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Bundesregierung für Desinteressierte: BPK vom 18. Oktober 2021

Themen: Ermordung des britischen Parlamentsabgeordneten Sir David Amess, mutmaßliche Abschiebung von Migranten aus Belarus in Nachbarländer, erhöhte Zahl illegaler Grenzübertritte an der deutsch-polnischen Grenze, steigende Energiepreise, iranisches Atomprogramm, Elektromobilität, COVID-19-Pandemie, Personalmangel in der Pflege, Termine der Bundeskanzlerin, Zahl der aus Afghanistan nach Deutschland Evakuierten, Vorwürfe von Mitarbeitern der Ippen-Verlagsgruppe gegen ihren Verleger, Einstellungen und Beförderungen in den Bundesministerien, Verhängung von Todesurteilen durch ein Militärgericht der Hamas

Themen/Naive Fragen zu:
– Freigabe der Impfstoff-Patente
– afghanische Ortskräfte
– Operation Abendsonne
– Hamas-Todesurteile in Gaza

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Komplettes BPK-Wortprotokoll vom 18. Oktober 2021:

VORS. WEFERS eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt STS SEIBERT sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

STS SEIBERT: Guten Tag, meine Damen und Herren! Ich will auf die entsetzliche Mordtat in Großbritannien am Freitag eingehen. Der Mord an dem britischen Abgeordneten Sir David Amess ist ein Schock. Ich will für die Bundesregierung unsere Betroffenheit und Trauer ausdrücken. Amess wurde, wie Sie wissen, bei einer Bürgersprechstunde in seinem Wahlkreis getötet, also direkt in Ausübung seines demokratischen Amtes. Wir alle wissen, wie wichtig, der direkte Kontakt zwischen Gewählten und Wählern ist.

Die Ermittlungen dauern natürlich noch an, aber es gibt Hinweise darauf, dass es die Tat eines zu islamistischem Hass radikalisierten Mannes gewesen ist. Solcher Extremismus ist scharf zu verurteilen, wie auch diejenigen zu verurteilen sind, die im Netz dazu aufrufen oder solchen Hass schüren.

Unser Mitgefühl gilt der Familie und den Freunden des Ermordeten sowie dem britischen Parlament insgesamt. Denn wir haben nicht vergessen, dass erst vor einigen Jahren mit Jo Cox eine weitere Abgeordnete bei der Wahlkreisarbeit ermordet wurde. Die Bundeskanzlerin und andere Mitglieder der Bundesregierung, auch der Bundespräsident, haben in der Vergangenheit vielfach darauf hingewiesen, dass auch in Deutschland Menschen, die sich auf den verschiedenen Ebenen aktiv für unsere Demokratie einsetzen, Lokalpolitiker und andere, immer häufiger bedrängt werden und verbalen Attacken und auch gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt sind, bis hin zum traurigen Tiefpunkt, dem Mord am Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Alle Demokraten müssen sich dem entgegenstellen und klare Grenzen ziehen, wie politische Auseinandersetzungen zu führen sind und wo inakzeptable Gewalt anfängt.

Das wollte ich aus diesem Anlass sagen.

FRAGE DR. RINKE: Ich weiß, dass die Außenminister jetzt zusammensitzen. Der Außenminister hat vorher noch einmal gesagt, dass man Druck auf Fluggesellschaften ausübt, die Migranten aus dem Irak oder aus der Türkei oder über die Türkei nach Belarus fliegen, die dann mutmaßlich in Nachbarländer abgeschoben werden.

Können Sie uns noch etwas mehr Informationen darüber liefern, um welche Fluggesellschaften es sich handelt und wie man auf sie Druck ausüben kann?

SASSE: Vielen Dank für die Frage. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass Belarus heute eines der Themen ist, über die sich die Außenminister der EU auf ihrem Treffen in Luxemburg unterhalten werden. Ich habe das am Freitag an dieser Stelle auch schon erwähnt. Wir haben auch bereits darauf hingewiesen, dass sich der Außenminister zu diesem Thema schon gegenüber der Presse geäußert hat. Er hat sich heute Morgen vor Beginn des Treffens, wie folgt, geäußert: Wir sehen uns in Europa mit der Tatsache konfrontiert, dass Lukaschenko Flüchtlinge als Instrument benutzt, um Druck auf europäische Staaten auszuüben. Lukaschenko ist nichts anderes als der Chef eines staatlichen Schleuserringes. Wir sind nicht länger bereit, zuzusehen, dass es Unternehmen wie manche Fluggesellschaften gibt, die damit auch noch Geld verdienen, indem sie die Flüchtlinge nach Deutschland oder andere europäische Länder bringen. Deshalb werden wir darüber reden müssen, dass das Konsequenzen für solche Fluggesellschaften hat und dass wir Sanktionen brauchen, mit denen wir klarmachen können, dass wir nicht bereit sind, dieses Gebaren weiterhin zu akzeptieren. Ich denke, den Worten können Sie entnehmen, dass es um Konsequenzen geht, wie der Außenminister sehr deutlich erwähnt hat. Welche Konsequenzen es konkret sind, darüber werden sich die Außenminister heute austauschen. Dem will ich an dieser Stelle nicht vorgreifen.

ZUSATZFRAGE DR. RINKE: Man muss ja Vorstellungen haben, was solchen Fluggesellschaften drohen könnte. Geht es um die Entziehung von Landerechten in der EU? Wie sieht der Instrumentenkasten aus?

SASSE: Ich muss Sie wirklich um Verständnis bitten. Ich gehe darauf gern auf der nächsten Regierungspressekonferenz ein, aber heute kann ich den Beratungen noch nicht vorgreifen.

FRAGE DAKE: Meine Frage richtet sich an das BMI. Es geht im Anschluss an das Thema von Belarus um die Situation an der deutsch-polnischen Grenze. Die Bundespolizeigewerkschaft fordert jetzt temporäre Grenzkontrollen. Ist das geplant?

