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Bundesregierung für Desinteressierte: BPK vom 22. Januar 2021

Themen: Termine der Bundeskanzlerin (Eröffnungssitzung des Climate Adaption Summit, Virtueller Davos-Dialog des Weltwirtschaftsforums, Kabinettssitzung, Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus, Zeremonie zur Vollendung der Sulzbacher Thorarolle, Videokonferenz mit der Gruppe der Vertriebenen, Aussiedler und deutschen Minderheiten der Unionsfraktion), COVID-19-Pandemie (Impfstoffversorgung, Situation in Alten- und Pflegeheimen, Masken für Bedürftige, durch die EU-Kommission angekündigte Einführung einer neuen Kategorie zur Einstufung von Risikogebieten, mögliche Mehrfachverwendung von FFP2-Masken, Wachstum des Bruttoinlandsprodukts für 2021), Auftakt eines Gerichtsprozesses gegen einen ehemaligen KSK-Soldaten, Entschließungsentwurf des EU-Parlaments bezüglich eines Baustopps von Nord Stream 2, Atomwaffenverbotsvertrag, Rüstungsexporte nach Ägypten, EU-MERCOSUR-Abkommen, Falklandinseln

0:19 Termine der Kanzlerin
4:33 Coronapolitik

Naive Fragen zu:
11:04 Kostenlose Masken für die Ärmsten
– was tut sich bei Ihnen? Soll es nur Hilfe geben für Hartz4-Empfängern oder auch für Studierende, Minijobber etc?
– warum tut sich erst jetzt was bei den Masken für Bedürftigte? Schließlich ist die Pandemie schon ein Jahr alt (ab 24:35)

36:22 Atomwaffenverbotsvertrag
42:00 Waffenexporte nach Ägypten
– ist Ägypten für Sie beteiligt im Jemenkrieg? (ab 43:23)

45:28 Mercosur-Abkommen
– an den sanktionsfreien „Nachhaltigkeits- und Umweltkriterien“ des Abkommens wollten Sie auch weiter nix ändern, korrekt? (ab 47:30)

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Komplettes BPK-Wortprotokoll vom 22. Januar 2021:

STS SEIBERT: Guten Tag! Entschuldigen Sie meine kurze Verspätung.

Zu den Terminen der Bundeskanzlerin in der kommenden Woche:

Am Montag, dem 25. Januar, wird die Bundeskanzlerin auf Einladung des niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte virtuell bei der Eröffnungssitzung des Climate Adaption Summit mitwirken und dort eine Videobotschaft einbringen. Diese Eröffnungssitzung wird weltweit übertragen. Es nehmen auch eine ganze Anzahl von anderen Staats- und Regierungschefs und auch Führungskräften aus der Wirtschaft daran teil. Dieser Gipfel dient dazu, die Bemühungen zur Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels voranzubringen.

Am Dienstag findet der Virtuelle Davos-Dialog des Weltwirtschaftsforums statt. Sie wissen, dass das Weltwirtschaftsforum ansonsten im Januar physisch in den Schweizer Alpen getagt hätte, dies aber in diesem Jahr aus pandemischen Gründen nicht tut. Es gibt stattdessen einen virtuellen Dialog, und an dem nimmt die Bundeskanzlerin am Dienstag teil. Sie wird dabei um 13 Uhr eine Rede halten und im Anschluss Fragen des Präsidenten des Weltwirtschaftsforums, Herrn Schwab, beantworten. Das können Sie im Livestream auf der Internetseite des WEF verfolgen. Anschließend wird die Bundeskanzlerin ein nicht presseöffentliches Gespräch mit internationalen Unternehmern zum Thema digitale Souveränität führen.

Am Mittwoch, dem 27. Januar, tagt das Bundeskabinett ausnahmsweise schon morgens um 9 Uhr.

Das hat damit zu tun, dass ab 11 Uhr im Deutschen Bundestag die Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus abgehalten werden wird, an der die Bundeskanzlerin natürlich teilnimmt, so wie auch Vertreter aller anderen Verfassungsorgane. Die Gedenkstunde findet im Plenarsaal des Deutschen Bundestages statt und gilt allen Opfern des Nationalsozialismus. Nach einer Begrüßung durch den Bundestagspräsidenten wird Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, sprechen, und anschließend Marina Weisband Ihnen vielleicht bekannt als Publizistin , die im Deutschen Bundestag gewissermaßen als Vertreterin der dritten Generation nach der Schoah spricht.

Anschließend, ab ca. 12 Uhr, wird die Bundeskanzlerin an der Zeremonie zur Vollendung der Sulzbacher Thorarolle teilnehmen. Diese Sulzbacher Thorarolle stammt aus dem Jahre 1792 und konnte wunderbarerweise vor den Zerstörungen der Reichspogromnacht geschützt werden. 2015 wurde sie in der Synagoge in Amberg wiederentdeckt und seitdem mit Unterstützung des Bundes restauriert. Im Andachtsraum des Bundestages findet dann also eine Zeremonie zur Vollendung dieser Thorarolle statt. Die Bundeskanzlerin wirkt hieran als Patin mit. Weitere Paten sind der Bundespräsident, der Präsident des Deutschen Bundestages, der Präsident des Bundesrates, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland sowie die schon genannte Frau Charlotte Knobloch. Das ist Teil einer ganzen Reihe von Veranstaltungen in diesem Jahr, mit denen an 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland erinnert wird. Da wird im Laufe dieses Jahres noch sehr viel mehr kommen.

Am Donnerstag nimmt die Kanzlerin an einer Videokonferenz mit der Gruppe der Vertriebenen, Aussiedler und deutschen Minderheiten der Unionsfraktion teil. Das ist ein nicht presseöffentlicher Termin.

Ich glaube, damit haben wir es.

FRAGE: Zur Coronapandemie: Ungarn hat jetzt den russischen Impfstoff Sputnik bestellt oder es zumindest angekündigt. Ist das für die Bundesregierung auch eine Option, um schnell mehr Impfstoff zu bekommen?

GÜLDE: Wie Sie wissen, haben sich die Mitgliedstaaten der EU darauf geeinigt, dass es ein einheitliches Verfahren zur Zulassung von Impfstoffen gibt. Mir ist noch kein Zulassungsantrag für den russischen Impfstoff Sputnik bei der EMA bekannt. Es bedürfte aber eines Zulassungsverfahrens bei der EMA, um einen solchen Impfstoff zuzulassen.

ZUSATZFRAGE: Sie wissen ja, dass die Phase III da nicht richtig dokumentiert wurde. Würden Sie aus Ihrer Experteneinschätzung sagen, dass das eine Chance hat, bei der EMA durchzukommen, oder ist das chancenlos?

