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Bundesregierung für Desinteressierte: BPK vom 2. September 2022

Themen: Einigung über Entschädigung für Hinterbliebene der Opfer des Olympia-Attentats 1972 in München, Termine des Bundeskanzlers (Empfang des israelischen Staatspräsidenten, Empfang der Preisträgerinnen und Preisträger des 57. Bundeswettbewerbs „Jugend forscht“, Besuch des ABB-Ausbildungszentrums in Berlin-Pankow, Haushaltsberatungen im Deutschen Bundestag, Gedankenaustausch mit Leiterinnen und Leitern deutscher Auslandsvertretungen, Teilnahme an einer Kabinettssitzung der Landesregierung des Saarlandes, Gespräch mit dem Präsidenten des Europäischen Rates, Eröffnungsveranstaltung der 150. Baden-Badener Unternehmer-Gespräche), mögliche Schließung der Internetplattform Qantara, Begräbnis Michail Gorbatschows, Forderung aus Polen nach Reparationszahlungen aufgrund der Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg, Äußerungen der Bundesaußenministerin in Prag zur Ukraine, Koalitionsausschuss, geplante Entlastungsmaßnahmen, Tod des Vorstandsvorsitzenden des russischen Ölkonzerns Lukoil, Gasumlage, Bericht des Hochkommissariats für Menschenrechte über die Lage in der chinesischen Region Xinjiang, Energieversorgung und -preise, Sofortprogramm des Verkehrsministeriums zur Einhaltung der Klimaziele, Seenotrettung im Mittelmeer

Themen/Naive Fragen:
00:00 Beginn
00:19 Statement zu Opfern des 1972 Attentats München
04:31 Hans zum Attentat 1972
09:59 Tilo zu Qantara.de
13:10 Hans zu Kürzungen des Auswärtigen Amts
13:46 Begräbnis Gorbatschow
14:52 Reparationen an Polen WWII
15:44 Hans zu Reparationen
21:35 Baerbocks Äußerungen zu Ukraine
30:14 Entlastungspaket III
31:48 Hans zu Problemen bei Direktzahlungen
37:40 Tilo zum Tod des Lukoil-Chefs
40:10 Gasumlage
45:53 Tilo zu Anti-Boni-Kriterium bei Gasumlage
47:37 Uiguren/China
53:17 Tilo zu Uiguren
54:53 AKW-Stresstest
56:16 Gaslieferung/Nord Stream 1
57:25 Gaspreisdeckel
59:16 Klima-Sofortprogramm Verkehrsministerium
1:01:06 Hans zu Seenotrettung im Mittelmeer
1:05:24 Tilo zu staatlicher Seenotrettung
1:06:53 Gaspreise

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Komplettes BPK-Wortprotokoll vom 2. September 2022:

VORS. DETJEN eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt STS HEBESTREIT sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

STS HEBESTREIT: Herzlich willkommen auch von mir! Ich beginne damit, an dieser Stelle noch einmal unsere Freude und Erleichterung darüber zu äußern, dass es gelungen ist, den Opfern des schrecklichen Attentats von München 1972 ein würdiges Gedenken zu ermöglichen. Ich kann nun auch im Namen des Bundeskanzlers sagen, dass er sich über die erzielte Einigung mit den Familien der Opfer sehr freut. Es ist gut, dass auch die Aufarbeitung der Geschehnisse Teil dieser Einigung ist. Deutschland stellt sich hier seiner Verantwortung. Es sind weiterhin Fragen offen, die nun hoffentlich beantwortet werden können. Das ist eine große Erleichterung; so empfindet es auch der Bundeskanzler.

Unser tiefes Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen der Opfer; denn wir wissen um ihren gewaltigen Schmerz, ihre Trauer und ihr Leid. Wir sehen es als Verpflichtung des deutschen Staates an, dem Attentat und seiner Opfer zu gedenken, auch über den 50. Jahrestag hinaus, und uns jeden Tag aufs Neue für ein friedvolles Miteinander einzusetzen.

Nach nunmehr 50 Jahren schafft die heutige Bundesregierung die Voraussetzungen dafür, ein sehr schmerzhaftes Kapitel in der gemeinsamen deutsch-israelischen Geschichte aufzuarbeiten und angemessen zu würdigen. Hierzu hat sie gemeinsam mit den Familien der Hinterbliebenen ein Dreisäulenkonzept erarbeitet. Über Jahre hinweg quälende offene Fragen des Ablaufs der Ereignisse sollen nun endlich beantwortet, Lücken in der Aufarbeitung geschlossen und so der Ausgangspunkt für eine neue lebendige Erinnerungskultur geschaffen werden.

Die Gedenkveranstaltung zum 50. Jahrestag nehmen wir zum Anlass für eine klare politische Einordnung der Geschehnisse. Deutschland bekräftigt seine Verantwortung für die Fehler, die 1972 vor Ort, aber auch in den Jahrzehnten danach begangen worden sind. Ferner erhalten die Familien eine angemessene Entschädigung als Anerkennung für ihr jahrzehntelanges Leid.

Der kommende Montag, genau 50 Jahre nach dem Attentat auf israelische Sportler, an dem Ort, wo dieses schreckliche Ereignis stattfand, wird für die Hinterbliebenen ein schwerer Gang. Deutschland wird besonders an diesem Tag Seite an Seite mit den Hinterbliebenen stehen.

FRAGE JORDANS: Herr Hebestreit, können Sie uns sagen, wie hoch diese angemessene Entschädigung sein wird, welche Fragen noch offen sind und welche Fehler Sie meinen, die nach dem Attentat begangen wurden?

STS HEBESTREIT: Da würde ich gerne an das zuständige Bundesministerium des Innern abgeben.

KALL: Vorweg kann ich erst einmal sagen, dass auch die Bundesinnenministerin unser Ministerium hat ja die Verhandlungen, die sehr schwierig waren, gemeinsam mit vielen anderen geführt sehr erleichtert und dankbar für die Verständigung mit den Familien der Opfer des Olympia-Attentats von 1972 ist. Sie versteht und sieht auch, wie schwierig es war, das Vertrauen durch die Opferfamilien entgegenzubringen nach so langer Zeit, in der zu wenig Aufarbeitung erfolgt ist. Umso wichtiger ist es, dass die deutsch-israelische Historikerkommission eingerichtet wird und diesen Fragen nachgeht. Das sind sicherlich vielfältige Fragen, die sich rund um den Anschlag selbst, den damaligen Polizeieinsatz und die Reaktion der Behörden drehen, aber auch um die Zeit danach und die Fragen der Aufarbeitung und der Unterstützung der Opfer.

Der Bundesinnenministerin ist es generell sehr wichtig das gilt für die Opfer von München 1972, aber auch für andere Anschläge , Menschen, deren Leben durch Anschläge dramatisch verändert wurde, mit mehr Empathie und mehr Unterstützung zu begegnen. Das geschieht jetzt auch hier nach langer Zeit.

Die Höhe der Entschädigung darüber ist schon vielfach berichtet worden bzw. der Unterstützung für die Opferfamilien beträgt insgesamt 28 Millionen Euro. Davon kommen 22,5 Millionen Euro vom Bund, 5 Millionen Euro vom Freistaat Bayern und eine halbe Million Euro von der Landeshauptstadt München, die insofern gemeinsam die israelischen Familien der damals Getöteten unterstützen.

FRAGE JESSEN: Herr Hebestreit, hält die Bundesregierung es eigentlich für angemessen oder notwendig, dass sich Palästinenserorganisationen oder deren politische Führung bei den Opfern entschuldigen? Die Anschläge damals waren ja von Terrorkommandos aus den Reihen von Palästinensern verübt worden.

STS HEBESTREIT: Ich glaube, in dieser Frage und in dieser Situation ist es jetzt nicht an Deutschland, eine solche Entschuldigung zu verlangen. Wir haben im Augenblick eigene Fehler aufzuarbeiten, und das tun wir.

ZUSATZFRAGE JESSEN: Verlangen ist das eine, es aber für richtig zu halten, wäre etwas anderes. Würden Sie es für richtig und angemessen halten, wenn die derzeitige Führung der Palästinenser dies täte?

STS HEBESTREIT: Ja, das würde ich.

FRAGE JORDANS: Ist diese Thematik mit der palästinensischen Seite in letzter Zeit besprochen worden, beispielsweise bei dem Besuch von Herrn Abbas?

STS HEBESTREIT: Nein.

Jetzt, wie üblich am Freitag, die öffentlichen Termine des Bundeskanzlers in der kommenden Woche.

Von Sonntag bis Dienstag ist der Staatspräsident Israels, Jitzchak Herzog, auf Einladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf Staatsbesuch zu Gast in Deutschland. Am Montag, 5. September, um 9 Uhr wird ihn Bundeskanzler Scholz zu einem Gespräch empfangen. Gesprächsthemen werden die bilateralen Beziehungen und regionale Themen sein.