VICK: Wir haben schon in den vergangenen Wochen zu der Thematik vorgetragen. Die Situation ist allen Behörden selbstverständlich bekannt. Die Bundespolizei hat, wie Sie alle wissen, ein deutlich erhöhtes Aufkommen an illegaler Migration festgestellt und trifft im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeiten die erforderlichen Maßnahmen, insbesondere im Rahmen der Schleierfahndung. Derzeit werden weitere Maßnahmen zur Verhinderung illegaler Migration abgestimmt. Bereits vergangene Woche hat der Bundesinnenminister mit seinen Behördenleitern Gespräche darüber geführt, wie auf diese Entwicklung reagiert werden kann. Wegen der laufenden Gespräche können dazu derzeit noch keine Details bekannt gegeben werden.

Der Brief der Deutschen Polizeigewerkschaft ist selbstverständlich bekannt. Der Innenminister wird am Mittwoch zum Thema der Migration im Kabinett vortragen.

ZUSATZFRAGE DAKE: Ein Argument der Polizeigewerkschaft ist auch eine Gesundheitsgefährdung der Beamten durch Corona. Haben Sie Erkenntnisse darüber, ob es schon eine Gesundheitsgefährdung der eingesetzten Beamten vor Ort gab oder gibt?

VICK: Ich kann dem, was ich gerade gesagt habe, eigentlich nichts hinzufügen. Der Minister wird zum Thema der Migration am Mittwoch im Kabinett sprechen.

FRAGE: Die Bundespolizeigewerkschaft hat in diesem Brief auch vor einem drohenden Kollaps an der deutsch-polnischen Grenze gewarnt. Teilt das BMI diese Sorge?

VICK: Wie ich bereits gesagt habe, kann ich den Gesprächen nicht vorgreifen. Der Brief ist bekannt, und der Bundesinnenminister wird am Mittwoch im Kabinett umfassend über das Thema der Migration berichten.

ZUSATZ: Aber der Bundesinnenminister wird ja vermutlich eine fortlaufende Lageeinschätzung haben und die Lage bewerten.

VICK: Wie ich gerade gesagt habe, kann ich dem nicht vorgreifen, was der Minister am Mittwoch im Kabinett vortragen wird.

FRAGE REITSCHUSTER: Ein Bundespolizist berichtet, dass es keine Zurückweisungen an der deutsch-polnischen Grenze im Sinne des Dublin-Abkommens gebe und faktisch alle Grenzüberschreiter aus Drittländern ins Asylverfahren kämen. Trifft das zu?

VICK: Wie Sie wissen, kommentieren wir Einzelfälle und Einzelaussagen an dieser Stelle grundsätzlich nicht. Ich kann Ihnen sagen, dass die zuständigen Behörden selbstverständlich alle Maßnahmen treffen, die ihnen im Rahmen der rechtlichen Zuständigkeiten zur Verfügung stehen.

FRAGE GRIMM: Herr Seibert, wie steht die Kanzlerin dazu? Sie hat sich in der Vergangenheit ja gegen temporäre Grenzschließungen im Schengen-Raum gewandt. Wie ist es in diesem Fall?

STS SEIBERT: Ich will an das anschließen, was die Kollegin aus dem Innenministerium gesagt hat. Das gilt natürlich ganz besonders für das Innenministerium, aber auch für die Bundeskanzlerin und den Rest der Bundesregierung. Wir stellen an der deutsch-polnischen Grenze seit August ein erhöhtes Aufkommen an unerlaubten Einreisen fest. Also ist das eine Situation, die wir intensiv im Blick haben und beobachten. Wie Sie gerade gehört haben, wird der Bundesinnenminister dem Kabinett darüber am Mittwoch vortragen und auch Handlungsoptionen darlegen.

ZUSATZFRAGE GRIMM: Aber bleibt es in diesem Thema bei der grundsätzlichen Einstellung der Kanzlerin: „Keine Grenzschließungen im Schengen-Raum, wenn es sich irgendwie vermeiden lässt“?

STS SEIBERT: Die Grundhaltungen und Grundüberzeugungen der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung, was die Ordnung der Migrationsbewegungen betrifft, ist nicht verändert. Trotzdem müssen wir natürlich auf das eingehen, was sich an einer konkreten Grenze gerade zeigt. Das geschieht, und es werden Optionen entwickelt. Wenn ich es gerade richtig verstanden habe, dann war auch schon von verstärkter Schleierfahndung die Rede.

Man muss vielleicht auch noch einmal sagen: Es ist ein erhöhtes Aufkommen seit August, aber wir sind in keiner Weise in einer Situation wie 2015, wie es mancher anklingen lässt.

FRAGE BUSCHOW: Ich will das Innenministerium nach konkreten Zahlen fragen, damit man sich die Dimensionen vorstellen kann. Wie viele Menschen sind seit August über die deutsch-polnische Grenze gekommen, und wie hat sich das in den vergangenen Tagen bzw. der vergangenen Woche entwickelt?

VICK: Wie wir vergangene Woche bereits vorgetragen haben, sind seit August ca. 4500 illegale Grenzübertritte an der Grenze festgestellt worden.

ZUSATZFRAGE BUSCHOW: Vollzieht sich das kontinuierlich, oder gab es in den vergangenen Tagen noch einmal eine Verstärkung?

VICK: Ich kann Ihnen jetzt ad hoc die Zahl nennen, die wir seit August festgestellt haben, weil seit August insgesamt ein erhöhtes Aufkommen aufgetreten ist. Ob wir gegebenenfalls über einen kleineren Zeitabschnitt berichten können, müsste ich prüfen und die Antwort dann nachreichen.

FRAGE DR. RINKE: Meine Frage geht sowohl an das Auswärtige Amt als auch an das Innenministerium. Wie schätzen Sie das Verhalten Polens ein? Wir haben in der Vergangenheit schon einmal gesehen, dass einzelne EU-Staaten, die Außengrenzen haben, Flüchtlinge oder Migranten mehr oder weniger durchleiten. Dabei werden also alle, die hereinkommen, darauf hingewiesen, dass sie das Land an der anderen Grenze verlassen können.

Besteht eigentlich die Einschätzung, dass sich die Polen im Moment auch so verhalten, dass dieser Transfer also auch quasi staatlich mitorganisiert wird, oder ist das allein auf Schleusertätigkeiten zurückzuführen?

