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Bundesregierung für Desinteressierte: BPK vom 13. Oktober 2021

Themen: Energiepreise, Reise der Bundeskanzlerin in die Türkei, Olympische Winterspiele in Peking, unerlaubten Einreisen in die Bundesrepublik Deutschland, Ukraine-Konflikt, COVID-19-Pandemie, Diskussion über eine mögliche Legalisierung von Cannabis, in der Türkei inhaftierte deutsche Staatsangehörige, aktuelle Situation in Afghanistan, Israelreise der Bundeskanzlerin

Themen/Naive Fragen zu:
– Gasspeicher
– Merkel bei Erdogan
– Legales Gras 37:55
– afghanische Ortskräfte

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Komplettes BPK-Wortprotokoll vom 13. Oktober 2021:

VORS. DETJEN eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt STS SEIBERT sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

FRAGE DR. RINKE: Ich würde gerne mit dem Thema Gaspreise anfangen. Ich habe eine Frage an das Wirtschaftsministerium, die in den letzten Wochen schon einmal so ähnlich gestellt worden ist, nämlich bezüglich der Befüllung der Gasspeicher. Es gibt jetzt zunehmend Warnungen wir nähern uns jetzt der kalten Jahreszeit , dass die Speicherfüllung nicht ausreichen könnte. Deswegen hätte ich ganz gerne gewusst, ob es bei Ihnen Sie haben bisher immer auf die Branche verwiesen, dass sie selbst das regelt neue Überlegungen gibt, ob man staatlicherseits aktiv werden muss, um die Speicher stärker zu befüllen.

DR. BARON: Vielen Dank. Ich nehme gerne noch einmal dazu Stellung. – Die Versorgungssicherheit in Deutschland ist weiter hoch. Die in Deutschland bestehende Nachfrage wird aktuell weiter vollständig im Markt bedient. Wir sehen daher derzeit keine Versorgungsengpässe.

Natürlich müssen wir die Situation sehr genau und kontinuierlich beobachten; denn wir sehen aktuell eine weltweit sehr hohe Nachfrage nach Energie, Gas und Strom. Die Faktoren dafür hatten wir schon einmal benannt. Das sind weltweite Faktoren und Einflüsse. Die Gasnachfrage steigt weltweit, auch unabhängig davon, welche Energiemixe die einzelnen Länder haben. Wir sehen hier ein weltweites Phänomen. Egal, ob sich Länder sehr stark aus Kohle, Gas oder Atomkraft bedienen, sehen wir eine weltweite Nachfrage nach Gas und Strom. Das hat einen Mix an Ursachen. Wir hatten das Coronakrisenjahr 2020 mit einem weltweiten Einbruch der Gaspreise und einem weltweiten Einbruch der Nachfrage, die sich jetzt, im Jahr 2021, mit dem weltweiten Anziehen der Konjunktur wieder in die Gegenrechnung bewegt. Dadurch ist die Nachfrage sehr hoch, vor allem auch durch die starke Nachfrage in Asien bedingt.

Ich komme zu Ihrer Frage zum deutschen Markt. Noch einmal: Die Versorgungssicherheit in Deutschland ist hoch. Die Gasspeicherfüllstände liegen Stand heute bei 75 Prozent. Ich habe das schon in den vergangenen Wochen dargelegt. Wir waren hier vor einigen Wochen bei über 60 Prozent. Das hat sich dann in den letzten Wochen gesteigert. Wir sind jetzt bei 75 Prozent. Dies ist zugegeben noch immer weniger als in den Vorjahren. Aber dies steigt wöchentlich an, wenn auch langsam. Wir hatten ähnliche Füllstände schon einmal im Jahr 2015. Wir sind zumindest 2015 gut durch den dann anstehenden Winter gekommen.

Insofern ist es aus unserer Sicht natürlich weiter notwendig, die Lage, aber auch den Markt sehr genau zu beobachten, der teilweise mit der Ausweitung des Fördervolumens in Norwegen reagiert.

ZUSATZFRAGE DR. RINKE: Sie haben eben darauf hingewiesen, dass der Markt teilweise reagiert. In anderen Bereichen gibt es durchaus konzertierte Aktionen, entweder auf nationaler oder auf europäischer Ebene, und auch Appelle oder Aufforderungen an Erzeugerländer, ihre Produktion auszuweiten, und zwar nicht nur in Norwegen, sondern möglicherweise auch anderswo. Ist das derzeit geplant?

DR. BARON: Sie weisen sehr zu Recht auf die europäische Ebene hin. Die Debatte ist natürlich auch europäisch zu führen. Die Europäische Kommission wird heute ich glaube, fast jetzt zur Stunde ihre sogenannte Tool Box, das heißt ihre Maßnahmen, darlegen, die sie sieht, wie auf die aktuell weltweit steigende Gasnachfrage reagiert werden kann und was kurz- und mittelfristig möglich ist. Kurzfristig haben Sie recht: Einige Länder haben nationale Maßnahmen ergriffen.

Wichtig ist für uns darin stimmen wir mit der Kommission überein , dass der Energiebinnenmarkt mittelfristig für uns der Weg ist, um Dinge und Preise zu stabilisieren, und natürlich der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien, der die Importabhängigkeit reduziert und auch dämpfende Preiseffekte haben wird.

Lassen Sie mich noch eine Sache zur parallelen Debatte sagen, nicht zum Thema Gas und Gaspreise, sondern zum Aspekt Strom, Strommarkt und Strompreise. Ich möchte auf das verweisen, was Minister Altmaier am Wochenende, am Sonntag, gesagt hat. Er appelliert noch einmal an alle und auch alle Fraktionen, die aktuell Sondierungen machen, für eine vollständige Abschaffung der EEG-Umlage. Dies könnte kurzfristig dämpfende Effekte haben. Er hat deutlich gemacht, dass er sich auch noch an alle Fraktionen wenden wird, um die vollständige Abschaffung der EEG-Umlage voranzutreiben.

Es gibt noch eine andere Debatte. Auch das muss man im Blick haben, hat Minister Altmaier betont. Man muss natürlich die einkommensschwachen Haushalte im Blick behalten. Er hat gesagt, dass man sich sicherlich auch da die Bestandteile noch einmal anschauen muss, sei es das Wohngeld oder andere Bestandteile von Hartz IV. Das ist nicht in der Zuständigkeit unseres Hauses. Aber natürlich muss man sich auch da die Dinge genau anschauen.

FRAGE: Ich möchte gleich an die Frage von Herrn Rinke anschließen. Sie haben gerade nationale Möglichkeiten von Maßnahmen angesprochen, um da entgegenzuwirken. Gibt es denn auch in der aktuellen Regierung noch Bestrebungen, da tätig zu werden, zum Beispiel, wie Sie gerade gesagt haben, einkommensschwache Haushalte zu entlasten oder möglicherweise, wie anderswo in Europa, Energiepreise bzw. Energieanstiege zu deckeln? Ist da noch etwas geplant, oder inwieweit muss man das dann einer neuen Bundesregierung überlassen?