Am Dienstag, 6. September, gegen 8.40 Uhr, spricht Bundeskanzler Scholz zusammen mit dem israelischen Staatspräsidenten mit der Bundestagspräsidentin, Bärbel Bas, sowie weiteren Vertretern der Verfassungsorgane.

Im Anschluss, um 9 Uhr, hält Präsident Jitzchak Herzog eine Rede vor dem Deutschen Bundestag, der dafür eine Sonderveranstaltung angesetzt hat. Auch daran wird der Bundeskanzler teilnehmen.

Ebenfalls am Dienstag empfängt der Bundeskanzler um 11.30 Uhr die Preisträgerinnen und Preisträger des 57. Bundeswettbewerbs „Jugend forscht“ im Kanzleramt. Während des Empfangs wird der Bundeskanzler auch den Gewinner des mit 3000 Euro dotierten „Sonderpreises des Bundeskanzlers für die originellste Arbeit“ auszeichnen und lässt sich das Projekt vorstellen. Preisträger in diesem Jahr ist Cornelius-Ägidian Quint, 18 Jahre alt, aus Schleswig-Holstein. Im Fachgebiet Biologie entwickelte er eine Möglichkeit, wie sich Moose auf ehemaligen Moorflächen schneller wieder ansiedeln lassen, um diese zu renaturieren. Die Veranstaltung kann über einen Livestream auf www.bundesregierung.de verfolgt werden.

Nach dieser Veranstaltung, also immer noch am Dienstag, wird der Bundeskanzler ab 13.30 Uhr das ABB-Ausbildungszentrum in Berlin-Pankow besuchen. Dieses Ausbildungszentrum bietet für kleine und mittlere Betriebe eine Verbundausbildung in verschiedenen dualen Ausbildungsberufen im Bereich Metall- und Elektrotechnik an. Zum Start des Ausbildungsjahres wird der Bundeskanzler etwa 180 Ausbildungsanfängerinnen und anfänger sowie Ausbilderinnen und Ausbilder in einer kurzen Rede begrüßen. Anschließend wird er einen Rundgang durch die Ausbildungswerkstatt machen. Danach wird er eine neue Fertigungsanlage für die Aus- und Fortbildung, die „Lernfabrik 4.0“, eröffnen. Zum Abschluss wird es ein Erinnerungsfoto des Bundeskanzlers mit den Auszubildenden geben.

Wie Sie sicherlich wissen, steht die kommende Woche im Deutschen Bundestag ganz im Zeichen des Bundeshaushalts 2023. Im Rahmen der Generaldebatte wird der Bundeskanzler am Mittwoch, 7. September, ab 9 Uhr im Bundestag eine Rede halten. Wegen der Haushaltswoche des Parlaments findet in der kommenden Woche keine Kabinettsitzung statt.

Aus Anlass der 20. Botschafterkonferenz des Auswärtigen Amtes, die schon am Montag dieser Woche beginnt, wird der Bundeskanzler am Donnerstag, 8. September, um 9 Uhr die Leiterinnen und Leiter deutscher Auslandsvertretungen zu einem Gedankenaustausch im Bundeskanzleramt empfangen. Der Termin ist nicht presseöffentlich.

Am Nachmittag wird der Bundeskanzler ab 15 Uhr auf Einladung der Ministerpräsidentin des Saarlandes, Anke Rehlinger, an einer Kabinettsitzung der Landesregierung des Saarlandes teilnehmen. Die Kabinettsitzung findet in der Vertretung des Saarlandes beim Bund in Berlin statt. Gegen 15.50 Uhr ist ein Pressestatement vorgesehen.

Am Freitag, den 9. September, wird Bundeskanzler Scholz um 15 Uhr den Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel, zu einem Gespräch zu aktuellen europapolitischen Fragen im Bundeskanzleramt empfangen.

Am Samstag, den 10. September, nimmt der Bundeskanzler an der Eröffnungsveranstaltung der 150. Baden-Badener Unternehmer-Gespräche (BBUG) teil. Er wird gegen 13.15 Uhr eine Rede halten und sich anschließend Fragen aus dem Publikum stellen. Die Veranstaltung steht unter dem Motto „Generation BBUG Transformation meistern!“. Der Termin ist presseöffentlich.

So weit von mir zu diesem Zeitpunkt.

FRAGE JUNG: Die Plattform Qantara soll bis Ende des Jahres dichtgemacht werden. Dazu gibt es jetzt einen großen Aufschrei, sowohl von den Autorinnen und Autoren, die dafür schreiben, als auch von der Community, an die das in der arabischen Welt gerichtet ist. Warum wurde den Mitarbeitern ohne Begründung mitgeteilt, dass dieses Ausnahmeprojekt Deutschlands bis Ende des Jahres dichtgemacht werden soll, Herr Burger?

BURGER: Das kann ich in dieser Form nicht bestätigen. Vielleicht ganz grundsätzlich zum Thema Haushalt: Die Einsparungen, die es auch im Haushalt des Auswärtigen Amtes in diesem und im kommenden Jahr gibt, stellen einen Einschnitt dar. Wir hätten sie natürlich am liebsten vermieden. Außenministerin Baerbock hat sich in den Haushaltsverhandlungen auch persönlich sehr dafür eingesetzt. Nichtsdestotrotz musste das Auswärtige Amt die rückläufigen Haushaltszahlen angesichts der enormen Herausforderungen, vor denen Deutschland insgesamt im Moment steht, hinnehmen. Fakt ist: Das Auswärtige Amt hat dieses Jahr globale Minderausgaben zu leisten, wie auch andere Ministerien. Davon sind auch die Mittler in der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik betroffen.

Zum Thema Qantara: Wir stehen auf ganz vielfältige Art und Weise im Austausch mit den Menschen in der arabischen Welt. Das ist Kern unserer Arbeit. Das ist auch ein wichtiger Teil der Arbeit unserer Botschaften und Generalkonsulate in der Region. Wir sprechen mit unseren Partnern in der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik intensiv darüber, wie wir strategische Priorisierungen so vornehmen können, dass diese wichtige Arbeit effizient und zielgerecht fortgesetzt werden kann. Wir sprechen in diesem Zusammenhang auch mit der Deutschen Welle über die Zukunft von Qantara. Meines Wissens sind diese Gespräche noch nicht beendet.

ZUSATZFRAGE JUNG: Es gibt Mitarbeiter, denen mitgeteilt wurde, dass die jährliche Förderung des Auswärtigen Amtes von 380 000 Euro eingestellt wird. Ist das falsch?

BURGER: Wie gesagt: Ich kann das in dieser Form nicht bestätigen. Meines Wissens sind die Gespräche, die wir mit der Deutschen Welle über die Zukunft von Qantara führen, noch nicht abgeschlossen.

FRAGE STEINER: Wenn Sie so betonen, dass Sie das in der Form nicht bestätigen können, können Sie das überhaupt bestätigen?

BURGER: Ich kann bestätigen, wie ich es eingangs getan habe, dass das Auswärtige Amt in diesen und im nächsten Jahr Haushaltskürzungen hinnehmen musste, so wie auch viele andere Ministerien. Das ist etwas, was wir gerne vermieden hätten, aber was angesichts der Gesamtlage, in der sich das Land im Moment befindet, nicht ganz zu vermeiden war. Deswegen sprechen wir mit den Mittlerorganisationen, die diese wichtige Arbeit der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik leisten, sehr intensiv darüber, wie wir verhindern können, dass strategische Prioritäten in dieser Arbeit mehr als unbedingt nötig dadurch in Mitleidenschaft gezogen werden, und wie wir Mittel so priorisieren und einsetzen können, dass die Prioritäten unserer Arbeit sinnvoll fortgesetzt werden können.

FRAGE JESSEN: Herr Burger, könnten Sie einmal die Schwerpunkte der Einsparungen nennen, die Sie im Etat vornehmen werden?

BURGER: Da kann ich am besten auf das Bundeshaushaltsgesetz verweisen, in dem das transparent nachlesbar ist. Ich habe jetzt keine Aufstellung dabei. Aber fast nichts in der Politik ist so transparent wie der Bundeshaushalt.

FRAGE DR. RINKE: Ich habe eine Frage zum Begräbnis von Herrn Gorbatschow. Herr Hebestreit, ich hätte ganz gerne gewusst, ob sich die Bundesregierung geeinigt hat, ob sie einen offiziellen Vertreter zu diesem Begräbnis schickt.

STS HEBESTREIT: Ich kann da nur an das Auswärtige Amt verweisen.

BURGER: Ich kann Ihnen dazu sagen, dass die Bundesregierung durch den Geschäftsträger unserer Botschaft in Moskau vertreten sein wird. Dazu als Hintergrundinformation: Der deutsche Botschafter in Moskau, Herr von Geyr, kann aufgrund eines positiven Coronatests nicht selbst teilnehmen. Deshalb wird sein protokollarischer Vertreter anwesend sein.
ZUSATZFRAGE DR. RINKE: Es gibt Berichte, dass möglicherweise auch deutsche Prominente wie beispielsweise Herr Schröder an diesen Feierlichkeiten teilnehmen werden. Wäre das dann mit der Bundesregierung abgestimmt, oder würde er das als Privatperson tun?

