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Bundesregierung für Desinteressierte: BPK vom 12. Oktober 2020

Themen: COVID-19-Pandemie (Coronakabinett, aktuelle Pandemielage, mögliche Aufnahme von Intensivpatienten aus europäischen Nachbarländern, Beherbergungsverbote und Quarantänepflicht für Menschen aus inländischen Risikogebieten, Schnelltests für den Schutz vulnerabler Gruppen, Unterstützung durch die Bundeswehr, Infektionsschutzgesetz, Testkapazitäten, mögliche Auswirkungen auf den Schulbetrieb, Bestimmungen für innerdeutschen und grenzüberschreitenden Reiseverkehr, Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben durch private Dienstleister), Teilnahme der Bundeskanzlerin am dreigliedrigen europäischen Sozialgipfel, Teilnahme des Bundesaußenministers am Rat für Außenbeziehungen in Luxemburg, Reise des Bundesaußenministers nach Zypern und Griechenland, Vorstellung eines Fahrplans für die innerlibyschen Friedensgespräche durch die Vereinten Nationen, Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan, Lage in Weißrussland, Konflikt im östlichen Mittelmeer, Ablehnung der Möglichkeit zu einer Rede des ehemaligen Generalsekretärs der OVCW vor dem UN-Sicherheitsrat zu einem mutmaßlichen Giftgasangriff in Syrien, Äußerungen der Bundesumweltministerin zum MERCOSUR-Abkommen, Vorschlag zur Anhebung der Entgeltgrenze für Minijobs, Vergabeverfahren für ein neues Sturmgewehr für die Bundeswehr, Widerspruch des Bundesinnenministeriums gegen einen im generischen Femininum formulierten Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums, Rüstungsexporte nach Ägypten, mögliche Staatsbeteiligung an Thyssenkrupp

2:11 Bericht Corona-Kabinett

Naive Fragen zu:
6:05 Corona
– Wie setzen sich die 1300 Soldaten zusammen? Sind das alles Sanitär*innen? (20:39)

59:03 Mercosur-Abkommen
– Möchte die Kanzlerin als ehemalige Umweltministerin Mercosur auch nachverhandeln? (ab 1:01:00)
– Der „Geist des Abkommens“ spukt: Nachhaltigkeit ist Regelung zweiter Klasse. Diesen Geist möchte sie nicht austreiben?

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Komplettes BPK-Wortprotokoll vom 12. Oktober 2020:

STS SEIBERT: Schönen guten Tag, meine Damen und Herren! Die heutige Sitzung des Coronakabinetts diente einer ausführlichen Beratung über die aktuelle Pandemielage, in der wir uns befinden. Es war eine Bestandsaufnahme der Situation jetzt zu Beginn der zweiten Welle, der Situation in all ihren Fassetten und dessen, was das für die kommenden Monate bedeutet.

Die Pandemielage ist ernst, weil wir nahezu überall steigende Infektionszahlen verzeichnen und in vielen Gegenden, gerade in Großstädten und Ballungsräumen, auch sprunghaft steigende Infektionszahlen. Zahlreiche Großstädte liegen jetzt über dem Inzidenzwert von 50, einige davon gehören ja auch Bezirke von Berlin weit über 50.

Alle in der Bundesregierung sind sich darüber einig: Jetzt ist die Zeit, in der sich entscheidet, ob wir uns erfolgreich gegen diese Entwicklung stemmen können oder ob uns die Zahlen in Richtung Winter und Weihnachten davonlaufen. Wenn es so käme, dann würde sich das früher oder später wohl eher früher auch in den Krankenhäusern, in den Intensivstationen, wieder deutlich zeigen, und eine wachsende Zahl von Patienten würde dann einen hohen Preis bezahlen. Denn schon jetzt gibt es wieder mehr schwer verlaufende Fälle mit der Notwendigkeit einer Intensivbehandlung.

In einigen unserer europäischen Partnerländer sehen wir schon besorgniserregende Beispiele für eine Infektionsausbreitung, die derzeit kaum noch zu kontrollieren ist. Ich sage das in aller Solidarität. Ich weiß wir wissen als Bundesregierung aus den ständigen Kontakten mit den europäischen Partnern , was da Großes geleistet wird, dass da unzählige Menschen in den Gesundheitssystemen ihr Allerbestes geben. Wir wünschen unseren europäischen Partnern wirklich allen Erfolg in ihrem Kampf gegen die Pandemie.

Unser Ziel muss bleiben auch darüber ist die Bundesregierung absolut einig , die Infektionsfälle nachzuverfolgen, möglichst jeden einzelnen Kontakt, jede einzelne Kontaktperson, zu finden und zu warnen, damit sie sich selber testen lassen und die unselige Ansteckungskette unterbrochen werden kann. Das geschieht in den Gesundheitsämtern. Jeder versteht, dass sie das trotz ihrem großartigen Einsatz oberhalb bestimmter Zahlen einfach nicht mehr leisten können.

All denen, die beklagen, es gebe eine zu große Konzentration auf die Zahl der täglichen Neuinfektionen, sei gesagt: Die Zahl der täglichen Neuinfektionen bildet natürlich nicht das gesamte Pandemiegeschehen ab. Aber sie ist das Maß, an dem sich zeigt, ob und wie lange die Gesundheitsämter diese Aufgabe der Kontaktnachverfolgung erfüllen können oder eben nicht mehr.

Mit diesen Überzeugungen wird die Bundeskanzlerin am Mittwoch auch in das Treffen mit den Ministerpräsidenten gehen. Nur wenn die politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern eine gemeinsame Einschätzung der Ernsthaftigkeit der Lage haben und auch gemeinsam entschlossen sind zu handeln, werden wir gegensteuern können.

Die gute Nachricht ist die Bundeskanzlerin hat das am Freitag gesagt : Wir sind nicht ohnmächtig. Gegensteuern ist möglich. In dem Sinne war das am Freitag ein sehr gutes Gespräch mit den Oberbürgermeistern und Oberbürgermeisterinnen der am meisten betroffenen Großstädte.

Daneben wurden im Coronakabinett heute noch die Themen Einreise, Teststrategie, Quarantäne und Kontaktnachverfolgung beraten. Es geht jetzt das wissen Sie um die finale Abstimmung der Regeln, die wir weiterentwickeln und dann im Schulterschluss mit den Ländern umsetzen wollen.

Soweit erst einmal mein Bericht aus dem Coronakabinett.

FRAGE DR. RINKE: Herr Seibert, ich hätte ganz gern gewusst, ob Sie im Coronakabinett zum einen darüber gesprochen haben, ob man EU-Partnerländern Angebote macht, wieder Intensivpatienten aufzunehmen. Denn es scheint ja bei einigen doch wieder an Engpässe zu stoßen.

STS SEIBERT: Das war heute kein Thema. Aber, wie ich gesagt habe, stehen wir in allen europäischen Zusammenhängen sehr eng in der Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern, und dort können solche Fragen jederzeit geklärt werden.

ZUSATZFRAGE DR. RINKE: Sie haben jetzt nichts zu der wahrscheinlich im Moment umstrittensten Regelung gesagt, nämlich den vorgeschriebenen Tests für Reisende, die eine innerdeutsche Reise machen wollen und aus Risikogebieten kommen. Ist darüber im Coronakabinett gesprochen worden? Ist da eine Änderung gegenüber den bisherigen Regelungen zu erwarten?

STS SEIBERT: Da muss ich natürlich darauf hinweisen, dass das nicht Regelungen des Bundes sind, sondern Regelungen der Länder, mit denen diese Länder auf eine bestimmte Inzidenz in sogenannten Hotspots reagieren.

Das war Thema, und das wird mit Sicherheit auch Thema der Beratungen der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten am Mittwoch sein. Aber es war heute nicht das beherrschende Thema.

Der Chef des Bundeskanzleramtes hat sich ja in den vergangenen Tagen mehrfach dazu geäußert. Er hat es eine echte Notfallmaßnahme genannt und noch einmal darauf hingewiesen, was wahrscheinlich das wirklich Wichtigste ist, nämlich, dass wir uns jetzt dort, wo die Inzidenz über 50 liegt, dort, wo ein Hotspot ist, ob Großstadt oder ländlicher Kreis, mit aller Konzentration und auch mit aller Konsequenz daran machen, das Ansteigen der Infektionszahlen in dieser Stadt, in diesem Kreis, wieder zu senken. Das ist die wesentliche Aufgabe.

Dem hat auch das Gespräch mit den Oberbürgermeistern am Freitag gedient. Davon hängt ja dann ab, ob man über dieses Reisegeschehen überhaupt noch lange wird reden müssen. Zunächst einmal müssen wir versuchen, die Inzidenz herunterzubekommen, weniger Fälle zu haben, sodass die Gesundheitsämter ihre Arbeit wirklich wieder hundertprozentig erledigen können.

Aber es ist ein Thema, und es wird am Mittwoch auch ein Thema sein.

ZUSATZFRAGE DR. RINKE: Könnten Sie uns speziell zu diesen vorgeschriebenen Tests, die ja wirklich sehr umstritten sind quer durch alle Parteien und Wirtschaftsverbände bis hin zum Städtetag , die Position der Bundeskanzlerin sagen? Hat sie also Verständnis für die Länder, die das einfordern auch wenn einige kritisieren, das gebe jetzt vor den Herbstferien soziale Verwerfungen? Oder wäre sie dafür, dass man das aussitzt und erst einmal abwartet, was die Großstädte oder die Hotspots selber tun?

STS SEIBERT: Zunächst einmal ist es eine Kompetenz der Länder zu handeln, und man sieht ja, dass sie durchaus unterschiedlich handeln.

Zum Zweiten hat die Bundesregierung insgesamt Verständnis dafür, dass Bürger dazu Fragen und auch dringliche Fragen haben.

Trotzdem noch einmal der Hinweis: Wenn Sie eine Region mit einem ganz niedrigen Fallaufkommen haben, dann ist es auch nicht vollkommen unverständlich, dass sich diese Region gegenüber Regionen schützen will, die derzeit bei 50, 60, 80 oder 100 Fällen auf 100 000 Einwohner über sieben Tage liegen. Das sind Notfallmaßnahmen.

