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Bundesregierung für Desinteressierte: BPK vom 27. Oktober 2021

Themen: COVID-19-Pandemie, Situation im Sudan, Entwicklung der Energiepreise, Reise der Bundeskanzlerin nach Griechenland, mögliches Treffen im Normandie-Format, Entscheidung des Fußballnationalspielers Joshua Kimmich in Bezug auf eine COVID-19-Impfung, MAD-Bericht/Verdachtsfälle wegen Rechtsextremismus innerhalb der Bundeswehr, afghanische Ortskräfte, Steuerschätzung, Großer Zapfenstreich auf dem Platz der Republik, Ukraine-Konflikt, Tötung eines angeblichen Al-Qaida-Mitglieds per Drohnenangriff durch US-Militär in Syrien, Justizreform in Polen, Einstufung sechs palästinensischer NGOs als terroristische Organisationen in Israel

Themen/Naive Fragen zu:
0:00 Beginn
0:19 Thema Epidemische Lage
7:37 Sind die Voraussetzungen für die epidem. Lage aus Sicht der Kanzlerin gegeben? Welche sind das?
9:51 Thema Sudan
11:30 Deutsche Polizisten im Sudan
14:00 Thema Merkel in Athen
16:40 Thema Kimmich
17:45 MAD-Bericht/Rechtsextremismus in der Bundeswehr. Bewertung der Kanzlerin und der Ministerin? Verhältnis der Extremismen
24:40 Thema afghanische Ortskräfte/aktuelle Zahlen
29:02 Hans zu Zapfenstreich/Fackelzug
31:59 Muss der Fackelzug im Dunkeln passieren?
34:13 US-Drohnenangriff in Syrien: Ramstein und Völkerrecht
35:30 Thema Streit mit Polen/Justiz
39:11 Israel/Palästina: Bewertung der israelischen Maßnahme sechs palästinensische NGOs als „Terrororganisationen“ einzustufen? Gab es bisher deutsches Geld für diese NGOs?

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Komplettes BPK-Wortprotokoll vom 27. Oktober 2021:

VORS. FELDHOFF eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt STS SEIBERT sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

FRAGE HOENIG: Herr Seibert, die wahrscheinlich künftigen Ampelkoalitionäre SPD, FDP und Grüne haben entschieden, dass die epidemische Lage von nationaler Tragweite nicht verlängert werden soll. Wie beurteilt das die geschäftsführende Bundesregierung?

Damit verbunden die Frage das Thema hatten wir schon am Montag : Nun sind die Infektionszahlen gestiegen. Sind aus Ihrer Sicht zusätzliche Einschränkungen notwendig?

STS SEIBERT: Da Sie mich fragen, darf ich tatsächlich bei vollem Respekt für das Zurückhaltungsgebot vielleicht doch die Haltung der Bundeskanzlerin darlegen.

Ihre Sicht auf die epidemische Lage von nationaler Tragweite ist bekannt. Wir haben sie ja manches Mal vorgetragen. Ich hatte hier neulich erst erklärt, dass die Bundeskanzlerin die rechtliche Verbindung zwischen dieser vom Bundestag festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite und den Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus nach § 28 a Infektionsschutzgesetz für in der Pandemie bewährt und sinnvoll hält.

Das Anliegen der Länder, das diese neulich klar ausgedrückt haben, auch bei Auslaufen der epidemischen Lage von nationaler Tragweite auf eine solide einheitliche Rechtsgrundlage zurückgreifen zu können, um Schutzmaßnahmen wie Maske, Abstand oder 3G-Regeln aufrechtzuerhalten, ist sehr gut nachvollziehbar. Über eine solche Neugestaltung der Rechtsgrundlage hat natürlich der Gesetzgeber, also jetzt der neue Deutsche Bundestag und der Bundesrat, zu entscheiden.

Aus Sicht der Kanzlerin ist es richtig und notwendig, dass nach den Plänen, die die drei Parteien heute vorgeschlagen oder vorgetragen haben, viele Infektionsschutzmaßnahmen als Möglichkeit erhalten bleiben. Ihre Sorge bezieht sich auf die aktuelle Entwicklung der Epidemie. Sehen Sie sich die heutigen Zahlen an: Wir sind jetzt bei 23 000 neuen Fällen an einem Tag, bei 114 Todesfällen an einem Tag und auch bei wieder deutlich steigenden Zahlen der Krankenhausbelegung und auch der Intensivbettenbelegung wegen Corona. Wir wissen, dass sich regional in Krankenhäusern wieder schwierige Zustände ankündigen und dass die Ärzteschaft und das Pflegepersonal dort wieder große Belastungen auf sich zukommen sehen. Da stellt sich für die Bundeskanzlerin eben die Frage, ab wann, ab welchem Warnwert etwa der Krankenhausbelegung, gegebenenfalls über zusätzliche Maßnahmen zu beraten wäre.

Auch die geschäftsführende Bundesregierung das darf ich noch sagen wäre in einem solchen Fall in den ihr verbliebenen Wochen jederzeit bereit, mit den Ländern darüber zu sprechen.

ZUSATZFRAGE HOENIG: Welche zusätzlichen Maßnahmen könnten das denn aus Sicht der Bundeskanzlerin sein?

STS SEIBERT: Darüber möchte ich nun heute nicht spekulieren. Das ist das habe ich ja jetzt ausgedrückt für den Fall einer von uns allen nicht erhofften noch weiter deutlichen Zuspitzung der Lage. Das habe ich jetzt ausgedrückt.

Noch einmal: Es ist richtig und gut, dass auch in den Plänen, die heute vorgetragen wurden, wichtige Maßnahmen zum Infektionsschutz erhalten bleiben.

FRAGE LANGE: Ich hätte gerne dazu noch die Meinung des Gesundheitsministeriums gehört, weil ja auch Herr Spahn von den Ampelkoalitionären konkret angesprochen wurde.