SASSE: Für uns ist es selbstverständlich, dass auch in dieser schwierigen Situation, die von den Machthabern in Minsk bewusst herbeigeführt wurde das habe ich mehrfach ausgeführt , die internationalen und europäischen menschenrechtlichen und flüchtlingsrechtlichen Standards gewahrt werden müssen.

Zu diesen Standards gehören unter anderem das Refoulement-Verbot und auch die Entgegennahme und Prüfung eines Asylgesuchs. Ich verweise dazu auch auf die Aussagen von EU-Kommissarin Johansson, die Transparenz und Aufklärung gefordert hat und an Polen zugleich das Angebot einer EU-Unterstützung beim Außengrenzschutz erneuert hat. Es ist gut, dass es nun einen Austausch zwischen der EU-Kommission und der europäischen Grenzschutzagentur einerseits und den polnischen Innenbehörden auf der anderen Seite gibt.

VICK: Ich kann nur ergänzen, dass wir selbstverständlich mit unseren europäischen Partnern, also auch mit Polen eng zusammenarbeiten und uns abstimmen. Ansonsten liegen uns über die geschilderten Maßnahmen derzeit keine Erkenntnisse vor.

ZUSATZFRAGE DR. RINKE: Frau Sasse, auch wenn Sie das jetzt so betonen, beantwortet das noch nicht die Frage, welche Rolle die polnische Regierung spielt. Wenn der polnischen Regierung EU-seitig ein Angebot gemacht wurde, dann hat sie es ja anscheinend nicht angenommen. Ist die Tatsache, dass die Zahlen der deutsch-polnischen Grenze jetzt steigen, Resultat eines bestimmten Verhaltens der polnischen Regierung, oder ist sie Ihrer Meinung nach an der Entwicklung unschuldig?

SASSE: Vielleicht kann man an dieser Stelle noch einmal sagen Frau Vick, ergänzen Sie gerne, wenn Sie das möchten : Die Sicherung und auch die Kontrolle der EU-Außengrenzen ist wichtig und erfolgt im Interesse der gesamten Europäischen Union. Aus diesem Grunde habe ich gerade auch auf die Äußerungen von Frau Johansson verwiesen. Der Außengrenzschutz obliegt in erster Linie dem jeweiligen Mitgliedstaat, und ich habe bereits deutlich gemacht, dass im Rahmen jeglicher Grenzschutzmaßnahmen aus unserer Sicht die geltenden europa- und völkerrechtlichen Regelungen eingehalten werden. Auch da verweise ich noch einmal auf die laufenden Gespräche zwischen der EU-Kommission und Polen. Der EU-Kommission kommt hier in ihrer Rolle als Hüterin der Verträge eine wichtige Rolle zu; auch das hat der Außenminister heute Morgen vor Beginn der Gespräche in Luxemburg noch einmal deutlich gemacht.

FRAGE JORDANS: Herr Seibert, Sie haben in der Vergangenheit auf Transparenz bei der polnischen Regierung im Umgang mit der Grenzlage gepocht. Haben Sie da inzwischen ausreichend Zusagen der polnischen Seite erhalten oder fehlt es weiterhin an Transparenz? Wenn ja, was konkret möchte die Bundesregierung da sehen?

STS SEIBERT: Ich denke, die Kollegin aus dem Auswärtigen Amt hat dazu gerade vorgetragen. Wir haben immer die Haltung vertreten, dass es wichtig ist, mit unseren Nachbarstaaten in einem ganz engen Austausch über das Migrationsgeschehen zu stehen. So wird es auch jetzt sein, da wir ein Anwachsen der Zahlen von unerlaubten Einreisen an der deutsch-polnischen Grenze feststellen.

FRAGE GRIMM: Frau Vick, könnten Sie uns noch einmal schildern, wie das Verfahren jetzt weitergeht? Die Flüchtlinge kommen dann aus Polen hier in Deutschland an und stellen hier dann wahrscheinlich einen Asylantrag, den sie in Polen nicht gestellt haben. Wie geht es dann weiter? Muss denen dann gesagt werden „Laut Dublin musst du zurück und den Antrag in Warschau oder in einer anderen polnischen Stadt stellen“? Wie ist da das Vorgehen der Behörden? Sie sagten ja, der Rechtsweg werde natürlich eingehalten.

VICK: Das lässt sich natürlich so pauschal nicht beantworten; das ist ja in jedem Einzelfall unterschiedlich zu bewerten. Wie Sie wissen, Situation eine Asylentscheidung immer ein Einzelfallverfahren. Es kommt also ganz darauf an. Wenn jetzt also eine Person in Deutschland einen Asylantrag stellt, dann wird natürlich von den zuständigen Behörden erst einmal geprüft, ob Deutschland für dieses Asylgesuch zuständig ist. Falls dem nicht so ist, kommt eine Dublin-Rücküberstellung in dasjenige Land in Betracht, das zuständig ist. Ansonsten durchläuft die Person, die hier einen Asylantrag stellt, für den Deutschland nach dem Asylgesetz zuständig ist, hier ganz normal ein Asylverfahren. Je nachdem werden die Betreffenden dann zunächst in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht und dann nach dem Königsteiner Schlüssel in die einzelnen Bundesländer verteilt.

ZUSATZFRAGE GRIMM: Können Sie uns sagen, wie da seit August der Stand ist? Es müsste ja relativ ersichtlich sein, dass diese Flüchtlinge über Polen nach Deutschland gereist sind. Wie lange dauert so etwas? Gibt es mit den Polen schon Gespräche über mögliche Rückführungen oder nicht, oder sagt man in der Bundesregierung bzw. im BAMF einfach „Sie sind hier und sie erhalten hier Asyl“?

VICK: Wie ich gerade schon erläutert habe, ist das natürlich so pauschal nicht zu beantworten, sondern kommt ganz auf den Einzelfall an. Wir arbeiten natürlich mit den polnischen Partnern zusammen, und sobald eine Dublin-Rücküberstellung in ein anderes europäisches Land also auch nach Polen in Betracht kommt, wird das umgesetzt. Ansonsten läuft das Asylverfahren hier in Deutschland.