Unsere Konzentration in Bund und Ländern sollte dahingehen, überall, wo es möglich ist, relativ schnell durch konsequentes Handeln und konsequente Maßnahmen die Inzidenz wieder unter diese Schwelle zu drücken.

Es wird aber ein Thema am Mittwoch sein, dem ich jetzt hier nicht weiter vorgreifen kann.

FRAGE NEUHANN: Herr Seibert, ich würde trotzdem gern nachfragen. Wird denn die Bundeskanzlerin bereit sein, über eine Änderung oder Abschaffung dieses Beherbergungsverbots nachzudenken, und zwar bereits am Mittwoch? Das wird ja gefordert. Der NRW-Ministerpräsident Armin Laschet ist damit auch nicht zufrieden, weil es auch um die Testkapazitäten geht, die damit aufgebraucht werden.

Eine zweite Frage dazu: Es wird ja auch von den Bundesländern unterschiedlich gehandhabt, wer die Kosten für die Tests übernimmt. Berlin zum Beispiel zahlt nicht, NRW hingegen zahlt Reisenden die Tests. Wie sieht das die Bundesregierung?

STS SEIBERT: Für unterschiedliches Handeln der Bundesländer müssten Sie sich an die Bundesländer richten, die ihre Entscheidungen treffen. Die Bundeskanzlerin wird sich mit Sicherheit am Mittwoch die Argumente aller Seiten anhören. Dann wird man darüber zu diskutieren haben, was im Sinne unserer Hauptaufgabe, nämlich dieses Infektionsgeschehen nicht außer Kontrolle geraten zu lassen bzw. wieder unter Kontrolle zu bringen, das richtige Vorgehen ist.

ZUSATZFRAGE NEUHANN: Sie würden also nicht ausschließen, dass man das Ganze bereits am Mittwoch mit Zustimmung von Frau Merkel wieder kippt?

STS SEIBERT: Sie werden mich jetzt nicht dazu bringen, dass ich hier die Beratungen am Mittwoch vorwegnehme. Ich habe Ihnen gesagt, dass die Infektionslage derzeit durchaus ernst ist, und wie wichtig es ist, dass wir uns ihr mit allem entgegenstemmen, was Bund und Länder tun können. Dem diente die Beratung mit den Oberbürgermeistern. Dem wird die Beratung mit den Ministerpräsidenten dienen. Ich nehme jetzt keine Details vorweg, die da in Abwägung aller Argumente zu klären sein werden.

FRAGE LUDWIG: Die vergangenen Monate haben sich ja dadurch ausgezeichnet, dass man mehr auf Regionalisierung gesetzt hat, auch dadurch, dass die Länder entscheiden. Möchte man denn angesichts der jetzt steigenden Zahlen, die ja gerade in ganz Deutschland zu beobachten sind, von diesem Regionalprinzip wieder etwas abweichen? Wird man zum Beispiel Beherbergungsverbote für ganz Deutschland anstreben, also auf eine größere Einheitlichkeit drängen?

STS SEIBERT: Wenn Sie vom Regionalprinzip sprechen, dann heißt das doch, dass man unterschiedliche Situationen auch unterschiedlich behandeln kann. Wenn es in Mecklenburg-Vorpommern, um jetzt einmal ein Beispiel zu greifen, Landkreise gibt, die lange Zeit nahezu keine Fälle hatten, dann war es doch normal und verständlich, dass die Situation dort anders als in Ballungsgebieten gehandhabt wurde, die auch im Sommer eine bestimmte Zahl von Fällen hatten und in denen diese jetzt sehr stark in die Höhe schießen.

Umgekehrt ist es auch verständlich, dass gleiche Situationen möglichst vergleichbar behandelt werden. Das ist das, was die Bürger dann auch verstehen.

Regionalprinzip heißt nicht, dass von Bundesland zu Bundesland alles anders ist. Aber es heißt, dass man auf regionale Besonderheiten, auf Unterschiede in der pandemischen Lage, auch reagieren kann.

ZUSATZFRAGE LUDWIG: Das heißt also, dass das Hotspot-Prinzip bleiben soll, dass sich die Maßnahmen an den Infektionszahlen orientieren? Dabei soll es aus Ihrer Sicht bleiben?

STS SEIBERT: Ich habe versucht, Ihnen vorhin zu erklären, warum es richtig ist, Maßnahmen an den Infektionszahlen auszurichten, weil die Infektionszahlen der Maßstab dafür sind, ob die wichtigste Aufgabe, nämlich die Kontaktnachverfolgung weiterhin leisten zu können, noch erbracht werden kann oder nicht. Es gibt auch andere Indikatoren, die für das gesamte Geschehen in dieser Pandemie wichtig sind. Aber diese Zahl zeigt besser als jede andere: Was können die Gesundheitsämter noch leisten, und ab wann sind sie überfordert?

Zurzeit haben wir natürlich punktuell Gesundheitsämter, die das, was sie tun sollen, nicht mehr leisten können bei allem großartigen Einsatz, der da geleistet wird. Deshalb ist es richtig, diese Zahl weiterhin zu beachten.

FRAGE TIEDE: Noch eine Frage im Nachgang zu dem Gespräch der Kanzlerin mit den Oberbürgermeistern: Da ist wohl auch über Schnelltests gesprochen worden. Die Oberbürgermeister hatten gebeten, ob der Bund sie bei der Zurverfügungstellung von Schnelltests für Altenheime und andere Sachen unterstützen kann. Können Sie kurz sagen, was dazu gesagt oder besprochen worden ist?

STS SEIBERT: Ich kann jetzt nur auf die Pressemitteilung verweisen, die nach dem Gespräch mit den Oberbürgermeistern veröffentlicht worden ist. Unter Punkt 7 heißt es dort, dass der Schutz vulnerabler Gruppen eine besondere Herausforderung darstellt:

„Dabei wird stets berücksichtigt, dass die jeweiligen Regelungen nicht zu einer vollständigen sozialen Isolation der Betroffenen führen dürfen. Bei steigenden Infektionszahlen werden diese Maßnahmen entsprechend angepasst. Der Bund wird durch die neue Testverordnung sicherstellen, dass die Kosten der seit kurzem verfügbaren SARS-CoV2-Schnelltests für regelmäßige Testungen der Bewohner bzw. Patienten, deren Besucher und das Personal übernommen werden. Die verfügbaren Schnelltests sollen prioritär für diesen Bereich eingesetzt werden.“

Das war es, was am Freitag zwischen der Bundeskanzlerin und den Oberbürgermeistern und Oberbürgermeisterinnen besprochen wurde.

ZUSATZFRAGE TIEDE: Ist die Regelung denn auf dem Weg? Können Sie sagen, wann sie steht?

STS SEIBERT: Da würde ich das Gesundheitsministerium hinzubitten.

GÜLDE: Wie Sie wissen, wurde ja im August beschlossen, die Testverordnung zum 15. Oktober anzupassen.

ZUSATZFRAGE TIEDE: Dann gleich noch einmal eine Frage zum Beherbergungsverbot an das Justizministerium. Teilt das Ministerium die Einschätzung des früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes, dass die Beherbergungsverbote gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel verstoßen?

BÖNNIGHAUSEN: Herr Seibert hat zu dem Thema, das Sie ansprechen, schon ausführlich Stellung genommen. Dazu haben wir keine Ergänzung.

ZUSATZ TIEDE: Zur juristischen Einschätzung hat er nicht Stellung genommen, ob das gegen das Verfassungsprinzip verstößt.

BÖNNIGHAUSEN: Ich habe keine Ergänzung zu dem, was der Regierungssprecher und gegebenenfalls das BMG dazu sagen. Darüber hinaus müssten Sie sich an die Bundesländer wenden.

ZUSATZ TIEDE: Um die Einschätzung des Bundesjustizministeriums zu bekommen, müsste ich mich an die Bundesländer wenden, aha.

FRAGE WIEGOLD: Bei dem Gespräch mit den Oberbürgermeistern am Freitag wurde davon gesprochen, dass die Bundeswehr noch mehr Möglichkeiten habe. In dem Ergebnis des Gesprächs wird unter anderem von mehr Bundeswehrexperten in den Krisenstäben gesprochen. Was konkret soll die Bundeswehr leisten?

Die Frage richtet sich an das Verteidigungsministerium und an Herrn Seibert.

COLLATZ: Wie Sie wissen, gibt es ja schon eine sehr intensive und umfangreiche Zusammenarbeit mit den jeweiligen Behörden, die zuständig sind. Wir haben bisher über 1000 Unterstützungsanfragen erhalten, von denen wir auch vier Fünftel positiv beantworten und zum Teil schon umsetzen konnten.

Am Freitag wurde verhandelt, dass wir die Zusammenarbeit mit den Kreis- und Bezirksverteidigungskommandos sowie den Landeskommandos noch weiter verstärken wollen. Bereits etwa die Hälfte der Großstädte greift auf diese Verbindungsorganisation zu, wenn es darum geht zu definieren und herauszufinden, wie die Hilfe der Bundeswehr sein könnte, und dann mit den jeweils verantwortlichen Stellen zu erörtern, wie man sich auf den Weg zum Stellen eines Amtshilfeersuchens macht. Denn auch dort gilt es, viele Auflagen und Vorgaben zu beachten. Damit das möglichst reibungsarm geschieht, stellen wir diese Beratungsleistung jetzt verstärkt an die Seite.

Daneben bleibt es natürlich dabei, dass wir helfende Hände zur Verfügung stellen, wenn es in den Gesundheitsämtern darum geht, Nachverfolgungen zu unterstützen oder medizinisches Personal bereitzustellen. Davon sind derzeit über 170 Menschen der Bundeswehr im Einsatz. Insgesamt haben wir derzeit 1300 Soldatinnen und Soldaten in der Amtshilfe im Einsatz.

Am Freitag ging es darum, speziell für Großstädte noch einmal darauf zu verweisen, dass wir die Zusammenarbeit mit den Kreisverbindungskommandos und den Landeskommandos noch deutlich verstärken können.