GÜLDE: Dazu kann ich etwas sagen. Wir haben dazu vor knapp zwei Stunden ein Sprecherzitat herausgegeben, dass ich hier kurz wiedergeben darf:

„Die parlamentarische Verantwortung für die Pandemiepolitik geht nun auf die neue sich bildende Ampelkoalition über. Bundesminister Spahn hat der neuen parlamentarischen Mehrheit angeboten, dass das Bundesministerium für Gesundheit jederzeit beratend und unterstützend zur Verfügung steht. Das gilt auch für die Erarbeitung eines entsprechenden Gesetzentwurfs.“

Sie wissen, dass Herr Minister Spahn sich auch in der Vergangenheit dafür ausgesprochen hat, die epidemische Lage von nationaler Tragweite zu beenden. Das heißt keinesfalls und darauf haben wir auch immer wieder abgezielt , dass damit die Pandemie zu Ende ist. Um gut durch Herbst und Winter zu kommen, werden wir weiterhin die 3G-Regel in Innenräumen sowie die AHA+L-Regel aufrechterhalten müssen.

Grundsätzlich ist es mit einer Impfquote von inzwischen 66,4 Prozent Vollgeimpften möglich, diese epidemische Lage von nationaler Tragweite auslaufen zu lassen. Die drei möglichen Koalitionäre haben ja vor zwei Stunden hier in der BPK skizziert, wie dieser Weg aussieht. Dem können wir uns anschließen. Es geht jetzt ein Auftrag an die zuständigen Ministerien, dazu eine Formulierungshilfe zu erarbeiten. Das werden wir zeitnah tun.

ZUSATZFRAGE LANGE: Nur zum Verständnis: Sie sagen, Sie können sich dem anschließen. Die drei Fraktionen haben sich bis zum 20. März 2022 eine Übergangsregelung ausgedacht. Können Sie sich dem auch anschließen? Ist es eine schlaue Idee, jetzt schon so ein Datum einzuziehen?

GÜLDE: Der Auftrag ergeht ganz klar aus dem Parlament. Entsprechend werden wir diese Formulierungshilfe wie beauftragt auch umsetzen.

VORS. FELDHOFF: Eine Frage online von Herrn Reitschuster an das Bundesgesundheitsministerium. Bisher gab es trotz Corona nach den Worten des BMG nie eine Überlastung des Gesundheitssystems, schreibt er, also auch, als noch keine Impfung verfügbar war. Nun ist die Mehrheit geimpft. Warum droht heute eine Überlastung, mit der die Maßnahmen ja begründet werden, fragt Herr Reitschuster.

GÜLDE: Ich meine, das hatte ich schon bilateral mit Herrn Reitschuster geklärt, aber seis drum. Dass es keine flächendeckende Überlastung des Gesundheitswesens gegeben hat, verdanken wir auch den Maßnahmen, die die Bundesregierung getroffen hat. Nichtsdestotrotz ist es so, dass es stellenweise und auch lokal begrenzt schon deutliche Belastungen seitens der Pflegekräfte und auch des Gesundheitswesens insgesamt gegeben hat. Ich darf daran erinnern, dass es in der Vergangenheit auch Patientenverlegungen in andere Bundesländer geben musste, um andere Intensivstationen zu entlasten.

Wir haben immer noch eine gewisse Quote an nicht Geimpften. Das sind auch diejenigen, die derzeit wieder die Intensivstationen belegen. Insofern gilt noch einmal der Aufruf, sich impfen zu lassen, wenn noch nicht geschehen, um einer solchen Belastung des Gesundheitswesens, insbesondere der Intensivkapazitäten, vorzubeugen.

FRAGE JUNG: Herr Seibert, die Ampelparteien betonen, dass die Voraussetzungen für die epidemische Lage nicht mehr gegeben sind. Das sieht die Kanzlerin anders. Habe ich Sie da richtig verstanden?

Können Sie die Voraussetzungen aus Sicht der Kanzlerin beschreiben?

STS SEIBERT: Ich möchte hier jetzt nicht mehr dazu sagen. Die Vertreter der drei Parteien, die über eine kommende Ampelkoalition verhandeln, haben hier heute Morgen ihre Vorstellungen vorgetragen. Ich habe, genau wie der Kollege aus dem Bundesgesundheitsministerium, gesagt: Es ist an dem neuen Deutschen Bundestag und am Bundesrat, eine Neugestaltung der Rechtsgrundlage vorzunehmen. Ich wurde gefragt „Was ist die Position der Bundeskanzlerin in Sachen epidemische Lage von nationaler Tragweite?“ und habe dann ihre Sorgen angesichts der doch wieder sehr dynamischen pandemischen Entwicklung vorgetragen. Ich möchte jetzt nicht über Bande sozusagen in einen Dialog mit den künftigen Koalitionären eintreten. Ich habe das dazu gesagt, was ich zu sagen hatte.

Ich denke, es ist an uns allen Wir alle haben doch die Absicht, daran mitzuwirken, das zu vermeiden, was uns Intensivmediziner jetzt wieder als ihre Sorgen schildern, dass also Intensivbetten knapp werden, dass planbare Operationen möglicherweise absehbar werden verschoben werden müssen. Die Absicht, eine solche Belastung der Krankenhäuser zu vermeiden und sei es eine regionale Belastung von Krankenhäusern , eint uns doch sicherlich alle.

ZUSATZFRAGE JUNG: Aber wenn die Kanzlerin meint, dass die Voraussetzungen für die epidemische Lage noch da sind, müssten Sie uns ja sagen, was diese Voraussetzungen sind.

STS SEIBERT: Ich habe zu dem, was ich jetzt hier vorgetragen habe, nichts mehr zu sagen. Ich habe auf die derzeitige Situation verwiesen, die uns durchaus Sorgen macht, und sicherlich nicht nur der Bundesregierung Sorgen macht. Mehr ist dazu aus meiner Sicht hier nicht beizutragen.