GÜLDE: Ich möchte jetzt nicht darüber spekulieren, ob dieser Impfstoff bei einem Zulassungsantrag tatsächlich eine Chance hat. Wie gesagt, es gibt feste Kriterien, um so eine Zulassung dann tatsächlich zu prüfen, und Voraussetzung dafür sind auch abgeschlossene Phase-III-Studien.

FRAGE JESSEN: Gestern hat ja auch die Kanzlerin zu dieser Frage Stellung genommen und bestätigt, dass ich glaube, sogar in einem direkten Telefonat zwischen Putin und ihr diese Möglichkeit ventiliert wurde, unter den Voraussetzungen, die Sie geschildert haben. Da jetzt oder zukünftig zunehmend Impfstoffe verfügbar werden: Wer hat welchen Zugriff auf welchen Impfstoff, und wie wird dann nach der Zulassung kontrolliert, ob es irgendwelche langfristigen Aus- und Nebenwirkungen gibt? Inzwischen gibt es ja ein relativ breites Angebot, auch mit unterschiedlichen Impfstoffansätzen.

GÜLDE: Vielleicht zuerst zu Ihrer zweiten Frage: Im Rahmen der Pharmakovigilanz wird natürlich genau untersucht, ob es auftretende Nebenwirkungen oder Begleiterscheinungen gibt. Dazu gibt es auch ein speziell eingerichtetes Meldeverfahren beim Paul-Ehrlich-Institut. Das wird also weiterhin aufmerksam beobachtet.

Was die Verfügbarkeit und den Zugriff auf den Impfstoff anbelangt, muss ich ganz ehrlich gestehen, dass ich die Frage nicht so ganz verstehe. Es gibt feste Liefervereinbarungen mit den Impfstoffherstellern. Wie Sie wissen, ergeben sich aus den Zusagen seitens der EU bestimmte Liefermengen, die die Mitgliedstaaten erhalten, und entsprechend der Liefermengen, die wir erhalten, wird der Impfstoff dann an die Länder ausgeliefert.

ZUSATZFRAGE JESSEN: Die Frage war so gemeint: Wenn Deutschland irgendwann Chargen von vier oder fünf verschiedenen Impfstoffen bekommt, die ja auch in unterschiedlicher Weise wirken und eingesetzt werden, nach welchem Prinzip wird dann entschieden, wer in Deutschland mit welchem Impfstoff arbeiten kann?

GÜLDE: Dann hatte ich Ihre Frage tatsächlich falsch verstanden. Das ist natürlich eine Frage des Zulassungsprozesses. Wenn sich jetzt im Rahmen des Zulassungsprozesses tatsächlich herauskristallisiert, dass ein Impfstoff für eine bestimmte Zielgruppe besser geeignet ist als ein zweiter, dann wird das natürlich auch entsprechend in die Empfehlungen aufgenommen. Die Zuständigkeit für die Verimpfung selbst liegt dann aber bei den Ländern. Es gibt dann eben feste Kontingente, die die Länder erhalten, und die Zuständigkeit für die Verimpfung liegt dann eben bei den Ländern.

STS SEIBERT: Es wird ja auch Unterschiede geben. Es wird Impfstoffe geben, die eine bestimmte Lagerung brauchen und deswegen zum Beispiel nur in Impfzentren zum Einsatz kommen können. Es wird Impfstoff geben, die auch von Hausärzten in ihren Praxen verimpft werden können. Das ist eine andere Situation, und darauf wird man dann eben auch je nach Bereitstellung des Impfstoffs Rücksicht zu nehmen haben.

FRAGE REITSCHUSTER: An Herrn Gülde: Herr Wieler hat gerade gesagt, dass es in den Altenheimen mit 900 Ausbrüchen eine schwierige Situation gibt. Er sprach auch von einer möglichen Dunkelziffer. Nun ist ja die Altersgruppe über 80 besonders bedroht. Im Moment treten, glaube ich, fast zwei Drittel der Todesfälle in dieser Altersgruppe auf. Warum fällt der Schutz hier so schwer? Auch Herr Wieler hat gesagt, in den Altenheime werde teilweise nicht alles eingehalten. Was läuft beim Schutz dieser Gruppe denn noch falsch? Da sind in Deutschland die Todesraten ja sogar höher als in Irland.

GÜLDE: Herr Altschuster, ich muss ganz ehrlich gestehen, dass ich Ihnen das jetzt im Einzelfall nicht sagen kann. Ich glaube aber, sowohl Herr Spahn als auch die Bundeskanzlerin haben sich unter anderem zu diesem Aspekt geäußert. Bei allen Schutzmaßnahmen, die in Pflegeheimen vollzogen werden, muss natürlich immer auch beachtet werden, dass es gewisse Unsicherheitsfaktoren gibt, beispielsweise die Ansteckungen durch Pflegepersonal, die das Virus dann eben auch eintragen. Auch Pflegepersonal hat beispielsweise Kinder zu betreuen, die sich wiederum anstecken können. Es gibt also immer gewisse Unsicherheitsfaktoren, die dabei zu berücksichtigen sind. Die Schutzkonzepte können, glaube ich, noch so gut sein: Es lässt sich vermutlich nie zu hundert Prozent ausschließen, dass es auch zu Ansteckungen in Pflegeheimen kommt. Nichtsdestotrotz darauf haben wir auch immer wieder hingewiesen müssen diese Schutzkonzepte in den Pflegeheimen natürlich eingehalten werden.

ZUSATZFRAGE REITSCHUSTER: Ein großer Teil der Toten verstirbt ja auch in den Alten- und Pflegeheimen. Können Sie das vielleicht noch einmal erläutern? Versterben die in der Regel so schnell, dass die dann gar nicht mehr ins Krankenhaus kommen? Gibt es irgendwelche Erkenntnisse über diese Probleme, die da vorliegen?

GÜLDE: Das muss ich, ehrlich gesagt, nachtragen. Das weiß ich jetzt nicht.

FRAGE JUNG: Ich habe eine Frage zu den Masken an das BMAS und auch an Herrn Seibert. Seit gestern tut sich ja etwas in Sachen kostenloser Masken für Bedürftige im Land. Herr Heil hat angekündigt, in dieser Sache umzuschwenken, nachdem Sie uns hier seit Wochen sagen, dass sich die Menschen das Geld zum Beispiel von ihren Hartz-IV-Bezügen absparen sollen.

Warum wird dabei jetzt umgeschwenkt?

Wie lange wird es dauern, bis sich dabei etwas tut?