FRAGE NEUHANN: Herr Collatz, eine kurze Nachfrage zu den Zahlen. Wenn Sie sagen, 1300 Soldatinnen und Soldaten seien aktuell im Einsatz, wie viele hätten Sie denn noch in Reserve, die dafür zur Verfügung stehen könnten?

Eine zweite Frage: Es gab ja auch Diskussionen über den Zeitraum, wie lange diese Soldaten jeweils vor Ort sind. Gibt es da eine neue Regelung?

COLLATZ: Zu der letzten Frage, ob es eine neue Regelung gibt: Sie stehen so lange zur Verfügung, wie sie gebraucht werden.

Was die größtmögliche Anzahl an Unterstützungsleistungen angeht, gibt es auch hier keine neue Zahl. Wir sind darauf eingestellt, bis zu 15 000 Menschen in Amtshilfe, wenn es denn erforderlich ist, bereitzustellen. Derzeit besteht der Bedarf für etwa 1300 Menschen. Diese 15 000 Menschen sind sozusagen in abgestufter Bereitschaftschaftslage zu sehen. Je nachdem, wie stark die Auslastung ist, wird eine unterschiedliche Anzahl von Menschen in eine erhöhte Bereitschaftsstufe gesetzt, sodass es auch nicht so ist, dass diese 15 000 Menschen nur auf einen Anruf zuhause warten und sich dann eine Minute später auf der Straße in ein Fahrzeug setzen, um vor Ort zu sein, sondern das geht abgestuft und so, wie es sinnvoll und verhältnismäßig ist.

FRAGE JUNG: Eine kurze Lernfrage: Wie setzen sich denn die 1300 zusammen? Sind das alles nur Sanitäter und Sanitäterinnen?

COLLATZ: Nein, da ist zum einen das beratende Personal bei den entscheidenden Stellen, regional, lokal oder in den Großstädten. 172 Menschen die Zahlen habe ich mir heute Morgen noch einmal geben lassen sind medizinisches Personal, also entweder Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger oder Ähnliches. Die übrigen dieser 1300 sind Menschen aus der Bundeswehr aus unterschiedlichsten Bereichen, also logistisches Personal, das mit Transporten bereitsteht, Fahrer und Fahrerinnen oder einfach Durchschnittsgrenadiere, Infanteristen oder Panzerleute, die bereitstehen, um nach Anweisung der Gesundheitsämter, zum Beispiel in den Gesundheitsämtern, zu unterstützen.

FRAGE WARWEG: Herr Seibert, Sie hatten ja vorhin ausgeführt, dass die Zahl schwerer Krankheitsverläufe steigt. Könnten Sie dazu noch konkrete Zahlen liefern?

STS SEIBERT: Ich kann das jetzt hier nicht tun, aber das können wir sicherlich nachliefern. Ja, das ist die Beobachtung über die letzte zwei, drei Wochen hinweg.

FRAGE JESSEN: Herr Seibert, ich habe zwei Fragen. Zum einen sagten Sie, Herr Seibert, als das Thema, ob eine zweite Welle drohe, hier im August diskutiert wurde, dass weder Politiker noch Journalisten eigentlich definieren könnten, was unter einer zweiten Welle zu verstehen sei. Vorhin haben Sie gesagt: Wir sind in der zweiten Welle drin. – Wie definieren Sie sie jetzt? Worauf stützen Sie sich jetzt, wenn Sie den Begriff verwenden?

Zum Zweiten: Welche Rolle spielt bei den Diskussionen der Maßnahmen im Coronakabinett die Tatsache, dass inzwischen Fachwissenschaftler, die sehr seriös sind zum Beispiel Herr Krause vom Helmholtz-Zentrum in Braunschweig wie auch der Präsident der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Herr Gassen , massive Zweifel an den Maßnahmen haben, die sich im Wesentlichen auf die Zunahme der positiv Getesteten stützen? Sagen Sie „Das spielt keine Rolle“? Sagen Sie „Andere Dinge überwiegen“? Wie bauen Sie das in Ihre Diskussion ein?

STS SEIBERT: Zur ersten Frage: Wenn ich heute den Begriff des Beginns einer zweiten Welle verwendet habe, dann maße ich mir nicht an, ein Virologe zu sein und das mit wissenschaftlicher Präzision zu bestimmen, sondern dann ist das meine Art und Weise, auszudrücken, dass es in der vergangenen Woche 4500 bis 4700 Fälle an einem Tag und eine deutlich steigende Tendenz gab, und noch im Juni hatten wir 300 Fälle zu verzeichnen. Es gibt jetzt, und das zeigt Ihnen die grafische Darstellung und das zeigen Ihnen die Zahlen jeden Tag, eben eine extrem dynamische das ist sozusagen wertfrei ausgedrückt; man könnte auch sagen: eine zum Teil dramatische Zunahme von neuen Infektionsfällen. Das hat mich zu diesem Ausdruck gebracht, den auch andere, Kundigere, schon benutzt hatten. Aber ich maße mir, wie gesagt, nicht an, dass jetzt mit der Autorität eines Virologen so zu sagen.

ZUSATZFRAGE JESSEN: Die zweite Frage?

STS SEIBERT: Ja, es gibt eine wissenschaftliche Diskussion. Das ist, glaube ich, der Charakter von Wissenschaft. Diese Diskussion fließt natürlich in Überlegungen ein. Sie wird vor allem auch im Robert-Koch-Institut, das ja für uns sozusagen dafür zuständig ist, verarbeitet und aufgenommen. Am Ende sind es jetzt politische Entscheidungen, wie es immer politische Entscheidungen waren, in die wissenschaftliche Meinungen und wissenschaftliche Analysen einfließen, und zwar von Virologen, von Infektiologen, aber genauso auch von Sozialforschern, die sich mit der Situation von Schülern an Schulen befassen. Wissenschaftliche Meinung ist kein monolithischer Block, sondern hat in einem Land mit einer unabhängigen Wissenschaft Gott sei Dank eine ganz breite Spannbreite, und die fließt in die verschiedenen Überlegungen ein.

ZUSATZFRAGE JESSEN: Die Kritik sowohl von Herrn Gassen als auch von Herrn Krause aus Braunschweig richtet sich ja auch explizit gegen die Empfehlungen oder Einschätzungen des Robert-Koch-Instituts. Herr Gassen sprach, glaube ich, von Panikmache und sagte, solange von 1000 Infizierten sozusagen lediglich drei schwer erkrankten, sei dieses Maßnahmenpaket nicht wesentlich begründet, sondern Panikmache. Das ist ja keine Outsider-Stimme, sondern die kommt sozusagen von sehr fachkundiger Ebene. Welche Rolle spielt das bei der Fassung politischer Beschlüsse?

STS SEIBERT: Ich habe versucht, Ihnen klarzumachen, warum die Zahl der täglichen Neuinfektionen für uns ein ganz wichtiger Indikator ist und bleibt, nämlich weil von dieser Zahl abhängt, ob die Gesundheitsämter in der Lage sind oder nicht in der Lage sind, die Kontaktverfolgung aufrechtzuerhalten. Diese Kontaktverfolgung, die ja im Idealfall dazu führt, dass man eine Infektionskette unterbrechen kann, ist für uns da gibt es wiederum viele Wissenschaftler, die dem auch zustimmen entscheidend dafür, ob man verhindern kann, dass sich die Infektion unkontrolliert ausbreitet. Dann wird sie mit Sicherheit nicht nur relativ junge Menschen erreichen, sondern sich eben wieder in alle Schichten der Bevölkerung hineinfressen – mit den zu erwartenden gesundheitlichen Folgen.

Ich bin ganz gegen den Begriff der Panikmache; denn ich kenne niemanden ganz sicherlich niemanden innerhalb der Bundesregierung , der Panik macht. Wir beschreiben eine Situation, die wir für ernst halten, für die es aber davon sind wir überzeugt Gegenmittel gibt. Wir werben dafür, Gegenmittel zu ergreifen, bzw. im Rahmen des Bundes machen wir es auch so. Das hat nichts mit Panikmache oder mit Angstmache zu tun, sondern mit der realistischen und ernsten Beschreibung einer Situation, die ja nicht nur uns trifft, sondern die fast alle europäischen Länder zum Teil sehr, sehr viel schwerer als uns und auch außereuropäische Länder trifft.

FRAGE GAVRILIS: Ich habe eine Frage an das BMJV und an das Gesundheitsministerium. Es gibt ja eine Diskussion in der Rechtswissenschaft und auch innerhalb der SPD-Fraktion darüber, dass das Infektionsschutzgesetz konkretisiert werden müsse. Es geht dabei um die Voraussetzungen für Grundrechtseingriffe. Warum hat man das seit März nicht in Angriff genommen?

Sie würden ja beide mindestens eine Formulierungshilfe beisteuern, wenn es zu einem neuen Gesetz kommen würde. Arbeiten Sie daran?

BÖNNIGHAUSEN: Ich würde tatsächlich dem Kollegen vom Gesundheitsministerium, das hinsichtlich des Infektionsschutzgesetzes federführend ist, den Vortritt lassen.

GÜLDE: Im Grunde genommen ist es so, dass das Infektionsschutzgesetz auch tatsächlich recht umfangreiche Eingriffe zulässt. Mir ist jetzt keine Änderung, die da angestrebt werden würde, bekannt, und dementsprechend arbeiten wir jetzt auch nicht an einer Überarbeitung dieses Infektionsschutzgesetzes.

ZUSATZFRAGE GAVRILIS: Ich würde das trotzdem, wenn es um Grundrechte geht, erst einmal auch im Justizministerium verorten. Wie bewertet man denn dort die Lage? Gibt es da einen Bedarf, nachzusteuern? Wird es dazu auch aus Ihrem Haus eine Vorlage geben?

BÖNNIGHAUSEN: Wie der Kollege gerade schon sagte, werden wir, sollte es eine Erarbeitung seitens des BMG gebe, die wie immer auch auf die Einhaltung aller Grundrechte prüfen.

FRAGE JOACHIM: Ich habe eine Frage an Herrn Seibert: Um wie viel Uhr wird sich die Bundeskanzlerin denn mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten am Mittwoch treffen?