FRAGE TAIBBI: Wird Deutschland Maßnahmen gegen die Militärführung im Sudan ergreifen, oder wird Deutschland das neue Regime in Khartum anerkennen?

SASSE: Dazu kann ich sagen, dass Bundesaußenminister Maas sich heute Morgen erneut zur Lage im Sudan geäußert hat. Ich kann das Statement an dieser Stelle noch einmal für alle zitieren. Er hat gesagt:

„Der Militärputsch in Sudan ist eine katastrophale Entwicklung. Er bringt das Land in eine bedrohliche Lage und stellt die demokratische und friedliche Zukunft des Sudan, für die sich die internationale Gemeinschaft engagiert hat, in Frage.

In aller Entschiedenheit verurteile ich das Handeln der putschenden Militärs, das nicht nur Premierminister Hamdok und andere unrechtmäßig festsetzt, sondern auch Gewalt gegen jene eingesetzt hat, die gestern für Demokratie in Sudan auf die Straße gegangen sind. General al-Burhan und seine Unterstützer dürfen sich nicht der Demokratie in den Weg stellen: Premierminister Hamdok und die anderen Gefangenen müssen umgehend freigelassen, die Absetzung der zivil geführten Übergangsregierung muss rückgängig gemacht werden.

Die Menschen in Sudan und Premierminister Hamdok genießen weiter unsere Unterstützung.

Der Putsch der Militärs wird, wenn er nicht sofort beendet wird, gravierende Folgen für das internationale Engagement haben, das Deutschland in den vergangenen Jahren maßgeblich unterstützt und koordiniert hat. Der Putsch entzieht diesem Engagement die Grundlage. Deutschland wird seine Unterstützung unter diesen Bedingungen nicht fortsetzen. Um gemeinsam vorzugehen, stimmen wir uns eng mit unseren Partnern ab.“

Ich denke, das spricht für sich.

FRAGE JUNG: Herr Seibert, Sie hatten, glaube ich, uns vor ein paar Wochen über die Verlängerung des Einsatzes von Polizisten im Sudan informiert. Was hat das für Auswirkungen auf die deutschen Polizisten vor Ort?

STS SEIBERT: Ich würde das BMI bitten, dazu Stellung zu nehmen, weil das BMI für die Polizeieinsätze zuständig ist.

LAWRENZ: Das reichen wir nach.

FRAGE DR. RINKE: Herr Seibert, es gibt einen Zeitungsbericht, nach dem Deutschland nun dafür ist, dass Atomkraft bei der EU-Taxonomie als nachhaltige Energie anerkannt wird. Das soll Kanzlerin Merkel auf dem EU-Gipfel gesagt haben. Stimmt das? Was ist die Position der Bundesregierung?

STS SEIBERT: Im Rahmen der Diskussionen des Europäischen Rates zu den aktuellen Energiepreisentwicklungen vergangene Woche haben eben einige Mitgliedstaaten auch die weitere Rolle der sogenannten Taxonomieregelungen angesprochen, zu denen die Kommission ja demnächst Vorschläge von Einstufungen zur Kernenergie und Erdgas mit Blick auf die Nachhaltigkeit vorlegen will.

Ich kann sagen, die Haltung der Bundesregierung zum Thema Kernenergie ist bekannt. Sie hat sich auch nicht verändert. Die Bundesregierung steht zum Ausstiegsbeschluss hier in Deutschland und zu der bestehenden gesetzlich festgeschriebenen Ausgangslage, dass also für Ende 2022 das Abschalten der letzten verbliebenen AKWs vorgesehen ist. Es ist ebenso bekannt, dass Frankreich wie auch einige andere Mitgliedstaaten bezüglich der Kernenergie und ihrer Einstufung eine grundlegend andere Position vertreten. An dieser unterschiedlichen Bewertung, unter anderem zwischen Deutschland und eben Frankreich, hat sich nichts geändert. Um es ganz klar zu sagen: Eine Einigung auf eine entsprechende Einstufung der Kernenergie hat es vor diesem Hintergrund auch beim Europäischen Rat vergangene Woche nicht gegeben – weder im Kreis der Mitgliedstaaten im Rahmen der Schlussfolgerungen noch zwischen der Bundeskanzlerin und dem französischen Präsidenten.

FRAGE PAPPAS: Herr Seibert, die Bundeskanzlerin reist morgen nach Athen. Mit welchen Gefühlen reist sie eigentlich nach Athen nach ihrer Feststellung, dass ihr schlimmster Moment war, als sie den Bürgern in Griechenland so viel zugemutet hat?

Eine zweite Frage dazu. Die Bundeskanzlerin war vor Kurzem auch in Istanbul und hat sich dort mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan getroffen. Sie hat persönlich zur Entschärfung zwischen Griechenland und der Türkei wegen der türkischen Gasbohrungen im östlichen Mittelmeer beigetragen. Was bringt sie jetzt nach Athen für ihr Treffen mit Herrn Mitsotakis mit?

STS SEIBERT: Zu der ersten Frage, mit welchen Gefühlen sie reist, wenn ich das richtig verstanden hatte: Die Bundeskanzlerin ist dankbar, dass sie diese Einladung des griechischen Ministerpräsidenten Mitsotakis erreicht hat. Sie freut sich auf ihren Besuch in Athen und auf die Gespräche dort nicht nur mit Ministerpräsident Mitsotakis, sondern auch mit Staatspräsidentin Frau Sakellaropoulou.

