dazu führen würde, dass es zu einer solchen Art von Bildern kommt, die wir gesehen haben.
ZUSATZFRAGE JUNG: Könnten Sie noch einmal ausführen, wer das jetzt untersuchen lassen soll? Wenn die Anti-ISIS-Koalition Zivilisten tötet, dann vertrauen Sie ja darauf, dass der Täter das untersucht. Wer soll das jetzt hier untersuchen? Das syrische Regime?
FISCHER: Es gibt ja verschiedene internationale Organisationen und verschiedene internationale Mechanismen, die sich mit diesen Dingen beschäftigen. Da ist zum einen die OVCW zu nennen, die Organisation für das Verbot chemischer Waffen, die in den nächsten Tagen zu einer Sondersitzung zusammenkommen soll, was wir sehr unterstützen, die mit einer Fact-Finding Mission vor Ort ist. Dann gibt es den OVCW-UN Joint Investigative Mechanism. All diese Mechanismen der Organisationen sind in Syrien tätig, waren in der Vergangenheit in Syrien tätig und haben sich speziell um die Aufklärung von Giftgasangriffen gekümmert und haben in der Vergangenheit ja auch entsprechende Belege gefunden und vorlegen können, dass es zu dem Einsatz von Giftgasen gekommen ist, und zwar, wo das eindeutig war, durch das Assad-Regime und in Einzelfällen auch durch den IS, aber bislang in keinem Fall durch die bewaffnete Opposition.
ZUSATZFRAGE JUNG: Eine Verständnisfrage, Herr Fischer: Sie sagten ja, die syrischen Chemiewaffen wurden auch in Deutschland vernichtet. Wie kann es denn dann sein, dass da jetzt noch Chemiewaffen eingesetzt werden?
FISCHER: Das ist etwas, was Sie möglicherweise das syrische Regime fragen sollten. Das syrische Regime ist dem Chemiewaffenabkommen beigetreten, hat sich verpflichtet, die Chemiewaffenbestände, die es noch hat, unter internationaler Aufsicht zu vernichten, und musste sie dazu benennen und öffentlich machen.
All die uns bekannten Chemiewaffenlager und produktionsstätten konnten natürlich dann untersucht werden und die Chemiewaffen von dort außer Landes gebracht werden. Aber möglicherweise müssen wir jetzt davon ausgehen, dass es immer noch Restbestände dort gibt, die jetzt zum Einsatz gekommen sind. Das heißt, das syrische Regime hätte in dieser Hinsicht die Völkergemeinschaft belogen.
FRAGE: Frau Demmer, Sie haben gesagt, dass Deutschland alles tun wird, um den Menschen vor Ort zu helfen. Was heißt das konkret? Beinhaltet das auch medizinische Hilfe für Verletzte, Geschädigte? Wird es da neue Mittel geben?
SRS’IN DEMMER: Dazu hat sich der Außenminister schon geäußert. Darum bitte ich Herrn Fischer, dazu etwas zu sagen.
FISCHER: Das stimmt. Wir haben ein umfangreiches humanitäres Engagement in Syrien. Ich weiß nicht, ob Sie das wissen: Wir haben letztes Jahr bei der London-Konferenz für Syrien 2,3 Milliarden Euro über die nächsten Jahre zugesagt. Der Minister hat heute 1,169 Milliarden Euro an zusätzlichen Mitteln für die Stabilisierung, für humanitäre Hilfe, für den Bereich Bildung und Beschäftigung zugesagt, die abfließen werden.
Allein im letzten Jahr haben wir 1,32 Milliarden Euro in diesen Bereichen ausgegeben, um die Menschen in Syrien zu unterstützen. Das hat ganz verschiedene Komponenten. Da geht es zum einen um humanitäre Hilfe. Das heißt, wir versorgen über die internationalen Organisationen wie das World Food Programme oder UNHCR syrische Binnenvertriebene in Syrien, die ärmsten Bevölkerungsgruppen in Syrien, aber auch in den Nachbarländern die Syrer, die dort in Flüchtlingscamps geflüchtet sind, zum Beispiel mit Nahrungsmitteln und Hygienemitteln.
Aber wir haben auch dazu beigetragen, beispielsweise eine medizinische Grundinfrastruktur in Nordsyrien aufzubauen, und haben dort Behelfskrankenhäuser unterstützt. Das sind Maßnahmen, die wir ergriffen haben, um das Los der syrischen Bevölkerung zu verbessern und auch die Resilienz der syrischen Bevölkerung gegenüber den verschiedensten Angriffen, zum Beispiel Giftgasangriffen, zu verbessern, um den Medizinerinnen und Medizinern, die noch vor Ort sind, die Möglichkeit zu geben, hier schnell reagieren zu können und möglichst viele Menschen zu retten.
SRS’IN DEMMER: Die Bundesregierung hat heute einen Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Hasskriminalität in sozialen Netzwerken beschlossen.
Der Gesetzentwurf zielt darauf, Hasskriminalität, strafbare Falschnachrichten und andere strafbare Inhalte in sozialen Netzwerken wirksamer zu bekämpfen. Erfasst werden dabei Inhalte, die auch nach dem jetzigen Recht strafbar sind. Das sind zum Beispiel Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung, öffentliche Aufforderung zu Straftaten, Volksverhetzung und Bedrohung, aber auch Kinderpornografie und terroristische Straftaten.
Das Melden von derartigen Inhalten wird für die Nutzer erleichtert. Betreiber sozialer Netzwerke müssen ein wirksames und transparentes Beschwerdemanagement einführen. Sie werden unter anderem verpflichtet, ein leicht erkennbares, unmittelbar erreichbares und ständig verfügbares Verfahren zur Übermittlung von etwaigen Beschwerden über strafbare Inhalte anzubieten.
Die Betreiber sind gegebenenfalls verpflichtet, strafbare Inhalte von ihrer Plattform zu nehmen. Dabei gelten folgende Fristen: Offensichtlich strafbare Inhalte müssen innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde gelöscht oder gesperrt werden. Weitere strafbare Inhalte sind innerhalb von sieben Tagen nach Eingang der Beschwerde zu löschen oder zu sperren. Das betrifft auch sämtliche auf der Plattform befindliche Kopien des strafbaren Inhalts. Verstöße gegen diese Pflicht können mit einer Geldbuße geahndet werden.
Des Weiteren hat die Bundesregierung heute einen Gesetzentwurf gegen Kinderehen beschlossen. Mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen sollen Minderjährige in Deutschland vor zu frühen Eheschließungen geschützt werden. Außerdem soll der Gesetzentwurf klarere Regeln für den Umgang mit Ehen schaffen, die von einem Minderjährigen nach ausländischem Recht geschlossen wurden:
Im Interesse des Kindeswohls wird das Ehemündigkeitsalter im deutschen Eherecht ausnahmslos auf 18 Jahre festgelegt. Eheschließungen sind künftig nur noch möglich, wenn beide Heiratswillige volljährig sind.
Bisher kann das Familiengericht einen Minderjährigen, der das 16. Lebensjahr vollendet hat, vom Alterserfordernis der Ehemündigkeit befreien. Diese Möglichkeit entfällt künftig.
Außerdem werden für bereits verheiratete Minderjährige neue Regelungen getroffen: Bei Eheschließung im Alter zwischen 16 und 18 Jahren gilt die Regel, dass durch richterliche Entscheidung diese Ehe aufgehoben werden kann. In besonderen Härtefällen kann allerdings von einer Aufhebung abgesehen werden. Das gilt auch dann, wenn der minderjährige Ehegatte zwischenzeitlich volljährig geworden ist und die Ehe bestätigt. Eheschließungen im Alter unter 16 Jahren sind nach dem Gesetz automatisch unwirksam und brauchen nicht erst in einem gerichtlichen Verfahren aufgehoben zu werden. Diese Grundsätze gelten auch, wenn die Ehen nach ausländischem Recht wirksam geschlossen worden waren.
Mit dem Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Telemediengesetzes setzt die Bundesregierung eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag um. Die Koalition hat sich zum Ziel gesetzt, für eine stärkere Verbreitung offener WLAN-Netze zu sorgen, damit mobiles Internet über WLAN für jeden verfügbar ist. Der heute beschlossene Gesetzentwurf schließt an das Zweite Telemedienänderungsgesetz an, das im Juli 2016 in Kraft getreten ist und klargestellt hat, dass WLAN-Anbieter in gleicher Weise haften sollen wie Netzbetreiber.
Darüber hinaus hatten die Koalitionsfraktionen sich im parlamentarischen Verfahren darauf verständigt, die Störerhaftung abzuschaffen und WLAN-Anbieter von Abmahnkosten zu befreien. Dann hat allerdings ein Urteil des EuGH am 15. September 2016 zu Rechtsunsicherheit geführt und damit dazu beigetragen, dass auch das Kammergericht in Berlin in seinem Beschluss vom 8. Februar 2017 die Störerhaftung bei WLAN-Anbietern weiter angewendet hat.
Mit dem heute beschlossenen Gesetzentwurf verschafft die Bundesregierung nun Zugangsanbietern die nötige Klarheit. Die Störerhaftung auf Unterlassung sowie alle damit in Zusammenhang stehenden Kosten wird für alle Internetzugangsanbieter abgeschafft.
Darüber hinaus dürfen WLAN-Betreiber nicht von einer Behörde verpflichtet werden, Nutzer zu registrieren und ihr WLAN zu verschlüsseln oder zu schließen, auf freiwilliger Basis hingegen schon.