Sind die Masken und der Zuschuss nur für Hartz-IV-Empfängerinnen und Empfänger oder auch für Studenten, Minijobber, Soloselbstständige, die aktuell ja auch ganz wenig Geld haben?

STS SEIBERT: Vielleicht sage ich noch einmal etwas ganz Grundsätzliches. Sie wissen es schon, aber vielleicht noch nicht genau genug. Die Bundesregierung stellt für den Winter allen über 60-jährigen Menschen und Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen, insgesamt 34 Millionen Menschen, die besonders gut schützenden FFP2-Masken zur Verfügung. Sie wurden vor Weihnachten umsonst abgegeben, jetzt mit einem Eigenanteil in Höhe von zwei Euro für je sechs Masken.

Ob es über dieses Angebot an 34 Millionen Menschen hinaus finanzielle Unterstützung für Bedürftige zur Anschaffung von FFP2-Masken geben wird, darüber wird die Bundesregierung zeitnah beraten und auch zeitnah einen Beschluss fassen.

GÖPNER-REINECKE: Bundessozialminister Hubertus Heil hat heute in einem Statement gesagt, dass er die sozialen Belastungen, die die hilfsbedürftigen Menschen in der Grundsicherung hätten, selbstverständlich sehe und dass er es für richtig halte, diesen Menschen einen Zuschuss zur Grundsicherung zur Verfügung zu stellen. Er hat außerdem gesagt, dass die Versorgung mit OP-Masken bzw. mit den FFP2-Masken für Grundsicherungsempfänger sichergestellt werden müsse.

Das Bundessozialministerium arbeitet jetzt mit Hochdruck an entsprechenden Konzepten, die dann in der Bundesregierung besprochen werden.

ZUSATZFRAGE JUNG: Meine Frage bezog sich, wie gesagt, nicht nur auf Hartz-IV-Empfängerinnen und Empfänger, sondern auch auf andere Bedürftige wie Soloselbstständige, Minijobber und Studierende. Was ist mit diesen? Können sie mit Hilfe rechnen?

Herr Seibert, Sie sagen, sechs FFP2-Masken seien ausgeteilt worden. Das reicht ja nur für sechs Tage. Was ist mit den anderen Tagen?

STS SEIBERT: Ich sehe es nicht so, dass sechs Masken nur für sechs Tage reichen würden. Es gibt vielerlei Hinweise von Experten, wie man diese Masken bei sachgemäßem Gebrauch mehrfach verwenden kann.

GÖPNER-REINECKE: Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich zum jetzigen Zeitpunkt nur die Details nennen kann, die ich genannt habe. Alles Weitere wird, wie gesagt, in der Bundesregierung besprochen.

FRAGE JESSEN: Herr Seibert, Sie haben noch einmal das Angebot von sechs Masken für alle über 60-Jährigen betont. Eine Maske kostet derzeit in zertifizierten Angeboten 40 Cent pro Stück auf dem freien Markt. Das heißt, sechs Masken kosteten 2,40 Euro. Wenn der Eigenanteil

STS SEIBERT: Sprechen Sie jetzt von medizinischen Masken?

ZUSATZ JESSEN: Ja, ja, FFP2.

STS SEIBERT: OP-Masken, und nicht

ZUSATZFRAGE JESSEN: Nein, ich rede von FFP2. Sie bekommen diese Masken für 40 Cent, DEKRA-zertifiziert.

Bei einem Eigenanteil in Höhe von zwei Euro für sechs Masken beträgt der Bundeszuschuss tatsächlich 40 Cent.

Kann man dann sagen: „Da leisten wir wirklich eine signifikante Hilfe“, oder wäre es nicht besser, zu sagen: „Wir sorgen dafür, dass die Masken nicht dauernd gewaschen, getrocknet und wiederverwendet werden müssen“?

STS SEIBERT: In gewisser Weise widersprechen Sie jetzt Ihrem journalistischen Partner Herrn Jung, der fragt, wie man Bedürftige bei dieser unzumutbaren Ausgabe unterstützen könnte. Ich habe gesagt, dass die Bundesregierung jetzt sehr zeitnah darüber, welche Möglichkeiten für eine zusätzliche Unterstützung für Bedürftige es im Bereich der FFP2-Masken gibt, beraten und auch entscheiden wird.

ZUSATZ JESSEN: Ich denke nicht, dass ich dem Kollegen widerspreche. Denn die hohe Belastung entsteht ja dann, wenn man tatsächlich der ursprünglichen Empfehlung „eine Maske pro Tag“ folgt. Dann sind wir eben eher bei 30 Masken. Die Wiederverwendbarkeit hatte ich und hatte, glaube ich, auch er nicht zugrunde gelegt.

STS SEIBERT: Rund um das Thema der FFP2-Masken habe ich jetzt nicht sehr viel mehr beizutragen. Ich weiß nicht, ob sich andere Kollegen noch dazu äußern wollen.

FRAGE: Meine Frage bezieht sich auf die gestern Abend in der EU diskutierten möglichen Grenzschließungen. Herr Seibert, können Sie noch einmal erklären, wie die dunkelroten Zonen definiert werden und vor allem bei welchen Ländern die Bundesregierung ein mögliches Problem oder Nachholbedarf sieht?

STS SEIBERT: Sie gehen auf eine Äußerung der Kommissionpräsidentin in ihrer gestrigen Pressekonferenz zurück. Ich müsste Sie also darauf verweisen, bei der Kommission oder der Kommissionspräsidentin die genaue Definition zu erfragen. Das kann ich nicht sagen. Es geht um eine neue Kategorie von Regionen, die anzeigt, wo es eine besonders starke Verbreitung des Coronavirus gibt. Von Personen, die aus diesen Zonen verreisen wollen, könnte vor ihrer Abreise ein Test und dazu noch Quarantäne nach ihrer Ankunft verlangt werden.

Grundsätzlich besteht unter den Mitgliedern des Europäischen Rates aber Einigkeit darüber, dass von allen nicht zwingend notwendigen Reisen ohnehin dringend abgeraten werden muss. Es könnte auch diesbezüglich noch zu weiteren Einschränkungen kommen, um die Gefahr, die jetzt alle sehen und die allen bewusst ist, nämlich die Gefahr durch das mutierte Virus, noch weiter einzudämmen.

ZUSATZFRAGE: Bezieht sich das auf eine besonders starke Verbreitung des Virus oder der Mutation?