BURGER: Zu solchen Plänen ist mir nichts bekannt. Wie gesagt: Die Bundesregierung wird durch den Geschäftsträger der Botschaft vertreten sein.

FRAGE JORDANS: Ich wollte fragen, ob es von deutscher Seite eine Reaktion auf die erneute Forderung aus Polen nach Reparationszahlungen für die Zerstörungen und das Unrecht im Zweiten Weltkrieg gibt. Herr Burger oder Herr Hebestreit, ich denke, Sie haben dazu sicherlich etwas vorbereitet.

BURGER: Ich kann Ihnen dazu gerne sagen: Die Bundesregierung hat diese Veröffentlichung zur Kenntnis genommen. Die Haltung der Bundesregierung zu Reparationsforderungen, die wir hier schon vielfach erörtert haben, ist aber unverändert. Diese Frage ist aus Sicht der Bundesregierung abgeschlossen.

FRAGE JESSEN: Abgeschlossen stimmt auf der einen Seite. Auf der anderen Seite: Der Abschluss erfolgte ja auf der Grundlage dessen, dass die damalige Sowjetunion die Zahlungen für abgeschlossen erklärte und dass sich dann die kommunistische polnische Regierung dem anschloss. Das ist nicht unbedingt das, was man eine freie Entscheidung nennen könnte. Möchten Sie wirklich sagen, abgeschlossen auf Grundlage einer nicht freien, sondern unter Druck zustande gekommenen politischen Entscheidung ist die dauerhafte Position der Bundesregierung?

BURGER: Vielleicht noch etwas breiter: Selbstverständlich ist die Verantwortung, die Deutschland für die während des Zweiten Weltkriegs begangenen Verbrechen trägt, niemals abgeschlossen. Dazu stehen wir in politischer und moralischer Hinsicht völlig eindeutig. Diese Fragen werden in dieser Form nie abgeschlossen sein.

Auf rechtlicher Ebene sind diese Fragen abgeschlossen. Der Verzicht auf weitere Reparationen ist, wie Sie erwähnt haben, von Polen im Jahr 1953 erklärt worden. Diesen Verzicht hat die polnische Regierung seither mehrfach erneut bekräftigt, beispielsweise im Rahmen der Verhandlungen über den Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Polen vom 7. Dezember 1970 und auch in einer Bekanntmachung des Ministerrats vom 19. Oktober 2004, in der die Mitteilung der Regierung der Volksrepublik Polen vom 23. August 1953 über den Verzicht auf Kriegsreparationen durch die Regierung der Republik Polen als verpflichtend anerkannt wurde. Auch den Zwei-plus-Vier-Vertrag als abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland hat Polen im Rahmen der Charta von Paris am 21. November 1990 ohne Vorbehalte begrüßt.

ZUSATZFRAGE JESSEN: Ich glaube, im Zwei-plus-Vier-Vertrag wurde dieses Thema gar nicht weiter vertieft. Dennoch die Frage: Die polnische Forderung wird von Beobachtern aus Polen vor allem auch als Forderung an die Bundesregierung und andere deutsche Institutionen angesehen, die Schuld und die Verantwortung Deutschlands für die Verwüstung Polens stärker zu kommunizieren und stärker im deutschen Bewusstsein zu verankern. Nehmen Sie diesen Appell an? Was gedenkt die Bundesregierung, wenn sie ihn annimmt, in dieser Hinsicht zu tun?

BURGER: Das ist ein Thema, das der Bundesregierung sehr am Herzen liegt, nämlich die Erinnerung an die deutsche Verantwortung und die deutsche Schuld für das von Deutschen im Namen Deutschlands, von Deutschland in Polen im Zweiten Weltkrieg angerichtete unermessliche Leid in Deutschland lebendig zu halten. Dazu hat es in der letzten Legislaturperiode eine Entscheidung des Deutschen Bundestages gegeben, dass wir dafür einen Ort in Berlin einrichten, der als ein Vehikel dazu dienen soll.

Außerdem ist das ein Thema, das wir sowohl im Auswärtigen Amt als auch in anderen Stellen in der Bundesregierung, beispielsweise im Rahmen der Jugendarbeit, sehr intensiv betreiben. Das ist uns selbstverständlich auch in allen Gesprächen, die wir mit der polnischen Regierung führen, ein großes Anliegen. Dazu kann ich Sie auf die Äußerungen der Außenministerin bei ihrem Antrittsbesuch in Warschau im letzten Dezember verweisen, bei dem auch dieses Thema eine große Rolle gespielt hat.

FRAGE STEINER: Ich würde ganz gern einfach erst einmal verstehen: Wie ist diese Forderung bzw. diese Summe oder wie auch immer – jetzt überhaupt an die Bundesregierung herangetragen worden? Ist bei Ihnen überhaupt offiziell etwas aufgeschlagen, oder wurde das eigentlich nur in Polen diskutiert?

BURGER: Dort ist gestern eine Veröffentlichung öffentlich vorgestellt worden. Eine offizielle Geltendmachung einer Forderung gegenüber der Bundesregierung ist bisher nicht erfolgt.

FRAGE DR. RINKE: Herr Burger, ich möchte nachfragen, was das heißt. Rechtlich haben Sie das jetzt beschrieben. Es wäre ja trotzdem denkbar, dass die Bundesregierung irgendeine Form wählt, um auf die polnische Seite zuzugehen, beispielsweise in Form von freiwilligen Zahlungen, indem man klarmacht, dass das rechtlich nicht bindend oder nicht verpflichtend ist, dass man das aber trotzdem macht, oder neue Initiativen zum gemeinsamen Gedenken. Können Sie sagen, ob in diese Richtung irgendwelche Aktivitäten geplant sind?

BURGER: Wie gesagt: Zur rechtlichen Frage der Reparationen sind aus unserer Sicht keine Gespräche geplant, weil diese Frage aus Sicht der Bundesregierung abgeschlossen ist.

Zu dem Thema Erinnerung habe ich gerade ausführlich berichtet. Ja, das wird ein Thema bleiben, bei dem sich die Bundesregierung sehr engagiert, weil es uns ein Herzensanliegen ist.

ZUSATZFRAGE DR. RINKE: Ich habe meine Frage schlecht ausgedrückt. Ich meine über das hinaus, was Sie erwähnt haben, ob neue Initiativen geplant sind, weil die polnische Seite ja erkennbar einen Schritt weitergegangen ist als bisher. Sind neue Initiativen geplant, oder würden Sie sagen, wir haben schon diesen Dialog über das gemeinsame Erinnern, und das reicht?

BURGER: Zum Thema Reparationen sind keine neuen Gespräche vonseiten der Bundesregierung geplant.

FRAGE GAVRILIS: Auch ich habe eine Frage an das Auswärtige Amt. Der Ministerin wird vor allem in sozialen Medien vorgeworfen, als deutsche Außenministerin die ukrainischen Interessen über die der eigenen Bevölkerung zu stellen. Da wird Bezug auf ihre Äußerungen in Prag genommen. Wie verhält sich das Auswärtige Amt zu diesen Vorwürfen?

BURGER: Vielen Dank für die Frage. Ich darf Sie in diesem Kontext auf einen Tweet unseres Beauftragten für Strategische Kommunikation und Public Diplomacy, Herrn Ptassek, von gestern hinweisen, in dem er dieses Phänomen in den sozialen Medien eingeordnet hat.

Ich glaube, es ist in einer Phase wie jetzt sehr wichtig, dass man, wenn beispielsweise Videos, die erkennbar geschnitten sind, in sozialen Medien massenhaft verbreitet und mit einer gewissen Deutung versehen werden, mit einer nicht wörtlichen Wiedergabe von Dingen, die da gesagt worden sein sollen, sehr genau hinschaut und sich bemüht, Aussagen erst einmal in ihrem ursprünglichen Kontext zu verstehen, bevor man so etwas weiterverbreitet. Dazu hat es gestern eine ganze Reihe von Analysen gegeben, auch von unabhängigen Fact-Checking-Portalen und von anderen, die sich die Entstehungs- und die Verbreitungsgeschichte dieses Videoschnipsels angesehen und dazu erklärt haben, aus welcher Ecke das zunächst einmal verbreitet worden ist.

Die Ministerin hat am Mittwoch bei einer Podiumsdiskussion in Prag gesprochen. Da waren auch viele Journalistinnen und Journalisten anwesend. Sie hat dort auf die Frage nach der deutschen Politik gegenüber der Ukraine ausführlich drei Argumente vorgetragen, die diejenigen von Ihnen, die die Außenministerin ein bisschen enger verfolgen, sehr gut kennen, nämlich erstens, dass es wichtig ist, gegenüber der Bevölkerung offen und klar zu kommunizieren und keine falschen Erwartungen zu wecken, dass diese Krise schnell vorbei sein wird, sondern ehrlich zu sein. Es kann sein, dass dieser Krieg noch lange dauert. Wir müssen in der Lage sein, die Unterstützung, die wir für richtig halten, so lange durchzuhalten, wie es erforderlich ist.