STS SEIBERT: Ich hoffe, das nachliefern zu können. Im Moment weiß ich es nicht auswendig.

ZUSATZFRAGE JOACHIM: Dann habe ich noch eine Frage an das Justizministerium. Werden durch das Beherbergungsverbot Ansprüche der Reisenden entstehen, wenn die ihre bereits gebuchten Unterkünfte jetzt stornieren müssen? Werden sie das kostenfrei tun können bzw. wer trägt denn die Kosten?

Dann habe ich eine Frage an das Gesundheitsministerium: Liegen Ihnen denn Erkenntnisse darüber vor, dass sich durch das Beherbergungsverbot für Menschen aus Risikogebieten das Infektionsgeschehen verlangsamt?

STS SEIBERT: Ich könnte jetzt etwas (zum Treffen der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten) nachliefern, weil das
Auswärtige Amt, das die deutschen Dinge auch immer gut im Blick behält, es wusste, und ich die Information auch noch einmal erhalten habe: 14 Uhr.

BÖNNIGHAUSEN (zum Beherbergungsverbot): Grundsätzlich können wir natürlich zu Einzelfällen keine Auskunft geben. Alle Rücktritts-, Stornierungs- und Umbuchungsbedingungen hängen halt jeweils von den vertraglichen Vereinbarungen ab. Das heißt, darin müsste man im Einzelfall nachschauen, wer sozusagen für was haftet. Ganz allgemein können wir dazu also nur sagen, dass das jeweils von den vertraglichen Vereinbarungen abhängt.

GÜLDE: Im Grunde genommen möchte ich jetzt zum Thema des Beherbergungsverbots eigentlich nur das sagen, was Herr Seibert bereits gesagt hat: Es handelt sich dabei um einen Beschluss der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder. Für eine nachträgliche Beurteilung dieser Maßnahmen ist es jetzt, denke ich, einfach noch zu früh. Es ist unmöglich, jetzt zu sagen, wie sich dieses Beherbergungsverbot dann tatsächlich auf das Infektionsgeschehen auswirken wird. Das lässt sich in der Regel erst mehrere Monate später sagen.

FRAGE STEINKOHL: Ich habe eine Frage an das Gesundheitsministerium. Über die Belastung der Gesundheitsämter haben wir uns schon unterhalten, aber nicht über die Belastung der Testlabore. Es gibt Bilder aus Berlin, auf denen sich die Schlange der Wartenden vor so einem Testzentrum um den ganzen Häuserblock kringelt. Können Sie eine Einschätzung abgeben, wie groß die Kapazitäten sind und wie viel Luft da noch vorhanden ist? Welche Auswirkungen hat es, wenn Tausende von Leuten, die jetzt noch irgendwie in Urlaub fahren wollen, verzweifelt versuchen, Coronatests machen zu lassen?

GÜLDE: Ich muss ganz ehrlich gestehen, dass ich zur Auslastung der Testkapazität etwas nachreichen müsste.

Grundsätzlich ist es so das hatte ich ja auch bereits erwähnt , dass die Testverordnung überarbeitet wird. Das heißt, grundsätzlich haben ab dem 15. Oktober Reisende aus Risikogebieten keinen Anspruch mehr auf eine kostenlose Testung. Es ist auch der Grund oder besser gesagt ein Grund dieser Maßnahme, dass wir die Testlabore weiterhin entlasten wollen, dass jetzt natürlich der große Run aus den Sommerferien abebbt und dass wir damit dann halt eben auch die Kapazitäten in den Testlaboren wieder freimachen möchten.

FRAGE RZEPKA: Angenommen, die Zahl der Neuinfektionen stiege tatsächlich auf mehr als 10 000 pro Tag, welche Beschränkung würden Sie dann als letzte mögliche umsetzen wollen? Konkret geht es mir um das Schließen von Schulen.

GÜLDE: Das Schließen von Schulen liegt auch in der Zuständigkeit der Länder.

Ich denke, es ist ziemlich müßig, jetzt über eventuelle Fälle zu debattieren. Letztendlich passen wir unsere Maßnahmen gemeinsam mit den Ländern jeweils dem Infektionsgeschehen an, und so müssen dann halt eben auch weitere Maßnahmen bezüglich des Infektionsgeschehens besprochen werden.

STS SEIBERT: Aber um die Bundeskanzlerin hatte sich mehrfach dazu geäußert, zuletzt auch am Freitag es noch einmal ganz klar zu sagen: Es ist jetzt die Zeit, in der wir uns auch zu unseren Prioritäten als Land und als Gesellschaft bekennen müssen. Die Priorität der Bundesregierung und der Bundeskanzlerin ist eine zweifache, wenn man so will. Die eine ist, unsere Wirtschaft so gut wie möglich wieder zum Laufen zu bringen bzw. sie am Laufen zu halten, weil davon Arbeitsplätze und unser Wohlstand abhängen. Die andere, gleichrangige Priorität ist, unseren Kindern und Jugendlichen Schule und Bildung zu ermöglichen und eben nicht wie im Frühjahr wieder zu einer flächendeckenden Totalschließung der Schulen zurückkehren zu müssen. Das sind zwei Prioritäten, und wie es bei Prioritäten so ist, ordnet sich dann manches andere denen auch unter. Deswegen ist Teil der Motivation unseres gesamten Handelns als Bundesregierung, genau diese beiden Ziele zu erreichen.

FRAGE SORGE: Wurde im Coronakabinett auch über mögliche bundeseinheitliche Bußgelder diskutiert?

STS SEIBERT: Nein, das war heute kein Thema.

FRAGE DR. RINKE: Ich habe eine kurze Nachfrage an das Gesundheitsministerium zu Ihrer Äußerung von eben zu den Testkapazitäten. Verstehe ich Sie richtig, dass Sie die Maßnahmen, die Länder im Sinne der Entlastung getroffen haben, die die neue Verordnung mit sich bringen soll, als kontraproduktiv ansehen? Im Moment gehen ja mehr Leute in die Labore, um sich für Reisen testen zu lassen, als dies bisher der Fall war.

GÜLDE: Herr Rinke, es bleibt dabei: Die Zuständigkeit für die Maßnahmen unter anderem auch das Beherbergungsverbot und die damit einhergehenden Anforderungen, beispielsweise die für innerdeutsche Urlauber, sich testen zu lassen liegt bei den Ländern. Bundesminister Spahn hat sich in der vergangenen Woche auch dazu geäußert. Ich darf das vielleicht noch einmal ganz kurz hervorheben. Er hat Verständnis für die Maßnahmen der Länder gezeigt. Wichtig ist aber für die Akzeptanz, dass es halt eben einen möglichst einheitlichen Rahmen der Länder gibt. Entscheidend ist nun einmal eine rasche Eindämmung von Ausbrüchen in betroffenen Kommunen. Das ist jetzt aus Sicht des Ministers die bessere Variante als umfassende Beherbergungsverbote oder Tests für Urlauber in innerdeutschen Reisegebieten.

ZUSATZFRAGE DR. RINKE: Meine eigentliche Frage an das Innenministerium: Ich hätte gerne gewusst, Herr Alter, ob das Innenministerium glaubt, dass es angesichts der neuen Infektionslage in den umliegenden Ländern, also den Nachbarländern Deutschlands, Veränderungen an den Grenzen geben muss.

ALTER: Herr Rinke, wir beobachten das Infektionsgeschehen natürlich auch in benachbarten Staaten, also denen, die an unseren Grenzen liegen. Wir sehen in einzelnen Ländern eben auch eine sehr starke Steigerung des Infektionsgeschehens. Selbstverständlich fließt diese Beobachtung auch in die Überlegungen ein, was die Quarantäne- und Testregime angeht, die wir in Deutschland etablieren wollen. Das bezieht sich also nicht nur auf innerdeutsches Reisen, sondern auch auf grenzüberschreitendes Reisen. Wir versuchen mit diesen Maßnahmen das Notwendige sicherzustellen, ohne über andere Maßnahmen an den Grenzen nachdenken zu müssen.

FRAGE REICHMUTH: In diversen Kantonen in der Schweiz wird der Grenzwert der Sieben-Tage-Inzidenz deutlich überschritten. Werden weitere Kantone oder das ganze Land auf die RKI-Risikoliste kommen?

GÜLDE: Ich heißt nicht, ob sie noch etwas zu Reisewarnungen ergänzen wollen. – Es bleibt dabei: Wir stehen in einem stetigen Austausch mit dem Innenministerium und dem Auswärtigen Amt. Wir werden uns auch weiterhin bezüglich der Schweiz austauschen und gegebenenfalls dann halt weitere Kantone bzw. Länder in die Risikoliste aufnehmen. Ausschlaggebend hierfür ist aber halt eben, wie gesagt, die Sieben-Tage-Inzidenz.

FRAGE JESSEN: Ich habe eine Frage, entweder an Herrn Seibert oder an das Innenministerium. Der Städte- und Gemeindebund kündigt an, dass er die Kontrolle der Einhaltung von Coronaregeln zum Beispiel in Gaststätten usw. wohl auf private Sicherheitsdienste übertragen wird. Rechtlich ist das offenbar möglich. Es werden als Beispiel dafür, dass hoheitliche Aufgaben übertragen werden können, Schornsteinfeger genannt. Besteht da aber nicht doch die Gefahr einer Unterhöhlung staatlicher Autorität, wenn die Realisierung und Einhaltung so wichtiger Maßnahmen an private Sicherheitsfirmen übertragen wird?

ALTER: Ich kann dazu Stellung nehmen. Den Ländern und Kommunen steht es frei, private Dienstleister zur Unterstützung der Wahrnehmung ihrer hoheitlichen Aufgaben zu engagieren. Wenn sie allerdings hoheitliche Befugnisse übertragen wollen, dann kann dies nur aufgrund eines Gesetzes oder durch ein Gesetz erfolgen. Das heißt konkret, dass das üblicherweise in Form einer sogenannten Beleihung erfolgt. Nicht nur hinsichtlich der Frage nach dem Ob, sondern auch hinsichtlich der Frage nach dem Wie bedarf es einer gesetzlichen Grundlage. Das ist also generell möglich.