Im Fall von Urheberrechtsverletzungen können Rechteinhaber gegen Zugangsanbieter sogenannte Nutzungssperren erwirken, um unter bestimmten Voraussetzungen die Wiederholung einer konkreten Rechtsverletzung zu verhindern. Dabei werden Zugangsanbieter von den vor- und außergerichtlichen Kosten befreit. Der Entwurf wird den Ausbau öffentlich zugänglicher Hotspots fördern und konkret Geschäftsmodellen zum Durchbruch bzw. zur Weiterverbreitung helfen. Gleichzeitig entspricht er dem heutzutage elementaren Bedürfnis der Verbraucherinnen und Verbraucher, in der digitalisierten Welt jederzeit und überall online sein zu können.
Das Kabinett hat heute eine Formulierungshilfe für die Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen im Gesetzentwurf zur Modernisierung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer Krankheiten beschlossen. Der gesetzgeberische Handlungsbedarf hat sich aus den Schlussfolgerungen der Expertenkommission Pflegepersonal im Krankenhaus vom 7. März ergeben.
Eine gute Versorgung im Krankenhaus ist nur möglich, wenn genügend Pflegepersonal da ist. Gesundheitsminister Gröhe hat sich daher mit Vertretern der Koalitionsfraktionen und Länder darauf verständigt, dass künftig Pflegepersonaluntergrenzen für Krankenhausbereiche vereinbart werden, in denen dies aus Gründen der Patientensicherheit besonders notwendig ist. Berücksichtigt werden müssen dabei insbesondere die intensivmedizinische Pflege und die Nachtdienste. Sie sollen bis zum 30. Juni 2018 verbindlich festgelegt werden. Damit beauftragt sind der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Deutsche Krankenhausgesellschaft unter Beteiligung des Verbands der privaten Krankenversicherung. Die Vereinbarung soll zum 1. Januar 2019 wirksam werden. Sollte bis zum 30. Juni 2018 keine entsprechende Vereinbarung zustande kommen, wird das Bundesgesundheitsministerium die Personaluntergrenzen festlegen sozusagen ersatzweise mit einer Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates.
Außerdem wird der Pflegezuschlag ab 2019 auf 830 Millionen Euro aufgestockt. Er beträgt derzeit 500 Millionen Euro. Hinzu kommen dann die 330 Millionen aus dem Pflegestellen-Förderprogramm, die damit in die Regelfinanzierung überführt werden. Sie erinnern sich vielleicht: Das Pflegestellen-Förderprogramm läuft seit 2016. Den Pflegezuschlag beschlossen im Krankenhausstrukturgesetz gibt es seit diesem Jahr. Er wird je nach Pflegepersonalkosten der Krankenhäuser verteilt und ist Anreiz, für genügend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege zu sorgen.
Dann hat sich das Kabinett heute mit dem Ausbildungsmarkt befasst. Der Ausbildungsmarkt hat sich im Ausbildungsjahr 2016 stabilisiert. Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge, insbesondere der betrieblichen Ausbildungsverträge, ist gegenüber dem Vorjahr nahezu konstant. Die Ausbildungschancen für junge Menschen, die sich um einen Ausbildungsplatz bewerben, haben sich verbessert. Für Betriebe ist es hingegen erneut schwieriger geworden, ihre angebotenen Ausbildungsstellen zu besetzen. Das heißt, es gibt ein Passungsproblem zwischen Angebot und Nachfrage, die sich nach Regionen und Berufen stark unterscheiden. Zudem ist die Quote der Betriebe, die Ausbildungsplätze anbieten, erneut leicht rückläufig. Wichtig bleibt die Bildungsintegration der Geflüchteten mit Bleibeperspektive.
Die wichtigsten Daten des Berufsbildungsbericht 2017, den das Kabinett heute beschlossen hat, würde ich Ihnen gerne im Überblick nennen:
100 Ausbildungsplatzsuchenden standen 104,2 Ausbildungsangebote gegenüber so viele wie seit mehr als 20 Jahren nicht mehr. Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge ist gegenüber dem Vorjahr mit rund 520 300 nahezu konstant. Davon waren 502 800 betriebliche Ausbildungsverträge.
Den 20 600 unversorgten Bewerberinnen und Bewerbern 1,1 Prozent weniger als im Vorjahr standen bei den Betrieben 43 500 unbesetzte Ausbildungsstellen gegenüber eine Zunahme um 4,5 Prozent.
Der Anteil der Ausbildungsbetriebe an allen Betrieben, die Ausbildungsbetriebsquote, ist weiter zurückgegangen und lag 2014 bei 20 Prozent. Dieser Rückgang ist ausschließlich auf Kleinstbetriebe und auf neue Branchen ohne Ausbildungstradition, wie etwa Start-ups, zurückzuführen. Mit steigender Betriebsgröße steigt auch die Ausbildungsbetriebsgröße.
Die Bundesbildungsministerin hat den Bericht vorhin auf ihrer Pressekonferenz erläutert. Der Bericht belegt den hohen Stellenwert der dualen Berufsausbildung mit etwa 330 anerkannten Ausbildungsberufen. Die Bundesregierung ist überzeugt von der Stärke des wirtschaftsnahen Berufsbildungssystems in Deutschland. Die Ausbildungsqualität, die im EU-Vergleich geringste Jugenderwerbslosigkeit und das hohe Ansehen im Ausland zeigen, wie wertvoll das Berufsbildungssystem ist.
Die Bundesregierung arbeitet gemeinsam mit Ländern und Sozialpartnern daran, das Berufsbildungssystem leistungsfähig und attraktiv zu halten. Schwerpunkte waren 2016 die Verbesserung des Übergangs in Ausbildung, die Modernisierung der beruflichen Ausbildung, die Steigerung der Attraktivität der Ausbildung sowie die Integration von jungen Migranten und Geflüchteten.
Das war es aus dem Kabinett.
FRAGE JUNG: Herr Scholz, der Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Hasskriminalität in sozialen Netzwerken hat ja einen eingeschränkten Geltungsbereich. Können Sie uns einmal die kommerziellen Dienste und sozialen Netzwerke nennen, die zum heutigen Stand von dem Gesetz betroffen wären? Welche Dienste wären also berichtspflichtig?
Im Entwurf hieß es ja damals ich weiß nicht, ob das der Entwurf war, der heute beschlossen wurde , dieses Gesetz gelte für „Telemediendienstanbieter, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben, die es Nutzern ermöglichen, beliebige Inhalte mit anderen Nutzern auszutauschen, zu teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen“. Darunter würde ja zum Beispiel auch WhatsApp fallen. Haben Sie das in dem von Ihnen heute beschlossenen Entwurf ausräumen können, sodass diese Messengerdienste nicht darunter fallen?
DR. SCHOLZ: Sie haben den Anwendungsbereich, wie er im Gesetzentwurf definiert ist, richtig wiedergegeben. Wir gehen davon aus, dass von dem Gesetzentwurf primär drei soziale Netzwerke betroffen sind und bei weiteren sieben eine Einbeziehung denkbar ist.
ZUSATZFRAGE JUNG: Welche?
DR. SCHOLZ: Ich kann Ihnen keine abschließende Liste dieser Netzwerke nennen. Sie müssen bedenken, dass es sich auch nur um eine erste Einschätzung handelt. Die Nutzerzahlen, von denen es ja auch abhängt, ob Netzwerke in diesen Anwendungsbereich fallen, können sich selbstverständlich auch jederzeit verändern. Insofern kann ich Ihnen hier heute keine fertige und abschließende Liste dessen nennen, was darunter fällt.
Sie haben Messengerdienste angesprochen: Diese können von der Definition erfasst werden, wenn es um die Kommunikation innerhalb eines nicht fest geschlossenen Benutzerkreises geht.
ZUSATZFRAGE JUNG: Sie redeten ja von drei großen und sieben kleineren Netzwerken. Können Sie wenigstens die drei großen nennen?
DR. SCHOLZ: Sie wissen ja, mit welchen Unternehmen wir im Rahmen unserer Taskforce Gespräche geführt haben. Das sind die Unternehmen Facebook, Twitter und Google.
FRAGE KRITTIAN: Facebook verweigert ja weiterhin zu Zugang zu den Räumlichkeiten seiner Löschteams. Wäre es nicht wünschenswert, dass man sich einmal einen Eindruck über deren Arbeitsweise machen kann? Empfinden Sie das als Problem?
DR. SCHOLZ: Wir haben mit dem Gesetzentwurf ja auch vorgesehen, dass die Unternehmen verpflichtet werden, künftig regelmäßig und umfassend darüber zu berichten, wie viele Beschwerden sie von Nutzern über strafbare Inhalte bekommen und wie sie mit diesen Beschwerden umgegangen sind. Sie müssen auch darüber berichten, wie viel Personal und wie qualifiziertes Personal sie einsetzen, um diese Prüfung der Inhalte und dann gegebenenfalls die Entfernung/Löschung vorzunehmen. Insofern werden wir, wenn dieses Gesetz so in Kraft tritt, in diesem Bereich deutlich mehr Transparenz als jetzt haben.
FRAGE JUNG: Sie hatten ja in dem Entwurf einige Straftatbestände aufgezählt, unter anderem § 90 StGB Verunglimpfung des Bundespräsidenten und § 90a StGB Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole. Warum kann ich denn auf Facebook den Bundespräsidenten nicht mehr grob beleidigen, aber die Bundeskanzlerin dagegen schon? Denn § 90b haben Sie nicht aufgezählt.
DR. SCHOLZ: Auch § 90b ist genannt.
ZUSATZFRAGE JUNG: Ja?
DR. SCHOLZ: Ich kann noch einmal nachgucken.
ZUSATZFRAGE JUNG: Im Entwurf stand er nicht drin.
DR. SCHOLZ: In dem Regierungsentwurf, der heute beschlossen worden ist, ist auch § 90b StGB genannt.