Zu der Frage Griechenland/Türkei kann ich Ihnen sagen: Unsere Überzeugung ist und danach hat die Bundesregierung immer gehandelt , dass gut nachbarschaftliche Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei wichtig und vorteilhaft nicht nur für diese beiden Länder, sondern eigentlich für ganz Europa sind. Deswegen begrüßen und unterstützen wir in der Bundesregierung, dass diese beiden Länder Griechenland und Türkei den Gesprächsfaden eben wieder aufgenommen haben und dass sie bilaterale Sondierungsgespräche führen, um für die schwierigen offenen Fragen zwischen beiden Ländern eine Lösung zu finden. Denn das ist klar: Lösungen können nur im Gespräch, im Dialog und im Geist eines gegenseitigen Respekts gefunden werden. Das hat die Kanzlerin auch bei ihren Gesprächen kürzlich in der Türkei deutlich gemacht.

FRAGE JOLKVER: Frau Sasse, soweit ich mich erinnern kann, war ein Treffen im Normandie-Format auf Ministerebene in Planung. Wird dieser Plan weiterverfolgt, oder wird gewartet, bis die neue Regierung im Amt ist?

SASSE: Herr Jolkver, ich kann Ihnen an dieser Stelle zu einem möglichen Treffen noch nichts Neues berichten. Wenn wir einen Termin anzukündigen haben, werden wir das an dieser Stelle tun.

VORS. FELDHOFF: Ich habe eine weitere Frage von Herrn Reitschuster, die sich mit Ihnen befasst, Herr Seibert.

STS SEIBERT: Mit mir?

VORS. FELDHOFF: Ja. Es geht um den Fall Kimmich. Kritiker haben Ihre Äußerungen hier in der Bundespressekonferenz am Montag als Einmischung in die individuelle Gesundheitsentscheidung empfunden, so Herr Reitschuster. Wie stehen Sie zu dieser Kritik? Sind Ihre Worte falsch interpretiert worden, fragt er.

STS SEIBERT: Natürlich ist es keine Einmischung in die Gesundheitsentscheidung. Ich habe, glaube ich, auch am Montag sehr deutlich gesagt, dass es, egal ob jemand Fußballnationalspieler oder einer von uns oder einer von den anderen 83 Millionen Bundesbürgern ist, eine persönliche Entscheidung ist. Dann habe ich einige weitere Dinge gesagt, die ich heute hier nicht zurückzunehmen habe.

FRAGE JUNG: Zum MAD-Bericht und zum Thema „Extremismus in der Bundeswehr“. Ich möchte gerne wissen, Herr Seibert, ob Frau Merkel diesen Bericht zur Kenntnis genommen hat und wie sie es bewertet, dass es einen deutlichen Anstieg der Fälle von Rechtsextremismus innerhalb der Bundeswehr gibt.

STS SEIBERT: Zum Thema MAD und was er berichtet, ist sicherlich der Kollege aus dem Verteidigungsministerium der richtige Ansprechpartner. Für die Bundeskanzlerin kann ich sagen, dass Rechtsextremismus grundsätzlich etwas ist, dem die Bundesregierung sich mit ihren Mitteln auf allen gesellschaftlichen Ebenen entgegenstellt. Da, wo es unsere Sicherheitskräfte und unsere Bundeswehr betrifft, sind solche Vorkommnisse natürlich besonders ernst zu nehmen.

HELMBOLD: Das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst hat gestern den MAD-Report 2020 vorgestellt. Die Erkenntnisse bestätigen: Verdachtsfälle in der Bundeswehr sind weit überwiegend dem Phänomenbereich Rechtsextremismus bzw. „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ zuzuordnen. Deshalb liegt die Abwehrarbeit des MADs auch ganz klar beim Schwerpunkt Rechtsextremismus, und wir werden auf jeden Fall den eingeschlagenen Weg fortsetzen. Bei jedem Fall wird ermittelt, und auch die zivilen Strafverfolgungsbehörden werden hinzugezogen. Fälle von Extremismus schaden der Bundeswehr erheblich nicht nur dem Ansehen, sondern auch dem inneren Gefüge der Truppe und auch der Einsatzbereitschaft. Bei Extremismus besonders bei Rechtsextremismus zeigt die Bundeswehr deshalb weiterhin null Toleranz.

ZUSATZFRAGE JUNG: Sie schwanken also zwischen Rechtsextremismus und Extremismus. Könnten Sie uns einmal das Verhältnis bei den Extremismusfällen nennen? Wie viele Fälle gibt es bei Ihnen beim Rechtsextremismus, wie viele beim Linksextremismus, wie viele bei anderen Arten von Extremismus?

HELMBOLD: Sie haben es ja selber schon studiert. Der MAD-Bericht gibt darüber sehr gut Auskunft und ist auch auf unseren Webseiten verfügbar. Wir sprechen hier erst einmal über Verdachtsfälle. Beim Rechtsextremismus hatten wir 477 Verdachtsfälle. Dem stehen im Vorjahr, also im Jahr 2019, 363 Fälle gegenüber; es gibt hier also einen deutlichen Anstieg. In den anderen Bereichen haben wir deutlich geringere Zahlen. Es gibt auch noch den Phänomenbereich Islamismus und Ausländerextremismus. Im Bereich Islamismus gab es 77 neue Verdachtsfallbearbeitungen und im Bereich Ausländerextremismus 17. Beim Linksextremismus haben wir im Moment 16 Verdachtsfallbearbeitungen. Das heißt, die Zahlen beim Linksextremismus sind natürlich deutlich geringen, so wie sich das auch in dem KfE-Bericht, den wir im Frühjahr veröffentlicht haben, schon angedeutet hat.

FRAGE JESSEN: Ich habe zwei Fragen, die ich gerne separat stellen möchte.

Erste Frage: Es gab eine Personalaufstockung beim MAD ich glaube, seit Anfang dieses Jahres sind es etwa 80 Stellen mehr. Wurde dieses Personal gezielt im Hinblick auf Rechtsextremismus eingeworben oder sind das allgemeine Stellen, lässt sich das spezifizieren?