FRAGE JESSEN: Frau Vick, wenn ich das richtig verstanden habe, sagten Sie, wenn der Innenminister dem Kabinett Bericht erstattet habe, werde es einen Beschluss geben. Kann der Innenminister in dieser Frage nicht selbstständig handeln und entscheiden? Das ist doch seine Ressortzuständigkeit. Warum bedarf es da eines Kabinettsberichts und -beschlusses? Oder habe ich Sie da falsch verstanden?

VICK: Zu einem Kabinettsbeschluss habe ich hier nichts gesagt. Der Minister wird dazu vortragen.

Zu Ihrer anderen Frage: Wie Sie wissen, hat gerade die Bundestagswahl stattgefunden; das heißt, es wird sich demnächst eine neue Regierung bilden, sodass der Innenminister so weitreichende Entscheidungen nicht ohne das Kabinett treffen möchte falls Entscheidungen ergriffen werden müssen.

ZUSATZFRAGE JESSEN: Die Logik erschließt sich mir nicht. Es ist richtig, es kommt eine neue Regierung zustande. Aber warum will er dann noch den Bericht an die alte Regierung abwarten, bevor er handelt? Deren Amtszeit läuft ja genauso ab wie seine persönliche. Wenn gehandelt werden kann, dann kann der Innenminister es doch auch jetzt tun und braucht dazu nicht eine Information oder Rückkopplung des Kabinetts. Diese Logik im Zusammenhang mit der Wahl sehe ich da nicht. Warum handelt er nicht jetzt direkt?

VICK: Ich habe meinen Ausführungen nichts hinzuzufügen.

FRAGE DR. RINKE: Frau Vick, können Sie uns vielleicht noch nachliefern, wie viele Anträge auf Rücküberstellung seit August schon an die polnische Seite gestellt wurden? Auch wenn Sie das im Einzelfall prüfen, müsste ja trotzdem eine Zahl verfügbar sein, ob es das überhaupt gab. Oder ist es aus irgendwelchen politischen Gründen im Moment gar nicht gewollt, Flüchtlinge oder Migranten nach Polen zurückzuschicken?

VICK: Falls ich Ihnen da eine Zahl geben kann, dann mache ich das natürlich gerne.

VORS. WEFERS: Ich habe noch eine Frage von Herrn Reitschuster, der auf einen dreiseitigen Brief der Polizeigewerkschaften an Minister Seehofer verweist. Darin stehe, es drohe eine neue Massenzuwanderung. Hat der Minister den Brief bekommen, und wie reagiert er?

VICK: Ich glaube, diese Frage habe ich gerade schon beantwortet. Der Brief ist bekannt und der Minister wird zum Thema Migration am Mittwoch im Kabinett vortragen.

FRAGE MAURER: An das Bundeswirtschaftsministerium zu den hohen Energiepreisen: Planen Sie da jetzt eine kurzfristige Abhilfe, oder wie schauen Sie als Ministerium auf diese steigenden Energiekosten?

UNGRAD: Diese Frage haben wir hier ja schon ausführlich beantwortet. Zum einen ist die EEG-Umlage für 2022 gesunken. Der Minister hat auch vorgeschlagen, die EEG-Umlage gänzlich abzuschaffen. Ein weiterer Vorschlag des Ministers war ja, dass noch einmal an das Wohngeld herangegangen wird. Er kann natürlich nicht Dinge allein entscheiden. Ein direkter Eingriff in die Gaspreise, in die Beschaffungsordnung, ist nicht geplant, weil es einfach nicht möglich ist. In Deutschland ist es so, dass die Großhandelspreise den Markt bilden. Ein Eingriff staatlicherseits ist nicht nur nicht üblich, sondern ist auch rein rechtlich nicht möglich.

FRAGE POKRAKA: Ich möchte konkret zum Diesel nachfragen.

An das Wirtschaftsministerium: Der Dieselpreis hat jetzt ja ein Rekordniveau erreicht. Für welche Branchen ist das besonders problematisch? Inwiefern sollte man da staatlicherseits handeln?

An das Verkehrsministerium: Ihr Minister hat sich ja verschiedentlich zu Benzinpreisen und möglichen Deckeln geäußert. Was ist die Sicht des Verkehrsministeriums konkret mit Blick auf die gestiegenen Dieselpreise?

UNGRAD: Was die Benzinpreise bzw. die Dieselpreise betrifft, ist ja die beim Bundeskartellamt angesiedelte Markttransparenzstelle für Kraftstoffe zuständig. Wenn die Preise in eine Höhe schießen, die mit Blick auf die Markttransparenz nicht mehr vertretbar sind, dann kann da eingegriffen werden. Rein staatlicherseits ist dazu, zumindest was die Deckelung des Dieselpreises betrifft, von unserer Seite nicht zu sagen.

Zu den Branchen: Das kann ich Ihnen exakt auf die Branchen bezogen jetzt nicht sagen; das kann ich Ihnen aber nachliefern.

HERZOG: Wie Sie schon gesagt haben, hat der Minister deutlich gemacht, dass er die deutlich steigenden Spritpreise mit großer Sorge beobachtet. Er hat auch noch einmal gesagt, dass Mobilität nicht zum Luxusgut werden darf, zumal das die Spaltung zwischen Stadt und Land noch weiter vorantreiben kann. Deswegen hat er an den zuständigen Bundesfinanzminister Olaf Scholz geschrieben mit der Bitte, für den Fall weiter steigender Energie- und Kraftstoffpreise kurzfristig wirksame Maßnahmen vorzubereiten, um Bürger und Unternehmen, beispielsweise Handwerksbetriebe, zu entlasten.

Wie schon gesagt: Die Europäische Kommission hat das Thema ja ebenfalls in den Blick genommen und da verschiedene Maßnahmen vorgeschlagen, zum Beispiel die begrenzte Absenkung von Steuern und Abgaben oder Unterstützungsmaßnahmen. Auch Frankreich und Spanien haben da schon reagiert und quasi Entlastungsmaßnahmen vorbereitet. Auch Deutschland müsse sich, so sagt der Minister, auf den weiteren Anstieg der Energiepreise vorbereiten, sodass man dann, etwa bei einem Anstieg des Benzinpreises über die 2-Euro-Marke, schnell handeln könne. Ziel ist es, Maßnahmen zu entwickeln, mit denen man im Fall weiter steil steigender Energie- und Kraftstoffpreise kurzfristig handeln kann.