FRAGE: Zum Thema Untergrenzen für Pflegepersonal in Krankenhäusern: Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat heute direkt eine Pressemitteilung herausgegeben und auf den Fachkräftemangel verwiesen 6000 bis 8000 Pflegekräfte fehlten, deswegen sei es schwer, diese Untergrenzen zu erfüllen. An das BMG: Wie geht man mit dieser Kritik um?
An das Familienministerium: Letzte Woche gab es ja kurzzeitig einen Kompromiss zwischen den Fraktionen, was das Pflegeberufegesetz angeht, das ja auch diesen Fachkräftemangel mit beheben soll. Nun hat Frau Schwesig Herrn Lauterbach und die Fraktionen gestoppt. Befindet Frau Schwesig auch mit Blick auf den Fachkräftemangel eine Nichteinigung, also ein Nichtzustandekommen des Gesetzes für besser als einen Kompromiss, wie er vergangene Woche zwischen den Fraktionen ausgehandelt wurde?
BERVE-SCHUCHT: Ich kenne die Stellungnahme der Krankenhausgesellschaft noch nicht, und ich weiß auch nicht, ob sie dem Haus vorliegt. Ich denke, der Auftrag, der sich aus den Änderungsanträgen ergibt, ist eindeutig. Krankenhäuser und Krankenkassen sind jetzt erst einmal verpflichtet, diese Untergrenzen festzulegen. Es gibt, wie Sie sicherlich auch wissen, auch andere Maßnahmen des Hauses, um das Personal im Krankenhaus zu stärken. Man wird sehen, wie sich das Zusammenspiel dieser Maßnahmen auswirkt.
BIERINGER: Zu Ihrer Frage zu dem Pflegeberufegesetz: Selbstverständlich ist die Ministerin weiterhin an einer Lösung interessiert; das hat sich auch immer deutlich gemacht. Wir gehen auch davon aus, dass es eine Lösung geben wird, aber die liegt gerade selbstverständlich bei den Fraktionen.
ZUSATZFRAGE: Wäre der Ministerin ein Nichtzustandekommen des Gesetzes denn lieber als der Kompromiss der vergangenen Woche?
BIERINGER: Ich habe Ihnen gerade gesagt, dass die Ministerin immer deutlich gemacht hat, dass sie an einer guten Lösung interessiert ist, sprich, dass wir zu einer Lösung kommen. Wir sind zuversichtlich, dass es eine solche Lösung geben wird.
FISCHER: Ich habe Ihnen zunächst eine deutsch-französische Reiseankündigung zu machen: Donnerstagnacht wird Außenminister Gabriel zu einer Reise nach Mali aufbrechen. Für uns ist Mali ein Schlüsselland zur Stabilisierung und Entwicklung der gesamten Sahelregion. Mali ist ein Schwerpunktland unseres Engagements in Afrika, und es ist aus unserer Sicht ein gutes und wichtiges Beispiel für die Zusammenarbeit mit Europa.
In diesem Sinne wird Außenminister Gabriel in Bamako mit dem französischen Außenminister Ayrault zusammentreffen und von dort aus dann den Besuch gemeinsam durchführen. Die beiden Minister werden zunächst nach Gao reisen und dort die UN-Mission MINUSMA besuchen. Geplant sind dort unter anderem Gespräche mit der Einsatzleitung sowie deutschen und französischen Soldatinnen und Soldaten. In Bamako werden die beiden mit dem malischen Staatspräsidenten zusammentreffen. Im Mittelpunkt der Gespräche dort werden Themen wie der innermalische Friedensprozess, die Stabilität der Region sowie die innenpolitischen Reformen stehen. Geplant ist darüber hinaus auch ein Besuch der nationalen Polizeischule. Dort engagieren wir uns im Rahmen der Polizeikomponente von MINUSMA und der zivilen Ausbildungsmission EUCAP Sahel Mali. Zudem wird ein Treffen mit Vertreterinnen und Vertretern der malischen Zivilgesellschaft geplant.
Ich komme noch zu einer unerfreulichen Sache: Nordkorea hat heute erneut eine ballistische Mittelstreckenrakete getestet. Damit setzt das Regime seine unverantwortliche und völkerrechtswidrige Politik fort. Diese Art von Politik destabilisiert bewusst die Sicherheit in Ostasien und der gesamten Region darum herum. Wir verurteilen diesen Test in aller Deutlichkeit und aller Schärfe und rufen Nordkorea mit Nachdruck dazu auf, sich endlich an geltendes Völkerrecht zu halten und den Weg zurück in die Völkergemeinschaft zu suchen. Gemeinsam mit unseren Partnern in der EU setzen wir uns dafür ein, dass die internationale Gemeinschaft entschlossen und entschieden auf diese erneute Provokation reagiert.
An Nordkorea gerichtet kann ich nur sagen: Solange das Regime nicht zur Vernunft kommt und die einschlägigen Sicherheitsratsresolutionen in vollem Umfang respektiert, werden auch die sehr scharfen und umfangreichen Sanktionen gegen Nordkorea bestehen bleiben. Bei einer Fortsetzung dieser Politik muss natürlich auch über eine Verschärfung der Sanktionen nachgedacht werden.
Das war es von meiner Seite. Danke.
FRAGE JUNG: Wurde der nordkoreanische Botschafter eingestellt?
FISCHER: Wir haben jetzt erst einmal so reagiert. Dazu, ob und wie wir das Gespräch suchen: Das mag auf verschiedenen Ebenen der Fall sein, aber Sie können davon ausgehen, dass wir diese Botschaft, die ich hier gerade öffentlich übermittelt habe und die Nordkorea auf diesem Wege sicherlich auch erreichen wird auch noch einmal über unsere Botschaft in Pjöngjang und durch die Kolleginnen und Kollegen vor Ort , an Nordkorea übermitteln werden.
FRAGE VALASSOPOULOS: Frau Tiesenhausen, Herr Tsipras hat nach einem Treffen mit Herrn Tusk vor ein paar Stunden in Athen gesagt: Wenn wir am kommenden Freitag keinen Kompromiss haben werden, dann werden wir ein Sonder-Gipfeltreffen der EU fordern. – Was sagen Sie dazu? Was sagen Sie zu der sogenannten politischen Lösung?
VON TIESENHAUSEN-CAVE: Ich bin ja Sprecherin des Bundesfinanzministeriums, und ich berufe keine Sonder-Eurozonengipfel ein. Ich kann Ihnen sagen, dass derzeit intensive Gespräche zwischen den Institutionen, dem Eurogruppenvorsitzenden, Herrn Dijsselbloem, und Griechenland laufen. Die haben gestern stattgefunden, und die finden auch heute wieder statt. Wir werden bei der Sitzung der Eurogruppe in Malta am Freitag einen Bericht über den Fortgang dieser Gespräche erhalten.
Grundsätzlich gilt: Wir brauchen natürlich zügige Fortschritte. Sie müssen auf der Grundlage der Vereinbarungen stattfinden. Sie wissen, dass Verzögerungen für die wirtschaftliche Erholung nicht gut sind. In diesem Sinne warten wir jetzt ab, was bei den Gesprächen herauskommt.
FRAGE: Ich habe auch eine Frage an das Bundesfinanzministerium zu diesem Thema. Es heißt in Agenturberichten, dass heute ein Kompromisspaket auf dem Tisch der Verhandler liege und dass man hoffe, bis zum Abend zu einem Ergebnis zu kommen, das alle mittragen könnten. Wie optimistisch sind Sie als Bundesfinanzministerium, dass die Finanzminister am Freitag auf Malta über einen Kompromiss beraten und eventuell auch befinden können?
VON TIESENHAUSEN-CAVE: Ich werde jetzt hier keine Erwartungen äußern. Wir nehmen wahr, wie ich es gerade dem Kollegen gesagt habe, dass derzeit intensiv verhandelt wird. Wir müssen jetzt abwarten, was dabei herauskommt. Alle Beteiligten werden sich am Freitag in Malta treffen, und dann wird man sehen, wie die Gespräche bis dahin gediehen sein werden.
ZUSATZFRAGE: Morgen wird sich Herr Schäuble hier in Berlin mit Herrn Dijsselbloem treffen. Was sind denn die Themen, die die beiden besprechen werden? Geht es um das Griechenland-Paket? Geht es um einen eventuellen Rücktritt von Herrn Dijsselbloem?
VON TIESENHAUSEN-CAVE: Ich kann Ihnen bestätigen, dass für morgen ein bilaterales Gespräch geplant ist. Ich kann aber hier nicht vorwegnehmen, worüber gesprochen werden wird; das machen wir nie. Es ist ein normales, vertrauliches Gespräch, wie es im Kreise der Eurogruppe viele gibt. Das ist auch nichts Besonderes. Zu Inhalten kann ich Ihnen jetzt hier nichts sagen.
ZUSATZFRAGE: Auch nicht, ob es im Anschluss Statements geben wird?
VON TIESENHAUSEN-CAVE: Nein, das ist nicht vorgesehen.
FRAGE VALASSOPOULOS: Frau Demmer, hat es in den letzten Tagen oder Stunden ein Gespräch zwischen Herrn Tsipras und Frau Merkel gegeben?
SRS’IN DEMMER: Da wiederhole ich, was Herr Seibert schon am Montag gesagt: Ich kann Ihnen über ein Gespräch mit Herrn Tsipras nichts berichten.
ZUSATZFRAGE VALASSOPOULOS: Was hält Frau Merkel von einer politischen Lösung, wie Herr Tsipras sie fordert?
SRS’IN DEMMER: Ich werde mich dazu jetzt gar nicht äußern. Ich bitte Sie, die Ergebnisse der Beratungen abzuwarten. Mehr kann ich dazu nicht sagen.