HELMBOLD: Ich kann jetzt nicht unmittelbar zuordnen, wie viele der Anpassungen, die im MAD stattgefunden haben, jetzt auf diesen Phänomenbereich anzurechnen sind. Klar ist auf jeden Fall, dass Rechtsextremismus ein ganz wesentlicher Schwerpunkt der MAD-Arbeit ist, wenn es um die Phänomenbereiche der Extremismusbekämpfung geht. Zusätzlich sind natürlich auch die anderen Aufgabenbereiche des MADs immer noch vor Augen zu führen, die Sie ja auch in dem MAD-Bericht finden. Auch was die Aufstellung für die Zukunft des MAD und die Schwerpunkte dabei angeht, finden Sie in dem MAD-Bericht, den Sie auch auf BMVg.de finden, sehr, sehr viele Informationen.

ZUSATZFRAGE JESSEN: Wenn sich da eine Spezifizierung in der Zuordnung noch nachliefern ließe, dann wäre das schön.

Meine zweite Frage: Am Montag wurde hier auch gefragt und geantwortet zu dem Offizier, bei dem Plutonium gefunden worden war. Der verfügte offenbar auch über klassifiziertes MAD-Material. Konnte inzwischen geklärt werden, wie er in den Besitz dieses Materials gelangt ist? Er gehörte ja nicht zu den Zugangsberechtigten.

HELMBOLD: Von Plutonium oder Ähnlichem ist mir bei solchen Fällen nichts bekannt. Frau Routsi hatte hierzu am Montag Stellung genommen. Weitergehende Erkenntnisse habe ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht.

ZUSATZ JESSEN: Das mit dem Material war auch BND, nicht MAD, sorry.

FRAGE JUNG: Gibt es eigentlich eine Äußerung der geschäftsführenden Ministerin zu diesem MAD-Bericht? Denn das bezieht sich ja auf ihre Amtszeit.

HELMBOLD: Die Ministerin hat sich mit Blick auf Rechtsextremismus und Extremismus in der Bundeswehr in der Vergangenheit sehr, sehr deutlich geäußert. Sie werden eine Vielzahl von Stellungnahmen hierzu finden, insbesondere auch im Zusammenhang mit den Äußerungen und den Vorfällen rund um das KSK; die sind auch hier anwendbar. Im Übrigen haben wir mit Blick auf Rechtsextremismus und die Zahlen im KfE-Bericht bereits ähnliche Tendenzen festgestellt und uns dazu auch an dieser Stelle bereits geäußert.

FRAGE JESSEN: Noch eine letzte Frage: Der MAD-Bericht sagt ja auch, es gebe immer noch keinen tatsächlichen Überblick über die Situation beim KSK. Erstens: Woran liegt das? Zweitens: Gibt es in der Planung einen Zeithorizont, wann dieser Überblick über die tatsächlichen Verhältnisse vorliegen wird?

HELMBOLD: Der MAD-Bericht gibt ja gerade zu dieser Frage auch Auskunft. Dort wird dargestellt, dass es noch weitere Puzzleteile gibt ich glaube, das ist die Wortwahl im MAD-Bericht , nach denen gesucht wird, und dass es weiterhin eine wichtige Aufgabe für den MAD sein wird, dass auch diese Vorkommnisse insgesamt zu einem einheitlichen Bild zusammengefügt werden müssen. Gleichzeitig wurde auch festgestellt, dass es in dem Bearbeitungszeitraum keine zusätzlichen entsprechenden Fälle im KSK gab. Gleichwohl werden die Vorkommnisse, die wir da haben, durch den MAD intensiv aufgearbeitet, und dazu hat sich auch die Präsidentin des MAD entsprechend geäußert.

FRAGE JUNG: Zum Thema Ortskräfte aus Afghanistan: Können Sie uns da die aktuellen Zahlen liefern, Herr Lawrenz? Wie haben sich die Zahlen der aus Afghanistan geflüchteten und nach Deutschland evakuierten Menschen in der vergangenen Woche entwickelt?

LAWRENZ: Wir hatten ja zugesagt, dass wir Ihnen die Zahlen hier einmal in der Woche bekanntgeben. Mit Stand vom Montag, dem 25. Oktober, gibt es 6526 eingereiste Personen. Davon sind 5654 afghanische Staatsangehörige und 545 deutsche Staatsangehörige. 516 sind eingereiste Ortskräfte; inklusive den Familienangehörigen sind es insgesamt 2230 Personen.

ZUSATZFRAGE JUNG: An das Auswärtige Amt: Wann ist der letzte Charterflug aus Afghanistan geflogen? Ist es bei dem einen Flug geblieben? Welche Unternehmungen gibt es gerade, um Ausreise und Aufnahme zu beschleunigen?

SASSE: Da muss ich vielleicht noch einmal etwas klarstellen, was die Flüge angeht. Zum einen das haben Sie vielleicht mitbekommen bzw. gelesen konnten in dieser Woche mit zwei weiteren Flügen über 30 Deutsche und deren afghanische Familienangehörige nach Doha ausgeflogen werden. Ein weiterer Flug ist noch für diese Woche geplant. Insgesamt sind damit, was die Zahl der Deutschen angeht auch dafür interessieren Sie sich ja , mehr als 200 Deutsche und etwa 50 Afghaninnen und Afghanen über Doha aus Afghanistan ausgereist. Ungefähr 300 Deutsche befinden sich noch in Afghanistan. Das ist der Luftweg.

Charterflüge gibt es, wie Sie wissen, auch für die Personen, die nach Pakistan ausreisen konnten. In der Zwischenzeit haben schon mehrere Weiterflüge aus Pakistan stattgefunden. Sie wissen auch das habe ich an dieser Stelle schon einmal berichtet , dass unsere Botschaft in Islamabad alle diejenigen, die den Weg nach Pakistan geschafft haben, tatkräftig unterstützt.

Allerdings muss man realistischerweise auch sagen, dass die Ausreise auf dem Landweg, die insgesamt inzwischen mit deutscher Unterstützung von mehr als 1200 afghanischen Staatsangehörigen genutzt wurde, im Moment etwas schwieriger ist. Afghanische Staatsangehörige gelangen derzeit nur mit einem Pass und einem Visum in die Nachbarländer Afghanistans.