Zum Zweiten müssen wir bei der Gestaltung von Sanktionen sehr darauf achten, dass sie so sind, dass wir sie auf Dauer durchhalten können und dass wir nicht nach kurzer Zeit sagen müssen: Russland setzt seinen Angriffskrieg zwar unvermindert fort, aber trotzdem müssen wir jetzt diese Sanktionen beenden.

Zum Dritten ist es wichtig, um die Unterstützung in der Bevölkerung zu erhalten, dass wir die sozialen Härten, die sich beispielsweise aus der Tatsache ergeben, dass Russland Energie als Waffe gegen uns nutzt, abfedern, gerade mit Blick auf die Zusatzbelastungen, die jetzt auf alle in Deutschland zukommen und die natürlich besonders diejenigen, die einkommensschwächer sind, mit besonderer Härte treffen. Deswegen ist es ganz entscheidend, dass wir jetzt schlagkräftige Entlastungsmaßnahmen für die Menschen auf den Weg bringen.

Das sind die drei Punkte, die sie im Wesentlichen ausgeführt hat. Das ist in der Sache nicht neu.

ZUSATZFRAGE GAVRILIS: Steht der Satz der Ministerin: „Egal, was meine deutschen Wähler denken“, auch zwei Tage danach noch so?

BURGER: Ich habe gerade versucht darzustellen, in welchem Kontext dieser Satz steht. Die Bundesaußenministerin ist überzeugt davon, dass wir die Unterstützung der Ukraine fortsetzen müssen, dass es im Interesse Deutschlands und auch im Interesse der Bevölkerung Deutschlands ist, dass wir uns in der jetzigen Situation von Russland nicht noch erpressbarer machen, sondern dass wir das, was wir für richtig halten, nämlich der Ukraine beizustehen in ihrem Kampf um ihre Unabhängigkeit, auch in ihrem Kampf zur Verteidigung der europäischen Friedensordnung, auch dann fortsetzen müssen, wenn es in Deutschland daran Kritik gibt.

Zugleich hat sie sehr klar unterstrichen, dass Teil dieser Politik sein muss, die sozialen Folgen, beispielsweise hohe Energiepreise, die sich aus der Tatsache ergeben, dass Russland Energie als Waffe gegen uns einsetzt, abzufedern und alles Notwendige zu tun, um die Menschen mit dieser Belastung nicht alleinzulassen, sondern ihnen klarzumachen, die Bundesregierung tut alles dafür, um den Menschen in dieser Situation beizustehen.

FRAGE KRÜGER: Herr Burger, würden Sie der Einschätzung widersprechen, dass die Formulierung, die sie da gewählt hat, zumindest unglücklich war?

BURGER: Ich würde noch einmal darauf verweisen, dass es sehr wichtig ist, solche Formulierungen nicht aus ihrem Kontext zu reißen, sondern zumindest zu versuchen zu verstehen, in welchem Kontext Äußerungen getätigt werden, und nicht unkritisch und unhinterfragt Interpretationen weiterzuverbreiten, die von sehr interessierter Stelle in die Welt gesetzt werden.

FRAGE STEINER: Herr Hebestreit, hat Herr Scholz zu Formulierungen und Anliegen eine andere, eine abweichende Meinung, oder stellt er sich voll hinter Frau Baerbock?

STS HEBESTREIT: Erst einmal ist der Appell, den auch Herr Burger jetzt deutlich gemacht hat, dass man Zitate und Äußerungen immer in einem Kontext sehen sollte, ein ganz wichtiger. Hier sitzen ja lauter Expertinnen und Experten, die Dinge bewerten und auch sehen können, wenn Schnipsel aus längeren Interviewpassagen oder Reden herausgelöst werden, dass sie anders verstanden werden können, als sie gemeint waren. Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt ist: Es ist natürlich auch eine Aufgabe der Bundesregierung da ist die Außenministerin aus meiner Sicht über jeden Zweifel erhaben , für die Politik, die man vertritt, zu werben, auch in Zeiten, in denen es einmal Gegenwind gibt oder in denen es aufgrund von Härten, die eine solche Politik mit sich bringt, Kritik gibt. Da ist der Bundeskanzler ganz eng an der Seite der Außenministerin, auch alle anderen Ministerinnen und Minister, wenn ich sie jetzt auch vor dem Hintergrund der Kabinettssitzung in Meseberg in den vergangenen Tagen sehe. Da steht man sehr eng beieinander.

Das sind aufregende Zeiten, in denen wir leben. Viele Härten kommen auf uns alle zu. Herr Burger hat das erklärt und auch deutlich gemacht, worüber wir im Augenblick innerhalb der Bundesregierung diskutieren, Stichwort „Entlastung für die gestiegenen Lebenshaltungskosten, die Energiepreise“ und Ähnliches, was viele Leute im Augenblick auch besorgt.

Man muss Verständnis dafür haben, dass Leute das Ganze auch anders sehen. Aber klar ist trotzdem, dass man bei seinen Prinzipien und bei dem bleibt, was man richtig findet. Ich glaube, das ist der Aspekt, den die Außenministerin deutlich gemacht hat das kam in dem Schnipsel etwas kurz , nämlich dass man auch bei Gegenwind nicht umfällt. Mir ist wichtig, dass das jedem bewusst ist. Deswegen ist das für uns alle die Erinnerung, dass die wörtliche Rede immer in einem Kontext passiert.

FRAGE JAHN: Wir wissen, dass an diesem Wochenende ein Koalitionsausschuss stattfinden soll. Wir wüssten gerne mehr: Mit welchen Ergebnissen rechnen Sie? Wann und wo findet dies statt? Ist dann eine Unterrichtung der Presse geplant? Wenn ja, in welcher Form?

STS HEBESTREIT: Nun ist es ja so, dass der Koalitionsausschuss eine Veranstaltung der Koalitionsparteien ist und nicht der Bundesregierung, auch wenn nicht unmaßgebliche Vertreter der Bundesregierung auch im Koalitionsausschuss sind. Ich kann zum jetzigen Zeitpunkt weder den genauen Termin noch alles Weitere mitteilen. Ich habe aber auch gelesen bzw. gehört, dass es am Wochenende einen Koalitionsausschuss geben soll und bereite mich innerlich darauf vor.

ZUSATZ: Wir würden uns auch gern äußerlich darauf vorbereiten.

STS HEBESTREIT: Da bin ich sehr zuversichtlich, dass die dazu einladenden Parteien Sie rechtzeitig über das Wann, Wo und Wie informieren werden. Ich weiß ja auch um die Spontanität. Mein Rat wäre, an diesem Wochenende vielleicht keine großen Ausflüge ins brandenburgische Umland zu planen, damit Sie dann flexibel reagieren könnten.

FRAGE JESSEN: An das Finanzministerium: In der Debatte um die Form der Entlastung vor allem von hohen Energiekosten kristallisiert sich ja eine sehr stark verbreitete mehrheitliche Meinung heraus, dass vor allem untere Einkommensgruppen gezielt entlastet werden sollen, sei es durch Einmalbeträge oder durch eine Deckelung des Energiegrundbedarfs für diese Gruppen. Jetzt hat der Finanzminister erklärt, eine solche direkte Bezuschussung von Bedürftigen würde einen Zeitaufwand von 18 Monaten bedeuten, um das in den Finanzbehörden realisieren zu können. Das ist schwer nachvollziehbar. Warum braucht man 18 Monate, um Direkthilfen auszahlen zu können?

HARTMANN: Sie beziehen sich jetzt auf Äußerungen zu Direktüberweisungen und einem konkreten Modell. Das war bestimmt keine allgemeine Aussage, dass eine Entlastungsmaßnahme 18 Monate lang dauern sollte.

ZUSATZFRAGE JESSEN: Gleichwohl stelle ich diese Frage. Der Vorschlag läuft darauf hinaus, zu sagen, zum einen könne man für die besonders bedürftigen Gruppen, also für die Bezieher von niedrigen Einkommen, durch Direkthilfe 300 Euro oder wie viel auch immer entlasten, zum anderen durch die Deckelung Grundbedarfs von Energie. Darauf bezog sich meine Frage, der Finanzminister hat erklärt, um das umsetzen zu können, müssen man Steuernummer und IBAN zusammenbringen, und dafür bräuchte man 18 Monate. Das bitte ich aufzuschlüsseln. Warum braucht es dafür in Deutschland 18 Monate?

