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ROSAS BRILLE #9 – Das ist Pflege

Welche Vorstellung von „Pflege“ ist die gesellschaftlich vorherrschende ? Vor der Pandemie bestand das Bild meist aus einer etwas übergewichtigen, missgelaunten Pflegerin, auch bekannt als „Schwester Rabiata“, die den lieben langen Tag mit dem Waschen von Menschen beschäftigt ist.

Woher dieses Bild kommt, wie auch der schlechte Ruf der Pflege, erschließt sich mir nicht genau. Einen  Aspekt  habe ich in meiner dritten Kolumne schon angesprochen: Es ist das sich reproduzierende Bild in Fernsehserien wie „Ehrenpflegas“ oder auch „In aller Freundschaft – die jungen Krankenschwestern“, beide mit öffentlichen Geldern finanziert. Zur ersten Serie habe ich meiner Kolumne nichts mehr hinzuzufügen. Zur zweiten sollte sich die ARD bewusst sein, dass seit 2004 die Bezeichnung „Krankenschwester“ nicht mehr korrekt ist. Auch wenn der Volksmund noch von „Schwester“ spricht – die richtige Bezeichnung lautet: „Gesundheits- und Krankenpfleger*in“. Mit der Änderung sollte das wachsende Aufgabengebiet anerkannt und aufgezeigt werden.

Die TV-Serie ist zwar ein Unterhaltungsformat, aber es sind es auch solche Kleinigkeiten, die den falschen Eindruck der Pflege weiter nähren. Durch die vermehrte Berichterstattung über und aus  Intensivstationen hat sich in letzter Zeit dieses Bild teilweise verändert, wobei die Nachhaltigkeit auch in Frage steht. In den Nachrichten wird meist – zurecht – ausschließlich über die schlechten Arbeitsbedingungen, schlechte Bezahlung, extreme Belastungen und Erkrankungsrisiko berichtet.

Auf der Basis solcher Berichte muss man schon einen Knacks haben, sich freiwillig in diese „Fabriken“ zu begeben, oder? Dabei wird die Pflege nur auf wenige Teilaspekte reduziert. Die Gründe, weswegen sich Menschen dazu entscheiden diesen Beruf zu ergreifen, erhalten keine Aufmerksamkeit.  Auch Sätze wie: „DAS könnte ich ja nicht.“, zeigen die einseitige Sicht auf diesen Beruf. Was ist denn das „DAS“ wovon immer gesprochen wird? Hier wird ein gesamter Berufsstand meist auf eine Tätigkeit reduziert, ohne sich der Vielseitigkeit und der beruflichen Möglichkeiten bewusst zu sein.

Der Pflegeberuf ist einer der komplexesten Ausbildungsberufe die es gibt, weswegen in den meisten europäischen Ländern ein Studium absolviert werden muss. Deutschland ist das einzige Land, in dem die Ausbildung nur drei Jahre dauert. Wir müssen sehr viele Kompetenzen mitbringen und erlernen. Krankenbeobachtung, Reaktionen im Notfall, Einordnung von Symptomen, Pharmakologie, Rechtliches etc. Um einen Patienten adäquat pflegen zu können, ist auch das Wissen über seine Krankengeschichte, ebenso des sozialen Umfeldes, zwingend erforderlich. Dies ist unmöglich, wenn man 30 Patienten alleine versorgen muss. Jedes Mal, wenn wir den Dienst beginnen, wissen wir nicht, was uns erwartet und wie weit wir gefordert werden.

Es ist eine sinnvolle Arbeit. Positive Effekte sind kurz-, wie auch langfristig sichtbar. Die dankbaren Augen, wenn ein Mensch mittels der Hilfe sich nach Tagen das erste Mal wieder duschen und umziehen konnte. Auch der Besuch Wochen später, bei dem ich erfahre, dass ein früher geführtes Gespräch für den Patienten wichtig war, bestärkt mich in meiner Tätigkeit.

Im Gegensatz zu den Ärzten müssen wir uns nicht festlegen. Sie sind durch ihre Facharztausbildung an ein Gebiet gebunden. Die Pflege kann sich bei jeder neuen Bewerbung für ein Fachgebiet entscheiden, gerade zu Zeiten des Pflegenotstandes. Dadurch ergeben sich viele Möglichkeiten zur Umorientierung. Wenn man Glück hat, bietet der neue Arbeitgeber ein umfangreiches Einarbeitungsprogramm. Meistens ist dies nicht der Fall, deswegen muss man mit einem nicht zu unterschätzenden Arbeitsaufwand rechnen, neben der normalen Arbeit, um auf den nötigen Wissensstand zu kommen.