DR. BARON: Auch dazu noch einmal der Verweis auf das von Herrn Altmaier Gesagte bezüglich der Abschaffung der EEG-Umlage. Wir werden in dieser Woche, am 15. Oktober, zunächst einmal die Zahlen für die EEG-Umlage 2022 bekommen. Wir rechnen mit einem Sinken der EEG-Umlage für 2022. Minister Altmaier ist wichtig, das nicht als Einmaleffekt verpuffen zu lassen, sondern über die vollständige Abschaffung der EEG-Umlage zu sprechen. Deshalb will er auf die Fraktionen zugehen, also auf CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP. Über gesetzliche Maßnahmen kann dann ein neuer Bundestag sprechen, der sich demnächst konstituieren wird. Über diese Möglichkeiten muss man sprechen. Herr Altmaier hat angekündigt, dass er bereit ist, das zu tun.

ZUSATZFRAGE: Können die einkommensschwachen Haushalte noch mit Maßnahmen der aktuellen Bundesregierung rechnen? Sie haben gesagt, dies sei nicht unbedingt nur im BMWi angesiedelt.

DR. BARON: Dazu würde ich gerne an die Kollegen verweisen. In Sachen Wohngeld oder Hartz-IV-Sätze müsste ich an die Kollegen im Arbeits- oder im Innenministerium verweisen.

FRAGE BLANK: Ich habe eine Frage an Herrn Seibert. Nachdem Verkehrsminister Scheuer in Bezug auf die steigenden Spritpreise gefordert hat, spätestens ab dem Preis von 1,99 Euro einzugreifen und die Steuern zu senken: Wie steht die Kanzlerin dazu?

STS SEIBERT: Ich möchte noch kurz auf die Frage Ihres Kollegen, die davor gestellt worden ist, eingehen, nämlich was wir tun. Wir tun bereits einiges, um Bürger vor den Auswirkungen von Preiserhöhungen zu schützen, zum Beispiel bei der Pendlerpauschale. Einnahmen aus der CO2-Bepreisung, die seit Anfang des Jahres gilt, werden zur Erhöhung der Pendlerpauschale für besonders betroffene Haushalte verwendet. Die Einnahmen werden auch zur Absenkung der EEG-Umlage verwendet.

Wir haben beim Wohngeld Verbesserungen eingebracht, weil auch der Wärmesektor seit Anfang dieses Jahres CO2-bepreist ist und es eine CO2-Komponente beim Wohngeld gibt. Auch die kommt Menschen direkt zugute und entlastet sie bei den Heizkosten.

Das ist das, was ich erst einmal in die Debatte einbringen will, damit man nicht denkt, da sei bisher noch nichts geschehen.

Zu dem anderen Thema kann ich nur an den Sprecher des BMVI abgeben; denn dazu habe ich jetzt hier nichts zu sagen.

Wir beobachten die Preisentwicklung kontinuierlich. Das ist auch dargelegt worden. Ich kann solche Maßnahmen, die in dieser Bundesregierung nicht greifen würden, sondern die die nächste Bundesregierung betreffen, nicht ankündigen.

EHRENTRAUT: Im Bereich der Grundsicherung kann ich darauf verweisen, dass es die Regelsätze gibt und dass Heizkosten nicht zu den Regelsätzen gehören, sondern zu den sogenannten KdU, den Kosten der Unterkunft. Diese werden von den Jobcentern gesondert berücksichtigt.

FRAGE JOLKVER: Frau Baron, noch einmal zu den Gasspeichern. Sie haben 75 Prozent genannt. Ist das der Durchschnitt? Haben Sie konkrete Zahlen zu dem Gasspeicher in Rehden, der von Gazprom betrieben wird? – Das wäre die eine Frage.

Die zweite Frage ist: Gab es Anfragen an Ihr Haus von wem auch immer , um die Inbetriebnahme der Nord-Stream-2-Pipeline zu beschleunigen?

DR. BARON: Zu Ihrer ersten Frage: Ja, die 75 Prozent betreffen alle Gasspeicher in Deutschland. Da ist der Füllstand in der Gesamtheit betrachtet bei 75 Prozent. Insgesamt gibt es in Deutschland 20 Gasspeicherbetreiber, die unterschiedliche Gasspeicher betreiben, auch in unterschiedlichen Konsortien. Den Füllstand jedes einzelnen Speichers kann ich jetzt hier nicht benennen. Die Daten sind aber am Markt und bei den Betreibern verfügbar.

ZUSATZ JOLKVER: Die zweite Frage!

DR. BARON: Zum Thema Nord Stream 2 hatten wir uns hier schon geäußert. Aktuell läuft das Zertifizierungsverfahren bei der Bundesnetzagentur. Das Zertifizierungsverfahren ist eine regulatorische Voraussetzung, die erfüllt sein muss, bevor man kommerziell in Betrieb nimmt und das Leiten in den Binnenmarkt beginnt. Dieses Verfahren läuft und ist eine rechtliche Voraussetzung. Es muss erst abgeschlossen werden, bevor es die kommerzielle Inbetriebnahme geben kann.

ZUSATZFRAGE JOLKVER: Das heißt, es gab keine Anfragen, um die Sache zu beschleunigen?

DR. BARON: Mir sind keine bekannt. Wie gesagt: Das ist ein laufendes Verfahren bei der Bundesnetzagentur.

FRAGE JUNG: Wenn der Füllstand der Gasspeicher aktuell bei 75 Prozent ist, was ist denn Ihr Zielfüllstand, dass er bei 100 Prozent landet? Sie hatten uns einmal gesagt, dass die Speicherkapazität 24 mal 6 Milliarden Kubikmeter ist. Habe ich richtig gerechnet, dass das jetzt bei 18,45 Milliarden Kubikmeter ist?

DR. BARON: Das müsste stimmen, wenn man die 75 Prozent von der Gesamtmenge berechnet. Wir haben keine Zielvorgabe, weil, wie gesagt, die Gasspeicher im Markt betrieben werden. In den vergangenen Jahren lagen die Speicher deutlich über 75 Prozent. Sie lagen einmal über 80 Prozent. Sie lagen auch schon einmal bei 90 %. Das ist eine Sache, die der Markt entscheidet.

Wie gesagt: Einen Stand, wie wir ihn aktuell haben und wie wir auch aktuell die Befüllungsgeschwindigkeit sehen, hatten wir im Jahr 2015 schon einmal. Aber es gibt da keine staatlichen Ziele, sondern die Gasmärkte sind liberalisiert und werden durch den Markt befüllt.

ZUSATZFRAGE JUNG: Sie sind gleichzeitig dafür verantwortlich, dass es keinen Energieengpass gibt. Wie müssten denn die Füllstände sein, damit es keinen Engpass geben kann?