STS HEBESTREIT: Herr Jessen, da würde ich Sie gerne auf das Protokoll der Pressekonferenz nach der Kabinettsklausur in Meseberg verweisen. Da hat der Bundesfinanzminister, wenn ich mich richtig erinnere und ich müsste mich schwer irren, wenn das nicht so wäre , sehr genau aufgeschlüsselt, dass das eine Information aus dem Bundeszentralamt für Steuern ist. Er hat das nicht auf einzelne, sondern auf alle 83 Millionen Bürgerinnen und Bürger dieses Landes bezogen, und darauf, wie lange es dauern wird, die Pläne der Bundesregierung, eine solche Direktauszahlungsmöglichkeit gekoppelt an die Steuer-ID-Nummer zu etablieren, tatsächlich umzusetzen. Darauf bezogen sich die 18 Monate. Es ist also relativ genau aufgeschlüsselt worden. Das können Sie sich da also noch einmal angucken und vielleicht dann im Lichte dessen noch einmal gezielter im Finanzministerium nachfragen.

FRAGE STEINER: Ich habe das Protokoll ganz aufmerksam gelesen. Unter anderem sagte Herr Lindner dort, dass die IT-Systeme ich gehe davon aus, dass er die Systeme vom Bundeszentralamt für Steuern meinte maximal 100 000 Überweisungen zuließen. Nun gibt es natürlich viele andere Bundesbehörden, die diese Summe an Überweisungen bzw. zumindest größere Mengen an Überweisungen regelmäßig vornehmen. Ich habe noch nicht verstanden, ob der Finanzminister an dieser Stelle eine komplett eigenständige Lösung in eigener Verantwortung plant oder möglicherweise auch Systemkapazitäten bei anderen in Anspruch nehmen würde, beispielsweise beim Bundesverwaltungsamt, das ja wesentlich größere Kapazitäten für Überweisungen hat.

STS HEBESTREIT: Ich glaube, genau diese Fragen werden jetzt in dem Verfahren zu klären sein. Ich glaube nicht, dass man sich darauf zurückziehen darf, zu sagen: Weil wir nur 100 000 Überweisungen pro Tag schaffen, finden wir uns damit ab. Wir wissen, dass auch Rentenzahlungen, Gehaltszahlungen und Ähnliches regelmäßig überwiesen werden. Deswegen hat man sich auch bei dem zweiten Entlastungspaket erst einmal darauf verlegt, die Direktzahlungen über die Gehalts- und Lohnzahlungen abwickeln zu lassen, weil das auch technisch einfacher war. Das sind aber eben genau die Fragen, die jetzt miteinander geklärt werden müssen: Was bedeutet das an Daten und welche Wege gibt es da? Denn am Ende darf das natürlich nicht der Flaschenhals sein. Gut ist es ja immer, wenn auch die Führungsspitzen so nenne ich es jetzt einmal solche technischen Probleme einmal selber erfahren, um zu sehen, woran es manchmal liegen kann was man sich so allgemeinhin ja nicht hätte vorstellen wollen.

ZUSATZFRAGE STEINER: An das BMF: Ich würde gerne verstehen, woher Herr Lindner diese Information hatte. War das wirklich der reine Blick auf die dem BMF nachgeordneten Behörden?

HARTMANN: Vielen Dank für die Frage. Vielleicht darf ich dazu noch einmal kurz ausholen. Es geht um das Thema Direktüberweisungen und darum, dass rechtliche Änderungen erforderlich sind, da man die Abgabenordnung ändern muss, um für jede natürliche Person zusätzlich zu ihrer Steuer-ID auch die IBAN in der ID-Nummer-Datenbank speichern zu können. Das ist das Problem. Das ist der erste Schritt, und diese Änderung der Abgabenordnung ist jetzt im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2022 geplant. Das Bundeskabinett wird in Kürze den Regierungsentwurf dieses Gesetzes behandeln. Der Plan ist, das Gesetzgebungsverfahren bis zum Jahresende abzuschließen. Sobald diese Änderung der Abgabenordnung vollzogen ist, ist es möglich, die ID-Datenbank um die IBAN zu erweitern. Die Frage, wofür dieses Verfahren dann genutzt werden kann, ist dann im Einzelnen zu erörtern.

FRAGE JUNG: Noch einmal der Blick nach Russland: Herr Hebestreit und gegebenenfalls Herr Burger, wie bewerten Sie den Tod des Lukoil-Vorstandsvorsitzenden, der aus einem Fenster eines Moskauer Krankenhauses gefallen sein soll?

STS HEBESTREIT: Herr Burger und ich gucken uns an. Dazu liegen mir keine eigenen Informationen oder Erkenntnisse vor; insofern kann ich das nur zur Kenntnis nehmen. Ich nehme ebenfalls zur Kenntnis, dass es in früheren Zeiten bzw. in den letzten Monaten mehrere solche Fälle gegeben hat. Mehr als zur Kenntnis nehmen und mich wundern kann ich aber nicht.

ZUSATZFRAGE JUNG: Da es ja mehrere Fälle gab: Halten Sie das für normal? Denken Sie, dass das alles natürliche Tode gewesen sind?

STS HEBESTREIT: Darüber möchte ich nicht spekulieren.

BURGER: Ich auch nicht.

FRAGE JORDANS: Herr Burger, einer dieser Fälle war ja in Berlin: Soweit ich mich erinnern kann, ist ein Diplomat letztes Jahr aus der Botschaft gestürzt. Hat es da jemals eine Untersuchung vonseiten der deutschen Behörden gegeben? Sie waren dazu ja sicherlich im Kontakt mit den russischen Behörden, weil das ja auf dem Botschaftsgelände passiert ist. Oder haben die russischen Behörden diese Untersuchung verweigert?

BURGER: Ich bemühe mich jetzt sehr, das aus dem Gedächtnis zusammenzukratzen. Ich glaube aber, es wäre seriöser, wenn ich Ihnen die Antwort auf diese Frage nachliefere. Es würde sich parallel sicherlich lohnen, bei der Berliner Staatsanwaltschaft noch einmal nachzufragen, was dort möglicherweise an Ermittlungen stattgefunden hat.

Zu dem Aspekt davon, den wir als Auswärtiges Amt kennen und beurteilen können würden das würde ja im Wesentlichen die Kontaktaufnahme mit der russischen Botschaft und die Vermittlung zwischen der Botschaft und den zuständigen Justizbehörden angehen , werde ich gerne etwas nachliefern. Zur Substanz einer möglichen Ermittlung kann nur die Staatsanwaltschaft etwas sagen.

FRAGE DR. RINKE: Ich habe eine Frage an das Wirtschaftsministerium zur Gasumlage. Frau Baron, angesichts der Debatte über Änderungen oder Nachbesserungen: Wann sollen die denn beschlossen werden? Stimmt es, dass das erst am 14. September ins Kabinett soll? Können Sie uns sagen, welche der Punkte, die Ihr Minister erwähnt hatte, die ja anscheinend noch in der Prüfung waren, jetzt bei einer Änderung umgesetzt werden sollen?

DR. BARON: Einem Kabinettstermin kann ich hier bekanntlich nicht vorgreifen. Wir arbeiten mit Hochdruck an einer Lösung. Die Parameter hatte der Minister ja umschrieben. Es geht darum, den Anwendungsbereich der Umlage einzuschränken wohl wissend, dass es hierfür hohe Hürden mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz und das Beihilferecht gibt. Deshalb geht es eben darum, eine rechtssichere Lösung zu finden. Wir haben die Parameter beschrieben. Die waren dann ja auch Gegenstand in Meseberg; da hatte sich der Minister ja auch zum Thema geäußert und sie eben umschrieben. Sie werden jetzt im Weiteren feinjustiert. Denn klar ist: Wir müssen dafür natürlich regulatorische Änderungen vornehmen, aller Voraussicht nach im Gesetz und in der Verordnung. Zeitpläne kann ich noch nicht nennen.

Ich kann gern noch einmal beschreiben, was der Rahmen ist aber den hatte der Minister, wie gesagt, auch in Meseberg noch einmal ausbuchstabiert. Zum einen ist es so, dass nur diejenigen Unternehmen antragsberechtigt sein sollen, die für die Versorgungssicherheit eine Relevanz besitzen und deren Ausfallmengen also die Menge, die sie aufgrund der Nichtlieferungen aus Russland ersatzbeschaffen müssen eine Relevanz für das Unternehmen haben. Denn wenn jemand im eigenen Unternehmen ausgleichen kann, dann soll das eben auch dort passieren. Die Voraussetzungen sind also Systemrelevanz und Relevanz im Unternehmen selbst, was die Höhe der Ersatzbeschaffungen angeht.

Natürlich werden wir auch klare Regeln treffen für Boni- und Dividendenverbote, also dafür, dass die Ausschüttung von Boni und Dividenden eben nicht stattfinden kann. Denn auch hier gilt: Wer sozusagen über die Umlage Unterstützung bekommt, soll nicht gleichzeitig Boni und Dividende ausschütten.