ZUSATZFRAGE MAURER: Dann hätte ich eine Nachfrage an das Finanzministerium, weil Sie von der Kollegin des Verkehrsministeriums erwähnt wurden. Inwiefern gedenkt denn das Finanzministerium, auf diese Vorschläge oder Wünsche zu reagieren oder hat das bereits getan? Bereiten Sie etwas vor Ad-hoc-Maßnahmen gegen steigende Benzin- und Dieselpreise?

HARTMANN: Ich kann Ihnen dazu sagen, dass wir uns, wie üblich, zwischen den Ressorts im Austausch zu aktuellen Themen befinden. Ich kann aber auch gern noch einmal auf die Sachlage hinweisen, nämlich dass der Energiesteueranteil seit dem Jahr 2003 unverändert geblieben ist und sich die Steuersätze für Benzin und Diesel seit 2003 nicht verändert haben.

FRAGE DR. RINKE: Eine Frage an das Finanzministerium: Ich interpretiere das so, dass der Finanzminister jetzt keinen Handlungsbedarf sieht. Wenn Sie sagen, dass die Sätze gleichgeblieben sind, klingt das ja eher so, dass man nicht plant, da zu reagieren.

HARTMANN: Aber ich hatte auch gesagt, dass wir uns innerhalb der Ressorts im Austausch befinden.

ZUSATZFRAGE DR. RINKE: Meine eigentliche Frage wäre an das Wirtschaftsministerium gegangen. Noch einmal die Frage nach den Gasspeichern und der Befüllung, die auch letzte Woche schon einmal eine Rolle spielte. Damals wurde von Ihrem Ministerium betont, dass der Befüllungsgrad kontinuierlich, wenn auch langsam, steige. Ich hätte ganz gern gewusst, ob das immer noch der Fall ist. In der letzten Woche waren wir bei 75 Prozent. Denn das ist ja für die Versorgungslage im Winter eine relevante Größe.

UNGRAD: Der Befüllungsgrad liegt jetzt bei rund 70 Prozent. Er ist also leicht gesunken. Das liegt einfach daran, dass aus dem Speicher jetzt erste Gasmengen entnommen werden. Das ist aber durchaus üblich, wenn die kälteren Monate beginnen. Wir gehen von einer weiteren Befüllung aus, weil die Lieferverträge aktuell von allen Gaslieferanten eingehalten werden.

ZUSATZFRAGE DR. RINKE: Gehen Sie auch bei den sinkenden Befüllungen von einer sicheren Versorgungslage für den Winter aus? Oder stellen Sie diese jetzt in Zweifel?

UNGRAD: Wir gehen weiterhin von einer sicheren Versorgungslage aus. Wir hatten das hatten wir, glaube ich, schon einmal erwähnt 2015 ungefähr den gleichen Wert. Da war der Winter hart. Aber die Versorgungssicherheit war gewährleistet.

FRAGE: Herr Seibert, einige deutsche Medien und Politiker, darunter Robert Habeck, behaupten weiter, Russland bzw. Gazprom würden die Gaszufuhr drosseln oder die Gaslieferungen nach Deutschland zurückhalten und seien für die steigenden Energiepreise verantwortlich. Bekommt Deutschland alle vertraglich vereinbarten Gasmengen aus Russland? Wie steht die Bundesregierung zu den Vorwürfen?

STS SEIBERT: Die Kollegin hat es ja gerade formuliert. Ich kann es eigentlich nur noch einmal wiederholen. Unser aktueller Wissens- und Kenntnisstand ist, dass alle Gaslieferanten aktuell die Lieferverträge erfüllen. Nach unseren Kenntnissen ist also auch Gazprom bislang seinen vertraglichen Lieferverpflichtungen nachgekommen. Natürlich beobachtet die Bundesregierung die Lage weiter sehr genau und erwartet, dass das auch zukünftig der Fall sein wird.

FRAGE JESSEN: Zum Thema Diesel in Relation zu Elektro. Eine Frage an das BMWi: Im vergangenen Halbjahr hat die Zahl der Zulassungen für Elektroautos erstmals die der zugelassenen Diesel-Pkw überschritten. Sehen Sie das als Erfolg der Förderpolitik der Bundesregierung an? Stirbt der Diesel dann vielleicht doch schneller den Zulassungstod als vorher gedacht?

UNGRAD: Wie lange sich Diesel-Autos noch am Markt halten, das kann ich sicherlich hier nicht beurteilen. Aber in der Tat sehen wir den guten Verkauf von Elektroautos zum Teil als Erfolg unserer Förderpolitik. Der Umweltbonus wurde sehr stark angenommen. Wir haben die Zahlen ja schon mehrfach zur Kenntnis gegeben. Ein Faktor ist sicherlich auch, dass es in der Bevölkerung ein Umdenken in Richtung erneuerbare Energie gibt.

FRAGE DR. RINKE: An das Auswärtige Amt: Herr Borrell, der EU-Außenbeauftragte, hat sich heute relativ optimistisch geäußert, dass die Atomgespräche mit dem Iran wieder in Gang kommen können. Ich hätte ganz gern gewusst, ob das Auswärtige Amt diesen Optimismus teilt.

SASSE: Eine Terminankündigung kann ich Ihnen hier an dieser Stelle nicht machen, Herr Rinke. Wir setzen uns natürlich weiterhin mit Nachdruck dafür ein, dass die Wiener Gespräche über die vollständige Rückkehr Irans zum JCPOA möglichst zügig wiederaufgenommen werden, und zwar an dem Punkt, an dem sie im Juni unterbrochen wurden. Alle unsere Gespräche jetzt und in Zukunft dienen diesem Ziel. Wie gesagt: Eine konkrete Ankündigung kann ich im Moment nicht machen.

Aber Sie wissen, dass der Koordinator der EU in der vergangenen Woche selber im Iran war. Unsere Einschätzung ist, dass das durchaus eine Art Krisenbesuch von Herrn Mora war. Er hat der iranischen Seite gegenüber noch einmal deutlich gemacht, dass sich aus Sicht der Verhandlungspartner das Zeitfenster für die Rückkehr zum Verhandlungstisch schließt, gerade weil Iran die Situation im Nuklearbereich kontinuierlich verschärft. So ist es aus unserer Sicht ganz klar an Iran, die wachsenden Zweifel daran, dass die Regierung Raisi zum JCPOA zurückkehren möchte, zu entkräften. Wir erwarten nun, dass den zahlreichen Worten auch Taten folgen.