DR. BARON: Wie gesagt: Die Versorgungssicherheit ist hoch. Wir sind aktuell bei 75 Prozent. Mit einem Füllstand dieser Art haben wir im Winter 2015/2016 keine Versorgungsengpässe gesehen. Die absolute Menge, die Sie genannt haben, ist in Deutschland sehr hoch. Ich hatte das Zahlenbeispiel schon einmal genannt. Wenn wir die aktuellen 75 Prozent sehen, dann ist das mehr als 16-mal so viel, wie aktuell in Großbritannien in den Speichern ist. Die Speicher in Großbritannien sind zu 100 Prozent gefüllt. Die reine Prozentzahl der Speicherfüllung kann nicht das einzige Indiz sein, sondern schon auch die Menge, die dahintersteht. Die ist in Deutschland aufgrund der absoluten Kapazitäten sehr hoch.

FRAGE DR. RINKE: Ich habe eine Frage an Herrn Seibert. Frau Baron hat eben darauf hingewiesen, dass mittelfristig das Ziel der EU-Binnenmarkt ist. Die EU-Kommission hat schon häufiger vorgeschlagen, dass sie Gas gemeinsam für die EU-Länder einkauft, weil man da eine größere Verhandlungsmacht hat. Der EU-Gipfel wird sich nächste Woche auch mit diesem Thema beschäftigen. Ich hätte ganz gern gewusst, ob die Bundeskanzlerin bereit ist, die deutsche Haltung, die da eher ablehnend war, zu überdenken und auch für einen gemeinsamen Gaseinkauf der EU-Länder bereit ist.

STS SEIBERT: Die Tatsache ist, dass das Gas in Deutschland nicht vom Staat eingekauft wird. Das ist erst einmal so. Sie haben recht: Der kommende Europäische Rat wird sich mit dem Thema der steigenden Energiepreise, die in beinahe allen Ländern zu spüren sind, und möglichen Handlungsoptionen befassen. Ich will jetzt den Beratungen dort nichts vorwegnehmen. Wie gesagt: Das Faktum ist erst einmal das, das ich Ihnen genannt habe.

ZUSATZFRAGE DR. RINKE: Es ging darum, ob die Bundesregierung ihre Haltung ändern könnte. Dazu könnten Sie ja vielleicht etwas sagen.

STS SEIBERT: Ich kann jetzt diesem Rat nicht vorgreifen. Ich habe Ihnen beschrieben, wie erst einmal die Haltung ist und was die wirtschaftlichen Tatsachen in unserem Land sind. Frau Baron hat die deutsche Versorgungslage und auch die Speichersituation sehr ausführlich dargestellt. Ich kann Ihnen heute nichts dazu sagen.

FRAGE JESSEN: Ich habe eine Frage an das Umweltministerium und vielleicht auch an das BMWi. Leiten Sie aus der Knappheit und auch der Preissteigerung die Notwendigkeit ab, dass die kommende Regierung den Erdgasausstieg vorantreiben muss?

FICHTNER: Ich würde zu Ihrer Frage gerne noch einen Aspekt verstärken, den Frau Baron eben angesprochen hat, nämlich der dämpfende Effekt, was den Preis angeht, der aus dem Ausbau der erneuerbaren Energien kommt. Das ist im Grunde eine Erkenntnis, die relativ neu ist. Früher waren erneuerbare Energien Preistreiber. Heute sind erneuerbare Energien Preissenker im Vergleich zu fossilen Energien. Deswegen ist Klimaschutz auch bei dieser Frage nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung. Das ist schon einmal gut

Sie haben nach dem Gasausstieg gefragt. Im Grunde sind die ganze Klimapolitik und auch die Energiewende darauf ausgerichtet, dass man sich von den Unwägbarkeiten des Weltmarktes für fossile Energien unabhängig macht. Wenn man sein Haus dämmt, eine klimafreundliche Heizung einbaut und sparsamere Geräte verwendet, dann macht einen das auch unabhängiger von hohen Gaspreisen.

DR. BARON: Ich kann gerne noch etwas dazu sagen. – Wir haben immer gesagt: Für eine Übergangszeit brauchen wir Gas. Aber natürlich ist klar: Diese Bundesregierung hat das Ziel der Klimaneutralität beschlossen. Insofern ist klar, dass am Ende eine CO2-freie Erzeugung stehen muss.

Lassen Sie mich noch einen Bogen schlagen. Genau das ist auch der Grund, warum Herr Altmaier sagt: Wir brauchen die sofortige Abschaffung der EEG-Umlage, weil die Strompreise wettbewerbsfähig gegenüber Gas und Öl sein sollen. – Denn wir wollen ja mit dem Weg hin zur Klimaneutralität, dass die Menschen E-Autos fahren, dass sie Wärmepumpen einbauen und dass viel mehr elektrifiziert wird, auch im Strom- und Wärmebereich. Den Weg zur Klimaneutralität hat diese Bundesregierung beschlossen. Er ist klar. Auf diesem Weg dahin hat Gas für eine Übergangszeit natürlich noch eine Rolle.

ZUSATZFRAGE JESSEN: Die Frage ist gewesen, ob angesichts der Preissteigerung und der Unwägbarkeiten des Marktes, der vielleicht doch nicht alles befriedigend regelt, der Ausstieg, gerade aus Erdgas, beschleunigt werden muss. Wenn ja, auf welcher Zeitachse, in welchem Zeitraum?

DR. BARON: Eine Zeitachse muss die neue Bundesregierung beschließen. Diese Bundesregierung und der Bundesgesetzgeber haben den Weg zur Klimaneutralität bis 2045 im Gesetz festgeschrieben. Dieser Zielpfad steht.

FICHTNER: Das ist eins zu eins das, was ich auch gesagt hätte.

FRAGE JOLKVER: Ich habe eine Frage an beide Ministerien, was das Klima und die Energiesicherheit angeht. Wie bewerten Ihre Häuser das französische Programm der Minireaktoren? Wäre das ein Weg auch für Deutschland?

FICHTNER: Dazu kann ich gerne Stellung nehmen. – Vielleicht allgemein zur Atomkraft: In Europa gibt es das Prinzip der nationalen Energiesouveränität. Mitgliedstaaten entscheiden eigenständig darüber, welchen Energiemix sie haben. Das respektieren wir. Wir erwarten aber auch, dass unsere Partner das respektieren.

Was europäisch geklärt wird, ist die Frage: Was ist eigentlich eine nachhaltige Investition? Ist Atomkraft eigentlich nachhaltig? – Das ist wichtig für Finanzmärkte und für die Frage, was in nachhaltigen Finanzprodukten drinsteckt. Aus deutscher Sicht ist klar, dass Atomkraft niemals Teil von nachhaltigen Finanzprodukten sein kann. Denn was wäre ein Ökolabel eigentlich noch wert, wenn sich Atomkraft dahinter verbirgt?