STS SEIBERT: Entschuldigen Sie, aber ich muss Sie dafür wirklich an die Kommission verweisen, auf deren Pressekonferenz das ja zurückgeht. Allerdings weist in den Ländern, in denen wir jetzt gerade einen besonders jähen Anstieg der Infektionszahlen erlebt haben wie in Irland und Großbritannien, aber derzeit leider auch sehr stark in Portugal und Spanien alles darauf hin, dass die mutierte Variante des Virus dabei eine beträchtliche Rolle spielt.

FRAGE REITSCHUSTER: Herr Seibert, Sie haben gerade gesagt, dass die FFP2-Masken wiederverwendet werden können. Ich schaue jetzt auf die Seite des Robert-Koch-Institutes, Ihrer Bundesbehörde. Da steht:

„Weiterhin sollten FFP2-Masken grundsätzlich nicht mehrfach verwendet werden, da es sich in der Regel um Einmalprodukte handelt.“

Darüber steht noch:

„Die Anwendung durch Laien, insbesondere durch Personen, die einer vulnerablen Personengruppe angehören …, sollte grundsätzlich nur nach sorgfältiger Abwägung … erfolgen. Sie sollte möglichst ärztlich begleitet werden“.

Umgekehrt will man jetzt aber die Pflicht. Das alles beißt sich ja ein bisschen.

STS SEIBERT: Ich werde dem Robert-Koch-Institut hier natürlich nicht widersprechen. Mir waren diverse Äußerungen und auch Hinweise von Experten im Netz dazu bekannt, wie man durch sachgemäßen Umgang und sachgemäße Lagerung einen mehrfachen Gebrauch der Maske erzielen kann. Aber ich werde dann erst einmal dem Robert-Koch-Institut folgen und werde das noch einmal recherchieren.

Es trägt ja auch nicht jeder, wenn ich das sagen darf, seine Maske acht Stunden am Stück, sondern mancher trägt sie nur eine Stunde oder eine halbe Stunde am Tag. Dann gibt es viele Hinweise darauf, dass man damit noch einmal umgehen kann.

GÜLDE: Ich kann das gern noch ergänzen. Ich möchte mich dem anschließen, was Herr Seibert dazu gesagt hat.

Erst einmal ist es so, dass viele Menschen, die nicht gerade im medizinischen Bereich arbeiten, diese Maske nicht acht Stunden am Stück tragen.

Darüber hinaus gibt es Empfehlungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte für die Mehrfachverwendung von Masken. Die Einschätzung des Robert-Koch-Instituts ist richtig. Masken sollten grundsätzlich nur einmal verwendet werden. Es gibt aber das ist damals im Zuge der Engpässe bei FFP2-Masken erarbeitet worden Empfehlungen und auch Studien seitens der Fachhochschule Münster da gibt es Untersuchungen dazu; das können Sie auch auf deren Webseite nachlesen , die die Mehrfachverwendung von FFP2-Masken zulassen. Dafür gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, zum einen die etwas längere Lagerung über sieben Tage dies ermöglicht ein Abtöten der Viren auf der Oberfläche und zum anderen die kurze Aufwärmung in einem Ofen bei 80 Grad. Dabei muss auch wieder darauf geachtet werden, dass eine angemessene Temperatur eingehalten wird. Es sollten nicht weniger als 70 Grad und nicht mehr als 105 Grad sein. Ansonsten könnte es tatsächlich zu Beeinträchtigungen bei der Filtrierungswirkung der Maske kommen. Aber grundsätzlich ist eine Mehrfachverwendung von FFP2-Masken bei einer solchen Lagerung tatsächlich möglich.

ALTER: Ich wollte gerne noch zu Ihrer Frage nach den Risikogebieten in dunkelroter Farbe ergänzen, dass wir nach dem gestrigen Treffen auf der Arbeitsebene in Erfahrung bringen konnten, dass die Kommission jetzt zeitnah mit einem entsprechenden Vorschlag auf die Mitgliedstaaten zugehen wird. Das heißt also, es gibt nach unserer Kenntnis derzeit noch kein fertiges Konzept, sondern das wird innerhalb der EU-Mitgliedstaaten abgestimmt.

Der konzeptionelle Ansatz, auf den man sich gestern verständigt hat, erinnert im Übrigen sehr stark an das, was seit dem 14. Januar auch in Deutschland gilt. Unsere Einreiseverordnung, die in Kraft ist, unterscheidet in unterschiedlicher Hinsicht zwischen Risikogebieten und sogenannten Hochrisikogebieten mit einer besonders starken Inzidenz bzw. mit aufgetretenen Mutationen. Insofern gehen wir davon aus, dass das, was die Kommission gestern konzeptionell angedeutet hat, auch dem nahekommt, was wir schon umsetzen.

ZUSATZFRAGE REITSCHUSTER: Herr Gülde, Sie sprechen vom Aufwärmen im Backofen bei 80 Grad. Das stelle ich mir für viele etwas kompliziert vor.

Sie haben den zweiten Teil der Frage nicht beantwortet. Noch einmal: Laut Robert-Koch-Institut soll das Tragen von FFP2-Masken möglichst ärztlich begleitet werden. Das ist bei so vielen Millionen Einwohnern wahrscheinlich nicht möglich. Aber wie kann man dafür sorgen, dass man dann wenigstens das Risiko minimiert? Kann das zum Beispiel durch eine Aufklärungskampagne geschehen? Wie kann man hier einen Kompromiss finden?

GÜLDE: Wie ich ja gerade schon erwähnt habe, gibt es sowohl auf der Seite des Robert-Koch-Instituts als auch auf der Seite des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte Hinweise zum korrekten Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung und einer FFP2-Maske. Darüber hinaus finden Sie entsprechende Informationen auf der Seite www.zusammengegencorona.de. Es gibt vielfältige Möglichkeiten, wie man sich über das korrekte Tragen einer solchen Bedeckung informieren kann.

FRAGE JUNG: Herr Seibert, vielleicht können Sie Ihre Quellen aus dem Netz nachreichen.

STS SEIBERT: Eine hat der Kollege ja gerade genannt. Das ist eine sehr amtliche Quelle.

ZUSATZ JUNG: Sie hatten von Experten im Netz gesprochen.

STS SEIBERT: Das sind Experten.

ZUSATZFRAGE JUNG: Eine Frage an Frau Göpner-Reinecke und vielleicht auch an Herrn Seibert. Frau Merkel hat gestern auch gesagt, dass bisher in der Bundesregierung über Masken für die Ärmsten nicht diskutiert wurde. Herr Spahn hat heute darauf hingewiesen, dass es die Pandemie seit einem Jahr in Deutschland gibt. Der erste Fall ist vor einem Jahr aufgetreten. Warum kommen Sie jetzt erst auf die Idee, sich für kostenlose Masken für die Ärmsten im Land einzusetzen? Warum musste das ein Jahr dauern?