FRAGE JUNG: Herr Fischer, zu Herrn Yücel: War der Besuch ich glaube, gestern im Gefängnis ein einmaliges Ding, oder kann Deutschland jetzt in regelmäßigen Abständen Herrn Yücel konsularisch betreuen? Wenn ja, in welchen Abständen?
Was ist eigentlich mit den anderen fünf deutschen Inhaftierten? Bekommen Sie zu denen jetzt auch konsularischen Zugang?
FISCHER: Es ist erst einmal gut, dass es gestern gelungen ist, den Zugang zu Herrn Yücel zu erhalten. Unser Generalkonsul hat gestern das haben Sie ja auch den Erklärungen von Staatsminister Roth, der in Istanbul war, und Außenminister Gabriel entnehmen können knapp zwei Stunden mit Deniz Yücel sprechen können. Der Zugang hat ohne weitere Probleme funktioniert. Das Gespräch ist nicht gestört worden. Insofern war das ein guter Auftakt.
Wir sind letztlich sehr erleichtert darüber, dass das Versprechen der türkischen Seite jetzt endlich eingelöst worden ist, nachdem sich der Außenminister Ende letzter Woche ja noch einmal intensiv eingesetzt hat und auch Staatsminister Roth zu Anfang dieser Woche auf Bitten von Außenminister Gabriel unter anderem in dieser Sache eigens noch einmal nach Ankara und Istanbul geflogen ist.
Aus unserer Sicht war das ein erster Schritt. Jetzt geht es darum, dass wir die kontinuierliche Betreuung durch unser Generalkonsulat sicherstellen und sicherstellen können, und daran arbeiten wir.
ZUSATZFRAGE JUNG: Damit haben Sie aber keine Frage beantwortet. Ich wollte wissen: War das jetzt einmalig, oder wissen Sie nicht, ob das einmalig war?
FISCHER: Die Frage
ZURUF JUNG: Ich habe es so verstanden, dass Sie daran arbeiten, dass das jetzt regelmäßig stattfinden kann.
FISCHER: Genau. Wir hatten
ZURUF JUNG: Die Frage nach den anderen deutsch-türkischen Inhaftierten haben Sie gar nicht beantwortet!
FISCHER: Dazu komme ich jetzt gerne. – Wir hatten die Frage nach der Besuchserlaubnis in dieser Runde ja schon einmal beantwortet. Das war zunächst eine einmalige Erlaubnis. Daher bin ich davon ausgegangen, dass Sie das wissen. Im Übrigen hat das gestern auch der Staatsminister noch einmal in Istanbul zum Ausdruck gebracht, und Sie können es auch im „WELT“-Interview des Staatsministers nachlesen. Insofern ist das hier also auch keine große Neuigkeit. Aber natürlich arbeiten wir jetzt mit Hochdruck daran, dass wir erneuten Zugang zu Herrn Yücel erhalten.
Genauso arbeiten wir daran, dass wir Zugang zu den anderen deutsch-türkischen Inhaftierten erhalten. Hier gibt es ein paar Fälle. In einem Fall ist es uns auch gelungen, in der letzten Woche konsularischen Zugang zu erhalten. In den anderen Fällen sind wir weiter dran – genauso intensiv, wie wir das in Bezug auf Herrn Yücel sind.
ZUSATZFRAGE JUNG: Verstehen Sie denn unter „konsularischer Betreuung“, dass man einmal hin kann und dann nicht mehr? Gilt also ein nicht regelmäßiger, einmaliger Besuch als konsularische Betreuung? Ich verstehe darunter, dass das etwas Regelmäßiges ist.
FISCHER: Wir müssen uns ja gar nicht darüber unterhalten. Wir arbeiten daran, dass unser Generalkonsul erneut mit Herrn Yücel sprechen kann. Konsularische Betreuung geht ja viel weiter als das, was Sie beschreiben. Das heißt, wir stehen in Kontakt mit den Anwälten, wir stehen in Kontakt mit der Familie, und wir bemühen uns natürlich auch um direkten Kontakt mit Herrn Yücel. Wir bemühen uns auf den verschiedensten Ebenen zum Beispiel auch darum, dass die Haftbedingungen so erträglich wie möglich gestaltet werden. Wir bemühen uns weiterhin darum, dass Herr Yücel freigelassen wird. Es war ja auch eines der wichtigen Dinge, die unser Generalkonsul gestern noch einmal übermittelt hat, dass wir die Bundesregierung, der Außenminister seine Haft für falsch halten und uns weiterhin mit allem Nachdruck für seine Freilassung einsetzen.
Daher ist konsularische Betreuung in dem Sinne, wie Sie sie bezeichnen, natürlich durchaus umfangreicher. Ja, dazu gehört für uns auch, dass wir regelmäßig mit Herrn Yücel sprechen und uns davon überzeugen können, dass es ihm gut geht oder den Umständen entsprechend, muss man ja leider sagen, gut geht. Die Umstände, die Haftbedingungen, sind schwierig. Deswegen arbeiten wir mit dem, was wir haben, und mit dem, was wir können, daran, dass sich jetzt zumindest die Haftbedingungen kurzfristig verbessern, und arbeiten, wie gesagt, weiterhin auch an seiner Freilassung.
SRS’IN DEMMER: Ich würde Herrn Fischer da gerne unterstützen. Die Bundeskanzlerin begrüßt, dass es jetzt zum ersten Mal zu konsularischer Betreuung von Deniz Yücel gekommen ist. Sie dankt dem Außenminister für seinen beharrlichen Einsatz in dieser Sache. Aber natürlich erwarten wir von der türkischen Seite, dass auch in Zukunft bei Bedarf Besuche der Inhaftierten ohne Verzögerung ermöglicht werden.
FRAGE JESSEN: Deniz Yücel selbst hat seine Haftbedingungen ja im Grunde als eine Art von Isolationshaft bezeichnet. Entspricht das dem Eindruck, den Sie hatten?
Gibt es irgendwelche Zusagen der türkischen Seite oder entsprechende Hoffnungen, dass diese Bedingungen in Zukunft erleichtert bzw. verbessert werden?
FISCHER: Ich habe ja vorhin schon gesagt, dass die Haftbedingungen aus unserer Sicht alles andere als einfach sind. Herr Yücel befindet sich in Einzelhaft. Er hat, wie ich das sehen kann, Zugang zu einem kleinen Innenhof. Das sind alles keine guten Umstände. Ich habe ja auch gesagt, dass wir uns um eine Verbesserung der Haftbedingungen von Herrn Yücel bemühen und dass das für uns auch zu dem von Herrn Jung angesprochenen Bereich der konsularischen Betreuung gehört. Das tun wir in den Gesprächen mit unseren türkischen Gesprächspartnern. Unser Generalkonsul hat gestern im Anschluss an das Gespräch mit Herrn Yücel auch mit der Gefängnisleitung sprechen können. Insofern haben wir da also die verschiedensten Anliegen angebracht, die wir haben, um seine Haft, die wir, wie gesagt, für ungerechtfertigt halten, zu verbessern.
ZUSATZFRAGE JESSEN: Aber gab es noch keine direkte Reaktion der Gefängnisleitung darauf?
FISCHER: Ich glaube, wenn ich das richtig verstanden habe, ist das zur Kenntnis genommen worden, was der Generalkonsul vorgetragen hat, und es wurde zugesagt, das zu prüfen. Diesen Prüfvorgang müssen wir jetzt erst einmal abwarten.
FRAGE JUNG: Herr Fischer, ist die Isolationshaft eigentlich völkerrechtlich okay?
Wissen Sie, ob die anderen fünf deutschen Inhaftierten auch in Isolationshaft sitzen? Können Sie einmal beschreiben, was Sie genau für die tun? Setzt sich Herr Gabriel also auch für diese fünf ein?
Frau Demmer, tut die Kanzlerin das?
SRS’IN DEMMER: Ja.
FISCHER: Ich habe Ihnen vorhin ja schon gesagt, dass wir uns genauso für die anderen deutsch-türkischen Inhaftierten einsetzen wie für Herrn Yücel. Ich habe Ihnen ja auch gesagt, dass es uns in einem Fall auch gelungen ist, bereits in der letzten Woche konsularischen Zugang zu erhalten. Daran arbeiten wir weiter. Wir tun das hier in Berlin im Auswärtigen Amt in Kontakt mit der Botschaft. Wir tun das in Ankara und in Istanbul in Kontakt mit dem türkischen Außenministerium und den Zuständigen. Wir stehen in Kontakt mit den Anwälten, so es von den anderen Inhaftierten gewünscht ist. Wir bemühen uns auch da um regelmäßige Betreuung und dort, wo es angezeigt ist, auch um eine Verbesserung der Haftbedingungen.
ZUSATZFRAGE JUNG: Sitzen die anderen fünf auch in Isolationshaft?
FISCHER: Ich kann Ihnen nicht genau beantworten, wie die Haftbedingungen der fünf anderen sind, aber ich habe davon nichts gehört.
ZURUF JUNG: (ohne Mikrofon; akustisch unverständlich)
FISCHER: Ja, das wissen die Kolleginnen und Kollegen, die den Häftling besucht haben, bestimmt. Aber sehen Sie es mir nach, dass ich vor dieser Regierungspressekonferenz nicht mit ihnen darüber gesprochen habe, wie der Besuch denn verlaufen ist. Für mich war das Entscheidende, dass sie Zugang hatten und wir weiterhin am Zugang auch zu den anderen arbeiten.
FRAGE HELLER: Frau Demmer, Herr Fischer, wie ordnen Sie es denn ein, dass Sie jetzt zu Herrn Yücel und zu einem anderen der deutsch-türkischen Inhaftierten Zugang hatten und dass jetzt die täglich neuen, scharfen Vorwürfe aus der Türkei zumindest mir ein bisschen erlahmt zu sein scheinen? Ist da im Moment ein zartes Pflänzchen der Entspannung dieser hochexplosiven Beziehung zwischen Deutschland und der Türkei sichtbar, oder ist auch das schon zu optimistisch?