Sofern einzelne Städte und Gemeinden unmittelbaren Handlungsbedarf im Rahmen der Coronapandemie sehen, können diese prüfen, ob sie neben einer Beleihung gegebenenfalls auch private Sicherheitsdienstleister als Verwaltungshelfer einsetzen. Das würde bedeuten, dass ein Verantwortlicher der jeweiligen Behörde die Maßnahme leitet oder anleitet und private Sicherheitsdienstleister sozusagen hilfestellend zur Verfügung stehen. Das hat zur Folge, dass es keine Übertragung von hoheitlichen Aufgaben gibt. Die Bundesregierung plant jedenfalls auf Bundesebene nicht, hoheitliche Befugnisse auf private Dienstleister zu übertragen. Aber diese Entscheidung ist letztlich auf Landesebene zu treffen.

ZUSATZFRAGE JESSEN: Können Sie uns ein konkretes Beispiel dafür nennen, wie eine solche durch Beleihung vorgenommene Kontrolle der Einhaltung gegebenenfalls mit welchen Sanktionsmöglichkeiten etwa bei Gaststätten aussehen würde?

ALTER: Es sind vielerlei konkrete Beispiele denkbar. Beispielsweise könnte ein Verantwortlicher aus einer zuständigen Landesbehörde eine Kontrollmaßnahme etwa zur Einhaltung der Maskenpflicht (akustisch unverständlich) und bekommt dabei von einem privaten Sicherheitsdienstleister personelle Unterstützung, der dann aber keine eigene hoheitliche Ermächtigung hat. Das heißt also, dass die Aufsicht über das, was geschieht, bei der zuständigen Behörde liegt. Es findet eine personelle Unterstützung statt. Sämtliche Verwaltungsmaßnahmen, sämtliche hoheitliche Maßnahmen, die getroffen werden, liegen in der Verantwortung der jeweiligen Behörde. Das heißt also, dass sie ihre personelle Kapazität vergrößern, ohne die hoheitliche Kompetenz an irgendwen abzutreten.

STS SEIBERT: Ich hatte vergessen, Ihnen einen Termin anzukündigen. Es geht um diesen Mittwoch. Die Kanzlerin wird gemeinsam mit Bundesminister Heil am dreigliedrigen europäischen Sozialgipfel teilnehmen. Das ist ein Gipfel in Form einer Videokonferenz, der dem Austausch zwischen den europäischen Sozialpartnern und den Spitzen des Rates, der Kommission und der Ratspräsidentschaft dient. Das Thema lautet dieses Mal: gemeinsam einen inklusiven, sozialen und wirtschaftlichen Aufbau Europas umsetzen. Im Zuge unserer deutschen Ratspräsidentschaft nehmen von deutscher Seite auch ein Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände teil.

ADEBAHR: Ich habe Ihnen drei Ankündigungen zu machen.

Die erste ist quasi eine Liveterminankündigung: Außenminister Maas ist in diesen Stunden in Luxemburg, wo der Rat für Außenbeziehungen seit 9 Uhr tagt. Die Tagesordnungspunkte dort sind der Normalisierungsprozess zwischen Serbien und Kosovo, zu dem der EU-Sonderbeauftragte Herr Lajčák über seine Bemühungen brieft, die Lage in Belarus, die Beziehungen der EU zu Russland auch im Lichte aktueller Ereignisse wie insbesondere der Vergiftung Alexej Nawalnys sowie das Engagement der EU in Lateinamerika und in der Karibik gerade vor dem Hintergrund der Coronakrise. Zudem wird es beim Arbeitsmittagessen darum gehen, welche Beiträge die Europäische Union zur Stärkung des Multilateralismus und der regelbasierten internationalen Ordnung leisten kann. Aktuell werden auch Armenien und Aserbaidschan, also der Konflikt um Bergkarabach, Thema sein. Sie sehen: eine volle Agenda.

Der Minister hat bereits einen Doorstep gemacht. Für 15 Uhr erwarten wir im Anschluss an den Rat ein Stake-out des Ministers, den Sie auch im Livestream auf Twitter bei uns verfolgen können.

Dann habe ich Ihnen eine weitere Reiseankündigung zu machen. Außenminister Maas wird morgen nach Zypern und Griechenland reisen. Die Ankunft in Larnaka ist für die Mittagszeit geplant. Dort wird der Außenminister zu Gesprächen mit dem Präsidenten der Republik Zypern, Nikos Anastasiadis, und Außenminister Nikos Christodoulidis zusammentreffen. Nach dem Gespräch ist für ca. 14.45 Uhr eine gemeinsame Pressekonferenz vorgesehen, die Sie auf dem Instagram-Account des Auswärtigen Amtes im Livestream verfolgen können.

Im Anschluss daran wird der Außenminister nach Athen weiterreisen. Die Ankunft dort morgen Abend ist für ca. 18 Uhr vorgesehen. In Athen sind Gespräche mit dem griechischen Ministerpräsidenten Mitsotakis und Außenminister Nikos Dendias vorgesehen.

Die Gespräche auf dieser Reise das wird Sie nicht überraschen, wenn Sie das verfolgen drehen sich vor allem um die Lage im östlichen Mittelmeer.

Zuletzt habe ich noch eine Äußerung des Auswärtigen Amtes zu Libyen zu machen. Die Vereinten Nationen haben am Samstag einen umfassenden und, wie wir finden, transparenten Fahrplan für die innerlibyschen Friedensgespräche vorgestellt. Wir begrüßen diesen ausdrücklich. Denn so werden aus unserer Sicht im Rahmen des Berliner Prozesses die Voraussetzungen für einen von Libyern für Libyen verhandelten Waffenstillstand, für die Verständigung, für eine neue, wiedervereinte Regierung sowie für nationale Parlaments -und Präsidentschaftswahlen geschaffen.

Wir rufen jetzt alle politischen Akteure in Libyen dazu auf, diesen Prozess als Chance zu begreifen, als Chance für eine selbstbestimmte politische Zukunft, und ihn konstruktiv zu unterstützen. Wir rufen alle internationalen Partner Libyens dazu auf, auf die libyschen Konfliktparteien positiv einzuwirken und die VN-Bemühungen zu unterstützen und sich dort zu engagieren. Denn aus unserer Sicht ist es die VN-Ägide, die den Rahmen für eine Einigung in Libyen und die notwendige Stabilität, die dort nötig ist und die wir alle uns für Libyen wünschen, setzt.

Deutschland unterstützt UNSMIL das ist die VN-Organisation weiterhin umfassend in allen ihren Bemühungen. Wir möchten an dieser Stelle auch noch einmal ausdrücklich den Regierungen der Schweiz, Ägyptens und Tunesiens danken, die die bisherigen Gespräche, die zu diesem Ergebnis geführt haben, großzügig logistisch unterstützt haben.

FRAGE TOWFIGH NIA: Frau Adebahr, ich habe eine Frage zu dem Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan. Am Wochenende kam es dort zu massiven Verletzungen der Waffenruhe. Wie besorgt sind Sie über die Situation?

ADEBAHR: Ich würde Sie gern auf die Erklärung verweisen, die wir dazu schon am Wochenende veröffentlicht haben. Wir begrüßen den humanitären Waffenstillstand, der durch die Gespräche in Moskau durch die Co-Vorsitzenden der Minsk-Gruppe erreicht wurde. Umso größere Sorge bereitet es uns, dass wir im Verlaufe der letzten beiden Tage die jüngsten Verletzungen des humanitären Waffenstillstands sehen mussten.

Wir rufen nochmals beide Seiten wirklich eindringlich dazu auf, sich jetzt an diese Vereinbarung zu halten und damit die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass man wieder in Verhandlungen einsteigen kann.

FRAGE JOLKVER: Ich habe zwei Fragen zu Weißrussland. Frau Adebahr, setzt sich Herr Maas oder überhaupt die Bundesregierung dafür ein, die Person Herrn Lukaschenkos auf die Sanktionsliste zu setzen?

Herr Seibert, Sie haben hier mehrfach gefordert, dass die Machthaber in Weißrussland in Form einer Art runden Tisches auf die Opposition zugehen sollten. Nun hat Herr Lukaschenko Sie wahrscheinlich gehört und ist auf die Opposition zugegangen, und zwar im Gefängnis des KGB. Wie kommentieren Sie diese Aktion Herrn Lukaschenkos?

STS SEIBERT: Die Haltung der Bundesregierung das ist absolut richtig ist seit Wochen die folgende: Das Lukaschenko-Regime soll erstens jegliche Gewalt unterlassen, zweitens Gefangene freilassen und drittens tatsächlich einen Dialog mit der belarussischen Gesellschaft beginnen.

Das Thema des Dialogs bringt uns zu dem, was dort nun zu beobachten war. Allein schon der Umstand, dass dieses Treffen Lukaschenkos mit einigen inhaftierten Oppositionellen in einem Gefängnis stattfand, zeigt doch, dass man überhaupt nicht von einem offenen oder gleichberechtigten Dialog auf Augenhöhe sprechen kann.

Trotzdem das ist ja auch das Bewundernswerte lassen sich die Menschen in Belarus nicht entmutigen. Auch an diesem Wochenende hat der Wunsch nach Würde, nach Freiheit, nach politischer Veränderung wieder Hundertausende auf die Straße gebracht. Das war das zehnte Wochenende in Folge, an dem die Menschen friedlich demonstriert haben. Trotzdem gab es wieder zahlreiche Opfer von Einschüchterungen. Es gab brutale Gewalt, es gab Inhaftierungen durch die belarussischen Sicherheitsorgane.

Herr Lukaschenko muss also endlich die Zeichen der Zeit erkennen und in den längst überfälligen Dialog auf Augenhöhe mit dem belarussischen Volk eintreten, und solch ein Dialog das versteht sich, denke ich, von selbst kann nicht mit Gefangenen in einem Gefängnis stattfinden. Deswegen bleibt es bei unseren Kernforderungen.

