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ROSAS BRILLE #3 – Ehrenlos

Die Serie „Ehrenpflegas“ ist ein Schlag mit der flachen Hand ins Gesicht aller Pflegekräfte. Wer sich sich bislang  mit dieser Serie nicht beschäftigt hat – Glückwunsch, das wäre vertane Lebenszeit, die man nicht zurückbekommt. „Ehrenpflegas“ ist eine Werbekampagne des Bundesfamilienministeriums, finanziert mit 700.000 Euro aus  Steuergeld. Die Macher von „Fack ju Göhte“ waren federführend, Gesichter aus bekannten Netflix-Produktionen sind das Aushängeschild.  Die Serie soll auf eine „satirische“ Art und Weise Jugendliche für den Pflegeberuf begeistern. Ob wir unsere Pflege auf Pfleger*innen aufbauen sollten, die sich von so „etwas“ angesprochen fühlen, bleibt fragwürdig. Ich persönlich würde mich lieber vom Grinch behandeln lassen!

Die Serie hat es geschafft, klar und deutlich aufzudecken, dass die Verantwortlichen – dazu zähle ich die amtierenden Minister des Familien- und Gesundheitsministeriums –  keine Ahnung haben (oder geflissentlich ignorieren), was eigentlich in den Krankenhäusern und Pflegeheimen passiert. Sie haben es geschafft, die Arbeit des Imagewechsels, welche seit Jahren verdammt schleppend vorankam, wie mit einem Bulldozer hochkant in die Erde zu rammen.

Ich habe meine Ausbildung mit einem recht unreflektierten Blick auf die Pflege begonnen. Je mehr ich jedoch eintauchte, desto klarer wurde mir die wahre Komplexität dieses Berufstandes bewusst. In diesem Beruf werden sehr viele Dinge vereint. Beispielsweise die typische Schreibtischarbeit (welche die Zeit mit dem Patienten aufgrund der Bürokratisierung weiter limitiert), mit fachlichen Kompetenzen, wie dem Erkennen von Symptomen, Pharmakologie oder auch das Erklären für Patienten, bis hin zu der alltäglichen zwischenmenschlichen Betreuung. Als Patient*in wie auch Angehöriger sieht man nur die Spitze des Eisberges, jedoch ist dies leider das Bild, welches in der Gesellschaft immer noch gezeichnet wird.

Für viele Kollegen ist ihr Job mehr als nur ein Job.  Die Pfleger*innen haben sich der Heilung und Betreuung von erkrankten oder sterbenden Menschen verschrieben. Und das ist eine sehr erfüllende sowie auch fordernde Arbeit. Ein weiterer Punkt, der oft vernachlässigt wird, ist der Umgang mit den Angehörigen. Krankenhäuser sind meist gemiedene Orte, da sie für Leid, Krankheit und Tod stehen. Sie stehen aber auch für Hoffnung, Heilung und Leben. Die Angehörigen sind ein Teil dieses Prozesses.

Ich durfte dabei sein, als unsere zwei Oberärzte der Station mit der Familie eines Patienten das Gespräch geführt haben, wie es weiter gehen soll. Der Patient konnte sich aufgrund seines Komas nicht mehr äußern. Ich hatte mich seit Beginn der Behandlung ihres Mannes gut mit der Ehefrau verstanden. Das Gespräch endete damit, dass sie weinend an der Wand heruntergerutscht ist, an der sie zuvor lehnte. Als ich ihr ein Taschentuch reichte, lehnte sie sich an mich. Ich fühlte mich in diesem Moment überfordert, als eine hemmungslos weinende gestandene Frau sich schluchzend an mich lehnte. Ich sagte nichts, und hielt einfach still, bis sie sich wieder aufrichtete. Einige Tage später bedankte sie sich herzlich bei mir und meinte, dass ich ihr sehr geholfen hätte.

Es gibt aber auch Momente, in denen vor Freude geweint wird. Ich habe auf der Kinderstation ein fünf Monate altes Baby versorgt. Die Mutter war alleinerziehend und konnte nicht lange, schon gar nicht über Nacht bleiben. Zwischendurch sah es wirklich nicht gut aus und die Mutter kam jedes Mal ins Krankenhaus mit der Befürchtung, ihr Kind sei auf der Intensivstation. Nach einiger Zeit stabilisierte es sich und regenerierte. Als wir der Mutter die guten Nachrichten übermitteln konnten, brach sie in Tränen aus. Ich hatte das Gefühl, ich hätte den Ballast, den sie all die Zeit getragen hatte, von ihr abfallen sehen.