SRS’IN DEMMER: Vielleicht kann ich kurz vorab sagen: Ich will hier gar keine Prognosen anstellen. Wir haben uns hier sehr oft dazu geäußert, wie wichtig und von welch zentraler Bedeutung das deutsch-türkische Verhältnis für uns ist. Mit diesen Ausführungen möchte ich Sie jetzt nicht noch einmal behelligen, aber vielleicht kann Herr Fischer das tun.
FISCHER: Ich glaube, wir haben in der Vergangenheit öfter festgestellt, dass es im deutsch-türkischen Verhältnis gerumpelt hat und dass unter anderem die Inhaftierung Deniz Yücels und der anderen dieses Verhältnis auch belastet.
Gleichzeitig ist es so, dass sowohl wir als auch die Türkei natürlich ganz grundsätzlich ein Interesse an guten, stabilen und auch freundschaftlichen Beziehungen haben. Allein in Deutschland wohnen mehr als 3 Millionen türkischstämmige Menschen, ein Teil von ihnen türkische Staatsbürger, ein anderer Teil deutsche Staatsbürger und ein Teil davon deutsch-türkischer Nationalität. Das allein zeigt ja, wie eng die Bindungen zwischen unseren Ländern sind. Die sind, glaube ich, auf menschlicher Ebene so eng wie vermutlich zwischen keinen anderen zwei Ländern. Insofern haben wir, aber sollte eigentlich auch die türkische Regierung jegliches Interesse der Welt daran haben, diese Beziehungen besser zu gestalten, als sie es in letzter Zeit waren.
Wenn dies jetzt ein erster kleiner Schritt nach vorne war, dann wäre das gut. Aber, wie gesagt, Deniz Yücel ist noch immer in Haft, und wir müssen jetzt erst einmal daran arbeiten, erneut Zugang zu ihm zu erhalten. Das ist ein Beispiel für eines der Problemfelder, die es in den deutsch-türkischen Beziehungen gibt. Aber es gibt natürlich auch noch ein paar andere Dinge, hinsichtlich der wir uns wünschen würden, dass die Beziehungen besser wären.
FRAGE: Da wir jetzt auch schon ein Stück über den Fall Deniz Yücel hinaus diskutieren: Es gibt einen Bericht der „ZEIT“, wonach die türkische Regierung das wäre eine Frage an das Innenministerium, Herr Dr. Dimroth Anfang März ein weiteres Dossier mit Informationen über vermeintliche Regierungsgegner in Deutschland übergeben haben soll. Können Sie das bestätigen? Wenn ja, was gedenkt die Bundesregierung mit diesen Angaben anzufangen?
DR. DIMROTH: Hinsichtlich der konkreten Frage würde ich gerne ganz kurz „unter drei“ gehen, Herr Vorsitzender, wenn das möglich ist.
VORS. DR. MAYNTZ: Dann bitte ich die Kameraleute, abzuschalten, und darum, die fixe Kamera zu drehen.
– Es folgt ein Teil „unter 3“ –
VORS. DR. MAYNTZ: Gibt es Nachfragen „unter drei“? Dann wechseln wir zu „unter eins“.
DR. DIMROTH: Ganz allgemein lässt sich sagen, dass die Türkei für uns natürlich ein wichtiger Partner im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus ist und bleibt. Das bedeutet nicht, dass man in der Zusammenarbeit mit den türkischen Kollegen und mit den türkischen Ansprechpartnern auf der Ebene der Sicherheitsbehörden sozusagen naiv ist. Ganz im Gegenteil: Man muss natürlich sehr genau schauen, ob und inwieweit auch rechtsstaatliche Mindestanforderungen, die wir hier kennen, eingehalten werden, auch beim Austausch von Informationen in Bezug auf Personen mit möglichem Hintergrund zum terroristischen Spektrum. All das befreit uns aber nicht von der klaren Erkenntnis, dass die Türkei schon aufgrund der geopolitisch wichtigen und sehr zentralen Lage der Türkei beispielsweise im Zusammenhang mit dem Phänomen der sogenannten „foreign fighters“ ein wichtiger Partner im Informationsaustausch ist und dass wir diesen Informationsaustausch selbstverständlich unter Beachtung sämtlicher rechtsstaatlicher Vorgaben für wichtig halten und ihn auch fortsetzen wollen.
Ich hatte ja schon im Zusammenhang mit dem Vorgang hinsichtlich der Liste, die in den letzten 14 Tagen Gegenstand der Berichterstattung war, ausgeführt, dass es grundsätzlich ein durchaus üblicher Vorgang ist, dass solche Informationen bei solchen Dienstreisen ausgetauscht werden. Das findet beispielsweise auch nicht nur bei Dienstreisen in die Türkei oder bei entsprechenden Besuchen von türkischen Regierungsmitgliedern hier statt, sondern es ist ein üblicher Vorgang, wenn es solche Gespräche gibt, dass man solche Informationen teilt. Das ist ja teilweise sogar geradezu der Anlass für solche Zusammenkünfte.
Es ist dann eben ganz üblicherweise so, dass, wenn solche Informationen geteilt werden, eine Prüfungstrias einsetzt, wenn man so will. Die Sicherheitsbehörden jedenfalls die im Geschäftsbereich des BMI werden dann mit solchen Informationen befasst, und man schaut insbesondere, ob sich aufgrund dieser Listen Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die dort genannten Personen möglicherweise ihrerseits gefährdet sind. Dann erfolgt durch die zuständigen Länderbehörden in der Regel eine entsprechende Ansprache und Sensibilisierung.
Zweitens schaut man sehr genau, ob sich allein aus der Tatsache, dass hier Informationen zusammengeführt worden sind und in welcher Form sie zusammengeführt worden sind, Anhaltspunkte für mögliche Spionageaktivitäten ergeben, und würde das dann gegebenenfalls auch in Richtung der Strafermittlungsbehörden weiterleiten, sodass dort entsprechende Ermittlungen aufgenommen werden können.
Drittens schaut man natürlich auch, ob darin möglicherweise Informationen enthalten sind, die nach unseren Maßstäben, die ich ja geschildert habe nach unseren rechtsstaatlichen Maßstäben , Anhaltspunkte dafür sind, auch hier beispielsweise im Rahmen der Strafverfolgung tätig zu werden, weil darin beispielsweise Informationen zu Personen enthalten sind, die sich einer auch hier verbotenen terroristischen Organisation angeschlossen haben oder für diese aktiv sind.
Das sind also im Prinzip die drei Richtungen, in die ganz üblicherweise geschaut wird, wenn solche Informationen geteilt werden.
FRAGE JUNG: Herr Fischer, Sie sagten ja zu Herrn Yücel, dass Sie seine Freilassung fordern und er ungerechtfertigt im Gefängnis sitzt. Gilt das auch für die anderen fünf?
FISCHER: Dafür müsste man sich die einzelnen Vorwürfe genau anschauen, aber da, wo Vorwürfe offensichtlich unbegründet sind, gilt: Natürlich. Aber es gibt in der Türkei insgesamt mehr als 80 deutsche Inhaftierte, und nicht jeder von denen ist wegen der Dinge, die er in einer deutschen Tageszeitung aufgeschrieben hat, verurteilt worden. Bei den anderen müsste ich mir die Vorwürfe jetzt im Einzelnen anschauen. Dort, wo wir sie für unberechtigt hielten, würden wir natürlich auch davon ausgehen, dass eine rasche Freilassung angezeigt wäre.
ZUSATZFRAGE JUNG: Können Sie uns nachreichen, die Freilassung von wie vielen Sie fordern?
FISCHER: Ich prüfe das einmal.
FRAGE HELLER: Ich würde gerne vom Bundesfinanzministerium wissen, nachdem in Brüssel offenbar weiterhin an, sage ich einmal, neuartigen Wertpapieren gearbeitet wird an der Zusammenfassung von Staatsanleihen und deren Verbriefung , wie der aktuelle Wissensstand der Bundesregierung dazu ist. Können Sie mir noch einmal die Haltung der Bundesregierung zu einem solchen Instrument ausführen? Ich glaube, es ist Herr Dombrovskis, der das gerade wieder einmal erwähnt hat.
VON TIESENHAUSEN-CAVE: Ich glaube, Sie spielen auf die Berichterstattung darüber an, dass es derzeit interne Überlegungen der EU-Kommission gibt, einen weiteren Beitrag zur Debatte um die Weiterentwicklung der europäischen Institutionen insgesamt vorzubereiten. Das war ja auch angekündigt worden. Das ist Teil des Weißbuch-Prozesses. Wir rechnen im Laufe des späteren Frühjahrs mit so einem Papier.
Aber unser Stand ist der, dass es sich dabei derzeit um interne Vorüberlegungen der EU-Kommission handelt. Insofern gibt es auch noch keinen finalen Aufschlag, den ich hier kommentieren könnte. Unsere Haltung zu ESBies und anderen ist Ihnen bekannt und an dieser Stelle auch schon oft vorgetragen worden. Aber ich glaube, es hat wenig Sinn, hier jetzt in Detaildiskussionen einzusteigen, wenn noch kein Papier vorliegt.
ZUSATZFRAGE HELLER: Heißt das, Sie sehen im Moment keine Verdichtung auf einen solchen Vorschlag innerhalb der EU-Kommission?
VON TIESENHAUSEN-CAVE: Ich weiß nicht, ob Verdichtung oder Verdünnung die richtigen Begriffe sind. Wir warten ab, was dann irgendwann als Aufschlag der Kommission in dieser Debatte um die Weiterentwicklung der europäischen Institutionen insgesamt kommen wird. Das ist ja wirklich Teil eines Gesamtprozesses und greift auch ineinander. Jede Wasserstandsmeldung, die da man da aus Brüssel hört, können wir hier vonseiten des Finanzministeriums nicht kommentieren.