Das heißt, das ist eine Lage, die sich ständig verändert. Wir arbeiten immer daran das wissen Sie , die Ausreisebedingungen auch mit den Nachbarstaaten Afghanistans anzusprechen und die Ausreisebedingungen für die Betroffenen zu erleichtern. Das ist aber sozusagen „work in progress“.

FRAGE HOENIG: An das BMF: Vorhin gab es eine Pressekonferenz mit dem geschäftsführenden Wirtschaftsminister Altmaier. Die Konjunkturprognose für das laufende Jahr ist ja deutlich gesenkt worden. Im November steht die neue Steuerschätzung an, und die Herbstprojektion ist ja die Grundlage für diese Steuerschätzung. Welche Folgen hat das geringere Wirtschaftswachstum nach Einschätzung des Finanzministeriums für die Steuereinnahmen in Deutschland?

WOGATZKI: Sie haben es zu Recht angesprochen: Die Herbstprojektion ist die Grundlage für die Steuerschätzung. In den ersten Novemberwochen wird nun die 161. Sitzung des Arbeitskreises Steuerschätzung stattfinden. Wie üblich kann ich dieser Sitzung hier nicht vorweggreifen. Wie Sie wissen, ist die BMF-interne Steuerschätzung ein Teil der Steuerschätzung, sodass es dann ein Gesamtbild gibt, dem ich hier nicht vorweggreifen kann.

ZUSATZFRAGE HOENIG: Aber es ist doch anzunehmen, dass die Steuereinnahmen nicht so stark steigen wie erhofft, oder?

WOGATZKI: Ich kann dem Ergebnis der Arbeiten des Arbeitskreises hier natürlich nicht vorweggreifen dabei bleibe ich.

FRAGE JESSEN: An das Verteidigungsministerium vielleicht sind aber auch andere Häuser beteiligt : Nach dem Zapfenstreich vor dem Reichstagsgebäude nach Abschluss des Afghanistaneinsatzes gab es eine sehr intensive Debatte. Kritik wurde vor allem am Fackelzug geübt, der eben Assoziationen historischer Art erwecke, die man gar nicht will. Ist diese Kritik jetzt, nachdem ein paar Wochen verstrichen sind, vorbei, wurde sie aufgenommen? Gibt es irgendwelche Ergebnisse? Sagt man etwa bei Ihnen oder in der Bundesregierung generell, dass der Fackelzug vielleicht in der Tat ein Element ist, das nicht mehr zeitgemäß ist? Gibt es eine solche Diskussion und solche Ergebnisse?

HELMBOLD: Wir haben die Kritik zur Kenntnis genommen. Es gibt diesbezüglich unterschiedliche Meinungen, die wir auch sehr intensiv reflektieren. Für uns ist in diesem Zusammenhang besonders wichtig, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist, dass die Bundestag Teil der Gesellschaft ist. Die Durchführung des Großen Zapfenstreiches vor dem Bundestag ist daher auch Ausdruck unseres Selbstverständnisses. Gleichzeitig gilt es weiterhin, das Verhältnis zwischen der Truppe und der Bevölkerung zu stärken. Deswegen nehmen wir solche Hinweise ernst und schauen uns das sehr genau an. Im Augenblick, eine Woche danach, habe ich aber keine weitergehenden Bewertungen dazu.

Ein zentrales Element ist, dass wir mit öffentlichen Gelöbnissen, mit öffentlichen Zapfenstreichen auch vor dem Parlamentsgebäude insbesondere verdeutlichen, dass wir eine Parlamentsarmee sind. Es gibt Traditionen in der Bundeswehr, die zum Teil sehr weit zurückreichen. Beim Zapfenstreich geht das insbesondere auch auf die preußischen Reformen zurück, die für uns traditionswürdig sind. Es wird bei uns aber laufend bewertet, wie wir mit Traditionen weiter umgehen. Bis jetzt gilt weiterhin, dass die preußischen Reformen, der Widerstand, für uns und die Bundeswehr selber mit ihrer Historie traditionswürdig sind und die Wehrmacht selbstverständlich nicht.

ZUSATZFRAGE JESSEN: Die Kritik richtete sich ja auch nicht auf den Aspekt der Parlamentsarmee auf den Aspekt der Traditionen aber gleichwohl, vor allem, da sie historisch unterschiedlich geschichtet sind. Man kann ja nicht ignorieren, welche jüngere Tradition es dann eben auch gab. Meine Lernfrage ist: Ist ein Zapfenstreich generell auch ohne Fackelmarsch möglich?

HELMBOLD: Das gehört grundsätzlich zum Zapfenstreich dazu. Die Fackeln geben dem Ganzen eben auch einen feierlichen Unterton, der uns auch wichtig ist. Es gab auch sehr, sehr viel Zustimmung dafür.

FRAGE JUNG: Muss der Fackelzug im Dunkeln passieren?

STS SEIBERT: Sinnvollerweise ja.

VORS. FELDHOFF: War das jetzt eine Frage?

ZUSATZ JUNG: Ja, an das Verteidigungsministerium.

HELMBOLD: Sinnvollerweise ja.

ZUSATZFRAGE JUNG: Aber es muss nicht?

HELMBOLD: Ich habe die Antwort gegeben.

VORS. FELDHOFF: Ich habe noch eine Onlinefrage an das AA, die sich auf einen Bericht über einen Drohneneinsatz durch die Ukraine im Donbass bezieht. Ist der Bundesregierung ein solcher Einsatz bekannt? Falls ja, stuft die Bundesregierung das als Verletzung des Minsker Abkommens ein. Kann das zur weiteren Eskalation im Donbass führen?

