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ROSAS BRILLE #5 – Die (un)sichtbare Macht der Sprache

„Die Sprache ist die Kleidung der Gedanken“ (Samuel Johnsons). Dann blüht uns anscheinend eine sehr nackte Zukunft, gespickt mit vielen zwischenmenschlichen Offenbarungen.

Meine Mutter achtete schon immer sehr auf unsere Ausdrucksweise. Und noch immer ist es so, dass sie, egal, wie alt meine Geschwister und ich sind, bei Wörtern wie „scheiße“ oder „geil“, ihre Augenbrauen hochzieht und sagt, „warum muss man immer diese Wörter verwenden?“. Als Kind war diese Zurechtweisung verdammt anstrengend und nervtötend. Wenn man den Blickwinkel von diesen einzelnen Wörtern und Ausdrucksweisen vermehrt auf die Verwendung in unseren öffentlichen Diskursen wie auch dem Alltag wirft, überläuft es mich eiskalt.

Sprache verwendet jeder von uns jeden Tag. Die Möglichkeiten sind vielfältig: Schrift, Hände, Mimik oder das ausgesprochene Wort. Der Aspekt, dass uns die Sprache in dem, was und wie wir es denken,  beeinflusst, ist erschreckend und aufrüttelnd, gerade weil wir uns dessen nicht bewusst sind. Dabei entwickeln PR-Agenturen ganze Strategien die genau darauf aufbauen. Das Problematische ist, dass wir diese Manipulation oft gar nicht mitbekommen, wobei die Sprache unser Handeln wie auch unser Denken maßgeblich beeinflusst. Gerade in der Politik ist es so, dass die Sprache der Protagonisten das allgemeine gesellschaftliche Klima in einem Land stark beeinflussen kann.

Jedes Mal, wenn ich einkaufen gehe, auf der Arbeit bin oder mir Diskussionen anschaue, stelle ich mir die Frage, ob der Umgang und die Sprache die wir für- und miteinander verwenden nicht rauer und distanzloser geworden ist. Aber woher kommt das? In den sozialen Medien liegt die einfachste Erklärung auf der Hand, nämlich die Anonymität des Internets. Wie kommt es, dass selbst im Alltag oft ein Ton an den Tag gelegt wird, bei dem ich mich wie in einem Westernfilm fühle, in dem zwei Betrunkene kurz vor einer Prügelei stehen?

Phillip Ruch vom Zentrum für politische Schönheit hat in seinem Buch „Schluss mit der Geduld“ (2019) einige sehr spannende und zugleich für mich schlüssige Thesen wie auch Ideen aufgestellt. Beispielsweise spricht er das Thema Hass an, indem er sagt, dass ein Echo des Hasses durch die Medien ungefiltert weitergetragen wird. Dies untermauert er durch Sandra Maischberger, welche eine ihrer Sendungen mit dem Titel „Angst vor Flüchtlingen: Ablehnen, ausgrenzen, abschieben?“ moderierte.

Ich halte prinzipiell nicht viel von solchen „Talkshows“, da dort meist Menschen sitzen die entweder immer dort sitzen, gerade gehypt werden (und dadurch hoffentlich die Einschaltquoten hochtreiben), aus der Bedeutungslosigkeit ihren letzten Strohhalm ergreifen oder ihr neustes Buch promoten wollen. Ein interessanter Aspekt ist auch, dass es häufig vorkommt, dass die Menschen, die dort zusammenkommen, nicht persönlich von dem besprochenen Thema „betroffen“ sind. Ein perfektes Beispiel hierfür wäre der Rassismus und damit einhergehend die verwendete Sprache. Oder auch das Thema Pflege.

Eine Idee, die ich unter anderem aus dem Buch mitgenommen habe, ist eine Art Triggerwarnung – wie beispielsweise: „Achtung, es folgt rechtsextremes Vokabular“. Dies könnte vor Zitaten oder entsprechenden Vokabular gesetzt werden, um die Sprache des öffentlichen Diskurses wieder neutraler und klarer zu gestalten.

Somit würden Aussagen wie „Kopftuchmädchen“ oder „Vogelschiss in der Deutschen Geschichte“ klar als nicht neutral auffallen und gekennzeichnet werden. Die Medien müssten dies jedoch in Eigenregie einführen.