FRAGE SLAVIK: Ich hätte eine Frage zu CureVac: Wie beurteilt denn die Bundesregierung rückblickend das Engagement bei CureVac, und was soll mit der Beteiligung des Bundes passieren?

HAJEBI: Es ist ja so, dass die EMA die Impfstoffe auch zulässt. Wir sind froh, dass wir genug Impfstoff haben, um die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland zu impfen. Inwieweit das Verfahren bei diesem Impfstoff weitergeht oder eingestellt wird, müssen wir abwarten.

ZUSATZFRAGE SLAVIK: Vielleicht habe ich das missverständlich formuliert. Die Frage bezieht sich darauf, dass sich der Bund ja finanziell bei der Impfstoffentwicklung von CureVac engagiert hat. Das ist jetzt nicht aufgegangen. Deswegen wüsste ich gern, wie die Bundesregierung darüber denkt.

HAJEBI: Wie am Ende das rückblickend bearbeitet und analysiert wird, das muss, wie gesagt, abgewartet werden. Dabei bleibe ich auch.

VORS. WEFERS: Ich glaube, für Beteiligungsfragen ist auch das Wirtschaftsministerium zuständig.

UNGRAD: Ich kann Ihnen dazu etwas sagen. Zum einen war es ja Ziel des Konjunkturpakets von 2020, die Produktion von Impfstoffen in Deutschland und Europa anzusiedeln bzw. zu stärken. Zum anderen sollten durch die Beteiligung Forschungsaktivitäten in der mRNA-Technologie am Standort Deutschland gestärkt werden.

Beide Ziele das ist die Antwort auf Ihre Frage gelten für die Bundesbeteiligungen weiterhin voll umfänglich.

ZUSATZFRAGE SLAVIK: Das heißt, die Beteiligung soll bleiben?

UNGRAD: Ja.

FRAGE JUNG: Auch zum Thema Impfstoffe: Herr Seibert, gibt es eine Reaktion der Kanzlerin auf den Aufruf des Papstes gestern, der eindringlich alle Regierungen und Pharmakonzerne aufgerufen hat, die Impfstoffpatente freizugeben?

STS SEIBERT: Es gibt auf diese spezielle Wortmeldung des Papstes keine Kommentierung. Das tun wir ja grundsätzlich nicht. Aber die Haltung der Bundesregierung zum Thema Patente ist ebenso unverändert wie unsere Haltung zu der Notwendigkeit, möglichst allen Menschen auf der Welt so rasch wie möglich Impfstoff zur Verfügung zu stellen, weswegen es ja auch zwischen den impfstoffherstellenden Unternehmen und inzwischen einer ganzen Reihe von Staaten sehr konkrete Produktionsverabredungen gibt.

VORS. WEFERS: Jetzt habe ich zum Thema „Corona und Gesundheit“ noch Fragen von Herrn Reitschuster. Er zitiert eine Umfrage unter Chef- und Oberärzten, nach der jedes dritte bis fünfte Intensivbett aktuell wegen Personalmangels gesperrt sei. Er stuft die Versuche der Bundesregierung als wenig erfolgreich ein, den Personalmangel zu bekämpfen, und fragt, warum das so ist.

HAJEBI: Zum Thema „Pflege in Krankenhäusern“ hat sich unter anderem Herr Spahn letzte Woche beim Pflegetag geäußert. Es ist so, dass wir viele Punkte auf den Weg gebracht haben, auch mehr Personal in der Pflege, im Krankenhaus, und dass die Entwicklung da auch weiter beobachtet wird. Wir können auch sagen, dass wir immer mehr Menschen sehen, die eine Pflegeausbildung anfangen. Auch bei den Löhnen haben wir viel geschafft. Die Löhne in der Pflege steigen, tragen auch zu mehr Wertschätzung und besseren Arbeitsbedingungen bei und fördern natürlich auch, dass sich Menschen für diesen Beruf entscheiden und dementsprechend dann auch mehr Pflegestellen in den Krankenhäusern besetzt werden.

FRAGE JESSEN: Hat Ihr Haus eine Haltung zu der Einigung mit Vivantes und der Charité in Berlin nach dem wochenlangen Pflegerstreik? Das Ergebnis ist ja nicht mehr Geld, aber mehr Freizeit. Ist das der richtige Weg?

HAJEBI: Hierbei geht es ja speziell um Berliner Krankenhäuser. Zum Beispiel das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz war ein wichtiger Schritt, um die Pflege und Betreuung der Patientinnen und Patienten weiter zu verbessern. Außerdem hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung gesetzlich vorgegeben, ein modernes Personalbemessungsinstrument für die Krankenhauspflege bis 2024 zu entwickeln. Er folgt damit einem gemeinsamen Vorschlag der Deutschen Krankenhausgesellschaft, ver.di, dem Deutschen Pflegerat und dem GKV-Spitzenverband. Ich kann mich erinnern, dass wir dazu letzte Woche auch etwas nachgereicht haben.

ZUSATZ JESSEN: Die Kernfrage ist ja, da Berlin auch von anderen sehr stark beachtet wird und das Argument für die Mangelsituation in der Pflege immer die unzureichende Entlohnung war, ob eine Vereinbarung, die aussagt, dass es tatsächlich nicht wesentlich mehr Geld, sondern eher mehr Freizeit gibt, dann geeignet ist, diesem Mangel abzuhelfen. Das ist ja eine grundsätzliche Frage.

HAJEBI: Auch dazu hat sich der Minister letzte Woche beim Pflegetag geäußert. Ich kann mich nur wiederholen: Die Löhne in der Pflege steigen und tragen auch zu mehr Wertschätzung bei. Die Pflegekräfte müssen nun auch mit den Tarifpartnern verhandeln, inwieweit die Löhne steigen können.