Zu diesen emotionalen Erlebnissen kommen die Rahmenbedingungen dazu. Wir müssen auch im 12. Dienst in Folge immer noch hellwach sein, es interessiert niemanden, ob du müde bist, auch wenn es wegen eines Spät-Früh-Wechsel ist: Da verlässt man um 21 Uhr das Krankenhaus, um am nächsten Morgen um 6 Uhr wieder umgezogen auf Station zu stehen. Man kann nicht einfach mal einen „ruhigen Tag“ einlegen, nach dem Motto „den Rest mache ich Morgen“. In unseren Händen liegen Menschenleben, leider nicht nur eines, sondern im Durchschnitt 13 pro examinierter Pflegekraft! Wenn es hochkommt, haben examinierte Pfleger*innen, die mit Schülern/Hilfskräften in einer Schicht arbeiten, die Verantwortung für 30 und mehr Patienten! Das ist so, weil sie als Examinierte die grundlegende Verantwortung tragen.

Diese Menschen stützen und schützen diese Gesellschaft. Und Aspekte wie die gravierenden Akut- und Langzeitfolgen, die dieser Job mit sich bringt oder ein schlecht planbares Privatleben habe ich noch gar nicht berücksichtigt. Meine Ausbildung ist in Praxis- und Theorieblöcken aufgeteilt. In denen arbeite ich jeweils entweder nur im Krankenhaus oder gehe in die Krankenpflegeschule. In meinen Praxisblöcken kann ich beispielsweise, bis ich mein Dienstplan erhalte, keinen einzigen Tag des Monats planen. Der Dienstplan wird (bestenfalls) am 15. jeden Monats für den folgenden einsehbar gemacht. Wenn es um Geburtstage, Kurztrips oder auch ganz einfache Treffen geht, die länger als eineinhalb Monate in der Zukunft liegen, kann ich keinen einzigen Tag verbindlich zusagen – dabei ist es egal, ob es sich um ein Wochenende handelt oder nicht.

Natürlich kann ich Wunschdienste angeben, aber es ist leider eher eine Seltenheit, dass dies berücksichtigt werden kann.

Den Umfang dieses Berufes und den Anspruch, wie auch die Einschnitte, die er für das persönliche Leben bedeutet, macht sich die Mehrheit der Menschen nicht bewusst. Man nimmt Schicksale mit nach Hause und hofft, dass die Patienten beim nächsten Dienst immer noch leben. Wir kämpfen, siegen und verlieren mit den Patienten. Der Satz „Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps“, recht bekannt in Berufen wie der Feuerwehr oder dem Gesundheitswesen, ist auch richtig, und man (ich) sollte sich ihn immer wieder vor Augen führen. Wir arbeiten mit und für Menschen, die Träume, Geschichten und Familien haben, dem kann man sich emotional nicht gänzlich entziehen, und dies ist bis zu einem gewissen Grad auch gut so.

Ich will hiermit anreißen, dass dieser Beruf so viel mehr ist, als die Bilder, welche die Serie projiziert. Die Kaffeetrinkenden Schwestern, die ein wenig waschen, sind und waren nie die Realität.

Ich hätte mir wenigstens eine durchdachte, gut gemachte und respektvolle Kampagne unserer Bundesregierung gewünscht. Als ich mir die ersten Folgen der Serie angeschaut hatte, war ich so sauer, dass ich vor Wut fast in Tränen ausbrach. Meine Gedanken und Gefühle habe ich durch eine E-Mail an Frau Giffey wie auch Herrn Spahn zu  kompensieren versucht.  Ich hätte mir eine sinnvolle und nicht aus Textbausteinen zusammen gewürfelte Antwort gewünscht. Vom Frau Giffeys Büro kam jedoch genau so eine Antwort, von Herrn Spahn bis heute nichts.

In der Serie werden die Stereotypen, die die Gesellschaft vom Pflegeberuf hat, untermauert. Gerade was das Bild der Altenpflege angeht, macht sie mich verdammt wütend. Die Macher dieser Serie können nicht wirklich in einem Pflegeheim gewesen sein, wenn man den Umgang und die Interaktion zwischen dem Protagonisten und den Senioren betrachtet. Diese 700.000 Euro wären an anderer Stelle deutlich besser investiert gewesen (wie beispielsweise für einen flächendeckenden, nicht an Auflagen gebundenen Pflegebonus). Selbst das Verbrennen dieses Geldes wäre respektvoller der Pflege gegenüber gewesen!

Anmerkung Redaktion: Rosa ist 20 Jahre alt, Auszubildende zur Gesundheits- und Krankenpflegerin und arbeitet zusätzlich als Pflegerin im Seniorenheim. An dieser Stelle schreibt sie regelmäßig über ihre Erfahrungen im Beruf und in der Gesellschaft. Feedback: rosa@jungundnaiv.de

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