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ROSAS BRILLE #7 – Das macht mich krank

Krankenpfleger kümmern sich auf einer Intensivstation um eine Covid-Patientin Bild: dpa/Julien Mattia

Ich kann meine Fassungslosigkeit nicht in Worte fassen. Joko und Klaas haben mal wieder Sendezeit gewonnen – keine 15 Minuten, sondern 7 Stunden, die sie der Pflege widmeten. Die komplette Schicht einer Pflegerin wurde aufgezeichnet und  am Stück gesendet. Eine super Aktion, und doch: Man muss daran erinnern, dass nur EIN Dienst begleitet wurde.

Ich habe bereits Kommentare gelesen, dass es so schlimm wohl nicht sein könne, die Pflegerin hätte ja Zeit gehabt, Kaffee zu trinken.

Die SWR-Dokumentation über die Intensivmedizin in Freiburg oder der RBB-Bericht über die Station 43 der Charité zeichnen nochmal ein anderes Bild. Ich wünschte, diese Beiträge würden an mehreren Tagen hintereinander zur besten Sendezeit laufen, damit die Menschen einfach sehen wie es ist, wenn das Leben an Plastikschläuchen hängt.

Vor einem Jahr standen Bürger auf  Balkonen und haben geklatscht. Uns wurde „Respekt“ gezollt und das Wort „systemrelevant“  in die öffentliche Diskussion eingestreut. Dass seit jenem Zeitpunkt über 9000 Pflegekräfte gekündigt haben, hinterfragt anscheinend niemand. Dass durch diese Abgänge die Belastung der Gebliebenen  wuchs und somit auch für sie potenzielle Kündigungen näher rücken wird auch nicht diskutiert.

Aktuelle Modellierungen rechnen für den Sommer mit 100.000 Infizierten. Im Unterschied zum letzten Jahr werden nun eher jüngere Patienten in den Betten der Kliniken um ihre Vitalität kämpfen. Wie groß muss das Brett vorm Kopf sein, dass Menschen nicht die Notwendigkeit eines verantwortungsvollen Umgangs erkennen? Die Bundesregierung ist für die Rahmenbedingungen verantwortlich. Muss man wirklich von „Mutti“ gesagt bekommen, ob es jetzt ok ist, eine Party zu machen? Darf man nicht seinen eigenen Verstand bemühen? Es ist wie ein An-Aus-Schalter: Lockdown On/Lockdown Off. Für das Virus spielt es keine Rolle, ob die Regierenden sich einig sind oder nicht oder wer wovon – finanziell – profitiert.

Warum kann man sich nicht darauf verlassen, dass Menschen sich so verhalten, dass sie gesund bleiben – auch ohne Erlaubnis der Regierung ?  Kinder muss man noch warnen vor „Messer, Gabel, Schere Licht…“, Erwachsenen normalerweise nicht mehr. Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen wieder in frühe Phasen ihrer Entwicklung zurückgesprungen sind. Hauptsache, man kann andere verantwortlich machen.

Die neue „Sicherheit“ der Covid-Schnelltests sind mit Vorsicht zu genießen. Vor einem Jahr habe ich mich mit einer Ärztin unterhalten. Sie hat sich kritisch geäußert über PCR-Tests, also die „richtigen“  Sarscov2-Tests. Die Testung müsse professionell-sorgfältig durchgeführt werden, um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten. Dazu gehört das Hochhusten des Lungensekretes, energisches Räuspern und ein wirklich tiefes Eindringen des Stäbchens. Das aus festem Material besteht und nicht aus biegsamem Plastik wie bei den Schnelltests. Selbst bei professionell durchgeführten PCR Tests, die im Labor analysiert werden, können Ergebnisse „falsch“ sein.

Die populär gewordenen Selbsttests, bei denen nicht selten etwas fehlt oder der Plastikgeruch beim Öffnen der Packung in die Nase sticht, schlagen zwar bei höchst infektiösen Patienten an – jedoch kann es auch sein, dass die Infektion noch zu tief in der Lunge sitzt und nicht indiziert wird. Hinzu kommen Anwendungsfehler. Sei es, weil Patienten oder Bürger die unangenehme Einführung der Stäbchen nicht zulassen, sei es, weil Personal oder „Selbsttester“ es einfach falsch machen.

In einem Spätdienst war ich unter anderem für ein „Isozimmer“ zuständig. In Isolationszimmern liegen Patienten, die potenziell ansteckend sind – dabei muss es sich nicht um Corona handeln. Die Schutzmaßnahmen sind meist gleich: Ich trug Schutzkittel, Augenschutz (Visier oder eine Brille), Handschuhe, eine zusätzliche Maske und eine Haube. Dem demenziell veränderten Patienten ging es nicht gut. In solchen Fällen gehe ich für die Testung am liebsten zu zweit ins Zimmer – falls möglich. Diesmal hatte leider hatte niemand Zeit, also konnte mir auch niemand beim Festhalten des Kopfes helfen. Ich ging mit einem Test und einer roten Wange – unter der Maske – aus dem Zimmer. Der Patient hatte in seiner Situation keinen anderen Ausweg gesehen, als mich zu schlagen – aus Selbstschutz.

Ich gebe zu, dass ich die Frage „Muss das so weit rein?“ nicht mehr hören kann. Ich bin nicht sadistisch veranlagt. Mir macht es keinen Spaß, anderen Menschen weh zu tun, also JA! Das Gefühl, als würde der Teststab kurz vorm Kleinhirn im Kopf  rumstochern, muss sein! Dennoch ist das Testergebnis nur ein Indiz und keine Sicherheit! Abstand und Maske oder Besuche nach der notwendigen Selbstisolation ist die Währung, mit der wir momentan leben müssen.