VORS. DR. MAYNTZ: Es gibt einen Nachtrag aus dem Auswärtigen Amt.
FISCHER: Ich habe noch einmal nachgeschlagen: Es sind ungefähr 40 Deutsche in der Türkei inhaftiert. Ich glaube, ich hatte gerade fälschlicherweise von 80 gesprochen.
FRAGE JOLKVER: Zum Anschlag in St. Petersburg. Gab es außer dem Tweet von Herrn Seibert und den Worten der Kondolenz im Gespräch von Frau Merkel mit Herrn Putin ich habe das vielleicht übersehen eine offizielle Stellungnahme der Bundesregierung zu diesem Anschlag am Montag?
SRS’IN DEMMER: Es gab ein Telegramm, in dem die Kanzlerin ihr Entsetzen über die Explosion zum Ausdruck gebracht hat, bei der so viele Menschen getötet und so viele verletzt worden sind. Sollte sich das bewahrheiten, dass es ein terroristischer Anschlag gewesen ist, wäre das ein barbarischer Akt, den die Kanzlerin auf das Schärfste verurteilt und dessen Drahtzieher ermittelt und zur Rechenschaft gezogen werden müssen.
FISCHER: Der Außenminister hat den Anschlag am selben Tag noch verurteilt und hat erklärt, dass unsere Gedanken bei unseren Freunden in Russland sind.
ZUSATZFRAGE JOLKVER: Nach diesem Anschlag haben mehrere deutsche Terrorismusexperten vorgeschlagen oder sogar gefordert, die Zusammenarbeit zwischen den Geheimdiensten Deutschlands und Russlands bei der Antiterrorabwehr zu verstärken. Herr Dimroth, gibt es mit russischen Diensten solche Kontakte wie zum Beispiel die Kontakte oder den Informationsaustausch mit den türkischen Diensten, die Sie erwähnten?
DR. DIMROTH: Vielen Dank für die Frage. Zunächst gibt mir das Gelegenheit, auch kurz etwas zu dem zu erwähnen Sie haben in Ihrer ersten Frage ein bisschen den Eindruck transportiert, als hätte die Bundesregierung zu den Vorgängen nicht oder nicht hinreichend Stellung genommen , was Frau Demmer und Herr Fischer gesagt haben.
Auch der Bundesinnenminister hat sich relativ zeitnah öffentlich erklärt und mehr oder weniger in gleicher Stoßrichtung insbesondere seine tief empfundene Trauer für die Opfer und deren Angehörigen zum Ausdruck gebracht. Er hat sehr deutlich geschildert, dass es eine gemeinsame Bedrohungslage gibt, der wir gemeinsam ausgesetzt sind, und dass es hier durchaus gemeinsamer Antworten und eben auch der Zusammenarbeit bedarf.
Zu Ihrer zweiten Frage: Auch wenn man die Dinge nicht vergleichen kann die Türkei ist ein NATO-Partner, was bei Russland bekanntermaßen nicht der Fall ist , wird man das sicher nicht eins zu eins miteinander vergleichen können. Aber in beiden Fällen gilt, dass wir die Zusammenarbeit, wie ich es vorhin beschrieben habe, nicht naiv, sondern sehr bewusst in Bezug auf die jeweiligen Besonderheiten der von Ihnen genannten Staaten betreiben, aber eben auch für erforderlich halten. Weil wir wissen, dass Terroristen in ihrem schrecklichen Tun eben nicht vor Grenzen halt machen, ist es aus unserer Sicht zwingend erforderlich, auch international mit allen Partnern, die einen wirksamen Beitrag zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus beitragen können, diese Zusammenarbeit auch zu pflegen noch einmal: nicht naiv, sondern sehr bewusst , was die Besonderheiten des jeweiligen Staates betrifft. Aber auf eine internationale Zusammenarbeit kann man in diesem Themenfeld nicht verzichten.
SRS’IN DEMMER: Die Bundeskanzlerin hat in dem Telefonat, das Sie eben angesprochen haben, in dem Sinne, wie Herr Dimroth das gerade beschrieben hat, zum Ausdruck gebracht, dass es natürlich wichtig ist, den weltweiten Terrorismus gemeinsam zu bekämpfen und dass der internationale Terrorismus eben auch nur gemeinsam zu besiegen ist.
ZUSATZFRAGE JOLKVER: Herr Dimroth, gab es unmittelbar nach diesem Anschlag am Montag einen verstärkten Kontakt oder Austausch zwischen deutschen und russischen Diensten?
DR. DIMROTH: Es gab sicher einen Informationsaustausch über die Kollegen der deutschen Sicherheitsbehörden, die in Russland tätig sind. Es gibt ja Verbindungsbeamte, die für uns als Ansprechpartner zur Verfügung stehen, um möglichst regierungsnahe Informationen generieren und gegebenenfalls weiter übermitteln zu können. Ich kann Ihnen hier nicht aus dem Stand sagen, ob es tatsächlich ein erhöhtes Aufkommen im Kontakt der Geschäftsbereichsbehörden jedenfalls des BMI gegeben hat. Diesbezüglich wäre ich eher skeptisch, weil die Aufgabenüberschneidungen für die Geschäftsbereichsbehörden des BMI vielleicht doch eher beschränkt sind. Es mag andere Behörden geben, wo es eine stärkere Schnittmenge geben wird. Nichtsdestotrotz kann ich die Frage gerne mitnehmen und die Antwort nachreichen respektive Ihnen am Freitag dazu eine Antwort geben, sollte sich etwas Belastbares ergeben.
FRAGE JUNG: Herr Dimroth, Sie sagten gerade, dass sich die deutsch-türkische Geheimdienstzusammenarbeit nicht mit der deutsch-russischen vergleichen lässt. Können Sie erläutern, wie deutsche und russische Geheimdienste miteinander kooperieren?
Frau Demmer, Herr Kahl war nach seinem Amtsantritt in Moskau und hat sich dort mit den Geheimdienstvertretern getroffen. Ist das in den letzten sechs Wochen auch noch einmal passiert?
SRS’IN DEMMER: Vielleicht kann ich das schnell abräumen: Zu nachrichtendienstlichen Angelegenheiten geben wir nur gegenüber den zuständigen und geheim tagenden Gremien des Bundestages Auskunft.
DR. DIMROTH: Das wären beinahe zu hundert Prozent meine Worte gewesen, nur mit den Zusatz auf Ihre andere Frage, dass ich schlicht darauf verwiesen habe, dass man die Zusammenarbeit zwischen Staaten ebenso wenig wie die Staaten selbst über einen Kamm scheren kann, sondern es gibt immer Besonderheiten. Ein Unterschied in unserer Verbindung zwischen der Türkei auf der einen und Russland auf der anderen Seite ist schlicht die Tatsache der NATO-Mitgliedschaft eines dieser beiden Staaten, was für den anderen eben nicht gilt.
FRAGE GAMMELIN: Ich würde gerne zum Thema Ungarn kommen. Dort hat gestern Regierungschef Orbán mit Hilfe seiner Regierungspartei ein Hochschulgesetz durch das Parlament gebracht, das Auflagen für internationale Universitäten vorsieht, die von so bekannten Universitäten wie der Soros-Universität nicht zu erfüllen sind. Dazu hätte ich zwei Fragen.
Erstens. Ist die Bundeskanzlerin der Meinung, dass das noch mit den normalen demokratischen Freiheiten Meinungsvielfalt, akademische Freiheit zu verbinden ist?
Zweitens. Hat Frau Merkel vielleicht mittlerweile Sorge, da sie ja in Europa mit Herrn Orbán nicht nur am Tisch sitzt, sondern auch aktiv Politik betreibt, dass diese Art von Politik auch ein Schatten auf sie selber bzw. die deutsche Regierung wirft?
SRS’IN DEMMER: Die Bundesregierung betrachtet die gestern im ungarischen Parlament im Eilverfahren verabschiedete Änderung des Hochschulgesetzes mit großer Sorge. Ich möchte für die gesamte Bundesregierung ganz deutlich machen: Die Wissenschaftsfreiheit ist für uns ein hohes Gut. Durch die Gesetzesänderung in Ungarn entsteht der Eindruck, dass damit der Betrieb von Hochschulen mit ausländischen Wurzeln erschwert oder im Einzelfall auch unmöglich würde.
Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte stehen in Europa nicht zur Disposition. Diese Werte sind Grundlage der Europäischen Union. Daran hat ja gestern auch Bundespräsident Steinmeier in seiner Rede vor dem EU-Parlament erinnert:
„Und dann darf Europa nicht schweigen, wenn der Zivilgesellschaft, selbst der Wissenschaft wie jetzt an der Central European University in Budapest die Luft zum Atmen genommen werden soll.“
Deutschland wird die Auswirkungen des neuen Gesetzes auf die Hochschullandschaft in Ungarn und die damit verbundenen Entwicklungen sehr aufmerksam beobachten. Die Bundesregierung hofft natürlich, dass der Lehrbetrieb an der Central European University weitergeführt werden kann.
ZUSATZFRAGE GAMMELIN: Und die zweite Frage?
SRS’IN DEMMER: Die habe ich damit auch beantwortet.