ADEBAHR: Was den Außenminister angeht, so hat er heute Morgen in Luxemburg gesagt: Wir müssen feststellen, dass seit der letzten Sitzung nichts besser geworden ist. Die Gewalt, die vom Lukaschenko-Regime ausgeübt wird, geht weiter. Es gibt nach wie vor Verhaftungen von friedliebenden Demonstranten. Ich habe vorgeschlagen, dass wir ein neues Sanktionspaket bereits auf den Weg bringen und dass zu den Personen, die dann sanktioniert werden sollen, auch Herr Lukaschenko gehört.

ZUSATZ JOLKVER: Das heißt, die Bundesregierung setzt sich dafür ein, Herrn Lukaschenko auf die Sanktionsliste zu setzen.

ADEBAHR: So haben Sie den Außenminister heute in Luxemburg verstanden.

FRAGE KOUPARANIS: Am Freitag gab es noch Berichte darüber, dass Herr Maas außer nach Athen und Nikosia auch nach Ankara fliegen würde. Was ist aus dieser Absicht geworden, und woran hängt es, dass er nicht dorthin fliegt?

ADEBAHR: Ich habe Ihnen für das Auswärtige Amt die Reiseankündigungen für die Stationen zu machen, die für diese Reise vorgesehen sind.

ZUSATZ KOUPARANIS: Ich will nur eine Bewertung, warum er nicht nach Ankara fliegt.

ADEBAHR: Der Minister hat sich dazu entschieden, in die beiden genannten Städte zu reisen, und das wird er tun.

ZUSATZFRAGE KOUPARANIS: Herr Seibert, Sie haben vergangenen Mittwoch hier erklärt, die Öffnung des vom türkischen Militär kontrollierten Stadtteils Varosha der Stadt Famagusta auf Zypern sei ein unnötiger und provokativer Schritt, der im Widerspruch zu laufenden Bemühungen stehe, Deeskalation und Entspannung im östlichen Mittelmeer zu erreichen.

Wie bewertet die Bundesregierung die erneute Entsendung des türkischen Forschungsschiffes „Oruç Reis“ in Gewässer nahe der griechischen Insel Kastellorizo?

STS SEIBERT: Die Bundesregierung hat die Ankündigung der Türkei zu neuerlichen Sondierungsaktivitäten im östlichen Mittelmeer zur Kenntnis genommen. Wenn es tatsächlich zu Explorationen in diesem umstrittenen Seegebiet käme, dann wäre dies ein sehr bedauerlicher und aus unserer Sicht auch ein unkluger Schritt. Er würde die Bemühungen um Entspannungen im östlichen Mittelmeer zurückwerfen, und er wäre ganz sicher alles andere als förderlich für die Fortentwicklung der EU-Türkei-Beziehungen, wie sie der Europäische Rat vorvergangene Woche ins Auge gefasst hat.

Deswegen also noch einmal wiederholt die Position der Bundesregierung: Es ist wichtig und notwendig, dass sich alle Beteiligten um die Vermeidung von Eskalationen bemühen und dass sie ihre Streitfragen im östlichen Mittelmeer inklusive der seerechtlichen Streitfragen möglichst rasch im Dialog und auf Grundlage des Völkerrechts lösen. Wir sind weiterhin bereit, jede Bemühung zu diesem Zweck zu unterstützen.

FRAGE WARWEG: Vergangene Woche hatte Deutschland zusammen mit den P3, also mit den USA, Großbritannien und Frankreich, die geplante Rede des ersten Generalsekretärs der OPCW, José Bustani, vor dem UN-Sicherheitsrat verhindert. Herr Bustani sollte vor dem UN-Sicherheitsrat eine Rede zu den OPCW-Untersuchungen in Duma und dem umstrittenen Abschlussbericht halten.

Aus welchen Beweggründen hat sich Deutschland dafür interessiert, diese Rede zu blockieren?

ADEBAHR: Ich glaube, das ist eine Behauptung, die ich nicht für belegt halte. Insofern würde ich dazu gern etwas nachreichen.

ZUSATZ WARWEG: Das alles ist ja protokolliert. Man kann es sich auch im UN-Livestream ansehen. Ich gehe schon davon aus, dass das Auswärtige Amt darüber informiert ist, wenn Ihr eigener UN-Vertreter im UN-Sicherheitsrat entsprechend argumentiert. Deswegen nehme ich Ihnen, ehrlich gesagt, nicht ab, dass Sie das nachliefern müssen und würde gern jetzt eine Stellungnahme dazu haben.

ADEBAHR: Ich würde mich gern über den von Ihnen aufgeworfenen Grundsachverhalt informieren. Ich bin mir ganz sicher, dass es viele Livestreams gibt. Vielleicht ist die Frage, was sie darstellen, eines genauen Hinschauens durch das Auswärtige Amt wert. Dann würde ich mich gegebenenfalls melden.

FRAGE DR. RINKE: Eine Frage zum Thema des Gasstreits mit der Türkei: Herr Seibert, wir haben ja auch noch einen EU-Gipfel. Habe ich Sie eben richtig verstanden, dass auch EU-Sanktionen auf der Tagesordnung stehen, wenn die Türkei jetzt wieder Explorationen in umstrittenen Gebieten durchführt?

Zum Thema Armenien: Die Kanzlerin hat mit dem armenischen Ministerpräsidenten telefoniert. Sehen Sie eine besondere Vermittlungsrolle Deutschlands in diesem Konflikt? Die Frage geht auch an das Außenministerium.

STS SEIBERT: Zu Armenien und Aserbaidschan: Tatsächlich hat die Kanzlerin am Sonntag mit Ministerpräsident Paschinjan telefoniert, erneut telefoniert, so muss man sagen. Wir haben dazu eine kurze Pressemitteilung herausgegeben.

Es gibt ja eine Vermittlung. Es gab die Vermittlung einer humanitären Waffenruhe, die am Samstag in Moskau erfolgt ist und deren Ergebnis wir ausdrücklich begrüßen. Jetzt muss es darum gehen, dass diese Waffenruhe tatsächlich umgesetzt wird und dass es zeitnah danach den Gang zum Verhandlungstisch gibt.

In dem Zusammenhang nehmen wir die Berichte darüber, dass Kampfhandlungen andauern, natürlich mit großer Sorge zur Kenntnis. Auch dritte Staaten, die unmittelbar oder mittelbar in diesen Konflikt involviert sind, sollten deeskalierend wirken. Es kann keine militärische Lösung dieses Konflikts geben. Die Bundesregierung unterstützt die Suche nach einer diplomatischen Lösung. Das ist das, was ich Ihnen dazu sagen kann.

Zu Ihrer ersten Frage: Sie haben mich richtig verstanden, wenn Sie mich so verstanden haben, dass, sollte es zu Explorationen kommen, dies alles andere als förderlich dafür wäre, die europäisch-türkischen Beziehungen fortzuentwickeln. Solch eine Fortentwicklung hat der Europäische Rat vorvergangene Woche in seinen Schlussfolgerungen ja durchaus ins Auge gefasst. Darüber hinaus will ich jetzt nicht spekulieren.

ADEBAHR: Zur Frage OSZE und Bergkarabach: Im Rahmen der OSZE gibt es die sogenannte Minsk-Gruppe. Dort sind die drei Co-Chairs, die Co-Vorsitzenden, Russland, Frankreich und die USA. Sie spielen sozusagen die Hauptrolle und waren ja auch maßgeblich daran beteiligt, den humanitären Waffenstillstand auszuhandeln. Daneben gibt es sechs permanente Mitglieder, unter anderem Deutschland. Als permanentes Mitglied dieser Gruppe haben wir natürlich eine aktive Rolle. Das ist keine besondere Rolle, aber wir haben eine aktive Rolle in dieser Gruppe und unterstützen das dadurch.

FRAGE MORENO: Herr Fichtner, es geht um die Äußerungen von Frau Schulze an diesem Wochenende über das MERCOSUR-Abkommen. Sie sagte, sie könne die Ratifizierung in diesem Falle nicht unterstützen, und forderte Nachbesserungen. Sie sprach davon, dass Verstöße gegen die Umweltregeln nicht streng genug sanktioniert würden.

Heißt das, dass sich Deutschland für Nachverhandlungen bzw. sogar für eine Blockade des MERCOSUR-Abkommens einsetzt?

Welche Nachbesserungen stellt sich Frau Schulze genau vor?

FICHTNER: Vielen Dank für die Frage. Die Ministerin hat sich dazu gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ geäußert. Das alles können Sie nachlesen.

Das bedeutet, dass sich die Bundesumweltministerin zunächst einmal innerhalb der Bundesregierung dafür einsetzt, dass die Umweltregeln nicht länger Regeln zweiter Klasse sind. In diesem Freihandelsabkommen gibt es Kapitel, die sich mit Handelsrecht, und andere Kapitel, die sich mit Nachhaltigkeit beschäftigen. Das ist im MERCOSUR-Abkommen schon ein großer Fortschritt gegenüber früheren Abkommen ähnlicher Art. Allerdings ist es auch in diesem Abkommen noch nicht so weit, dass die Nachhaltigkeitsregeln mit der gleichen Art von Sanktionen bewährt sind wie die Handelsregeln. Das ist aus Sicht der Bundesumweltministerin eine große Schwachstelle, die behoben werden sollte.

Insgesamt zum Verfahren kann ich sagen, dass die EU-Kommission für die Verhandlungen zuständig ist. Das Abkommen ist vergangenes Jahr abgeschlossen worden. Es befindet sich derzeit in der Kommission in einer sprachjuristischen Prüfung. Die offizielle Positionierung der Bundesregierung wird erst dann anstehen, wenn das Abkommen von der Kommission an den Rat weitergeleitet wird.

FRAGE JUNG: Herr Seibert, wie positioniert sich die Kanzlerin als ehemalige Umweltministerin denn zu dem Thema? Möchte auch Sie MERCOSUR in Sachen Nachhaltigkeit und Umwelt nachverhandeln?