STS SEIBERT: Sie wissen ja, dass, als die Pandemie hier in Deutschland zum zentralen Thema wurde sagen wir: Februar/März , nicht das Maskentragen im Mittelpunkt stand. Das Thema Maske kam später hinzu. Dann gab es ganz klar auch eine Situation der Knappheit, und der Bundeswirtschaftsminister hat sich sehr intensiv dafür eingesetzt, dass wir uns von importierten Masken unabhängig machen und eine Produktion hier im Lande aufgenommen wird, weswegen wir jetzt eine ganz andere Situation haben. Da war die Alltagsmaske ein ganz wichtiges Mittel der Überbrückung.

Ich habe gerade gesagt, dass im Dezember vor Weihnachten damit begonnen wurde, für immerhin 34 Millionen Menschen Masken zunächst kostenlos und jetzt mit dieser geringen Zuzahlung abzugeben. 34 Millionen Menschen – das ist ein erheblicher Teil der deutschen Bevölkerung. Über den nächsten Schritt ob es andere Gruppen gibt, die dabei unterstützt werden müssen, und wie man sie unterstützen kann wird die Bundesregierung zeitnah beraten und beschließen.

ZUSATZFRAGE JUNG: Kann das BMAS bestätigen, dass das Thema bis gestern von seiner Seite in der Bundesregierung noch nie angesprochen wurde? Frau Merkel hat gesagt, dass das bisher nicht diskutiert wurde. Wie kann ein Bundessozialministerium das Thema nicht andiskutieren?

GÖPNER-REINECKE: Sie meinen nicht andiskutieren in dem Sinne, wie die zusätzlichen Belastungen abgefedert werden?

ZUSATZFRAGE JUNG: Ich meine das, was der Minister heute angekündigt hat, dass man sich für Hartz IV-Empfänger usw. mit einem Zuschuss und mit kostenlosen Masken einsetzt. Warum passiert das erst jetzt? Warum haben Sie bis heute gewartet?

GÖPNER-REINECKE: Ich verstehe Ihre Frage, die natürlich insofern eine Berechtigung hat. Ich habe Ihnen den heutigen Stand mitgeteilt, dass wir dazu jetzt Gespräche führen.

ZUSATZFRAGE JUNG: Die Frage war: Warum erst jetzt?

GÖPNER-REINECKE: Diese Gespräche werden jetzt geführt, und wir werden sicherlich auch zu Ergebnissen kommen. Ansonsten kann ich an dieser Stelle dem Ganzen nichts weiter hinzufügen.

STS SEIBERT: Sehen Sie: Der Bund-Länder-Beschluss, dass jetzt in Geschäften und im öffentlichen Nahverkehr medizinische Masken vorausgesetzt werden, ist ein paar Tage alt. Das heißt, jetzt stellt sich für sehr viele Menschen die ganz praktische Frage: Wie komme ich an eine FFP2-Maske? Wie komme ich an medizinische Masken? So hat sich diese Frage vorher ja für diese Menschen noch nicht gestellt. Jetzt gibt es zusätzliche Regeln, die sie natürlich auch einhalten wollen. Also gibt es in der Regierung die zusätzliche Notwendigkeit, darüber nachzudenken, wie man allen Menschen auch denen, die wenig Geld haben die Möglichkeit geben kann, die Regeln, die Bund und Länder beschlossen haben, auch einzuhalten.

FRAGE: Frau Baron, der „SPIEGEL“ hatte berichtet das wurde gerade bestätigt , dass die neue Regierungsprognose für das Wachstum 2021 3 Prozent betragen soll, also eine ziemlich starke Senkung gegenüber der bisherigen Prognose. Können Sie das bestätigen? Wenn ja, was sind die Gründe dafür?

DR. BARON: Ich kann die Meldungen, die zu den BIP-Zahlen kursieren, nicht kommentieren. Die Zahlen werden aktuell finalisiert. Wir werden die Projektion für dieses Jahr, verbunden mit dem Jahreswirtschaftsbericht, am 27. Januar hier in der Bundespressekonferenz vorstellen. Bis dahin muss ich um Geduld bitten.

FRAGE JESSEN: Ich möchte zunächst klarstellen, dass ich mich vorhin geirrt habe. Dieser von mir genannte Preis von 40 Cent pro Maske bezog sich in der Tat nicht auf FFP2-Masken. Ich möchte nicht zur Quelle von Desinformation werden.

Dennoch die Frage an das Arbeitsministerium: Wenn die FFP2-Masken teurer werden, berücksichtigen Sie in Ihren Planungen den Kreis über Hartz IV-Empfänger hinaus, also Studenten etc.? Überlegen Sie auch dieses proaktiv, wie man heute sagt?

GÖPNER-REINECKE: Den Stand der Entscheidungen, den ich Ihnen heute mitteilen kann, habe ich genannt. Darüber hinaus liegen mir zum jetzigen Zeitpunkt keine Informationen vor.

FRAGE: Der NDR berichtet über mögliche Verzögerungen bei der Lieferung des Moderna-Impfstoffs, die eine Woche betragen soll. Was sind die Gründe?

Führt die Entnahme von sechs Dosen aus der Impfstoffflasche dazu, dass Deutschland weniger Flaschen geliefert bekommt? Bleibt der Preis gleich?

VORS. DETJEN: Ich glaube, das sind Fragen, die vorhin bei der Pressekonferenz mit dem Gesundheitsminister schon ziemlich ausführlich beantwortet und diskutiert worden sind.

GÜLDE: Ich würde darauf, ehrlich gesagt, gerne verweisen.

VORS. DETJEN: Was die Verzögerung in Bezug auf Moderna angeht, war von Puurs und BioNTech die Rede. Ich weiß nicht mehr, ob wir das eben schon geklärt hatten.

GÜLDE: Gegebenenfalls müsste ich das nachtragen. Mir ist jetzt nichts von Verzögerungen bekannt.

Grundsätzlich ist es so, dass die nächste Lieferung des Moderna-Impfstoffs am Wochenende erfolgt. Ich muss, ehrlich gesagt, gestehen, dass ich nicht weiß, wie sich die Länder aufgestellt haben, was die Anlieferung betrifft. Die Länder haben ja Lieferzentren definiert. An diese wird der Impfstoff dann eben auch tatsächlich geliefert. Ich muss ganz ehrlich gestehen: Ich kenne den aktuellen Abstimmungsstand nicht und weiß nicht, inwieweit der Empfang gewährleistet ist.