Deshalb ist unser Anliegen, auch um das wichtige Instrument des nachhaltigen Finanzwesens und der nachhaltigen Finanzprodukte zu stärken, dass wir uns in Brüssel dafür starkmachen, dass Atomkraft eben nicht als nachhaltig eingestuft wird. Wir haben da Verbündete. Wir wissen, dass Frankreich eine andere Meinung hat, und bringen unsere Argumente in Brüssel ein, nämlich: Atomkraft ist nicht nachhaltig. Im Schadensfall würden ganze Landstriche unbewohnbar werden. Die Schäden müssten künftige Generationen von Steuerzahlern begleichen, weil es keine nachhaltigen Haftungsregeln gibt. Das Müllproblem ist ungelöst. 30 000 Generationen müssen sich mit dem Müll herumschlagen. All das ist offenkundig nicht nachhaltig.

Auch Klimaschützerinnen und Klimaschützer sollten sich nicht auf Atomkraft verlassen; denn sie ist teurer als erneuerbare Energien. Wir sehen, dass Neubauprojekte viel zu lange dauern, als wir es uns angesichts der Klimakrise leisten könnten. Das funktioniert auch nur in bestimmten Ländern. Wenn man darüber nachdenkt, in Afrika und in all den Ländern, die wir auch für den Klimaschutz brauchen, Atomkraftwerke zu errichten, dann merken Sie, wie absurd dieser Gedanke ist.

Damit sind wir beim Thema kleine modulare Reaktoren. Man hat bisher, auch wenn es darum geht, die Nonproliferation zu gewährleisten, wenige Atomkraftwerke auf der Welt. Das sind noch immer viel zu viele, aber es sind wenige. Wenn Sie sich vorstellen, dass es in Zukunft viele kleine anstatt wenige große gibt, dann ist auch das Problem viel größer, das man mit der Sicherung und der Nonproliferation hat. Insofern sind wir sehr skeptisch und lehnen dieses Konzept ab, zum einen, weil es keine Lösung des Problems ist, und zum anderen, weil es die Probleme in der Summe größer macht.

FRAGE DR. RINKE: Herr Fichtner, meine Frage schließt im Prinzip daran an. Nur ist das nicht die Frage nach der Atomkraft, sondern nach Gas. Ich hätte gerne gewusst, ob das Umweltministerium in der EU-Debatte Investitionen in den Gassektor als nachhaltig einstuft. Das ist der Streitpunkt, der von französischer Seite umgekehrt geäußert wird, dass man das infrage stellen sollte. Ist das Umweltministerium dafür, dass Investitionen in Gas damit kommen wir wieder auf den Preis und den Bedarf zurück als nachhaltig eingestuft werden?

FICHTNER: Federführend für die Taxonomie ist in der Bundesregierung das Finanzministerium. Wir beteiligen uns an der Debatte, unter anderem mit dem folgenden Argument: Wenn man zum Beispiel über Gaskraftwerke nachdenkt, dann muss man sagen, dass man Gaskraftwerke heute so bauen kann, dass sie künftig auch mit grünem Wasserstoff funktionieren würden. Wenn man das mit in die Debatte einpreist, kann man Kriterien finden, wie Gas für eine Übergangszeit auch noch nachhaltig sein kann, nämlich mit genau dieser Zielrichtung. Dann kommt es darauf an, wie genau man das ausgestaltet. Das ist aus unserer Sicht ein bisschen komplexer als die Atomfrage. Aber auch da bringt sich Deutschland ein.

ZUSATZFRAGE DR. RINKE: Da würde mich interessieren, ob das Finanzministerium diese Haltung teilt.

LAIADHI: Ich kann mich dem, was Herr Fichtner gesagt hat, nur anschließen. Wir als Bundesregierung haben an dieser Stelle schon mehrfach über dieses Thema gesprochen und die jeweiligen Für und Wider vorgetragen. Das ist bekannt. Dazu habe ich keine Neuigkeiten zu berichten.

ZUSATZFRAGE DR. RINKE: Das wird sich jetzt mit der Bildung einer neuen Bundesregierung auch nicht ändern? Ich frage deswegen nach, weil Ihr Finanzminister als Kanzler gehandelt wird. Bleibt es dabei, dass der Finanzminister dafür ist, dass Gasinvestitionen als nachhaltig eingestuft werden?

LAIADHI: Auch da kennen Sie wahrscheinlich die Antwort schon, nämlich dass wir hier für die aktuelle Bundesregierung sprechen und ich mich an dieser Stelle nicht zu zukünftigen Plänen äußern kann.

ZUSATZFRAGE DR. RINKE: Aber der aktuelle Finanzminister ist dafür?

FICHTNER: Ich würde noch anmerken wollen, dass Ihre Frage jetzt nicht weniger komplex war als meine Antwort eben. Es gibt nicht die eine Ja-/Nein-Antwort auf die Frage, ob Gas nachhaltig ist.

ZUSATZFRAGE DR. RINKE: Aber das muss doch geklärt werden?

FICHTNER: Ja, aber wie gesagt, ich habe gerade angedeutet, was Kriterien sein könnten.

ZUSATZFRAGE DR. RINKE: Das wäre nachhaltig, aber mit Kriterien?

FICHTNER: Genau.

FRAGE JUNG: Ich bin gerade sprachlos ob dieser Logik.

VORS. DETJEN: Wir können auch Herrn Jessen drannehmen.

FRAGE JUNG: Nee, nee. Herr Seibert hatte ja betont, dass der Staat nicht das Gas einkauft. Hat sich das denn aus Sicht der Bundesregierung bewährt, Herr Seibert?

STS SEIBERT: Über die vergangenen Jahre gesehen eindeutig ja.

ZUSATZFRAGE JUNG: Und in Bezug auf heute?

STS SEIBERT: Die Antwort ist ja, und die Gründe für Veränderungen auf dem Gasmarkt Preisentwicklungen sind hier jetzt ausführlich beschrieben worden. Ich glaube, es ist auch schon gesagt worden, dass das Gute in Deutschland ist, dass wir hier viele ganz langfristig ausgelegte Lieferverträge haben, also dass für viele Endkunden die hohen Preise auf den Kurzfristmärkten im Moment gar nicht so unvermittelt durchschlagen.

FRAGE JESSEN: Lernfrage an das BMU: Ist für das BMU wie auch für das Wirtschaftsministerium Erdgas eigentlich eine Brückentechnologie auf dem Weg zur Beendigung der Nutzung fossiler Energien? Hintergrund ist ja auch, dass sich in jüngerer Vergangenheit herausgestellt hat, dass die Methanausstöße insgesamt die Erdgasbilanz fast in die Nähe von Kohle und Erdöl in der Klimaemission bringen.

FICHTNER: Das muss man sich mit Blick auf die einzelnen Verwendungszwecke differenziert anschauen. Methanemissionen sind ein wichtiges Thema, da gebe ich Ihnen recht. Man kann sie aber auch gut angehen.