STS SEIBERT: Darüber haben wir hier schon im September gesprochen. Ich habe für die Bundeskanzlerin gesagt, dass wir zu Geist und Intentionen dieses Abkommens stehen. Aber man muss sich auch immer die Realität und die Lage vor Ort anschauen und sich fragen, ob es den guten Willen zur Umsetzung dieses Abkommens in diesem Geist und in den Intentionen gibt. Angesichts der fortschreitenden Abholzung und der gesamten Situation im Amazonasgebiet, die für uns alle klimatisch von globaler Bedeutung ist, gibt es Zweifel und Skepsis an diesem guten Willen zur Umsetzung. Das sind Fragen, die sich da stellen, und auf diese Fragen muss man Antworten finden.

ZUSATZFRAGE JUNG: Wenn Sie sagen „der Geist des Abkommens“: Herr Fichtner hat gerade ja davon gesprochen, dass das Rechte zweiter Klasse sind. Diesen Geist möchten Sie dann nicht austreiben?

STS SEIBERT: Die Bundesregierung ist grundsätzlich eine Bundesregierung, die den Freihandel jeder Form von Protektionismus vorzieht. Wie Sie wissen und wie auch Herr Fichtner gerade gesagt hat, gibt es in diesem EU-MERCOSUR-Abkommen jetzt erstmals ein ambitioniertes Nachhaltigkeitskapitel mit verbindlichen Regelungen. Das ist das modernste, was wir im Rahmen eines solchen Abkommens als EU bisher verhandelt haben.

Gleichwohl gilt das, was ich gerade gesagt habe: Wir sehen mit ganz großer Sorge und dazu erfahren wir ja auch ständig neue Zahlen die Abholzungen und Brandrodungen im Amazonasgebiet, und da stellt sich eben die Frage, ob der gute Wille vorhanden ist, einen ursprünglich intendierten guten Geist eines solchen Abkommens dann auch tatsächlich Realität werden zu lassen. Diese Fragen müssen geklärt werden.

FRAGE DR. RINKE: Herr Seibert, ich möchte noch nachfragen, was genau die Zweifel an dem guten Willen heißen. Das Umweltministerium oder die Umweltministerin möchte ja eine Nachverhandlung und eine Gleichsetzung, wenn ich es richtig verstanden habe, von umwelt- und handelspolitischen Überlegungen. Ist auch die Bundeskanzlerin dafür, dass dieses Abkommen in diesem Sinne nachverhandelt wird?

STS SEIBERT: Das werde ich Ihnen nachreichen; dazu habe ich keine aktuellen Informationen.

ADEBAHR: Ich hätte eine Nachlieferung zur Frage von Herrn Warweg: Der Herr, von dem Sie sprechen, ist ja ein ehemaliges Mitglied der OVCW und hat diese bereits 2020 verlassen. Es war beantragt worden, dass er als Briefer des Sicherheitsrates zum Tagesordnungspunkt der Situation im Nahen Osten und in Syrien sowie der Fortschritte bei der Beendigung des syrischen Chemiewaffenprogramms sprechen sollte also nicht zum Thema Nawalny, wie Sie gerade sagten. Dieses Briefing durch den Herrn Bustani wurde von vielen Ländern im Sicherheitsrat Belgien, Deutschland, Estland, Frankreich, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten abgelehnt, da uns nicht ersichtlich war, wie Herr Bustani zur Aufklärung dieses oben genannten Syrien-Sachverhalts hätte beitragen können. Der Sicherheitsrat verabschiedete Resolution 2118, deren Implementierung Gegenstand der Sitzung am 27. September 2013 war. Ebenso trat Syrien erst im September 2013 der Chemiewaffenkonvention bei, sodass die OVCW erst seit diesem Zeitpunkt berufen ist, das syrische Chemiewaffenprogramm und seine Beendigung zu überwachen. Herr Bustani hatte die OVCW, wie schon geschildert, bereits 2002 verlassen, sodass aus unserer Sicht leider nicht ersichtlich war, was ein Briefing für diesen Sachverhalt wirklich an Sachverhaltsaufklärung gebracht hätte.

FRAGE LINDNER: Es gab Meldungen, wonach die Grenze für Minijobs von 450 auf 600 Euro angehoben werden soll. Können Sie das bestätigen bzw. was ist der Debattenstand innerhalb der Bundesregierung dazu?

MÜHLHAUSEN: Der Vorschlag der Union zum Bürokratieabbau liegt vor und wird nun eingehend geprüft. Mit Blick auf die Forderung nach einer Anhebung der Entgeltgrenze für geringfügig entlohnte Beschäftigungen sogenannte Minijobs ist zu sagen, dass diese ja nicht neu ist. Das BMAS lehnt eine solche Anhebung weiterhin ab. Für uns steht der soziale Schutz von Geringverdienenden im Vordergrund, und gerade in den vergangenen Monaten mussten viele geringfügig Beschäftigte schmerzhaft erfahren, dass sie eben keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben und bei Jobverlust kein Arbeitslosengeld erhalten. Eine Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze halten wir daher weiter für den falschen Weg.

FRAGE KÜSTNER: Was den am Freitag verkündeten Vergabestopp beim neuen Sturmgewehr für die Bundeswehr angeht: Wird diese Panne, wie aus der Opposition gefordert, personelle Konsequenzen haben? Wie geht es nun überhaupt weiter im Vergabeverfahren?

COLLATZ: Ich dachte fast schon, dieser Kelch geht an mir vorüber, aber das ist ja nicht die einzige Hoffnung, die in diesem Prozess gedämpft wird. Diese etwas flapsige Äußerung soll darauf hindeuten, dass die am Freitag notwendig gewordene Entscheidung natürlich nicht zu Begeisterungsstürmen bei den Beteiligten, insbesondere bei der verantwortlichen Vergabestelle, geführt hat.

Ich möchte aber noch einmal auf den Prozess verweisen, den wir ja auch aufgrund Ihrer zahlreichen Anfragen schon sehr deutlich an die Öffentlichkeit gebracht haben. Es ist nämlich ein sehr komplexer und durch sehr starke Restriktionen auferlegter und beschränkter Prozess. Wir haben hier sehr viele Fristen zu beachten, und wir alle gemeinsam haben hier zum Beispiel gelernt, dass wir nicht in Eigentumsverhältnisse von Firmen, die sich bewerben, hineinschauen können. So ist es nun auch bei der Bearbeitung der Rüge und des Nachprüfantrages, den Heckler & Koch bei der Vergabekammer des Bundeskartellamts gestellt hat. Auch hier unterliegen wir natürlich den rechtlichen Auflagen aller Stellen, die behördlicherseits mit einem Bedarf auf den Markt treten, und müssen die jetzt vorgetragenen Argumente gewichten.

Hier ist es nun einmal so, dass die Vergabestelle des Bundes, also das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr auch Beschaffungsstelle bzw. Beschaffungsamt genannt am Freitag aufgrund der vorgetragenen Argumente zu der Bewertung kam, dass der Prozess angehalten werden muss und dass die Bieter über die beabsichtigte Zuschlagserteilung zwar informiert wurden, aber diese Information aufzuheben ist. Das bedeutet, wir machen im Grunde einen Schritt zurück im Vergabeverfahren, weil nach derzeitigem Stand eben nicht ausgeschlossen werden kann, dass aufgrund von Patentrechtsverletzungen der Firma Haenel die Mitbieter, also hier Heckler & Koch, in irgendeiner Art und Weise benachteiligt wurden. Ob das so ist, und wenn ja, in welchem Umfang, muss jetzt natürlich geprüft werden. Im Zuge dessen wird natürlich auch geprüft, ob es auch irgendwo auf unserer Seite, auf der Seite der Vergabestelle des BAAIN, des Beschaffungsamtes, zu Fehlern im Verfahren gekommen ist.

Ich kann das Ergebnis dieser Prüfung, die laut den Fristen einige Zeit in Anspruch nehmen kann nämlich bis zu zwei Wochen , nicht vorwegnehmen. Ich bitte Sie daher, mir auch zuzugestehen, dass ich hier noch nicht über personelle Konsequenzen oder ähnliches reden kann. Ob das überhaupt angezeigt ist, wird das Prüfverfahren seitens des Beschaffungsamtes dann ergeben. Die Leitung des Beschaffungsamts wird dem BMVg einen entsprechenden Prüfbericht vorlegen, und dann werden wir Sie natürlich umgehend informieren, so wie wir Sie ja auch am Freitag über die neue Entwicklung informiert haben, nachdem auch das Parlament darüber informiert wurde.

FRAGE JESSEN: Herr Collatz, wird bei der Ausschreibung seitens Ihrer Behörde abgefragt wie zum Beispiel auch bei Promotionen , dass versichert wird, dass man sich an sämtliche, auch patentrechtliche, Vorschriften hält, oder gehört das nicht zur Routine?

Bedeutet Ihre Aussage, dass eine Bestätigung der ursprünglichen Auftragserteilung an Haenel nur dann erfolgen kann, wenn die Verdachtsmomente oder Vorwürfe zweifelsfrei aufgeklärt sind?

COLLATZ: Ich kann bestätigen, dass natürlich die Prüfung der Leistungsfähigkeit, der Geeignetheit der Bewerbungen vorangeschaltet ist; das wird in einem sogenannten Bieterverfahren deutlich gemacht. Da verlangt man zunächst eine Selbstauskunft und prüft diese Selbstauskunft dann bei den entsprechenden Behörden, also zum Beispiel beim Kartellamt. Wenn sich hieraus keine Widersprüche bzw. keine Zweifel ergeben, geht es weiter im Verfahren und man steigt in das eigentliche Vergabeverfahren ein.

Mit der Rüge oder dem Antrag auf Nachprüfung wurden offensichtlich so lese ich die Mitteilung des Beschaffungsamtes neue Fakten vorgebracht oder zumindest neue Aspekte hervorgehoben, und die haben eben dazu geführt, dass es eine Neubewertung der Entscheidung gab.

FRAGE DUDIN: An Herrn Alter: Ist es richtig, dass aus Ihrem Ministerium Widerspruch gegen einen Referentenentwurf aus dem Justizministerium kam, der im generischen Femininum formuliert war? Wenn ja: Mit welcher Begründung?