Der dritte Punkt ist das Thema Transparenz. Auch da werden wir noch einmal schauen, welche Möglichkeiten da gegeben sind immer auch vor dem Hintergrund, dass wir das Problem natürlich auch hier rechtssicher angehen und lösen müssen.

An all diesem wird jetzt im engen Austausch mit den anderen betroffenen Ressorts gearbeitet, um hier schnell zu einer tatsächlichen Regelung zu kommen.

ZUSATZFRAGE DR. RINKE: Werden die regulatorischen Änderungen, die Sie erwähnen, bereits ab dem 1. Oktober gelten, oder wird erst einmal die jetzt beschlossene Umlage eingeführt, die dann später verändert wird?

DR. BARON: Das ist noch in der Prüfung. Wir versuchen, das so schnell wie möglich umzusetzen. Natürlich ist es so, dass jetzt eine Umlage verkündet wurde, die Verordnung und das Gesetz aber vorsehen, dass auch zu weiteren Zeitpunkte die Höhe immer noch einmal veröffentlicht wird und noch einmal angepasst wird. Insofern sind das jetzt eine Art Abschläge, die dann im weiteren Verlauf auch angepasst werden können. Aber was zu welchem Zeitpunkt wirken kann, wird gerade noch geprüft.

ZUSATZFRAGE DR. RINKE: Was würde das bedeuten? Da ja klar ist, dass man ausschließen will, dass Unternehmen, die gar nicht berechtigt sind, Hilfen aus der Gasumlage bekommen, dies aber nach der alten Regelung nicht ausgeschlossen ist, gibt es dann also eine rückwirkende Wirkung einer veränderten Gasumlage? Es kann ja sein, dass ein Unternehmen ich erfinde jetzt eine Zahl eine Milliarde Euro beantragt und auch bekommt, und vier oder sechs Wochen später haben wir plötzlich eine veränderte Verordnung und es stellt sich heraus, dass dieses Unternehmen das Geld gar nicht hätte bekommen dürfen. Was passiert dann?

DR. BARON: Genau das wird jetzt eben noch einmal geprüft. Denn Sie haben recht: Es gibt eine bestehende Regelung, die eben noch einmal geändert werden kann, und dann ist eben die Frage, ob das mit Rückwirkung geändert werden kann oder nicht. Das muss eben verfassungsrechtlich noch einmal abgeklopft werden. Man kann aber dazusagen: Der Zeitraum der Geltung der Umlage ist ja noch nicht abgeschlossen; deshalb prüfen wir, was für Möglichkeiten es da gibt. Die Frage der Rückwirkung ist aber eben auch eine verfassungsrechtliche, die in diesem Kontext abgeklopft werden muss.

FRAGE STEINER: Ich habe das vielleicht nicht so ganz durchdrungen. Das heißt, die Umlage kommt nach aktuellem Stand zum 1. Oktober, wird erhoben, und die Neuregelung könnte dann auch dazu führen, dass die Umlage eigentlich niedriger ausfällt? Das heißt, die Bürger und die Unternehmen zahlen die Umlage dann erst einmal in einer Höhe mit, die dann zu einem späteren Zeitpunkt möglicherweise nach unten korrigiert werden muss, weil es viel weniger Berechtigte gibt? Oder ist die Berechnung der Umlage davon unabhängig?

DR. BARON: Das kann so sein das müssen wir im weiteren Verlauf eben noch sehen. Aber noch einmal: Die Verordnung und das Gesetz sehen ja bereits jetzt vor, dass der Marktgebietsverantwortliche, also Trading Hub Europe, alle paar Wochen die Umlage bekanntgibt und dass sich die Umlage im weiteren Verlauf natürlich auch ändern kann, sodass es zum Zeitpunkt X eine Schlussabrechnung gibt und dann schlussberechnet wird, so wie das ja auch bei anderen Abschlagszahlen geschieht. Wenn Sie da zum Beispiel an Heizkosten denken: Die zahlen Sie ja auch über Abschläge, die dann in einer Schlussabrechnung zusammengeführt werden.

ZUSATZFRAGE STEINER: Kann es denn sein, dass THE noch vor dem 1. Oktober eine Neuberechnung vornimmt?

DR. BARON: Das kann ich jetzt noch nicht mit Sicherheit beantworten.

FRAGE JUNG: Frau Baron, warum war das Kriterium, dass keine Boni und Dividenden ausgeschüttet werden, nicht schon vorher in der Verordnung?

DR. BARON: Ich glaube, das habe ich schon öfter erläutert. Wie gesagt, wir müssen diese Regelungen so abklopfen, dass sie rechtssicher sind und eben auch rechtssicher ausgestaltet werden können. Die verfassungsrechtlichen Hürden sind insgesamt hoch; es gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz und es muss auch das Beihilferecht beachtet werden. Dennoch versuchen wir es jetzt, Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgrundsatz zu rechtfertigen und auch Beihilfefragen zu klären. Im Grundsatz gilt: Je enger Sie den Anwendungsbereich definieren, desto genauer müssen Sie begründen, warum Sie Kriterien und Ausnahmen schaffen. Das tun wir jetzt gerade, und das tun wir eben, damit das rechtssicher ist. Wir sind da, glaube ich, auf einem guten Weg, auch im Austausch mit den anderen betroffenen Ressorts. Es muss aber eben rechtssicher gestaltet werden.

ZUSATZFRAGE JUNG: All das wäre ja schon vorher möglich gewesen. Warum haben Sie das vorher nicht getan?

DR. BARON: Auch das habe ich, glaube ich, schon mehrfach beantwortet. Das vorrangige Ziel dieser Gasumlage ist, die Versorgungssicherheit im Markt zu gewährleisten, die Stabilität der Gasversorgung zu gewährleisten und dafür ein Instrument zu schaffen, dass eben Unsicherheiten bis hin zu Insolvenzen aus dem Markt nimmt und sich im Spannungsfeld des Gleichbehandlungsgrundsatzes und des Beihilferechts bewegen muss. Wir verschließen nicht die Augen vor Problemen. Deswegen lösen wir sie jetzt und deswegen gehen wir die geschilderten Probleme an, und da sind wir auf einem guten Weg.

FRAGE KRÜGER: Das Auswärtige Amt hatte sich ja schon zum Bericht der UN-Menschenrechtsbeauftragten Bachelet zur Situation in China und dem Umgang der Volksrepublik China mit den Uiguren verhalten. Mich würde vonseiten der Bundesregierung interessieren ich weiß nicht, ob Herr Hebestreit, das BMWK oder das Auswärtige Amt etwas dazu sagen wollen , welche Schlussfolgerungen Sie aus diesem Bericht für die wirtschaftlichen Aktivitäten deutscher Unternehmen in diesem Gebiet ziehen und inwiefern dieser Bericht bei der Abfassung der neuen Chinastrategie, die im Auswärtigen Amt zurzeit erarbeitet wird, Berücksichtigung finden wird.

BURGER: Ich fange vielleicht einmal an. Sie haben schon auf das Statement verwiesen, das wir dazu gestern schriftlich abgegeben haben. Der letzte Satz dieses Statements lautet ja: „Über Konsequenzen aus dem Bericht werden wir mit unseren Partnern in der EU und in den Vereinten Nationen beraten.“ Da gibt es verschiedene Stränge. Einer ist sicherlich die nächste Sitzung des VN-Menschenrechtsrats, die am 12. September beginnt; da wird das sicherlich ein Thema sein. Sie haben selbst schon erwähnt, dass wir als Bundesregierung gerade zum ersten Mal an einer Chinastrategie arbeiten. Da wird natürlich auch das Thema Menschenrechte eine Rolle spielen, und natürlich auch die Frage, wie wir unser Verhältnis zu China insgesamt kalibrieren.

Sie wissen sicherlich auch, dass die EU-Kommission angekündigt hat, unter anderem rechtliche Möglichkeiten zu schaffen, den Import von Produkten aus Zwangsarbeit in den europäischen Binnenmarkt zu unterbinden. Das ist ein Vorhaben, das wir als Bundesregierung nachdrücklich unterstützen. Mein Verständnis ist, dass es dazu bald konkrete Vorschläge vonseiten der EU-Kommission geben wird. Das ist sicherlich ein Teil der Antwort.

Wir werden sicherlich auch im Rahmen der Chinastrategie innerhalb der Bundesregierung darüber beraten, wie wir mit dem Thema wirtschaftlicher Abhängigkeiten in Schlüsselsektoren weiter umgehen, und wir werden im Weiteren sicherlich auch darüber sprechen, wie bei der Nutzung von Förderinstrumenten die Menschenrechtslage zu berücksichtigen ist. Dazu gibt es ja heute schon Möglichkeiten da kann das BMWK sicherlich noch etwas ergänzen. Das ist sicherlich ein Thema, über das wir weiter beraten werden.