Stichwort Verwendungszwecke: Ich denke da etwa an ein Stahlwerk. Wenn ein Stahlwerk, das bisher Kohle einsetzt, dann die nötige Infrastruktur dafür aufbaut, dass hinterher Stahl mit grünem Wasserstoff produziert werden kann, es aber noch keinen grünen Wasserstoff gibt, dann ist Erdgas eine gute Brückentechnologie; denn man kann mit derselben Anlage Erdgas oder grünen Wasserstoff verwenden und hinterher grünen Stahl produzieren. Das ist dann zwischenzeitlich, wenn es noch Erdgas ist, eben noch nicht grün, aber dann ist die Infrastruktur schon einmal da. Das ist eben eine gigantische Infrastrukturaufgabe, bei der wir nicht warten können, bis der grüne Wasserstoff in ausreichender Menge zur Verfügung steht. Das ist ein Beispiel, wo Erdgas eine nötige Brückentechnologie ist. Das sagen Ihnen auch renommierte Klimawissenschaftler.

Bei anderen Fragen sieht das anders aus. Zum Beispiel würden wir bei der Frage „Sollte man jetzt neue Erdgasheizungen einbauen, wenn man auch Wärmepumpen einbauen kann?“ die Wärmepumpe empfehlen.

FRAGE AKAL: An Herrn Seibert: Wird die Bundeskanzlerin bei ihrem Besuch in der Türkei außer Präsident Erdoğan auch Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, Menschenrechtsorganisationen oder Oppositionspolitiker treffen?

STS SEIBERT: Wie bei anderen Besuchen in anderen Ländern in der vergangenen Zeit wird sie sich auch bei diesem Besuch ganz auf die Begegnung mit dem türkischen Staatspräsidenten konzentrieren. Es hat bei Türkeibesuchen natürlich immer wieder Begegnungen mit der Zivilgesellschaft gegeben. Der Umgang mit der Zivilgesellschaft, die innenpolitische Lage des Landes, rechtsstaatliche Fragen: Das alles spielt immer eine Rolle, wenn die Bundeskanzlerin mit Präsident Erdoğan spricht. Sie ist aber konzentriert auf dieses Gespräch.

FRAGE HULLMANN: Ist es für die Bundesregierung eine Option, die Olympischen Winterspiele in China im Februar nächsten Jahres zu boykottieren?

STS SEIBERT: Ich glaube, das Sportministerium, sprich das Innenministerium, hat sich dazu immer wieder einmal geäußert.

LAWRENZ: Ich glaube, wir kommentieren solche Aussagen grundsätzlich nicht.

FRAGE JOLKVER: An Herrn Lawrenz zum Thema Schleusung bzw. illegale Grenzübertritte: Ich habe noch einmal das Protokoll von Montag nachgelesen. Sie haben da gesagt, die Bundespolizei führe Ermittlungen gegen mögliche Organisatoren bzw. Hintermänner. Könnten Sie das etwas weiter ausführen? Wer ist da gemeint?

LAWRENZ: Ich habe sicherlich nicht gesagt, dass die Bundesregierung solche Ermittlungen

ZUSATZ JOLKVER: Bundespolizei.

LAWRENZ: Auch die Bundespolizei nicht. Im BMI liegen zu den Fragen, die am Montag gestellt wurden, keine Erkenntnisse vor. Ich hatte Ihnen ja gesagt, dass Sie sich bezüglich der Frage nach Herrn Lukaschenko an die jeweiligen Staatsanwaltschaften der Bundesländer wenden müssten.

ZUSATZFRAGE JOLKVER: Mir geht es jetzt nicht um Herrn Lukaschenko. Sie sagten:

„Neben der Anzeige der Betroffenen wegen unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet richten sich Ermittlungen auch gegen mögliche Organisatoren bzw. Hintermänner.“

Darauf bezieht sich meine Frage. Wer ist mit diesen Organisatoren und Hintermännern gemeint?

LAWRENZ: Ich kann dazu vielleicht noch einmal ganz grundsätzlich ausführen. Wir haben ja in den letzten Wochen einen deutlichen Anstieg bei den unerlaubten Einreisen ins Bundesgebiet festgestellt. Die Bundespolizei hat insgesamt seit August rund 4300 unerlaubte Einreisen festgestellt. Sie hat in diesem Zusammenhang auch Schleuser festgenommen. Nach unseren Erkenntnissen stellen auch die polnischen Behörden an ihrer Grenze zu Weißrussland ein erhöhtes Aufkommen an illegaler Migration fest. Deswegen beobachtet das Bundesinnenministerium die Lage dort sehr aufmerksam.

Die Bundespolizei trifft im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit für den Grenzschutz die erforderlichen Maßnahmen, insbesondere im Rahmen der Schleierfahndung. Derzeit werden weitere Maßnahmen zur Verhinderung der illegalen Migration nach Deutschland mit unseren Partnern im In- und Ausland abgestimmt. Wegen der laufenden Gespräche dazu bitte ich um Verständnis, dass ich das nicht weiter ausführen kann.

ZUSATZFRAGE JOLKVER: Können Sie sagen, wer diese Schleuser waren, die festgenommen wurden?

LAWRENZ: Das kann ich Ihnen von hier aus nicht sagen.

FRAGE DR. RINKE: Ich habe eine Frage zur Ukraine, die sich sowohl an Herrn Seibert als auch an Frau Sasse richtet.

Herr Seibert, die Bundeskanzlerin hat wegen eines möglichen Treffens im Normandie-Format ja noch einmal mit dem ukrainischen und auch dem russischen Präsidenten telefoniert. Wie groß sind Ihrer Einschätzung nach die Chancen, dass es noch in der Amtszeit der Kanzlerin sagen wir einmal, in den nächsten Wochen zu einem Spitzentreffen kommen kann?

Frau Sasse, ergänzend dazu: Gibt es Planungen für ein Außenministertreffen im Normandie-Format?

STS SEIBERT: Es ist richtig, die Bundeskanzlerin und der französische Präsident haben zunächst mit Präsident Selensky und im Anschluss dann mit Präsident Putin telefoniert. Es gibt ja zwischen Deutschland und Frankreich eine totale Übereinstimmung in der Forderung, die Minsker Vereinbarungen und auch die Beschlüsse des Pariser Gipfels von 2019 wirklich umfassend und vollkommen umzusetzen. Nun war das eben auch das Thema mit den beiden Präsidenten.

Ergebnis der Telefonate ist, dass es zunächst ein Treffen auf der Ebene der vier Außenminister Deutschlands, Frankreichs, der Ukraine und Russlands geben soll, und zwar bald bzw. zeitnah ich weiß nicht genau, wie die Formulierung war, aber demnächst. Das ist das Ergebnis des Telefonats der Kanzlerin und Präsident Macrons mit dem Präsidenten Putin. Darüber ist natürlich auch die Ukraine informiert. Auf diesem Außenministertreffen wird man dann sehen müssen, ausloten müssen, ob eine Grundlage für ein dann noch möglicherweise folgendes Treffen der Staats- und Regierungschefs bestehen kann, erarbeitet werden kann, oder nicht. Dazu kann ich Ihnen heute natürlich nichts sagen.