Der Umgang und die Sprache, die in sozialen Netzwerken vorherrscht, ist teilweise so erschreckend eintönig und bewertend, dass man es als Basis eines Trinkspiels verwenden könnte. Worauf ich hinaus will, ist, dass die geschlechtlichen Stereotypen, die eigentlich mit dem letzten Jahrtausend begraben werden sollten, wieder aufleben. Frauen sollen, um möglichst viele Follower zu generieren, möglichst perfekt aussehen und auch sich einer „weiblichen Sprache“ bedienen. Männer sollten bestenfalls „männlich“ aussehen und sich durch ihre Sprache und ihr Auftreten auch so präsentieren. Je nach Geschlecht und Content variieren auch die Kommentarspalten und die vorherrschende Atmosphäre.

Ich frage mich jedes Mal, was in den Köpfen von Menschen vorgeht, die Hass in den Kommentarspalten verbreiten. Mal im Ernst, wenn ich keine sinnvolle und konstruktive Kritik äußern kann, muss ich schon ein sehr trostloses Leben führen, dass es mich mit Genugtuung erfüllt, anderen gehässige Kommentare reinzuwürgen.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen Dinge einfach in den Raum werfen, sei es in einem Gespräch oder in einer schriftlichen Diskussion, ohne darüber nachzudenken. Jeder von uns hat schon Erfahrungen gemacht, dass der Mund schneller war als das Gehirn. Die eigentliche Frage ist nur, wie der anschließende Umgang mit einem solchen „Ausrutscher“ ist.

Je nachdem erweist ein Mensch Charakter oder das Rückgrat einer Qualle.

In manchen Situationen glaube ich, dass jeder mal seinen persönlichen Rheinländer in sich entdecken sollte. Einer der wichtigsten Leitsätze im Gebiet der fünften Jahreszeit ist: „Jeder Jeck ist anders“. Meiner Erfahrung nach wird dies auch besonders im Karneval gelebt. Egal, woher du kommst, wer du bist, wie du heißt, welche Meinung du hast oder welchem Beruf du nachgehst, bist du nett zu mir, bin ich nett zu dir. Gesetze wie „Drinks de ejne met?“ werden ohne viel Federlesen gelebt. Ob es sich um reine Oberflächlichkeit handelt, ist in erster Linie nebensächlich, da es um das Miteinander, die Geselligkeit wie auch die Leichtigkeit des Momentes geht.

Wenn wir uns gegenseitig wieder als lebende Menschen sehen, mit ihren Träumen, Gefühlen und Wünschen, wird es uns einfacher fallen, uns auf einer gemeinsamen Basis zu begegnen und somit einen respektvollen Umgang zu erlernen. Dafür ist die Sprache die wir verwenden der Grundstein auf dem alles weitere aufbaut. Lasst uns Menschen zulächeln, die uns entgegenkommen, uns bei dem/der Busfahrer*in bedanken, Türen aufhalten und dem/der Kassier*in einen schönen Tag wünschen. Wörter, die negativ oder hasserfüllt sind, streichen. Außerdem sollten wir uns immer mal wieder vor Augen führen, was die Wörter, die wir jeden Tag benutzen, in uns auslösen. Verbinden wir damit Negatives oder Positives? Assoziiere ich schon und nehme dadurch manche Themen aufgrund des vorherrschenden Vokabulars unter Umständen gar nicht so ernst oder neutral auf wie ich es sollte? Jedes Mal, wenn ich wütend bin und dies am liebsten auch in die Welt rausschreien würde, versuche ich – mit mehr oder weniger Erfolg – durch den roten Wutnebel an Klopfers Devise zu denken: „Wenn man nichts Nettes zu sagen hat, soll man den Mund halten.“

Anmerkung Redaktion: Rosa ist 20 Jahre alt, Auszubildende zur Gesundheits- und Krankenpflegerin und arbeitet zusätzlich als Pflegerin im Seniorenheim. An dieser Stelle schreibt sie regelmäßig über ihre Erfahrungen im Beruf und in der Gesellschaft. Feedback: rosa@jungundnaiv.de

 

 

 

 

 

Titelbildquelle: Ostseezeitung

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