VORS. WEFERS. Jetzt habe ich noch eine Frage von Herrn Reitschuster, der auf das Statistische Bundesamt verweist, was die Übersterblichkeit angeht, und konstatiert, dass es im September eine erhebliche Übersterblichkeit in Deutschland gegeben habe. Er fragt, wie die Bundesregierung dies erklärt.

HAJEBI: Es ist so, dass sich Statistiken zur Übersterblichkeit nicht zeitnah interpretieren lassen. Dafür fehlen die Vergleichsdaten. Die Zahl der Coronatoten ist deutlich zurückgegangen. Das ist auch eine sehr gute Entwicklung.

FRAGE ANASTASSOPOULOU: Können Sie den Besuch von Frau Merkel in Athen auf Einladung von Premierminister Mitsotakis betätigen, Herr Seibert?

STS SEIBERT: Es bleibt dabei, dass wir die Termine der Bundeskanzlerin immer am Freitag der Vorwoche ankündigen, und das wäre auch im Falle eines Besuchs in Griechenland genauso.

FRAGE JUNG: Gibt es aktuelle Zahlen hinsichtlich der in der vergangenen Woche aus Afghanistan geflüchteten und nach Deutschland evakuierten Menschen oder aktuelle Zahlen von heute? Welche Unternehmungen gibt es, um Ausreise und Aufnahme zu beschleunigen?

VORS. WEFERS: Das fragt auch Herr Lücking: Wie haben sich die Zahlen der aus Afghanistan geflüchteten und nach Deutschland evakuierten Menschen in der vergangenen Woche entwickelt? Welche Unternehmungen gibt es, um Ausreise und Aufnahme zu beschleunigen?

VICK: Insgesamt sind nach heutigem Stand 5441 afghanische Staatsangehörige nach Deutschland eingereist, darunter 477 Ortskräfte inklusive 2054 Familienangehörigen.

ZUSATZ JUNG: Letzte Woche war die Zahl 6082.

VICK: Genau, und jetzt sind es insgesamt 6311 Personen, davon 5441 afghanische Staatsangehörige und 543 deutsche Staatsangehörige. Aber nach deutschen Einreisen hatten Sie ja nicht gefragt.

ZUSATZFRAGE JUNG: Gibt es aktuell noch neue Bemühungen des Auswärtigen Amtes?

SASSE: Ich kann Ihnen ergänzend noch mitteilen wir hatten ja bereits in der vergangenen Woche etwas zu dem Thema ausgeführt , dass seit Ende August mehr als 1200 afghanische Staatsangehörige Afghanistan auf dem Landweg verlassen konnten. Der Landweg das hatte ich letzte Woche schon erwähnt ist eine der Optionen. Der Luftweg ist eine weitere Option.

Ich kann auch berichten, dass es einen weiteren Flug mit Qatar Airways gegeben hat, auf dem sich auch deutsche Staatsangehörige befunden haben. Weitere deutsche konnte das Land also auf dem Luftweg verlassen.

Insgesamt sind unsere Auslandsvertretungen in der Region weiterhin sehr engagiert, was die Arbeit angeht, die entsprechenden Visa für afghanische Staatsangehörige auszustellen. Unsere Botschaft in Islamabad spielt dabei eine besonders herausgehobene Rolle, weil sich viele der Afghanen, die sich auf dem Landweg auf den Weg aus dem Land heraus machen, eben nach Pakistan begeben und bei der Weiterreise tatkräftig von unserer Botschaft in Islamabad unterstützt werden.

Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal betonen, dass wir nicht in unseren Bemühungen nachlassen, weitere Ausreisemöglichkeiten zu schaffen. Dafür laufen die Planungen. Ich kann Ihnen aber im Moment noch keine Details nennen, um den Erfolg der Aktion nicht zu gefährden.

FRAGE JESSEN: Neben der Ortskräfteliste führt das Auswärtige Amt ja die Liste der aus Menschenrechtsgründen bedrohten Menschen. Da gibt es nun aktuell die Bitte eines Bündnisses von Frauen und vor allem Menschenrechtlerinnen, die sagen, diese eigentlich geschlossene Liste solle bitte wieder geöffnet werden. Sie nennen namentlich, glaube ich, fast 120 Bedrohte, vor allem Frauen, die zusätzlich auf die Liste kommen sollten. Wird diesem Wunsch entsprochen, Frau Sasse, oder bleibt es bei der Schließung?

SASSE: Vielen Dank für die Frage, Herr Jessen. – Es ist richtig: Wir hatten an dieser Stelle schon mehrfach ausgeführt, dass es die sogenannte Menschenrechtsliste gibt, auf der rund 2600 Personen stehen, Schutzbedürftige, die wir als solche eingestuft haben. Insgesamt beläuft sich die Zahl der Personen und der Familienangehörigen, die sozusagen von dieser Liste umfasst sind, auf etwas mehr als 6600 Personen.

Was Ihre Frage nach dem Brief angeht, kann ich Ihnen noch einmal sagen, dass unser Einsatz für die Menschen in Afghanistan nicht auf die Personen begrenzt ist, die auf dieser Menschenrechtsliste stehen, die ich gerade erwähnt habe. Wir haben zum Beispiel unsere Programme für besonders gefährdete afghanische Vertreterinnen aus der Zivilgesellschaft das heißt, aus Wissenschaft, Kunst oder von Menschenrechtsorganisationen noch einmal erweitert und die Mittel dafür aufgestockt, und zwar um zusätzliche 10 Millionen Euro. Mit diesen Mitteln finanzieren wir unter anderem vorübergehende Schutzaufenthalte und auch Stipendien für die Betroffenen. Grundsätzlich gelten natürlich weiterhin auch die allgemeinen Regeln des deutschen Aufenthaltsrechts. Diese Möglichkeiten zur Beantragung von Visa und Ähnlichem für Deutschland stehen den Betroffenen natürlich auch weiterhin offen.

Aber um auf Ihre konkrete Frage einzugehen: Die Liste ist tatsächlich seit dem Ende der militärischen Evakuierungsaktion geschlossen. Das wurde im Ressortkreis so entschieden.

ZUSATZFRAGE JESSEN: Welche Chance haben dann diese namentlich genannten und identifizierbaren knapp 120 bedrohten Frauen, unter den Schutzschirm zu geraten, wenn die Liste geschlossen ist?