SASSE: Vielleicht noch einmal zur grundsätzlichen Einordnung der Lage in der Ostukraine: Wir haben an dieser Stelle schon häufiger deutlich gemacht, dass wir sehr besorgt sind angesichts der Zunahme der Kampfhandlungen in der Ostukraine. Das gilt auch angesichts der Meldung des ukrainischen Generalstabs, nach der die ukrainischen Streitkräfte in Reaktion auf Artilleriebeschuss und den Tod eines Soldaten sowie die Verwundung eines weiteren Soldaten Drohnen des Typs Bayraktar eingesetzt haben.

In den letzten Wochen hat die OSZE-Sonderbeobachtungsmission SMM einen Anstieg an Waffenstillstandsverletzungen dokumentiert. Es kommen zudem verstärkt schwere Waffen zum Einsatz. Dies steht im Widerspruch zu den Minsker Vereinbarungen, zu deren Umsetzung sich Russland und die Ukraine verpflichtet haben. Hinzukommt, dass alle Seiten Drohnen einsetzen, was laut Minsker Vereinbarung allein der OSZE vorbehalten ist. Wir rufen an dieser Stelle noch einmal alle Seiten umgehend zur Deeskalation auf. Die Entwicklungen der letzten Wochen und Monate zeigen einmal mehr, dass sich alle Seiten konstruktiver als bislang in die politischen Verhandlungen einbringen müssen. Deswegen arbeiten wir das muss ich an dieser Stelle auch noch einmal sagen, weil Herr Jolkver diese Frage vorher gestellt hatte natürlich weiterhin gemeinsam mit Frankreich und mit Hochdruck auf ein N4-Außenministertreffen hin.

FRAGE JUNG: Es geht auch um Drohnen, aber ein anderes Themengebiet. Das US-Militär hat bekannt gegeben, dass vor ein paar Tagen im Nordwesten Syriens per Drohnenangriff ein angebliches Al-Qaida-Mitglied getötet worden ist. Haben Sie sich daraufhin mit den Amerikanern darüber verständigt, ob dieser Angriff via Ramstein passiert ist und ob er eine völkerrechtliche Grundlage hat, wozu Sie ja verpflichtet sind?

SASSE: Sie haben diese Frage in anderem Zusammenhang an dieser Stelle bereits häufiger gestellt, Herr Jung. Ich muss Sie dafür auf unsere sehr grundsätzlichen Antworten verweisen, auch die der Kollegen, die an dieser Stelle bereits für das Auswärtige Amt gesprochen haben.

ZUSATZFRAGE JUNG: Die welche sind?

SASSE: Zum Einsatz von Drohnen und auch zu Ramstein haben wir uns an dieser Stelle vielfach geäußert, und ich möchte das an dieser Stelle nicht noch einmal wiederholen.

ZUSATZ JUNG: Aber Sie sind doch nach jedem bekannt gewordenen US-Drohnenangriff, der via Ramstein abgelaufen sein könnte, dazu verpflichtet, bei den Amerikanern nachzufragen, ob das eine völkerrechtliche Grundlage hat.

SASSE: Auch diesen Punkt haben Sie in der Vergangenheit schon wiederholt angesprochen, Herr Jung, und ich möchte Sie einfach auf die Ausführungen der Vergangenheit hierzu verweisen.

FRAGE HOENIG: Der polnische Premierminister hat in einem Interview die EU-Kommission gewarnt, sie löse einen Dritten Weltkrieg aus, wenn die EU-Kommission im Streit um die Justizreform Geld zurückhalte. Wie bewertet die Bundeskanzlerin diese Aussagen?

STS SEIBERT: Wir haben diese Äußerungen des polnischen Regierungschefs zur Kenntnis genommen. Die Bundeskanzlerin hat sich nach dem Europäischen Rat in Brüssel Ende letzter Woche ja ausführlich zum Thema der Rechtsstaatlichkeit, zu Polen und zur Aussprache darüber im Europäischen Rat geäußert.

FRAGE JESSEN: In solchen Fällen, in denen es ja eklatante Unterschiede in der Auffassung gibt, welche Rechte Verträge einräumen und welche nicht, ist wer die Instanz, die juristisch darüber entscheidet, welche Interpretation richtig ist, oder gibt es da keine juristische Instanz, sondern ist das ein politischer Mehrheits- oder sonstiger Abstimmungsentscheid?

STS SEIBERT: Ich muss zugeben, dass ich Ihre Frage jetzt nicht verstehe.

ZUSATZFRAGE JESSEN: Die polnische Seite hat gesagt, auch beim letzten Rat, dass das, was die EU fordere, die Verträge nicht hergeben würden. Deswegen sei das, was möglicherweise als Sanktionen daraus folgt, schlicht und einfach rechtswidrig. Das ist eine andere Position als die der Mehrheit der EU. Wer entscheidet bei einer solchen Konfliktlage, bei der zwei völlig kontroverse Rechtsbeurteilungen gegeneinander stehen, was gilt, oder gibt es eine solche Entscheidungsebene nicht?

STS SEIBERT: Wie wir immer sagen, und das ist ja auch genau so, ist die Europäische Kommission die Hüterin der Verträge. Die polnische Regierung hat beispielsweise gegen den Rechtsstaatsmechanismus, der im vergangenen Jahr als ein langwieriger Kompromiss ausgehandelt worden war, eine Klage eingereicht und ist zum Europäischen Gerichtshof gegangen. Dort wird jetzt zum Beispiel diese Klage gegen den Rechtsstaatsmechanismus im Namen von Polen und Ungarn verhandelt.

ZUSATZFRAGE JESSEN: Das bedeutet, das Urteil, das gefällt werden wird, wird dann so oder so auch für beide Seiten mit ihren im Moment noch kontroversen Einschätzungen bindend und verpflichtend sein. Verstehe ich Sie da richtig?

STS SEIBERT: Ja, das ist der Charakter der rechtlichen Konstruktion des vereinten Europas.