FRAGE: Ich hätte eine Frage an das Verteidigungsministerium. Es geht um den Prozess gegen einen KSK-Mann in Leipzig. Ich wollte einfach noch einmal ein Update haben. Wie weit sind diese internen Untersuchungen über rechtsextreme Netzwerke innerhalb des KSK, und welche Konsequenzen ziehen Sie?

HELMBOLD: Zum Prozess selbst kann ich mich nicht äußern, wohl aber zu dem Fall allgemein. Dieser Fall hat ja im vergangenen Jahr zu massiven Konsequenzen geführt, gemeinsam mit weiteren Vorfällen, die es gab. Die Ministerin hat angekündigt, dass sie Maßnahmen sehen will. Einige Maßnahmen sind ja bereits erfolgt. Dazu zählen beispielsweise die Auflösung einer auffällig gewordenen Kompanie, auch sehr intensive Untersuchungen von Waffen- und Munitionsverlusten und außerdem auch noch ein Wechsel an der Spitze des Militärischen Abschirmdienstes. Zusätzlich gibt es 60 Einzelmaßnahmen in verschiedenen Gruppen.

Der momentane Stand ist, dass es im Herbst einen Zwischenbericht dazu gab, wie die Maßnahmen umgesetzt werden. Wir werden im Frühjahr einen weiteren Zwischenbericht bekommen. Die Ministerin hat sehr klar gesagt, dass wir noch nicht am Ziel sind, dass aber viele Bereiche so aussehen, als ob sie auf dem richtigen Weg seien. Ob das dann tatsächlich ausreichen wird, wird sie im Sommer auf Basis der abschließenden Ergebnisse bewerten können.

ZUSATZFRAGE: Aber können Sie mir zum jetzigen Zeitpunkt ein Update geben, also zwischen dem, was Sie im Herbst gesagt haben, und dem, was Sie im März verkünden wollen?

HELMBOLD: Es gibt nur den Stand von Anfang Januar. Das ist also gar nicht einmal so lange her. Da kann ich auch nur die Ministerin selbst zitieren und noch einmal wiedergeben, was sie gesagt hat. Sie hat gesagt:

„Alle Rückmeldungen, die mir bisher vorliegen über den Generalinspekteur, über die Wehrbeauftragte, auch über das KSK selbst sind Rückmeldungen, die zeigen, dass wir mit den Maßnahmen auf dem richtigen Weg sind. Wir haben aber deutlich gemacht: Wir sind noch lange nicht am Ziel. Wir wollen diese Maßnahmen bis zum Sommer abgeschlossen haben. Das KSK weiß: Das ist seine Chance, die es selbst hat. Soweit ich das beurteilen kann, arbeiten bis auf ganz wenige Ausnahmen wirklich alle daran, diese Chance auch zu ergreifen. Insofern bin ich Stand heute ganz zufrieden.“

Das war wie gesagt Anfang Januar.

Sie hat auch betont, dass Spezialkräfte Assets sind, die in der Bundeswehr gebraucht werden. Sie hat gesagt:

„Das KSK, auch in seiner jetzigen Form, hat eine Bewährungschance erhalten, und wenn es diese Bewährungschance nutzt, dann gibt es aus meiner Sicht auch keinen Grund, das KSK aufzulösen. Wir wollen im Frühjahr einen zweiten Zwischenbericht vorlegen. Im Sommer soll der Prozess abgeschlossen sein und das KSK wieder nach und nach in die internationalen Verpflichtungen stärker eingebaut werden.“

Das ist also der aktuelle Stand.

FRAGE: Herr Seibert, wie betrachtet die Bundeskanzlerin die Forderung des EU-Parlaments mit Blick auf Nord Stream 2, die von vielen CDU/CSU-Politikern unterstützt wird? Es geht also um die Forderung, den Bau der Pipeline als Sanktion nach der Verhaftung von Herrn Nawalny zu stoppen.

STS SEIBERT: Die Bundeskanzlerin hat sich ja gestern hier auch zu diesem Thema geäußert. Dem habe ich eigentlich nichts hinzuzufügen. Den Beschluss des Europäischen Parlaments haben wir zur Kenntnis genommen.

FRAGE JUNG: Heute tritt der Atomwaffenverbotsvertrag global in Kraft. Mich würde interessieren, ob es stimmt, dass das der erste Abrüstungsvertrag in der Geschichte ist, der ohne die Bundesrepublik in Kraft tritt.

Ihr Argument dafür, sich nicht daran zu beteiligen, ist ja, an der nuklearen Abschreckung festzuhalten, während es ja auch andere Staaten gebe, die zum Beispiel Deutschland mit Atomwaffen bedrohen. Können Sie einen Staat nennen, von dessen Atomwaffen sich die Bundesrepublik bedroht fühlt?

SASSE: Vielen Dank für die Frage, Herr Jung. – Es ist richtig: Der Atomwaffenverbotsvertrag tritt heute in Kraft. Soweit ich weiß, hat sich Herr Seibert Ende Oktober letzten Jahres ausführlich zu dem Thema geäußert. Das war der Beginn der Frist, die heute eben abgelaufen ist, hinsichtlich des Inkrafttretens des Vertrags.

Noch einmal grundsätzlich zur Einordnung: Wir müssen zwischen dem Atomwaffenverbotsvertrag und dem Atomwaffensperrvertrag oder auch Nichtverbreitungsvertrag unterscheiden, der bereits seit 1970 in Kraft ist. Auch diesen Unterschied hat Herr Seibert in der Vergangenheit bereits mehrfach erläutert.

Es geht darum, dass wir uns alle im Ziel einig sind. Ziel ist und bleibt für uns eine atomwaffenfreie Welt. Das ist ein Kernanliegen der Bundesregierung. Daran hat sich nichts geändert. Wir sind uns allerdings nicht mit allen Staaten der Welt einig, was den Weg angeht, auf dem man dieses Ziel erreichen kann. Aus Sicht der Bundesregierung muss nämlich eben auch die sicherheitspolitische Realität berücksichtigt werden. Zum einen geht es beim Atomwaffenverbotsvertrag eben nicht um die Nuklearstaaten, also die Staaten, die über Nuklearwaffen verfügen. Die sind bisher nicht beim Atomwaffenverbotsvertrag dabei. Außerdem sind wir als NATO-Mitglied bestimmten Bündnisverpflichtungen unterworfen, die sich unter anderem auf die nukleare Teilhabe beziehen. Auch diese Realität müssen wir bei unserer Abwägung der Positionen berücksichtigen.