DR. BARON: Ich könnte noch kurz etwas zu den Export- und Investitionsgarantien als Instrument der Außenwirtschaftsförderung ergänzen. Auch da gilt das von Herrn Burger Gesagte, dass die Bundesregierung der Einhaltung von Menschenrechten, ILO-Standards und Umweltstandards besondere Bedeutung einräumen. Wir übernehmen grundsätzlich keine Deckung für solche Export- und Investitionsgarantien, wenn ein Verstoß gegen zentrale Umwelt-, Menschenrechts- oder Sozialstandards besteht.

Ich möchte auch noch einmal darauf hinweisen, dass es schon erste Handlungen der Bundesregierung gab, bei denen wir das angewendet haben. Wir haben in einigen Fällen, in denen eben nicht ausgeschlossen wurde, dass es Bezug zu den besonders schweren Menschenrechtsverletzungen in der chinesischen autonomen Region Xinjiang gibt, keine Garantien mehr übernommen; das hatten wir auch schon betont. Insofern gilt, dass die Bundesregierung hier schon aktiv ist und diese Standards prüft und einhält.

ZUSATZFRAGE KRÜGER: Es gibt ja namhafte deutsche Unternehmen, die sich in der Vergangenheit auf den Standpunkt gestellt haben, sie hätten keine Kenntnis von den Vorgängen dort. Würden Sie nach diesem Bericht von der juristischen Einschätzung her sagen, dass man jetzt bei deutschen Wirtschaftsakteuren positive Kenntnis dieser Zustände, die in dem UN-Bericht geschildert werden, voraussetzen kann?

BURGER: Ich glaube, grundsätzlich ist es so, dass die Inhalte dieses Berichts traurigerweise in der Sache weitgehend nicht neu sind, sondern nur bestätigen, dass Anlass zu größter Sorge besteht, und natürlich verleiht die sorgfältige Recherche durch das Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Menschenrechte diesen Erkenntnissen noch einmal einen besonderen Nachdruck, ein besonderes Gewicht.

Was das im Einzelnen beispielsweise in der Anwendung des Sorgfaltspflichtengesetzes für einzelne Unternehmen bedeutet, vermag ich hier nicht zu interpretieren ich weiß nicht, ob andere Kollegen sich dazu in der Lage sehen.

DR. BARON: Ich kann das vielleicht nur kurz am Beispiel der Investitionsgarantien ergänzen, wo wir jetzt eben Fälle hatten. Da ist es eben so: Wenn es Projekte oder Unternehmen gibt, die in der besagten Region tätig sind oder Geschäftsbeziehungen zu Einrichtungen in der Region haben oder diese nicht ausschließen können, dann können wir eben agieren und sagen, dass keine Deckungen und keine Garantien mehr übernommen werden.

FRAGE JUNG: Herr Hebestreit, Herr Burger, die Bundesregierung reist ja auch als Kabinett öfter einmal nach China. Kann das Politbüro dort damit rechnen, dass Sie beim nächsten Besuch Xinjiang besuchen?

STS HEBESTREIT: Wie Sie wissen, informieren wir über die Reisen des Bundeskanzlers in der Regel freitags, bevor die Reise losgeht.

ZUSATZFRAGE JUNG: Aber jetzt geht es ja um eine politische Frage. Interessiert sich Herr Scholz, interessiert sich Frau Baerbock dafür, sich das vielleicht auch einmal selbst vor Ort anzugucken, um die Missstände quasi aufzuzeigen?

STS HEBESTREIT: Ich bleibe dabei, dass wir über Reisepläne dann berichten, wenn sie konkret sind.

BURGER: Ich würde zur Einordnung noch ergänzen: Wenn Sie es sich genau ansehen, werden Sie feststellen, dass schon ziemlich lange niemand aus der Bundesregierung nach China gereist ist ich würde vielleicht sogar sagen: seit Januar 2020. Ich hoffe, das stimmt jetzt auch. Das hat damit zu tun, dass Reisen nach China seit dem Ausbruch von COVID mit sehr erheblichen Einschränkungen verbunden sind. Selbst wenn man dorthin reisen würde, wären die Möglichkeiten, sich vor Ort zu bewegen, extrem eingeschränkt. Das ist sicherlich einer der Gründe, warum solche Reisen schon lange nicht stattgefunden haben.

FRAGE JORDANS: Ich hätte eine Frage an Frau Baron zu dem Stresstest. Liegen Ihnen die Ergebnisse inzwischen vor? Wenn ja, gibt es Aussagen über den möglichen Streckbetrieb von Atomkraftwerken?

DR. BARON: Es gibt unterschiedliche Berichterstattungen zum Thema und Spekulationen zum Thema. Die Berichte weise ich zurück. Es gibt noch kein finales Stresstestergebnis. Der Stresstest dauert noch an, sodass es folglich auch noch keine Schlussfolgerungen geben kann. Ich muss also weiter um Geduld bitten. Wenn Ergebnisse vorliegen werden, dann werden wir diese natürlich auch vorstellen und veröffentlichen. Bis dahin muss ich aber um Geduld bitten.

ZUSATZFRAGE JORDANS: Haben Sie eine Vorstellung davon, wann die Ergebnisse zu erwarten sind?

DR. BARON: Das kann ich noch nicht genauer eingrenzen. Wie gesagt, dauert es aktuell noch an. Deswegen muss ich weiter um Geduld bitten. Ich kann das noch nicht in konkreten Daten ausdrücken.

FRAGE DR. DELFS: Frau Baron, haben Sie denn schon irgendwelche neuen Erkenntnisse, was das Wiederanlaufen der Gaslieferungen angeht? Über Nord Stream 1 müsste es ja eigentlich am Samstag wieder zu fließen beginnen. Man hört ja, dass zumindest diese Nominierung, wie man das nennt, schon darauf hindeutet, dass der Gasfluss erst einmal wieder anlaufen wird. Haben Sie dazu entsprechend ähnliche Erkenntnisse vorliegen?

DR. BARON: Wir beobachten die Lage sehr genau. Es ist richtig, dass es jetzt erste Daten der Netzbetreiber gibt, die über erste Nominierungen Auskunft geben. Wir müssen hier noch zur Vorsicht raten und die Lage genau beobachten, da diese Nominierungen zum Teil gemacht und auch wieder zurückgenommen werden können. Einen klaren Sachstand werden wir also erst im Laufe des Samstagmorgens haben. Jetzt können wir die Lage nur genau beobachten.

FRAGE DR. RINKE: Frau Baron, zum Gas, aber zu einem anderen Aspekt, und zwar zum Gaspreisdeckel: Sowohl die SPD als auch die Union haben jetzt einen Gaspreisdeckel für die Grundversorgung von Haushalten gefordert. Der Minister hatte am Mittwoch angekündigt, dass das geprüft werde. Ich hätte jetzt ganz gerne gewusst, wie weit die Prüfung gediehen ist; denn auch mit Blick auf die Sitzung des Koalitionsausschusses, die am Wochenende stattfinden wird, müsste die Bundesregierung sich ja jetzt langsam ein Urteil darüber gebildet haben, ob sie diese Maßnahme möchte oder nicht möchte.

DR. BARON: Ja, das ist natürlich eine Frage, die sich in den breiteren Kontext der Debatte einbettet, wie mit den hohen Preisen umzugehen ist, welche Instrumente die richtigen sind und welche die richtigen Entlastungsinstrumente sind, sodass ich hier jetzt nicht in die Details gehen kann, da dieses Paket ja auf verschiedenen Ebenen diskutiert und beraten wird und ich jetzt nicht Einzelpunkte daraus herausgreifen kann.

ZUSATZFRAGE DR. RINKE: Aber ich habe jetzt nach einem Einzelpunkt gefragt. Mich interessiert nur dieser eine, nämlich dieser Gaspreisdeckel. Das ist auch eine Sache, die Herr Habeck unbedingt klären muss, bevor er zu dem EU-Energieministerrat reisen möchte. Deswegen frage ich: Ist diese Prüfung schon abgeschlossen, oder sind Sie noch unentschieden, ob Sie dieses Instrument nutzen wollen oder nicht?

DR. BARON: Der Minister hatte sich ja in Messeberg geäußert und hat die verschiedenen Aspekte dargestellt. Alles Weitere wird jetzt im Gesamtkontext beraten und dann auch entschieden werden. Dann werden wir noch ein bisschen Zeit haben, bis der Energieministerrat am 9. September stattfinden wird. Bis dann werden wir sicherlich schon anderes kommunizieren können, aber heute kann ich das nicht.

FRAGE JUNG: Frau Baron, Sie schulden uns noch eine Antwort von Montag. Da lautete nämlich die Frage, was denn die rechtlichen Folgen sind, dass der Expertenrat für Klimafragen jetzt dieses sogenannte Sofortprogramm des Verkehrsministeriums abgeschmettert hat.