FRAGE GAMMELIN: Frau Demmer, die Bundeskanzlerin hat am Montag bei einem Treffen mit dem tschechischen und dem slowakischen Ministerpräsidenten auch etwas zur Pkw-Maut gesagt, nämlich dass Österreich im Zuge der Mauteinführung auch Vergünstigungen für die eigenen Bürger beschlossen habe. Unter anderem hat sie die Mehrwertsteuer für Autos erwähnt. Österreich hat das jetzt ziemlich scharf zurückgewiesen und gesagt, das entbehre jeder Grundlage und sei nicht nachvollziehbar. Meine Frage ist: Was genau hat Frau Merkel gemeint? Hat sie sich möglicherweise geirrt?
SRS’IN DEMMER: Der Hinweis aus Österreich ist in genau diesem Punkt korrekt. Das ändert aber nichts daran, dass auch Österreich die Fahrer von in Österreich zugelassenen Pkw mit einer Reihe von Maßnahmen entlastet, wie etwa der Pendlerpauschale. Ich möchte das hier zum Anlass nehmen, noch einmal darauf hinzuweisen, dass mit der Einführung der Infrastrukturabgabe hier in Deutschland Fahrzeughalter aus anderen Ländern nicht diskriminiert werden. Darauf hat die Bundeskanzlerin in den letzten Tagen eben noch einmal hingewiesen. Gleichzeitig hat sie deutlich gemacht: Es gibt keine Vergünstigungen für die in Deutschland zugelassenen Pkw, sondern es wird lediglich die doppelte Belastung durch Infrastrukturabgabe und Kfz-Steuer vermieden. Darauf haben auch andere europäische Länder bei der Einführung von Infrastrukturgebühren geachtet, so eben auch Österreich.
FRAGE: Nur noch einmal zum Verständnis: Den Punkt Pendlerpauschale hält die Kanzlerin aufrecht, aber den anderen Punkt nimmt sie quasi vom Tisch?
SRS’IN DEMMER: Genau. Zu den Details kann vielleicht das Verkehrsministerium noch einmal Stellung nehmen. Grundsätzlich gibt es aber eben auch in Österreich eine Reihe von Entlastungen, bei denen es eben um eine Vermeidung von Doppelbelastungen geht.
FRIEDRICH: Selbstverständlich ist es so, dass, wie Frau Demmer bereits gesagt, in Österreich eine Reihe von Maßnahmen ergriffen worden sind, um die einzelnen Bürger zu entlasten. Eine Maßnahme ist eben die Erhöhung der Pendlerpauschale. Darüber hinaus gibt es weitere Maßnahmen wie zum Beispiel den Pendlereuro. Die Position des Verkehrsministers ist, denke ich, hinreichend klar; bereits am Freitag hat er sich in mehreren Statements dazu geäußert, unter anderem vor und nach der Sitzung des Bundesrats. Diese Statements sind auch alle online verfügbar, das heißt, wenn Sie da noch ein bisschen Mehrwert brauchen, dann würde ich Ihnen empfehlen, sich das einfach noch einmal anzusehen, anzuhören bzw. durchzulesen.
FRAGE DR. TUYALA: In Ihrem aktuellen Deutschlandbericht wirft die Europäische Kommission der Bundesregierung vor, die Armut zu fördern, weil zu wenige Menschen vom Aufschwung profitieren würden. Der Paritätische Wohlfahrtsverband spricht sogar von politischem Versagen. Frau Demmer, was entgegnen Sie dieser Kritik aus Brüssel?
SRS’IN DEMMER: Diese Einschätzung das wird Sie nicht überraschen teilt die Bundesregierung nicht. Die Auszüge aus dem Länderbericht werden zudem stark verkürzt wiedergegeben. Es gibt in dieser Legislaturperiode zahlreiche Belege dafür, dass Politikänderungen vorrangig im Interesse unterer Einkommensgruppen vorgenommen worden sind und gerade im Sinne der Armutsbekämpfung erfolgt sind. Ich kann da ganz viel aufzählen: Mindestlohn, Stärkung der Tarifbindung, Bekämpfung des Missbrauchs bei Werkverträgen, Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre Kernfunktionen, höhere Erwerbsminderungsrenten, Rente mit 63, Mütterrente, Bundesteilhabegesetz, Erhöhung des Wohngeldes, Mietpreisbremse, Reform des Unterhaltsvorschusses, steuerliche Entlastung für Alleinerziehende das ist doch schon eine erkleckliche Aufzählung.
Wie Sie wissen, analysiert die Bundesregierung die Entwicklungen von Armut und Reichtum in Deutschland sehr genau und stellt die Ergebnisse regelmäßig vor. Über die Entwicklungen von Armut und Reichtum in Deutschland wird im Armuts- und Reichtumsbericht informiert. Der aktuelle 5. Armuts- und Reichtumsbericht befindet sich ja gerade in der Ressortabstimmung, aber viele Zahlen, Daten, Fakten können Sie jetzt schon unter www.armuts-und-reichtumsbericht.de bereits abrufen.
ZUSATZFRAGE DR. TUYALA: Frau Demmer, nichtsdestotrotz ist ja die Armut unbestrittenermaßen in Deutschland auf dem Vormarsch. Auch laut des Statistischen Bundesamtes sind 15,7 Prozent der Menschen in Deutschland von monetärer Armut bedroht, und damit so viele wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Bei den Kindern ist es ähnlich. Es gibt also durchaus ein Problem in dieser Hinsicht; dahingehend ist ja auch die Kritik aus Brüssel zu verstehen. Was für Instrumente hat die Bundesregierung, um dieses Problem anzugehen? Inwieweit wollen Sie dieses Problem also angehen, und wie tun Sie das?
SRS’IN DEMMER: Ich könnte jetzt noch einmal aufzählen, was wir machen, um die Lage zu verbessern. Grundsätzlich teile ich aber Ihre Analyse schon gar nicht, denn die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist gut. Wir haben zurzeit die höchste Zahl von Erwerbstätigen in der Geschichte der Bundesrepublik, wir haben solide öffentliche Haushalte, und aufgrund einer hohen Beschäftigungszahl müssen wir gar keine neuen Schulden machen. Das sind gute Voraussetzungen auch für die Zukunft unserer Kinder, Ihrer Kinder und Enkel.
KÜCHEN: Ich würde die Debatte gerne noch ein Stück zurückholen. Das Zitat aus dem Länderbericht, das heute Früh gelaufen ist, ist richtig, da kann ich Frau Demmer nur zustimmen. Die Aussage ist aber aus dem Zusammenhang gerissen, denn wenn man sich das in Gänze anguckt und ich würde Sie bitten, das auch noch einmal zu tun; ich kann das aber auch gerne hier verlesen , dann erkennt man, dass dort eine Aussage getroffen wird, die in der Pauschalität so nicht nachzuvollziehen ist.
Ich fange einfach einmal an. Da heißt es:
„Im Zeitraum 2008 bis 2014 hat die deutsche Politik in hohem Maße zur Vergrößerung der Armut beigetragen, was auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass die bedarfsabhängigen Leistungen real und im Verhältnis zur Einkommensentwicklung gesunken sind.“
Wir haben hier also quasi eine Aussage zu einem Verhältnis. Das kann man aber so pauschal nicht überprüfen, das muss ich einfach einmal sagen. Deswegen kann ich mich Frau Demmer da auch nur anschließen. Wir teilen also nicht und vor allen Dingen nicht notwendigerweise die hier dargestellten Aussagen der Kommission. Dazu wird die Bundesregierung dann im April im Nationalen Reformprogramm Stellung nehmen; das ist ja ein jährlich wiederkehrender Prozess. Ich will nur sagen: In der Pauschalität ist die Aussage dann doch ein bisschen anders gefallen.
ZUSATZ DR. TUYALA: Ja, aber nichtsdestotrotz ist es ja ein Fakt, dass die Armut das ist ja nicht meine Aussage in Deutschland leider Gottes auf dem aufsteigenden Ast ist.
VORS. DR. MAYNTZ: Und Ihre Frage? Sie wollten eine Zusatzfrage stellen.
ZUSATZ DR. TUYALA: Ja, genau. Sie sagten, das sei eine Pauschalisierung, aber die Fakten sprechen ja tatsächlich eine andere Sprache. Dahingehend war ja meine Frage, was da getan wird oder ob sie dem zustimmen.
SRS’IN DEMMER: Ich habe das doch wirklich aufgezählt. Ich finde, das war schon echt eine Menge Holz, was ich Ihnen aufgezählt habe. Ihre Analyse teilen wir nicht. Die absolute Armut in Deutschland sinkt. Der Anteil der Personen mit erheblichen materiellen Entbehrungen sinkt seit Jahren. Nur ganz wenige haben materielle Entbehrungen wie fehlende Mittel für Miete, Heizung, unerwartete Ausgaben, auskömmliche Mahlzeiten.
FRAGE JESSEN: Frau Küchen, jetzt bin ich verwirrt. Ihr Zitat ist eigentlich sehr deutlich, wenn ich das richtig verstanden habe: Die deutsche Politik hat in hohem Maße zu Armut beigetragen, und zwar durch die Streichung von Leistungen. Das schien mir der Satz zu sein.
KÜCHEN: Nein.
ZUSATZ JESSEN: Dann habe ich es falsch verstanden.
KÜCHEN: Mein Plädoyer ist, sich diesen Satz noch einmal anzuschauen. Es geht darum, das Verhältnis der bedarfsabhängigen Leistungen Ich kann mal kurz für unser Haus sagen: Die Leistungen im SGB II, also im Hartz-IV-System, und im SGB XII, in der Sozialhilfe, werden jährlich angepasst. Daher bitte ich einfach, sich diese Aussage noch einmal genau anzuschauen, auch die Aussage, die die EU-Kommission da getroffen hat.
ZUSATZ JESSEN: Das mache ich. Vielleicht komme ich am Freitag darauf zurück.