FRAGE JORDANS: Ist denn für Sie die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu dem Thema praktisch das letzte Wort, oder gibt es darüber hinaus noch irgendeine Instanz?

STS SEIBERT: Vielleicht bin ich jetzt nicht Europarechtler genug, aber der Europäische Gerichtshof entscheidet über diese Klage, und seine Urteile sind nach unserer Überzeugung das ist die Haltung, die wir immer vertreten bindend.

FRAGE JUNG: Frau Sasse, die israelische Regierung hat letzte Woche sechs palästinensische NGOs als terroristische Organisationen eingestuft. Wie bewerten Sie diesen Vorgang an sich? Dabei geht es ja hauptsächlich um Menschenrechtsorganisationen.

Fließt an diese Organisationen eigentlich Geld, zum Beispiel von der Bundesregierung?

SASSE: Vielen Dank, Herr Jung, für die Frage. – Wir haben die Meldungen selbstverständlich zur Kenntnis genommen und stehen dazu im Gespräch mit unseren israelischen Partnern. Aus Sicht der Bundesregierung sind die Achtung von Menschenrechten und von Grundfreiheiten sowie die Handlungsfähigkeit einer starken Zivilgesellschaft entscheidend. Dafür setzen wir uns gegenüber unseren Partnern ein, selbstverständlich auch im Nahen und Mittleren Osten. Daher sind wir sehr besorgt über diese israelische Entscheidung.

Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass wir in der Vergangenheit Vorwürfen und Hinweisen zu Verbindungen von möglichen Partnern zu terroristischen Organisationen immer nachgegangen sind und diese Vorwürfe auch sehr ernst genommen haben. Darüber hinaus prüft das Auswärtige Amt fortlaufend die Partnerstruktur unserer Mittler- und Durchführungsorganisationen vor Ort, um eine finanzielle Förderung von terroristischen Aktivitäten aus Mitteln des Auswärtigen Amtes auszuschließen. Die Listung kompletter Organisationen als terroristische Entitäten ist ein Schritt weitreichender politischer, rechtlicher und finanzieller Bedeutung für die Organisationen selbst sowie für deren zivilgesellschaftliches Umfeld. Wir erwarten daher nun weitere Erkenntnisse von der israelischen Seite.

ZUSATZFRAGE JUNG: Bezieht sich das auf die Aussagen des Verteidigungsministers, der gesagt hat, dass große Geldsummen von europäischen Ländern und internationalen Organisationen an diese palästinensischen NGOs geflossen sind? Ich hatte ja gefragt, ob zum Beispiel Al-Haq oder die anderen fünf, die jetzt als terroristische Organisation eingestuft wurden, mit deutschem Geld in den letzten Jahren gefördert wurden.

SASSE: Vielleicht zunächst zu den Äußerungen von Herrn Gantz, die Sie erwähnen: Diese Äußerungen werde ich hier an dieser Stelle nicht im Detail kommentieren.

Ich kann Ihnen zur Zusammenarbeit mit den Organisationen sagen, dass deutsche Organisationen in den letzten Jahren Projekte von einigen dieser NGOs, die betroffen sind, über Durchführungsorganisationen unterstützt haben. Derzeit laufen jedoch noch die Prüfungen dessen, was die konkreten Konsequenzen der Projektarbeit sind, und zwar nicht nur innerhalb der Bundesregierung, sondern auch innerhalb der Mittlerorganisationen sowie zum Beispiel innerhalb der politischen Stiftungen. Wir befinden uns auch darüber im Gespräch mit unseren israelischen Partnern. Die nun aufgelisteten NGOs haben sich allgemein etwa für den Schutz von Menschenrechten und im Besonderen unter anderem für die Rechte von Frauen, Kindern und Beschäftigten in prekären Arbeitsverhältnissen eingesetzt.

FRAGE LAWRENZ: Herr Jung, Sie hatten ja nach den im Sudan eingesetzten Polizeibeamten gefragt. Dazu kann ich Ihnen Folgendes sagen: Im Rahmen der Mission UNITAMS halten sich momentan vier deutsche Polizeibeamte im Sudan auf. BMI und Bundespolizei haben sehr regelmäßigen Kontakt zu den Einsatzkräften. Deren Sicherheit ist gewährleistet. Ansonsten beobachtet die Bundesregierung die Sicherheitslage vor Ort natürlich sehr aufmerksam.

ZUSATZFRAGE JUNG: Was machen die vier denn vor Ort? Arbeiten die jetzt noch mit dem weggeputschten Regime oder mit dem neuen Putschregime zusammen? Wie ist das?

LAWRENZ: Die Polizisten haben natürlich ihre Aufgabe, die an der Mission hängt, und ich gehe davon aus, dass diese fortgesetzt wird.

ZUSATZFRAGE JUNG: Wir haben ja jetzt einen Machtwechsel. Arbeiten die jetzt, egal wer dort an der Macht ist, mit wem auch immer zusammen?

LAWRENZ: Das reiche ich nach.

FRAGE LANGE: Ich wollte bitte noch einmal dem Gesundheitsministerium eine Frage stellen, die ich vorhin vergessen hatte, und zwar die Frage nach der Entscheidung in den USA, den BioNTech/Pfizer-Impfstoff für 5- bis 11-Jährige im Rahmen einer Notfallzulassung zuzulassen. Ich hätte gerne gewusst, ob Sie dazu eine Stellungnahme abzugeben haben und ob Sie vielleicht auch schon irgendwelche Signale von der europäischen Arzneimittelbehörde bekommen haben, weil die ähnliche Zulassung ja auch auf europäischer Ebene beantragt worden ist, wenn ich es richtig weiß.

GÜLDE: Genau, damit liegen Sie ganz richtig. Es gibt einen entsprechenden Antrag bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur. Diese Entscheidung warten wir halt eben tatsächlich auch ab. Alles Weitere wird man dann sehen.

 

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