SASSE: Wie Herr Seibert schon gesagt hat, geht es jetzt darum, diesen Auftrag, der aus den Gesprächen entstanden ist, zeitnah umzusetzen mit dem Ziel, die dringend benötigten Fortschritte bei der Konfliktlösung zwischen Russland und der Ukraine zu erzielen. Was Ort und Termin eines Treffens angeht, kann ich Ihnen im Moment allerdings noch nichts ankündigen.

ZUSATZFRAGE DR. RINKE: Was hat sich denn jetzt geändert, warum ist dieses Treffen jetzt also so notwendig, Herr Seibert? Ist das so, weil sich die Amtszeit von Frau Merkel dem Ende zuneigt, oder weil es eine besondere Entwicklung gibt, die diese Spitzentreffen nötig macht?

STS SEIBERT: Ein solches Treffen ist sinnvoll, weil wir uns erstens allesamt doch nicht damit abfinden wollen, dass der Prozess der Umsetzung der Minsker Maßnahmen weiter so stockt, wie er im Moment das muss man ja realistisch erkennen stockt. Zweitens ist es sinnvoll, weil es dann doch Dinge gibt, die möglicherweise auf der Ebene der Außenminister vorangebracht werden können, die derzeit auf der Ebene der Berater eben nicht vorankommen. Es war der Wille dieser drei Präsidenten und der Bundeskanzlerin, die am Montag miteinander telefoniert haben, auf dieser Ebene zu versuchen voranzukommen.

FRAGE JUNG: Ganz kurz noch einmal zu dem Türkei-Besuch: Wird sich die Kanzlerin bei Herrn Erdoğan für die eingesperrten Journalisten und Journalistinnen in der Türkei einsetzen?

STS SEIBERT: Ich habe gesagt, dass Fragen von Bürgerrechten und des Umgangs mit der Zivilgesellschaft und alles, was sozusagen unter diesen Themenschirm passt, immer auch Gesprächsthema waren und sind, wenn die Bundeskanzlerin mit Präsident Erdoğan oder wenn überhaupt Vertreter der Bundesregierung mit Vertretern der türkischen Regierung zusammentreffen. Darüber hinaus kann ich dem Gespräch heute nichts vorwegnehmen.

ZUSATZFRAGE JUNG: An das Auswärtige Amt: Wie viele deutsche bzw. deutschtürkische Journalisten und Journalistinnen sind aktuell in türkischen Gefängnissen, und wie viele werden konsularisch betreut?

SASSE: Ich glaube, wir sind an dieser Stelle in der Vergangenheit schon mehrfach darauf eingegangen, dass es nicht immer ganz einfach ist, da präzise Zahlen festzuhalten. Wenn wir diese Zahlen nachliefern können, dann werde ich das an dieser Stelle tun.

VORS. DETJEN: Es gibt eine Frage von Herrn Reitschuster an das Gesundheitsministerium zur COVID-19-Pandemie: Werden Geimpfte auf Intensivstationen routinemäßig auf Corona getestet?

Er vergleicht außerdem mit der Situation in Dänemark und verweist darauf, dass die Impfquote in beiden Ländern vergleichbar sei. Er fragt: Warum handelt die Bundesregierung nicht so wie die dänische Regierung?

GÜLDE: Zunächst einmal zum Testregime in Krankenhäusern: Es gibt ja bei der Aufnahme in ein Krankenhaus bereits ein etabliertes Testverfahren, das heißt, Patientinnen und Patienten werden vor Aufnahme in ein Krankenhaus getestet. Inwieweit möglicherweise klinische Befunde oder ähnliches dann zu weiteren Tests veranlassen, obliegt natürlich immer den zuständigen Ärztinnen und Ärzten im Krankenhaus.

Zu der Frage nach den vergleichbaren Impfquoten in Dänemark und Deutschland: Wir haben uns an dieser Stelle ja wiederholt dazu geäußert, dass wir mit der Impfquote bei weitem noch nicht da sind, wo wir hin wollen, und dass wir jetzt auch noch nicht so weit sind, dass wir diese Pandemie schon für beendet erklären könnten. Wir haben zurzeit eine Impfquote von 68,6 Prozent einmalig bzw. 65,4 Prozent vollständig Geimpften. Das ist weit von dem entfernt, was Dänemark hat.

FRAGE BLANK: Nachdem sich heute auch Herr Lauterbach dafür ausgesprochen hat, den Verkauf von Cannabis zu legalisieren. Was ist denn die Haltung des Gesundheitsministeriums dazu?

GÜLDE: Wir halten weiterhin an der Strafbarkeit von Cannabis fest. Wie Sie wissen, gibt es gewisse Ausnahmetatbestände im Rahmen der medizinischen Verwendung von Cannabis. Das ist die Haltung der Bundesregierung zu diesem Thema.

FRAGE JUNG: Herr Lauterbach hatte sich dazu ja schon vor einem Jahr geäußert, und Ihre eigene Drogenbeauftragte ist im Grunde auch dafür zumindest für eine Entkriminalisierung. Warum wissen Sie es besser als Ihre eigene Drogenbeauftragte?

GÜLDE: Wir hatten dieses Thema tatsächlich schon. Wir haben gesagt, dass eine gesamtgesellschaftliche Debatte dazu notwendig ist. Diese Debatte ist tatsächlich auch gestartet. Gegenwärtige gehen wir aber weiterhin davon aus, dass es sich bei Cannabis um eine gefährliche Substanz handelt und eine Legalisierung daher auch nicht angezeigt ist.

ZUSATZFRAGE JUNG: Aber wer ist denn „wir“, wenn Ihre eigene Drogenbeauftragte es anders sieht?

GÜLDE: Wir als Gesundheitsministerium. Noch einmal: Auch die Drogenbeauftragte hat sich für eine Debatte zu diesem Thema ausgesprochen.

ZUSATZ JUNG: Sie sind doch

(Der Vorsitzende stellt das Mikrofon des Redners ab.)

FRAGE BLANK: Der Abgeordnete Lauterbach hat ja darauf aufmerksam gemacht, dass er deswegen für die Legalisierung sei, weil Cannabis derzeit anscheinend häufiger mit einer Art Heroin versetzt werde, um die jungen Leute oder die Menschen stärker süchtig zu machen. Was ist Ihnen darüber bekannt? Wie groß ist die Verbreitung von solchem versetzten Cannabis?

GÜLDE: Wenn ich dazu etwas nachtragen kann, dann werde ich das gern tun.

FRAGE JUNG: Wie kann denn Cannabis aus Ihrer Sicht gefährlich sein, wenn Sie selbst es als Medizin erlaubt haben?