Wir sind deswegen der Meinung, dass, solange keiner der Nuklearwaffenstaaten überhaupt beim Atomwaffenverbotsvertrag dabei ist, dies für uns nicht der erfolgversprechendste Weg ist. Wir haben andere Möglichkeiten. Noch einmal: Unser Ziel einer atomwaffenfreien Welt ist klar. Wir setzen uns auf allen möglichen Wegen für eine Stärkung der internationalen und globalen Sicherheits- und Abrüstungsarchitektur ein, aber wir suchen eben andere Wege als den Atomwaffenverbotsvertrag, der aus den Gründen, die ich gerade geschildert habe, aus unserer Sicht nicht der richtige Weg ist.

Was Ihre Frage danach angeht, ob das der erste Vertrag ist, dem die Bundesregierung nicht folgt, muss ich Ihnen die Antwort nachreichen.

ZUSATZFRAGE JUNG: Von wessen Atomwaffen fühlt sich Deutschland bedroht?

SASSE: Es geht nicht darum, von wessen Atomwaffen wir uns bedroht fühlen. Es geht darum das Ziel habe ich erläutert , wie wir grundsätzlich für eine atomwaffenfreie Welt eintreten. Das betrifft Bedrohungen aus allen möglichen Richtungen. Es geht uns darum das ist ein Kernanliegen der Bundesregierung und auch im Koalitionsvertrag so festgehalten worden , dass wir grundsätzlich für eine atomwaffenfreie Welt sowie für eine Stärkung der Sicherheitsarchitektur und der Abrüstung eintreten, und das versuchen wir auf unterschiedlichen Wegen zu erreichen. Außenminister Maas war erst vor Kurzem in Jordanien und hat sich dort mit den Mitgliedern der sogenannten Stockholm-Initiative ausgetauscht. Auch dabei ging es um Abrüstung. Wir setzen uns wie gesagt auf unterschiedlichen Wegen dafür ein.

FRAGE JESSEN: Frau Sasse, wenn Sie sagen, die Bundesregierung sage, der bestehende Atomwaffensperrvertrag sei sozusagen das beste Sicherheitsinstrument, wäre es dann nicht sinnvoll, dass die Bundesregierung zum Beispiel Israel auffordert, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten das ist ja bislang noch nicht erfolgt , oder der IAEO die Möglichkeit zu eröffnen, vor Ort zu kontrollieren, was auch noch nicht erfolgt ist? Wenn Sie also auf den Atomwaffensperrvertrag setzen, müssen Sie dann nicht aktiver dafür sorgen, dass er überall dort zum Einsatz kommen, wo Atomwaffen vorhanden sind?

SASSE: Zum einen, noch einmal gesagt: Es gibt unterschiedlichste Instrumente. Der Atomwaffensperrvertrag ist eines dieser Instrumente, mit denen wir uns für das Ziel der Abrüstung einsetzen. Unsere Position zum Nichtverbreitungsvertrag hat Herr Seibert an dieser Stelle zuletzt im Oktober sehr deutlich klargemacht. Es geht bei dem Atomwaffensperrvertrag darum, Verhandlungen über eine vollständige Abrüstung in der Welt zu beginnen. Wir möchten diesen Vertrag weiter stützen. Auch das werden wir im Rahmen der nächsten Konferenz über den Nichtverbreitungsvertrag im Herbst dieses Jahres tun. Das ist unsere Position.

ZUSATZFRAGE JESSEN: Beinhaltet diese Position auch eine Aufforderung an Israel, den Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen?

SASSE: Der Atomwaffensperrvertrag nicht der Nichtverbreitungsvertrag zählt für uns wie gesagt zu einem der wichtigsten Instrumente der globalen Sicherheitsarchitektur. Wir fordern alle Staaten der Welt auf, diesem Vertrag beizutreten.

FRAGE NEHLS: Warum existiert das Amt der Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung überhaupt? Es gibt keine Konsequenzen ihrer Mahnung, Ägypten wegen seiner Beteiligung am Krieg im Jemen und am Konflikt in Libyen keine Rüstungsgüter zu liefern. Die Ministerien, die beteiligt sind, haben dazu nicht Stellung genommen. Wie wird denn der Waffenexport nach Ägypten begründet?

SASSE: Zum Thema Rüstungsexporte möchte vielleicht das BMWi zuerst Stellung nehmen.

DR. BARON: Sie kennen unsere Grundsätze der Rüstungsexportgenehmigungen. Diese gelten auch für Ägypten. Wir genehmigen auf Basis einer restriktiven und verantwortungsvollen Rüstungsexportpolitik. Sie kennen dafür die rechtlichen Grundlagen die politischen Grundsätze der EU, die politischen Grundsätze, die wir uns als Bundesregierung gesetzt haben und natürlich das Außenwirtschaftsgesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz. Dabei berücksichtigen wir natürlich fortlaufend auch die aktuelle Lage und die Menschenrechtsentwicklung und treffen diese Entscheidung stets restriktiv im Einzelfall.

FRAGE JUNG: Eine Lernfrage an das AA: Ist Ägypten für Sie am Jemen-Krieg beteiligt?

SASSE: Herr Jung, wir haben uns zu dieser Frage an dieser Stelle schon mehrfach geäußert. Ich verweise deswegen auf alle Äußerungen der Vergangenheit zu diesem Thema.

Sie hatten das Statement von Frau Kofler erwähnt. In der Vergangenheit sind wir auch schon einmal auf Äußerungen von Frau Kofler eingegangen. Wie die Kollegin des BMWi gerade schon deutlich gemacht hat, geht es im Kern bei den Äußerungen von Frau Kofler um die Menschenrechtssituation in Ägypten. Dazu ist unsere Meinung klar. Sie wissen, dass wir die Menschenrechtslage in Ägypten für angespannt halten und dies bei jeder Gelegenheit in Gesprächen mit der ägyptischen Regierung auf allen Ebenen thematisieren. Insoweit hat sich auch an dieser Position bisher nichts geändert.

ZUSATZFRAGE JUNG: Sie werden wissen, warum ich das frage. Im Koalitionsvertrag steht, es gibt keine Waffenlieferung an Beteiligte am Jemen-Krieg. Dementsprechend ist da ein Widerspruch vorhanden. Sie sehen also entweder Ägypten nicht als Teil des Jemen-Kriegs an, was absurd wäre, oder Sie widersprechen dem Koalitionsvertrag.

SASSE: Zum einen: Die Passagen des Koalitionsvertrages sind mir selbstverständlich bekannt.

Was die Situation im Jemen angeht: Auch das ist Gegenstand vielzähliger Anfragen in der Vergangenheit gewesen.