Wenn die Situation so weiter läuft werden noch mehr Menschen den Pflegejob verlassen. Erst recht, wenn die Lage sich verschlimmert, wonach es grad aussieht. Auch wenn`s schon oft gesagt wurde: Es mangelt nicht an Geräten oder Betten.

Es mangelt am Personal! Personal, das man nicht aus dem Ärmel eines Designeranzugsärmel schütteln kann. Wie wäre es aber, JETZT etwas grundsätzlich zu ändern?  Damit meine ich keinen Bonus, sondern flächendeckende, dauerhafte Gehaltserhöhungen und bessere Rahmenbedingungen.

Die Pflegekräfte die in den letzten Jahren gekündigt haben, hatten diesen Beruf nicht ohne Grund gewählt. Jetzt gehen die, die nicht mehr können. Sie haben hohe Ansprüche an sich selbst, können diese aber durch die Umstände nicht mehr erfüllen. Wir haben Pflegekräfte! Wir brauchen nur eine richtige Strategie und Handhabung um diese Kollegen wieder in den Job zu holen!

Pfleger*innen, die eine 25% oder 50% Stelle haben, gehen ganz anders mit den Situationen um und haben andere Puffer. Das geht meist nur mit Beziehungspartnern, die den Hauptteil des Lebensunterhalts erwirtschaften. Wäre es möglich, auch mit einer halben Stelle gut über die Runden zu kommen, würden viele von denen, die gegangen sind, wieder zurück kommen. Davon bin ich überzeugt.

Es ist eine bewusste Entscheidung, sich der Heilung von Menschen zu verschreiben. Es prägt dich jeden Tag aufs Neue. Der Entschluss, aus der Pflege wieder raus zu gehen, fällt alles andere als leicht. Es ist kein Bürojob, bei dem sich der Name des Unternehmens oder die Zahlen ändern. Wir fühlen uns verantwortlich für die Menschen in und vor den Betten. Wenn ich weiß, dass meine Kolleg*innen unterbesetzt sind, wandern meine Gedanken immer wieder zu ihnen. Nicht selten spiele ich mit dem Gedanken, kurz vorbei zu schauen, um die Antibiosen zu richten oder ähnliches.

Während eines Nachtdienstes habe ich mit einer Kollegin, die seit über 26 Jahren in der Pflege arbeitet, lange über den Job und ihre Erfahrungen gesprochen. Die Kollegin meinte, dass sie um meiner Willen sich wünscht, ich würde nicht in diesem Job bleiben. Wer Arbeitsmoral und Verantwortungsgefühl habe, würde durch diesen Job über kurz oder lang zermürbt.  Nicht der Beruf an sich ist für diesen düsteren Befund verantwortlich ist, es sind die Rahmenbedingungen. Das macht mich krank. Wenn ich mir Gehälter in der Wirtschaft anschaue, mit jährlichen Bonuszahlungen, wünsche ich mir gelegentlich, meine Affinität zur Medizin und der Pflege abstellen zu können.

Diese Jobs haben ihre eigenen Schwierigkeiten und sie sind nicht leicht, aber man ist mit anderen Fragen und Belastungen beschäftigt. Die Situation, mitten im Flur stehen zu bleiben, ein kalter Schauer fährt über den Rücken, es wird eiskalt und du glaubst, dein Herz bleibt stehen: Wegen der inneren Frage, ob du auch wirklich alles richtig gemacht hast? Sicher, dass ich das richtige Medikament angehangen habe? War es die richtige Dosis? Auf dem Weg nach Hause den ganzen Tag Revue passieren lassen, um ja nichts vergessen oder falsch gemacht zu haben – dieses Gefühl kann nur nachvollziehen, wer es selbst erlebt hat. Und das wünsche ich niemanden.

Wir können uns abschminken, dass die Pandemie in naher Zukunft „vorbei“ sei. Es gäbe Möglichkeiten, wenn medizinische Patente frei gegeben oder andere Aktionen in Gang gesetzt würden. Bis dahin liegt es an jedem Einzelnen von uns, gewissenhaft zu handeln. Die Bundesregierung sollte nicht unseren Verstand übernehmen müssen. Vielleicht schaffen wir es, dass nicht jeder erst einen Angehörigen auf der Intensivstation liegen haben muss, bis man sich solidarisch verhält.

Soll unsere Arbeit im Krankenhaus sich ändern, bedarf es grundsätzlicher Veränderungen. Und das, sehr geehrter Herr Spahn, liegt an Ihnen. Man kann nicht oft genug wiederholen, dass diese ganze „Pflegeproblematik“ nicht um die Pflegekräfte geht, sondern um jede einzelne Person, die atmet und lebt. Die Pflegekräfte können nach Hause gehen oder kündigen, zwar frustriert und fertig mit der Welt, aber wir sind zu hause. Die Patienten sind es, die oft monatelang in den Krankenhausbetten liegen. Wer sich das nicht bewusst machen will, bei dem ist Hopfen und Malz verloren. Anders ausgedrückt: es zeigt sich mal wieder, dass Ignoranz und Dummheit unendlich sind.

Anmerkung Redaktion: Rosa ist 20 Jahre alt, Auszubildende zur Gesundheits- und Krankenpflegerin und arbeitet zusätzlich als Pflegerin im Seniorenheim. An dieser Stelle schreibt sie regelmäßig über ihre Erfahrungen im Beruf und in der Gesellschaft. Feedback: rosa@jungundnaiv.de

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