GÜLDE: Auch Medikamentenmissbrauch ist schädlich. Nur weil es eine medizinisch indizierte Verwendung einer Substanz gibt, heißt das nicht, dass diese Substanz auch für den normalen Gebrauch geeignet ist.

Insofern muss man einfach auch sagen: Ja, es gibt zahlreiche Studien, die gerade die Gefährlichkeit von Cannabis beispielsweise bei dem Konsum von Jugendlichen belegen.

Noch einmal: Ja, es gibt medizinisch indizierte Fälle. Das sind oftmals auch Fälle, die als austherapiert gelten und denen die Verwendung von Cannabis dann helfen kann. Das heißt aber nicht, dass das auch für alle anderen Fälle gilt.

ZUSATZFRAGE JUNG: Alkohol darf man hier ab 18 Jahren kaufen. Das ist legal. Tabak ist auch erst Erwachsenen erlaubt. Warum reden Sie jetzt davon, dass Jugendliche kiffen sollen? Das ist doch Quatsch. Darum geht es bei der Legalisierung doch nicht, sondern es geht um legales Gras für Erwachsene. Warum kommen Sie jetzt mit den Jugendlichen?

GÜLDE: Das war ein Beispiel für die Gefährlichkeit von Cannabis. Aber es gibt zahlreiche weitere Studien, die nahelegen, dass es sich bei Cannabis keinesfalls um eine komplett ungefährliche Substanz handelt.

Auch zum Thema von Alkohol und Nikotin haben wir uns hier vielfach geäußert. Nicht alles, was aus gesundheitspolitischer Sicht vielleicht sinnvoll oder angezeigt wäre, lässt sich auch tatsächlich durchsetzen. Das muss man so klar sagen.

SASSE: Ich möchte die Nachlieferung geben, die ich Herrn Jung gerade angekündigt hatte. Sie hat mich inzwischen erreicht. Die Zahl der inhaftierten deutschen Staatsangehörigen in der Türkei bewegt sich im Moment im mittleren zweistelligen Rahmen. Wie viele Personen davon Journalisten sind, können wir Ihnen nicht sagen, weil über die Berufstätigkeit dieser Inhaftierten keine Statistik geführt wird. Ein konsularischer Zugang besteht zu allen Inhaftierten, wenn diese es gewünscht haben.

FRAGE: Herr Seibert und Frau Sasse, zur aktuellen Situation in Afghanistan: Viele zurückgebliebene Ortskräfte versuchen jetzt, über die Nachbarländer auszureisen und dann nach Deutschland zu kommen. Was tut die Bundesregierung aktuell, um diesen Menschen zu helfen, um beispielsweise die Ausreise zu beschleunigen oder sicher zu gestalten?

STS SEIBERT: Ich sage ganz grundsätzlich, dass Vertreter der Bundesregierung wie auch Vertreter der USA und anderer europäischer Länder natürlich genau darüber auch im Gespräch mit Talibanvertretern sind, dass die Möglichkeit bestehen muss, nicht nur deutsche Landsleute, sondern eben auch Afghanen, für die wir eine besondere Verantwortung tragen und übernommen haben, sicher und geschützt aus dem Land zu bekommen. Das ist eines der ganz praktischen Themen, über die Gespräche geführt werden.

SASSE: Richtig. Die Gespräche mit den Taliban sind das eine. Wir haben gerade in dieser Woche auf Twitter beschrieben, worum es in der neuesten Runde der Gespräche mit den Taliban, die übrigens schon seit längerer Zeit und nicht erst seit den neuesten Entwicklungen in Afghanistan geführt werden, geht.

Was die Ausreisemöglichkeiten angeht, ist es mir ein Anliegen, an dieser Stelle noch einmal deutlich darzustellen, dass es zum einen um den Landweg geht, den Sie gerade erwähnt haben, dass es aber für bestimmte Personen auch weiterhin die Möglichkeit gibt, auf dem Luftweg auszureisen. Insgesamt gilt für alle Möglichkeiten der Ausreise Herr Burger hat das, meine ich, zuletzt in den Regierungspressekonferenzen der letzten (akustisch unverständlich) mehrfach dargestellt , dass sich die Bundesregierung weiterhin, auch nach dem Ende der militärischen Evakuierungsaktion am 26. August, sehr intensiv darum bemüht, dass die Personengruppen, um die wir uns bemühen, weiterhin Perspektiven auf Ausreise haben. Das betrifft verschiedene Personengruppen. Es betrifft die deutschen Staatsangehörigen, Ortskräfte der unterschiedlichen Ressorts und die Gruppe derjenigen, die wir als Bundesregierung für besonders schutzbedürftig befunden haben.

Diese Ausreisemöglichkeiten bestehen. Den Landweg haben Sie selbst erwähnt. Dabei geht es unter anderem um den Landweg nach Pakistan. Wir führen intensive Gespräche mit allen Nachbarstaaten Afghanistans, auch mit Usbekistan und Tadschikistan und weiteren Ländern, um konkrete Ausreisemöglichkeiten zu schaffen. Was diese Optionen angeht auch das hat Herr Burger bereits deutlich gemacht , können wir an dieser Stelle im Moment noch nicht auf weitere Einzelheiten über das hinaus, was bereits bekannt ist, eingehen, weil noch sehr viel im Fluss ist. Wir werden aber darauf zurückkommen, wenn sich die Gelegenheit ergeben wird.

Mir ist es auch ein Anliegen, noch einmal deutlich zu machen, dass sich unsere Bemühungen nicht auf die konkreten Ausreisemöglichkeiten beschränken, sondern dass wir in den vergangenen Wochen ganz konkret sehr viele Visa erteilt haben. Sehr viele afghanische Staatsangehörige konnten Afghanistan auf dem Landweg bereits verlassen. Es handelt sich seit Ende August insgesamt, glaube ich, um 1200 afghanische Staatsangehörige. Sie wurden von unseren Botschaften in der Region, insbesondere von unserer Botschaft in Islamabad, auch bei der Weiterreise unterstützt. Unsere Auslandsvertretungen in der Region, also in den Nachbarländern Afghanistans, haben knapp 1040 Visa für die Personen ausgestellt. Über 400 Personen haben bereits einen organisierten (akustisch unverständlich) von Islamabad nach Deutschland in Anspruch genommen.

Ich möchte noch einmal betonen, dass wir in unseren Bemühungen, weitere Ausreisemöglichkeiten zu schaffen, selbstverständlich nicht nachlassen und gern auch an dieser Stelle regelmäßig auf Updates zu Planungen eingehen werden.

FRAGE JESSEN: Kann man in Prozentzahlen quantifizieren, wie viele der auf den vorhandenen Ortskräftelisten registrierten Menschen es jetzt schon aus Afghanistan herausgeschafft haben? 20 Prozente, 30 Prozente, 40 Prozent? Kann man das sagen?