DR. BARON: Diese Frage hatte ich beantwortet, wenn ich mich richtig erinnere. Das Gesetz sieht eben vor, dass diese Programme vorgelegt werden, dass der Expertenrat sie bewertet und dazu Stellung nimmt und dass der Ball dann sozusagen wieder bei der Regierung liegt, wenn es darum geht, wie sie damit umgeht und wie sie weiter vorgeht. Die Bundesregierung hat sich ja im Koalitionsvertrag auch dazu entschieden, ein Klimaschutzsofortprogramm vorzulegen, das eben aussagt: Wir müssen den Blick weiterspannen. Wir können nicht nur von Jahr zu Jahr schauen, sondern wir müssen eben die Klimaziele bis 2030 erreichen und dafür Programme und Maßnahmen entwickeln. – Das ist sozusagen das „to Do“ der Bundesregierung, und genau dafür befinden wir uns in der Beratung. Wir sind auch davon überzeugt: Wir brauchen dieses Klimaschutzsofortprogramm. Wir brauchen es möglichst noch im September.

ZUSATZ JUNG: Das heißt, diese sogenannte Arbeitsverweigerung des Verkehrsministeriums bleibt rechtlich folgenlos.

DR. BARON: Das Klimaschutzgesetz sieht ja nicht die eine rechtliche Folgekonsequenz vor, sondern besagt, dass es die Aufgabe der Bundesregierung ist, die Einhaltung der Klimaziele sicherzustellen und mit konkreten Maßnahmen zu unterlegen. Das ist jetzt eben die Aufgabe, die vor allem das Klimaschutzsofortprogramm adressieren muss.

FRAGE JESSEN: Meine Frage richtet sich an das BMI und an das AA. Das Thema ist die Seenotrettung im Mittelmeer. Allein im August starben 16 flüchtende Menschen bei Unglücken im Verlauf ihrer Flucht. Im Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung erklärt, sie wolle eine staatlich organisierte Seenotrettung im Mittelmeer ausbauen und unterstützen. Wie weit sind Sie vor dem Hintergrund der Todeszahlen und auch der Klagen von zivilen Hilfsorganisationen darüber, dass Staaten auf Hilferufe nicht reagieren oder Auflagen erhöhen, bezüglich dieser Erklärung im Koalitionsausschuss? Was tut sich da? An welchen Baustellen sind Sie dran? Welche Fortschritte können Sie vermelden?

BURGER: Ich kann anfangen. – Eine gemeinsame europäische, staatlich organisierte Seenotrettung ist, wie Sie richtig sagen, ja ein Ziel, dem sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag verschrieben hat. Das ist ein Thema, das wir mit den europäischen Partnern ansprechen. Es ist jetzt allerdings auch, glaube ich, keine Überraschung, wenn ich sage, dass das auf europäischer Ebene ein dickes Brett ist und dass wir deswegen gleichzeitig natürlich auch an den verschiedenen anderen Ansatzpunkten arbeiten, die es gibt, um die Situation im Mittelmeer konkret zu verbessern. Das betrifft zum einen unsere feste Auffassung, dass die Arbeit privater Seenotretter nicht behindert werden darf. Wir haben hier immer wieder in verschiedenen Einzelfällen davon berichtet, dass wir beispielsweise NGOs dabei unterstützen bzw. flankieren, wenn es um die Frage von Aufnahmehäfen geht. Das ist ein Geschäft, bei dem sowohl die Kolleginnen und Kollegen im BMI als auch bei uns im Haus immer wieder Nachtschichten fahren, wenn solche Fälle auftreten.

Ich glaube, zum Solidaritätsmechanismus kann wahrscheinlich wirklich Max Kall besser und fundierter vortragen und auch alles, was ich zu sagen vergessen habe, sagen.

KALL: Genau! Erst einmal kann ich alles unterstreichen, was Herr Burger gesagt hat. Das gilt natürlich für die Innenministerinnen und Innenminister und die Beratungen in der Europäischen Union genauso. „Dickes Brett“ ist sicherlich richtig gesagt. Deutschland setzt sich dabei für Fortschritte ein. Uns ist das wichtig. Wir sehen die völkerrechtliche Pflicht, Menschen aus Seenot zu retten.

Es gab Ende Juni beim Rat der EU-Innenministerinnen und -Innenminister einen sehr wesentlichen Fortschritt du sagtest es schon , was den Solidaritätsmechanismus angeht, der jetzt endlich in Gang gekommen ist. Deutschland beteiligt sich daran und wird es auch in den nächsten Wochen tun, 3500 Menschen aus den Mittelmeerländern, die aus Seenot gerettet worden sind, per „relocation“ zu übernehmen und in Deutschland aufzunehmen. Endlich gibt es diesen Mechanismus und ist eine lange Blockade im Rat der Innenministerinnen und Innenminister durchbrochen worden, sodass es dabei Fortschritte gibt und es Entlastungen für die Mittelmeeranrainer gibt. Das ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg, und wir sind weiter daran und mit den EU-Partnern im Gespräch.

ZUSATZFRAGE JESSEN: Das Bohren dicker Bretter erfordert ja bekanntermaßen Leidenschaft und Augenmaß. Wann ist der Zustand erreicht, dass Sie sagen können „Wir haben so etwas wie eine staatlich organisierte Seenotrettung“? Wie nah oder wie fern sind Sie von dieser Organisationsform entfernt?

KALL: Aus meiner Sicht sollten Sie diese Frage an die Europäische Kommission und an die europäischen Institutionen richten, die vielleicht insgesamt für die EU sprechen können.

ZURUF JESSEN: (ohne Mikrofon, akustisch unverständlich)

KALL: Wir sind einer von 27 Mitgliedsstaaten, ein wichtiger Mitgliedstaat, ein Staat, der seinen humanitären Verpflichtungen nachkommt, Geflüchtete aufnimmt und jetzt die Mittelmeerländer entlastet, gerade, was die Menschen, die aus Seenot gerettet worden sind, betrifft. Was dabei die Rolle der Bundesregierung ist, haben wir, glaube ich, gerade ausgeführt.

FRAGE JUNG: Könnte denn nicht in der Zwischenzeit, solange es dieses europäische Rettungssystem nicht gibt, die Bundeswehr aushelfen, damit es eben nicht zu diesen monatlichen Todeszahlen kommt? Man ist ja für eine staatliche Seenotrettung. Dann kann man das auch erst einmal in der Zwischenzeit selbst übernehmen!

BURGER: Deutschland ist halt kein Mittelmeeranrainer. Das ist, glaube ich, einer der ganz wesentlichen Aspekte, den man einfach ganz realistisch –

ZURUF JUNG: Es gibt ja trotzdem deutsche Schiffe im Mittelmeer!

BURGER: Die haben sich ja in der Vergangenheit, wenn sie Teil entsprechender Einsätze waren und sozusagen Gelegenheit dazu hatten, im Rahmen der allgemeinen seemännischen Pflicht zur Seenotrettung auch immer wieder daran beteiligt. Nur bleibt es eben dabei, dass die Zuständigkeit für die Seenotrettung zunächst einmal völkerrechtlich geregelt ist. Die trifft eben zunächst einmal die Anrainerstaaten. Ohne sozusagen die Mitwirkung derjenigen, die die Häfen am Mittelmeer kontrollieren, und ohne Mitwirkung und Zustimmung derjenigen, die vor Ort davon betroffen sind, wird sich so etwas de facto nicht durchführen lassen. Das, glaube ich, muss man einfach ganz realistisch sagen. Man kann das nur mit den Mittelmeeranrainern machen.

FRAGE DR. RINKE: Ich muss noch einmal auf das Energiethema zurückkommen. Frau Baron, die Gaspreise sind in den letzten Tagen wieder gesunken. Ich hätte von Ihnen ganz gerne eine Erklärung dafür erhalten, warum das eigentlich so ist.

DR. BARON: Ich kann Ihnen Marktreaktionen natürlich nicht erklären da sind andere Marktakteure gefragt , denn wir können hier natürlich keine Preisprognosen abgeben. Ich kann aber noch einmal verdeutlichen, dass es natürlich wichtig ist, dass wir die Maßnahmen, die wir angestoßen haben, auch entschlossen und konsequent umsetzen. Das betrifft das Thema der Speicherbefüllung. Das betrifft das Thema, eben schwimmende LNG-Terminals voranzubringen, um die Abhängigkeit von russischen Importen so schnell wie möglich zu beenden und uns aus der Umklammerung dieser russischen Importe zu lösen. Aber, bitte, ich kann hier keine Preisprognosen oder Preisberechnungen vornehmen.

ZUSATZFRAGE DR. RINKE: Wenn ich eine Nachfrage an Herrn Hebestreit hinzufügen darf: Der Bundeskanzler hat ja genau das getan. Der hat ja gesagt, dass die Preise deswegen sänken, weil die Bundesregierung bekannt gegeben habe, dass man im Winter auch Gas aus den Gasspeichern nützte. Deswegen habe ich die Frage an Sie, ob Sie anders als das Wirtschaftsministerium vielleicht noch eine Erklärung hinterherschieben können.

STS HEBESTREIT: Ich glaube nicht, dass ich diese Worte des Bundeskanzlers erklären muss. Die stehen für sich selbst.

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