Für spezielle Bereiche in der Kinder- und Krankenpflege sind Weiterbildungen bis zu zwei Jahren Dauer zwingend erforderlich. Darüber hinaus gibt es beispielsweise Möglichkeiten, in einem ambulanten oder palliativen Pflegedienst zu arbeiten. Wer sich dazu entschließt, aus der „typischen“ Pflege raus zu wollen, kann auf Dialysestationen, dem Psychologischen Bereich oder im OP arbeiten, dort überwiegen andere Schwerpunkte. Wer in ein Studium wechselt, hat anschliessend die Möglichkeit, die Pfleger*innen von morgen auszubilden, in die Forschung, oder in die Verwaltung zu gehen. Auch Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen oder Sea-Watch suchen neben dem Ärztlichen Personal immer Kräfte aus der Pflege oder dem Rettungsdienst.

Je mehr ich mich mit diesem Thema auseinandersetze, desto mehr Möglichkeiten zeigen sich. Ich habe am Anfang meiner Ausbildung gezweifelt, ob es die richtige Entscheidung war, mich erst einmal gegen ein Studium zu entscheiden. In meinem Bekanntenkreis bin ich die einzige Nicht-Studentin. Das macht die Sache nicht leicht.

Aber: bereits nach ganz kurzer Zeit stellte sich heraus – es war beste Entscheidung, die ich 2019 treffen konnte. Durch diese Ausbildung mache ich Erfahrungen, die nicht vorstellbar sind, wenn man sie nicht erlebt hat. Du lernst Menschen kennen, denen Du normalerweise nicht mal auf der Straße begegnen würdest. Man kommt durch die Bedingungen, Schicksale und das Umfeld an seine eigenen Grenzen und lernt weit darüber hinaus. Ich habe nach meinem Auslandsjahr (anschließend ans Abitur) nicht geglaubt, dass man innerhalb seiner Heimatstadt in so kurzer Zeit sich in einem solchen Maße weiterentwickeln und gefordert werden kann. Man lernt sich selbst neu kennen und lernt Demut vor dem menschlichen Leben.

Jede Station ist ein neuer kleiner Kosmos, den man kennen lernen und auf den man sich einlassen muss. In der Ausbildung beginnt man mit jedem neuen Praxiseinsatz bei 0, man lernt zwangsläufig, mit vielen verschiedenen Menschen zusammen zu arbeiten. Sobald man im Krankenhaus einen Kasak trägt – Oberteil der Berufskleidung-, bringen einem die Patienten meist ein großes Vertrauen entgegen, welches in unserer Gesellschaft nicht mehr üblich ist. Jeder Verlauf und Aufenthalt ist so individuell wie die Patienten selbst. Das Gefühl, wenn man einen Patienten gehend und lachend entlässt, wobei er kurz zuvor an der Schwelle des Todes stand, ist nicht zu beschreiben. Über die Zeit hinweg lernt man die Angehörigen kennen und den Menschen selbst. In der Kinderkrankenpflege ist der Effekt der Anteilnahme noch gravierender. Es ist ein unvergleichbares Gefühl, ein sehr krankes Kind, bei dem der weitere Verlauf auf der Kippe stand, einige Zeit später zu sehen, wie es schon Bilder ausmalt und lachend die Rätsel löst.

Für mich ist es die beste Entscheidung gewesen, diese Ausbildung anzufangen. Ich gehe gerne ins Krankenhaus und in die Versorgung der Menschen. Mein Bild hat sich in dieser Zeit um 180 Grad gedreht. Je mehr Einblicke ich erhalte, desto beeindruckter bin ich. Ausscheidungen oder Erbrochenes sind für mich genauso unangenehm wie für jeden Anderen. Jedoch geht es dabei nicht um mich, sondern um die Patient*innen. Sie sind in einer ungewöhnlich hilfsbedürftigen Lage und sollten in dieser intimen Situation ihre Würde bewahren können und nicht das Gefühl bekommen, sich schämen zu müssen. Diese Atmosphäre zu schaffen ist eine Kunst, sie  bedarf eines enormen Fingerspitzengefühls und viel Empathie.

Ich kann aufgrund der Gegebenheiten in unserem Land diese Ausbildung nicht blind weiterempfehlen, dabei würde ich es so gerne tun.

Es ist eine Arbeit, die einem so viel schenkt. Ich empfinde diesen Beruf als sehr erstrebenswert und anspruchsvoll. Es gibt nicht „die Pflege“, daher ist es auch schwer, diesen so komplexen Berufsstand über einen Kamm zu scheren. Er bietet so viel mehr, als das, was ich hier schreiben oder man sich ausmalen kann. Die momentanen Umstände und die Bilder der Patienten, denen man nicht gerecht werden kann, sind es, die einen dazu bringen, kündigen zu wollen.

Anmerkung Redaktion: Rosa ist 20 Jahre alt und Auszubildende zur Gesundheits- und Krankenpflegerin. An dieser Stelle schreibt sie regelmäßig über ihre Erfahrungen im Beruf und in der Gesellschaft. Feedback: rosa@jungundnaiv.de

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