SASSE: Wir hatten uns an dieser Stelle darauf verständigt, regelmäßig Updates zu Zahlen zu geben. Das BMI hat dabei die Federführung. Angaben zu prozentualen Anteilen können wir, denke ich, an dieser Stelle nicht machen, weil wir uns immer nur auf konkrete Zahlen beschränken werden und sich die Gesamtzahl nicht festlegen lässt, sondern sich teilweise immer noch sehr verändert.

ZUSATZFRAGE JESSEN: Aber Sie führen ja Listen, die in der Summe 100 Prozent ergeben. Könnten Sie nicht sagen, wie viele von diesen 100 Prozent es tatsächlich herausgeschafft haben? Das ist doch ein einfacher Dreisatz, oder?

SASSE: Ich denke, diesen Dreisatz können Sie selbst machen, wenn Sie auf Grundlage der Zahlen, die das BMI regelmäßig bekannt gibt, die Berechnung vornehmen.

ZUSATZ JESSEN: Vielleicht können Sie es nachliefern.

LAWRENZ: Ich kann gern die Zahlen zum 13. Oktober, 9 Uhr das ist heute bekannt geben. Ich hatte ja schon am Montag ein paar Zahlen dazu genannt. Eingereist sind insgesamt 6082 Personen. Darunter befinden sich mit Stand von heute 5212 afghanische Staatsangehörige und 543 deutsche Staatsangehörige. Unter all diesen Personen sind 362 eingereiste Ortskräfte. Inklusive der Familienangehörigen sind es 1597. Das sind die aktuellen Zahlen. Wir berichten natürlich gern, wenn neuere Zahlen vorliegen.

FRAGE JUNG: Wenn wir uns die Prozentzahl selbst ausrechnen sollen wir haben also jetzt 6082 Eingereiste , dann müssen wir wissen, wie viele auf den beiden Listen stehen, also auf der Menschenrechtsliste und der Ortskräfteliste.

LAWRENZ: Soweit ich weiß, werden die Listen derzeit abgestimmt.

ZUSATZFRAGE JUNG: Wie viele Leute sind denn aktuell auf den Listen? Ich weiß, die Zahl wächst, aber wie viele sind denn aktuell auf den Listen? 10 000? 20 000?

LAWRENZ: Ich kann Ihnen sagen, dass die Listen derzeit abgestimmt werden. Ich kann Ihnen keine Zahl nennen.

ZUSATZFRAGE JUNG: Was war denn der letzte Stand?

LAWRENZ: Es bleibt dabei.

FRAGE JESSEN: Herr Seibert, die Kanzlerin hat bei ihrem mutmaßlichen Abschiedsbesuch in Israel noch einmal betont, dass Israels Sicherheit Teil der deutschen Staatsräson sei. Die Sicherheit würde ja aber auch durch eine funktionierende Zweistaatenlösung vielleicht befördert.

Hat die Kanzlerin vor diesem Hintergrund in jüngerer Vergangenheit NGOs oder Palästinenserorganisationen getroffen, die das Projekt einer Zweistaatenlösung befördern könnten?

STS SEIBERT: Tatsächlich hat die Bundeskanzlerin bei ihrem Besuch in Israel und bei ihrer Pressekonferenz mit Premierminister Bennett noch einmal ganz klar gemacht, im Übrigen auch gegenüber dem israelischen Kabinett, an dessen Sitzung teilzunehmen sie ja die Ehre hatte, dass Deutschland nicht neutral ist, wenn es um die Sicherheit Israels geht, sondern dass tatsächlich das Einstehen für Israels Sicherheit auch ein Teil unserer Staatsräson ist.

Sie hat ebenso aus dem Gedanken, dass wir uns Sicherheit für diesen demokratischen Staat Israel wünschen, noch einmal begründet, warum man gerade deswegen den Gedanken an eine Zweistaatenlösung jetzt nicht begraben oder aufgeben solle, obwohl es im Moment nicht nach einem Prozess in diese Richtung aussieht. Dieser Gedanke ruht sozusagen auf zwei Pfeilern. Der eine ist natürlich die Anerkennung dessen, dass die Palästinenser ebenso das Recht haben, in einem eigenen Staat und in Sicherheit zu leben. Der andere Gedanke, den sie betont hat, ist der, dass wir eben aus unserem Eintreten für Israels Sicherheit heraus glauben, dass es der beste Weg wäre, Israel in dauerhafter, guter und sicherer Nachbarschaft zu einem palästinensischen Staat eine gute Zukunft zu geben. Das ist die Argumentation.

Was den zweiten Teil Ihrer Frage betrifft, so hat sie zwar nicht bei diesem Israelbesuch, aber natürlich immer wieder mit den Vertretern der Palästinensischen Autonomiebehörde gesprochen.

ZUSATZFRAGE JESSEN: Sie haben eben auch noch einmal sozusagen das Existenzrecht der Palästinenser in eigener Staatlichkeit als Position der Kanzlerin betont. Was hat denn dann den Ausschlag dafür gegeben, dass bei diesem auch symbolischen wohl letzten Besuch als Kanzlerin keine Begegnung mit Vertretern dieser Gruppen stattgefunden hat? Das wäre doch auch ein Zeichen gewesen.

STS SEIBERT: Diese Frage haben Sie schon vor dem Besuch gestellt. Jetzt stellen Sie sie noch einmal.

Der Besuch galt dem Staat Israel und seiner Regierung. Das war seit Langem abgemacht. Sie wissen, dass der Besuchstermin einmal verschoben wurde, weil er hätte stattfinden sollen, als hier gerade das Thema Afghanistans und der Evakuierung aus Kabul die ganze Aufmerksamkeit der Kanzlerin beanspruchte. Aber der Besuch ist jetzt nachgeholt worden.

Der Umgang mit dem Thema der Zweistaatenlösung und mit der Nachbarschaft zu den Palästinensern hat in den Gesprächen der Bundeskanzlerin und auch in ihren öffentlichen Äußerungen ganz klar eine Rolle gespielt. Mehr habe ich Ihnen dazu jetzt nicht zu sagen.

ZUSATZ JESSEN: Sie haben recht, ich hatte, wenn ich das noch sagen darf, vor dem Besuch danach gefragt und jetzt auch wieder. Ich habe mich dabei daran orientiert, dass ich vom Regierungssprecher gelegentlich höre, dass sich im Verlauf von Besuchen noch weitere Gespräche ergeben.

VORS. DETJEN (zur COVID-19-Pandemie): Dann habe ich von außen noch abschließend von Herrn Reitschuster den Hinweis, dass sich seine Frage vorhin beim Blick auf Dänemark auf einen Vergleich der Impfquote insgesamt und nicht täglicher Impfquoten bezogen habe. Ich weiß nicht, ob das an Ihrer Aussage etwas ändert.

GÜLDE: Nein, überhaupt nicht. Die Impfquote, die ich jetzt durchgegeben habe, ist ja der aktuelle Stand, und auch sie rechtfertigt aus unserer Sicht noch keine Aufhebung der Maßnahmen.

 

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