FRAGE: Ich habe eine Frage an das Finanzministerium. Seit Montag sind die Zahlen zu dem kommunalen Investitionsförderfonds für die finanzschwachen Kommunen öffentlich. Da sieht man, dass die Ausschöpfungsquote immer noch relativ gering ist ich glaube, 1,8 Milliarden von 3,5 Milliarden. Das wird ein bisschen begründet mit Schwierigkeiten, Anträge zu stellen, und der Planungshoheit der Kommunen. Wenn ich mir anschaue, dass für die Krankenhäuser nur 158 Millionen beantragt sind und wir bundesweit in allen Krankenhäusern Investitionspläne auf Halde liegen haben, kann ich es nicht so glauben.
Deswegen zwei Fragen: Kann es erstens sein, dass der Anteil, den die Kommunen zu stemmen haben, mit 10 Prozent noch zu hoch ist?
Zweitens. Ist das BMF noch einmal in Gesprächen mit den Ländern, um dafür zu sorgen, dass dieser Fonds vielleicht künftig besser ausgelastet wird?
VON TIESENHAUSEN-CAVE: Ich bin jetzt, ehrlich gesagt, etwas auf dem falschen Fuß, was die konkreten Zahlen für Krankenhausprojekte angeht. Das habe ich jetzt nicht präsent.
Die grundsätzliche Problematik bei der Ausschöpfung dieser Fonds ist nicht neu. Das haben wir auch nicht nur in diesem Fonds; das haben wir in anderen Fonds auch. Diese Debatte haben wir hier auch im Zusammenhang mit anderen Themen schon geführt.
Es gibt generell einen schleppenden Abfluss von Mitteln. Da kann der Bund nur begrenzt etwas tun, denn natürlich sind die Beantragung, die Durchführung, die Planung und dann letztlich auch der Bau von Projekten Sache von Ländern und Kommunen.
Ich müsste, wenn Sie jetzt ganz konkret etwas zum Gesundheitssektor wissen wollen, noch einmal nachfragen. Vielleicht können wir das bilateral klären. Ich habe jetzt die Gesundheitsdaten nicht präsent.
FRAGE JUNG: Ich wollte noch zum Angriff der Anti-ISIS-Koalition auf Wohngebiete kommen. Dazu hat uns Herr Flosdorff am Freitag gesagt, dass die Bundesregierung, das Verteidigungsministerium Bombardierungen von Wohngebieten im Irak und in Syrien als eine Form der Kriegsführung und als ein legitimes Mittel ansieht.
Herr Fischer, das Auswärtige Amt sagte am 4. Mai 2016 hier, dass Sie Angriffe auf Wohngebiete in Aleppo aufs Schärfste verurteilen. Verurteilen Sie auch die Bombardierungen der Anti-ISIS-Koalition von Wohngebieten im Irak und in Syrien? Wie schätzen Sie die Haltung des Verteidigungsministeriums ein, dass Bombardierungen von Wohngebieten eine Form der Kriegsführung sind?
FISCHER: Ich glaube, wir haben diese Diskussion hier ja schon geführt. Worum es bei unserer Aussage nur gegangen sein kann, ist, dass wir wahllose Angriffe auf Wohngebiete verurteilen. Worum es im Irak geht, sind ja gerade nicht wahllose Angriffe, sondern es geht darum, eine gezielte Gefahr auszuschalten und sich gleichzeitig darum zu bemühen, dass es nicht zu zivilen Opfern kommt.
ZUSATZFRAGE JUNG: Das heißt, wenn die Syrer und die Russen in Aleppo bombardieren, dann haben sie das wahllos getan, und wir bombardieren nicht wahllos?
FISCHER: Nein. Da verstehen Sie mich offensichtlich bewusst miss. Es geht darum: Gibt es ein militärisches Ziel, oder gibt es ein militärisches Ziel nicht? In Aleppo mussten wir annehmen, dass die Bombardierung zur Terrorisierung der Bevölkerung diente und dass es dort, wo die Bomben hingeworfen wurden, keine militärischen Ziele gab oder nicht nur militärische Ziele gab und es eine Mischung war zwischen einem Angriff an der Frontlinie auf Rebellenpositionen und auch auf Wohnblocks, in denen offensichtlich keine Rebellen waren und wobei es darum ging, die Bevölkerung auszubomben. Das heißt, dort stand im Mittelpunkt das Ziel, die Bevölkerung zu terrorisieren und zu ermorden.
Das, was die Anti-ISIS-Koalition macht, ist ja genau das Gegenteil. Sie bemüht sich darum, so weitgehend wie möglich zivile Opfer zu verhindern. Deswegen gibt es sehr, sehr klare Mechanismen, die dafür sorgen sollen, dass das auch passiert. Das gelingt nicht in jedem Einzelfall; darüber haben wir ja gesprochen. Es ist dann wirklich traurig und auch für uns erschütternd, wenn das nicht gelingt, denn es geht ja gerade darum, dass wir die Menschen vom IS befreien, die unter dessen wirklich brutaler Herrschaft leiden.
Aber nun müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass der IS die Bevölkerung in Geiselhaft nimmt. Bei den Kämpfen in Mossul gäbe es ja durchaus die Möglichkeit, die Bevölkerung gehen zu lassen oder dass andererseits der IS abzieht. Aber das ist offensichtlich nicht der Fall. Der IS hat die bewusste Entscheidung getroffen, die Bevölkerung in Geiselhaft zu nehmen, sie weiter zu terrorisieren und möglichst viele seiner eigenen Stellungen in Gebieten mit hohen Bevölkerungszahlen zu stationieren, und gleichzeitig gibt es Berichte darüber, die wir auch sehr ernst nehmen müssen, dass dort, wo sich IS-Kämpfer befinden, die Zivilbevölkerung zusammengepfercht wird und zusammengetrieben wird, um zu hohen Kollateralschäden zu kommen. Das ist eine Art von Kriegsführung, die jeglichem humanitären Völkerrecht widerspricht. Das ist genau ein Unterschied zu einer Art von Auseinandersetzung, die wir führen.
FRAGE JOLKVER: Ich habe eine Frage an das Wirtschaftsministerium. Der russische Energieriese Gazprom ist wohl bereit, große Zugeständnisse an die EU-Kommission zu machen, um das Projekt Nord Stream 2 zu verwirklichen. Es gibt auch ein Schreiben von Gazprom an die EU, das an die Regierungen der EU-Mitglieder weitergeleitet wurde.
Sind Ihnen diese Vorschläge von Gazprom bekannt? Was halten Sie von ihnen? Bleibt Ihr Haus bei der Stellungnahme, dass Nord Stream 2 eine rein unternehmerische Entscheidung ist und sein soll?
DR. BARON: Vielen Dank für die Frage. Mir sind diese Schreiben nicht bekannt. Deshalb kann ich deren Inhalte jetzt auch nicht kommentieren.
Es handelt sich um ein unternehmerisches Projekt, und wir haben auch immer deutlich gemacht, dass jedes Projekt natürlich im Einklang mit geltendem nationalem und europäischem Recht sein muss. Das gilt für alle Projekte dieser Art.
FRAGE MEYER-FÜNFFINGER: Ich habe eine Frage an das Bundeslandwirtschaftsministerium, und zwar wüsste ich gerne, was Sie den Kritikern des von Ihnen geplanten Labels für mehr Tierwohl entgegnen, von denen jetzt die Kritik kommt, dass das, was zumindest bisher bekannt ist, nicht über die geltenden gesetzlichen Mindeststandards hinausgeht oder dies nur in sehr kleinteiligem Umfang tut.
REINHARD: Sie haben den eigentlichen Punkt schon angesprochen: das, was bisher bekannt ist. Die Kriterien wurden ja bislang von uns nicht vorgestellt und werden momentan finalisiert. Wenn es so weit ist, wenn uns Kriterien vollständig vorliegen, werden wir diese natürlich auch veröffentlichen. Aber ich denke, dass vor diesem Hintergrund klar ist, dass wir Arbeitsschritte des Prozesses jetzt nicht im Einzelnen kommentieren können.
ZUSATZFRAGE MEYER-FÜNFFINGER: Was können Sie über die Berichterstattung sagen? Ist das noch im Prozess, das heißt, die Kriterien werden noch verändert, oder ist die Kritik derer, die sich geäußert haben, Tierschützer zum Beispiel, unberechtigt? Wie bewerten Sie das?
REINHARD: Wie ich es gerade gesagt habe: Die Finalisierung läuft derzeit. Wenn die Kriterien vorliegen, stellen wir sie auch öffentlich vor und nehmen gerne dazu Stellung.
FRAGE JUNG: Es heißt ja, nach dem Label-Entwurf dürfen Schweine weiterhin im Schummerlicht gehalten werden und auf hartem Spaltenboden gehalten werden, der ihre Gelenke kaputt macht. So etwas bekommt also auch ein Tierwohl-Label, ja?
REINHARD: Ich kann das überhaupt nicht bestätigen. Da Sie das jetzt so suggerieren: Es ist tatsächlich so, dass wir die Kriterien bislang noch nicht fertig abgestimmt haben, dass dies momentan passiert. Wenn die Kriterien fertig abgestimmt sind, dann stellen wir sie gerne vor.
ZUSATZFRAGE JUNG: Wann wird das passieren?
REINHARD: Wir sind momentan in der Finalisierung der Kriterien der verschiedenen Stufen des Labels.
Grundsätzlich kann ich auch noch sagen, dass das Label mehrstufig angelegt sein wird, weil wir mit dem Label auch wirklich in die Breite wollen. Wie gesagt, zu den Details werden wir uns äußern, wenn wir die Kriterien vorlegen und öffentlich vorstellen.
ZUSATZFRAGE JUNG: Heißt „mehrstufig“ Ampel, also grün, gelb usw.?
REINHARD: Wie gesagt, zu Details äußern wir uns dann, wenn es so weit ist.