ALTER: Ja, das ist zutreffend. Ich kann bestätigen, dass das BMI einem Gesetzentwurf bzw. Referentenentwurf des BMJV widersprochen hat; es handelt sich um den Referentenentwurf des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts. Der Gesetzentwurf war sprachlich so ausgestaltet, dass er ausschließlich die weibliche Begriffsform verwendet hat. Nach Ansicht des Verfassungsministeriums hat das bei formaler Betrachtung zur Folge, dass das Gesetz gegebenenfalls nur für Frauen oder für Menschen weiblichen Geschlechts gilt und damit höchstwahrscheinlich verfassungswidrig wäre; denn während das generisch Maskulinum, also die Verwendung der männlichen Sprachform, anerkannt ist für Menschen von männlichem und weiblichem Geschlecht, ist das generische Femininum zur Verwendung für weibliche und männliche Personen bislang sprachwissenschaftlich nicht anerkannt.

Nach Ansicht des BMI muss der Entwurf an die geltenden Regelungen angepasst werden. Dies gilt vollkommen unabhängig davon, ob ein bestimmter gesellschaftlicher Zustand gewünscht ist. Die Richtigkeit der Sprache muss insbesondere bei Gesetzestexten auch im Hinblick auf die Rechtsförmlichkeit gewährleistet sein. Derzeit finden Gespräche statt, mit dem Ziel einer Einigung.

ZUSATZFRAGE DUDIN. Sie haben von „höchstwahrscheinlich“ gesprochen. Läuft die Prüfung noch, und wann wird es ein abschließendes Ergebnis dazu geben?

ALTER: Die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen kann ja die Regierung nicht selbst feststellen. Das wäre also der Fall, wenn ein Gesetz in Kraft träte und es dann einer verfassungsrechtlichen Prüfung unterzogen würde. Aber aus den genannten Gründen geht das BMI davon aus, dass jedenfalls nach den bisher geltenden Regelungen zumindest Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes bestünden.

FRAGE GAVRILIS: Mich würde noch die Meinung des BMJV dazu interessieren. Warum ist es dazu gekommen, warum haben Sie sich also größtenteils für das generische Femininum entschieden? Wird man jetzt auf die Beschwerde des Innenministeriums eingehen und das komplette Gesetz ins generische Maskulinum umschreiben?

BÖNNIGHAUSEN: Ich möchte insbesondere auf zwei Sachen hinweisen, nämlich zum einen darauf, dass die Arbeiten an dem Referentenentwurf noch nicht abgeschlossen sind und damit eben auch noch nicht die Ergebnisse der Sprach- und Rechtsprüfung beinhalten. Insofern wird der Entwurf, bevor er dem Kabinett zugeleitet wird, auch noch einmal von uns überarbeitet.

ZUSATZFRAGE GAVRILIS: Gibt es in anderen Ministerien die Idee oder den Gedanken, dem BMJV zu folgen und in zukünftigen Gesetzentwürfen vom generischen Maskulinum abzuweichen?

VORS. WOLF: Wir werden jetzt aber nicht nach und nach jedes Ministerium durchgehen. Herr Seibert, fühlen Sie sich berufen?

STS SEIBERT: Es könnten sich ja Ministerien melden, die das vorhaben. Das sehe ich aber nicht.

VORS. WOLF: Das sehe ich auch nicht. Dann mache ich weiter bei Herrn Tofigh Nia.

FRAGE TOWFIGH NIA: An das Bundeswirtschaftsministerium: Frau Baron, es gab heute ja Pressemeldungen, wonach dieses Jahr Rüstungsexporte nach Ägypten im Werte von mehr als 580 Millionen Euro getätigt worden seien. Können Sie diese Zahl bestätigen?

Frau Adebahr, wie vereinbar sind diese Rüstungsexport in Länder wie Ägypten, die massiv Menschenrechte verletzen und auch in Kriegsgebieten wie dem Jemen und Libyen aktiv sind?

DR. BARON: Vielen Dank. Die Zahlen finden Sie in der Antwort auf die parlamentarische Anfrage Nr. 589 aus dem September, die auch auf unserer Webseite veröffentlicht wurde. Darin nehmen wir Stellung zur Ausführung von Rüstungsexporten in den ersten neun Monaten dieses Jahres. Diese Rüstungsexporte haben einen Wert von 4,1 Milliarden Euro. Das ist ein Rückgang im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, in dem der Wert bei 6,3 Milliarden Euro lag. In der Antwort sind auch die Hauptempfängerländer aufgeführt. Wie immer gilt: Schwankungen in den Rüstungsexportzahlen sind normal, denn sie hängen natürlich vom jeweiligen Rüstungsgut ab und davon, ob das gerade einen hohen Wert hat oder nicht. Deshalb ist der Wert als solcher kein tauglicher Gradmesser.

Im Übrigen gelten hier die Grundsätze der Rüstungsexportgenehmigungen, die wir hier oft beschrieben haben. Wir verfolgen eine restriktive und verantwortungsvolle Rüstungsexportkontrollpolitik, die an außenwirtschaftlichen Grundsätzen wie beispielsweise der Situation der Menschenrechte orientiert ist.

ADEBAHR: Dem kann ich nur beipflichten. Natürlich ist es so, dass wir die Menschenrechtslage in Ägypten beobachten und auch mit der ägyptischen Regierung die Frage von bürgerlichen Freiheiten und Menschenrechten sowie vor allen Dingen auch von dem Recht auf freie Meinungsäußerung regelmäßig thematisieren und in Gesprächen ansprechen.

Was die internationalen Konflikte angeht, die Sie genannt haben, so rufen wir Ägypten auf, sich dazu konstruktiv einzubringen. In den letzten Wochen ist beispielsweise die Situation in Libyen ein weiteres Thema, das wir besprechen. Wir rufen alle dazu auf, die VN-Prozesse, die es diesbezüglich gibt, zu unterstützen, und das gilt natürlich auch für Ägypten.

FRAGE DR. RINKE: An das Wirtschaftsministerium: Die Chefin von Thyssenkrupp hat einen Staatseinstieg bei dem Konzern heute als Option bezeichnet. Ist das auch für das Wirtschaftsministerium oder den Wirtschaftsminister eine Option?

DR. BARON: Vielen Dank, Herr Rinke. Ich möchte Sie auf das verweisen, was Minister Altmaier vergangene Woche ich glaube, ziemlich genau vor einer Woche aus Anlass der Pressekonferenz der EU-Energieminister gesagt hat. Da hat er wörtlich gesagt:

„[Ich glaube], dass die Probleme der Stahlindustrie nicht in erster Linie mit Staatsbeteiligungen gelöst werden könnten, sondern wir brauchen Wettbewerbsmodelle für die Zukunft. Darüber wird im Augenblick intensiv diskutiert. Wir haben im Handlungskonzept Stahl die Pisten für die Reflexion dargelegt, und [dass] erfreulicherweise alle Stahlkonzerne in Deutschland bereit sind, den Weg zum klimaneutralen Stahl gemeinsam mit der Bundesregierung zu gehen, [werten wir als starkes Signal].“

Vielleicht noch zwei einordnende Worte zu Ihrer Frage:

Es ist richtig, dass die Stahlindustrie sich aktuell in einem sehr großen Transformationsprozess befindet, der geprägt ist und getrieben wird von zwei Entwicklungen: Das sind zum einen die aktuellen Situationen auf den internationalen Märkten, die ja seit einigen Jahren bekannt sind und für Überproduktionen sorgen.

Zum anderen gibt es vor dem Hintergrund des Klimawandels natürlich einen Umbauprozess hin zu grünem Stahl, der verfolgt werden soll. Deshalb haben wir das Handlungskonzept Stahl im Juli im Bundeskabinett verabschiedet zusammen mit der Stahlindustrie und auch den Gewerkschaften, die daran beteiligt waren. Für uns ist das ein politisches Gesamtkonzept, und darin legen wir eben fest, dass Investitionen hin zu grünem Stahl erfolgen müssen, um eben in Zukunft Arbeitsplätze und Zukunftsfähigkeit der Industrie zu sichern. Der Bundeswirtschaftsminister hat auch immer deutlich gemacht, dass er darunter natürlich auch versteht, dass es öffentliche Gelder sein müssen, mit denen Anreize für diese Investitionsentscheidungen und für den Umbauprozess gesetzt werden.

Zur Einordnung möchte ich aber noch einmal an das erinnern, was der Minister vor ca. einer Woche wörtlich gesagt hat.

ZUSATZFRAGE DR. RINKE: Sie zitieren jetzt eine Äußerung von vor einer Woche. Die Äußerung, die ich meinte, kam von heute; das Unternehmen sieht das offenbar anders als das Wirtschaftsministerium. Sie bleiben aber bei der Haltung, dass ein Staatseinstieg eigentlich nicht auf der Agenda steht?

DR. BARON: Wie gesagt, die Äußerungen, die der Minister letzte Woche getätigt hat, bezogen sich auf eine ziemlich gleichlautende Äußerung der IG Metall; deshalb gilt das Gesagte auch heute noch. Ich möchte außerdem noch einmal betonen, dass wir in Umsetzung des Stahlkonzepts ja auch im direkten Austausch mit der Stahlindustrie und mit den Gewerkschaften sind. Dieser Austausch findet natürlich weiter statt, eben um das Stahlkonzept umzusetzen.

VORS. WOLF: Das Gesundheitsministerium hat noch eine Nachlieferung.

GÜLDE: Ich möchte gerne noch eine Zahl bzw. genauer genommen zwei Zahlen nachreichen. Es gab die Frage nach der Auslastung der Testlabore, die den PCR-Test vornehmen. Ich kann Ihnen die Zahlen für die 40. Kalenderwoche nennen. Und zwar wurden in dieser Woche knapp 1,1 Millionen Tests vorgenommen, und die Testkapazität lag bei 232 000 Tests pro Tag. Ich muss aber auch gleich dazusagen, dass nicht alle Testlabore ihre Kapazitäten melden. Der Großteil macht das diese Meldungen erfolgen auf freiwilliger Basis , aber einige Testlabore nehmen keine Meldungen der Testkapazitäten vor.

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