Sie kennen unsere Position zum Jemen sehr genau. Im Jemen haben wir es mit einer humanitären Katastrophe zu tun. Außenminister Maas hat sich gerade vor diesem Hintergrund heute Morgen zu dem Thema geäußert und weitere 50 Millionen Euro für das Welternährungsprogramm im Jemen angekündigt.

Dass die Situation im Jemen schwierig ist, das wissen Sie. Da sind wir uns auch einig. Es geht bei den Äußerungen zum Jemen unter anderem darum, dass das Waffenembargo der Vereinten Nationen gegen die Huthis durchgesetzt wird. Darauf bezieht sich unter anderem auch die Klausel des Koalitionsvertrags.

FRAGE: Ich habe eine Frage an Herrn Seibert zum Handelsabkommen MERCOSUR: Portugal hat angekündigt, an dem Vertrag nichts ändern zu wollen und daran festzuhalten. Mich würde interessieren, wie die Bundesregierung dazu steht.

STS SEIBERT: Zunächst einmal zum Stand der Dinge: Dieses Abkommen ist derzeit in der formaljuristischen Prüfung. Danach kommt dann die Übersetzung in die einzelnen EU-Amtssprachen. Bevor es dann zu einer Unterzeichnung käme, wäre die Zustimmung des Rates erforderlich. Also da stehen wir jetzt.

Ganz grundsätzlich ich habe das hier mehrfach gesagt unterstützt die Bundesregierung weiterhin den Geist und die Intention des EU-MERCOSUR-Abkommens. Es hat eine politische Bedeutung und eine wirtschaftliche Relevanz. Es sind auch verbindliche Nachhaltigkeitsbestimmungen darin enthalten, die es grundsätzlich im Interesse Deutschlands und im europäischen Interesse sein lassen.

Wir werden allerdings sehr genau die Rahmenbedingungen beobachten. Wir werden sehr genau überprüfen, ob das Abkommen wie intendiert auch in der Realität umgesetzt werden kann. Denn natürlich können wir nicht übersehen, wie die Situation im Amazonas-Regenwald ist. Der Amazonas-Regenwald ist von einer globalen herausragenden Bedeutung für Klimaschutz, für Artenvielfalt. Die Verantwortung für seinen Erhalt betrifft uns alle. Das Ausmaß der Abholzung und des Brandgeschehens ist erschreckend. Es hat in der letzten Zeit sogar noch zugenommen.

Das heißt, es stellen sich sehr ernsthafte Fragen mit Blick auf diese aktuellen Entwicklungen im Amazonas. Deswegen beobachten wir die Situation im MERCOSUR und ganz besonders in Brasilien genau. Wir begrüßen die Bemühungen in der Europäischen Union, insbesondere des exekutiven Vizepräsidenten, Herrn Dombrovskis, mit Blick auf den Schutz des Amazonas.

FRAGE JUNG: Herr Seibert, Sie haben gerade auf die Nachhaltigkeits- und auch Umweltkriterien vom MERCOSUR-Abkommen hingewiesen. Die Kritik an sich war ja immer, dass es dafür keine Sanktionen gibt. Wenn sich also einer nicht an diese Nachhaltigkeits- und Umweltkapitel hält, dann passiert nichts. Daran wollen Sie auch jetzt immer noch nichts ändern, korrekt?

STS SEIBERT: Ich finde, zunächst einmal muss man festhalten, dass dieses EU-MERCOSUR-Abkommen ein sehr ambitioniertes Nachhaltigkeitskapitel mit verbindlichen Regelungen zur Arbeit, zur Umwelt und zum Klima enthält. Das ist das modernste Nachhaltigkeitskapitel, das die Europäische Union bisher verhandelt hat. Das Abkommen sichert die hohen europäischen Standards und trägt dazu bei, die MERCOSUR-Mitgliedstaaten fester an dies, in Europa anerkannten Standards und Normen zu binden.

Gleichzeitig das habe ich gesagt muss natürlich der gute Wille zur Umsetzung eines solchen Abkommens auch vorhanden sein. Wir betrachten deswegen sehr ernsthaft die klima- und umweltpolitische Situation im Amazonas. Da stellen sich uns ernsthafte Fragen.

ZUSATZFRAGE JUNG: Die Frage bezog sich ja darauf, was Sie jetzt verbindlich nennen. Was ist verbindlich, wenn es dafür keine Sanktionen gibt?

STS SEIBERT: Ein solches Abkommen schließt man ja mit dem Ziel ab, eine enge Partnerschaft zu etablieren. Eine solche enge Partnerschaft ermöglicht es auch, dass man gemeinsam konstruktive Lösungen für kritische Themen erarbeitet. Der mit diesem Abkommen eingesetzte institutionalisierte Dialog ist eben gerade vor dem Hintergrund der Umweltdebatte, der Klimadebatte, ein wichtiges Instrument und eine Plattform, um solche konstruktiven Lösungen gemeinsam zu erreichen.

FRAGE: Ich habe noch eine Frage geographisch gar nicht weit weg an das Auswärtige Amt und an Herrn Seibert: Argentinien hat gestern gesagt, dass die Bundesregierung de facto die Falklandinseln als Teil Argentiniens anerkannt hat, und zwar im Rahmen einer Koordinierung von zwei Lufthansa-Flügen für Forscher, die auf der „Polarstern“ in der Arktis forschen sollen.

Wie ist aus Ihrer Sicht die Einordnung Argentiniens zu werten? Hat die Bundesregierung die Falklandinseln als nicht britisch, sondern als argentinisch anerkannt?

SASSE: Dazu müsste ich die Antwort nachreichen.

STS SEIBERT: Ich will noch einmal ganz kurz auf das MERCOSUR-Thema und die Frage von Herrn Jung nach der Durchsetzung des Nachhaltigkeitskapitels eingehen.

Eines hätte ich noch erwähnen sollen, nämlich dass unabhängige Experten die Einhaltung dieses Kapitels unter Einbindung der Zivilgesellschaft überprüfen sollen. Damit machen wir diesen Dialog, der institutionalisiert wird, natürlich noch intensiver. Wir haben eben die Möglichkeit, gerade die kritischen Themen gemeinsam mit den MERCOSUR-Staaten in den Fokus zu nehmen und konstruktive Lösungen zu erarbeiten. Diese Überprüfungsrolle von unabhängigen Experten wollte ich also noch erwähnt haben.

GÜLDE: Ich habe noch eine Nachreichung: Es gab ja die online eingereichte Frage nach der Lieferung des Moderna-Impfstoffs. Dazu kann ich mitteilen, dass es keine Verzögerungen gibt. Vereinbart war eine Lieferung in der kommenden Woche. Sie wird auch genauso erfolgen.

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