SASSE: Ich habe gerade ausgeführt, welche Möglichkeiten es gibt. Hier an dieser Stelle über Chancen einzelner Personen zu spekulieren, halte ich für nicht angebracht.

FRAGE DR. RINKE: Eine ganz schnelle Frage an das Auswärtige Amt: Gibt es eigentlich auch Leute, die sich von diesen Listen, die Sie erwähnt haben, wieder streichen lassen, nur einmal angenommen, dass es Ortskräfte gibt, die sich jetzt mit der Situation unter dem Talibanregime arrangiert haben?

SASSE: Was konkrete Fälle angeht, müsste ich Ihnen die Auskunft nachreichen. Es ist aber tatsächlich so, dass diese Listen regelmäßig abgeglichen werden, auch mit Blick auf Doppelungen, die möglicherweise aus anderen Gründen entstehen. Das heißt, die Listen werden kontrolliert und teilweise wegen Doppelungen und Ähnlichem tatsächlich reduziert.

FRAGE JUNG: Eine Lernfrage: Sie haben uns endlich die Zahl derer genannt, die auf der Menschenrechtliste stehen, und haben gesagt, dass diese geschlossen ist. Ist die Liste der Ortskräfte auch geschlossen? Wie viele Personen mit ihren Familien stehen auf dieser Liste?

SASSE: Dazu hat die Federführung das BMI.

Insgesamt kann man, glaube ich, an dieser Stelle sagen, dass sich die Zahl aus unterschiedlichen Gründen, die wir an dieser Stelle schon mehrfach erwähnt haben, teilweise immer wieder verändert. Frau Vick, möchten Sie sagen, wie es mit den Zahlen aussieht?

VICK: Wie Frau Sasse gerade schon angedeutet hat, ist die Ortskräfteliste nicht abgeschlossen. Im Gegensatz zu früheren Annahmen, dass es sich bei den Ortskräften um rund 70 000 Personen handeln könnte, gehen wir von ca. 4300 Personen und mit ihren Kernfamilien von ca. 18 000 Personen aus.

ZUSATZFRAGE JUNG: Woher kommt dieses Delta? Sie haben 70 000 Personen angenommen, und jetzt sind es doch nur 18 000.

VICK: Wie Sie wissen, müssen sich Ortskräfte bei ihren jeweiligen Ressorts als Ortskraft melden und als gefährdet anzeigen. Wir gehen von den gemeldeten Gefährdungsanzeigen der Ortskräfte aus.

SASSE: Damit hier keine Missverständnisse entstehen: Die Zahl der Personen und ihrer Familienangehörigen, die auf der Menschenrechtliste stehen, kommt zu dieser Zahl natürlich noch hinzu. Wie gesagt, die Zahl verändert sich weiterhin immer wieder.

FRAGE LÜCKING: Kann jemand sagen, wie man mit Ortskräften umgeht, die in Kabul Papiere verloren haben?

VICK: Zur Lage in Afghanistan kann ich nichts sagen.

FRAGE JORDANS: Herr Seibert, ich beziehe mich auf die Mediengruppe Ippen und deren Investigativredaktion. Die wirft ihrem Verleger vor, gegen die Publikation einer Recherche zur „BILD“-Zeitung interveniert zu haben und dadurch die Unabhängigkeit der Berichterstattung gestört zu haben. Neue Details zu dem Fall mussten gestern offensichtlich den Umweg über die „New York Times“ gehen, um das Licht der Welt zu erblicken. Sieht die Bundesregierung die journalistische Freiheit in Deutschland eingeschränkt, wenn es um mächtige Personen im Mediengeschäft geht?

STS SEIBERT: Diesen Vorgang habe ich für die Bundesregierung nicht zu kommentieren.

FRAGE JUNG: Hier war letzte Woche schon die Operation „Abendsonne“ und die Beförderung in den Ministerien ein Thema. Es kam jetzt heraus, dass Kanzleramtsminister Braun seine Ministerkollegen und Ministerkolleginnen per Brief ermahnt hat, auf Beförderungen und Ausschreibungen von neuen Projekten zu verzichten. Herr Seibert, wie kam das jetzt zustande? Hat das Kanzleramt selbst gemerkt, dass einiges aus dem Ruder gelaufen ist?

STS SEIBERT: Sie fragen sehr suggestiv. Hier einmal die Fakten: Ich kann Ihnen den Versand des Schreibens des Chefs des Bundeskanzleramts, Minister Braun, bestätigen. Das ist ein Hinweis an die Empfänger dieses Schreibens vor dem Hintergrund der anstehenden Zeit, dass die Bundesregierung eine geschäftsführende Bundesregierung ist. Sie wissen, das beginnt mit der Konstituierung des neuen Deutschen Bundestages Ende dieses Monats.

Es soll sichergestellt werden, dass eben eine künftige Bundesregierung nicht durch Personalmaßnahmen unangemessen präjudiziert wird. Zu Einzelheiten des Schreibens kann ich mich hier nicht weiter äußern.

Weil Sie so einige Behauptungen in den Raum gestellt haben, will ich sagen und das gilt für die Zeit der Geschäftsführung, also die Zeit, die der Brief des Ministers nicht betrifft –, dass zwischen Dienstpostenbesetzungen und Beförderungen sehr zu unterscheiden ist. Es sind immer die Ressorts, die für Einzelentscheidungen sozusagen die Ressorthoheit haben. Wie gesagt, die Tendenz Ihrer Frage kann ich so nicht bestätigen.

FRAGE JUNG: Eine Frage an das Auswärtige Amt. Wie bewerten Sie die ausgesprochenen Todesurteile der Hamas im Gazastreifen?

SASSE: Die Antwort auf diese Frage würde ich Ihnen gerne nachreichen.

Ich möchte noch kurz etwas auf die Frage von Herrn Rinke nachreichen. Ich kann Ihnen sagen, Herr Rinke, dass uns bisher keine Fälle bekannt sind, in denen sich Personen von der Liste der Schutzbedürftigen haben streichen lassen. Es kann aber natürlich sein, dass sie andere Möglichkeiten der Ausreise aus Afghanistan genutzt haben.

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