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ROSAS BRILLE #6 – Der (schein)heilige Pflegebonus

Erstmals wurde ein sogenannter Pflegebonus Mitte 2020 in den Medien erwähnt. Nach dem ganzen In-die-Hände-klatschen, Lavendelpflanzen und anderen scheinheiligen Aktionen für die Pflege kam man auch mal auf die Idee kommen sich bei der Pflege erkenntlich zu zeigen.

Februar 2020, ein Monat vor Corona. Der Pflegenotstand hat sich über die Jahrzehnte hinweg tief in den Pflegealltag eingenistet. In den 70er Jahren wurde er das erste Mal in den Medien erwähnt, seither ist er schlimmer geworden. Die Lösungsansätze oder Motivation zur Besserung seitens der Verantwortlichen haben sich nicht sonderlich verändert. Man kann als Politiker*in das Blaue vom Himmel versprechen, festlegen oder in die Wege leiten – wenn es die  Betroffenen im Alltag nicht merken, sollte man sich selbst hinterfragen oder die Strategie ändern. Wenn einem bewusst wird, dass man keine Ahnung hat, worüber man redet, ist es allerhöchste Zeit seinen Posten zu räumen! Der Maßstab sollte die spürbare Veränderung für die Belegschaft sein und nicht der Betrag, den man in wirklich miese Werbekampagnen oder irgendwelche „Experten“ reinpumpt.

Die Bedingungen vor Corona waren schon menschenunwürdig – für Patienten wie auch für die Mitarbeiter. Dabei gehe ich folgend nur auf die Pflege ein, jedoch sollte auf die herausragende Arbeit, die die Menschen im Service, Handwerk, Verwaltung oder einer der anderen Hintergrundarbeiten hingewiesen werden. Ein Krankenhaus ist ein Ort, in dem viel im Verborgenen geschieht. Von der Aufarbeitung der Arbeitskleidung, über die Verlegung der Betten und der damit einhergehenden Koordination und Kommunikation, bis hin zu den kleinen oder größeren Reparaturen. Gerade unsere Reinigungskräfte leisten eine großartige Arbeit, die sich durch Corona auch noch verkompliziert hat.

Der Pflegebonus hat das Thema Geld wieder mal in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Wie viel ist mir eine adäquate, professionelle und liebevolle Versorgung für meine Verwandten und mich wert? Will ich, dass die Pfleger*in aus Versehen das falsche Medikament in meine Venen jagt, weil sie noch einen zweiten Job haben muss, um sich und ihre Kinder finanzieren zu können? Immerhin machen alle Menschen Fehler, oder? Bei den einen handelt es sich um eine verlorene Gerichtsverhandlung, eine verpasste Deadline – oder halt Menschenleben. Also wie viel ist mir diese Sicherheit wert?

Das Bruttogehalt in der Pflege liegt im Durchschnitt zwischen 2.000 und 2.500 Euro. Das ist viel Geld. Mein Ausbildungsgehalt liegt in den Ausbildungsjahren zwischen 900 und 1100 Euro. Gerade das Ausbildungsgehalt ist im Vergleich zu anderen sehr gut. Die Argumentation, dass die Pflege ihren Hals nicht voll bekommt, wenn es um Gehaltserhöhungen geht, kann nur von Menschen ausgehen, die nicht wissen, wie es ist in diesem fabrikähnlichen System drin zu stecken. Wenn man uns vor die Entscheidungstellen würde „Mehr Personal oder mehr Gehalt?“ – würden fast alle Kollegen für das Personal tendieren, damit wir ENDLICH mal so arbeiten können, wie wir es wollen und mit unserem Gewissen auch vereinbaren können!

Zeitsprung: die ersten Monate mit Corona. Oh Wunder: Die Arbeitsbedingungen wurden schlechter. Masken Pflicht. Die beim Tragen von FFP2-Masken durch das Gesundheitsamt empfohlenen 75 Minuten mit anschließender zehnminütiger Pause sind lächerlich und weit von der Realität im Krankenhaus entfernt. Akne, Ausschläge, offene Wunden, Druckstellen und Dekubiti bilden sich auf Wange, Nase und am Ohr. Schwindelanfälle, Kreislaufbeschwerden, chronische Kopfschmerzen und Luftnot sind nur die Folgen. die ich aus meinem Bekanntenkreis und bei mir selbst  mitbekommen habe. Patienten sind aufgrund des Krankenhauses ängstlicher. Die Nerven von allen sind gespannter und die permanente Angst, dass man durch seine Arbeit auch jemanden aus seinem nächsten Umfeld ansteckt, hat sich zu einem permanenten unterbewussten Schwelbrand entwickelt.

Dann kam die Nachricht, wir würden belohnt werden, wir seien „systemrelevant“ und würden das durch eine Einmalzahlung auch königlich bezahlt bekommen. Persönlich habe ich von Anfang an nicht viel von diesem Pflegebonus gehalten, da ich es als eine Art Schweigegeld empfinde. Sobald das Geld da wäre, könnte man damit argumentieren, dass die Pflege nicht mehr auf die Missstände aufmerksam machen dürfe, da sie das Geld ja erhalten habe. Spoiler: So kam es auch.

Zuerst hat es die Altenpflege erhalten, dabei war es nicht so, dass man es „einfach“ ausgezahlt hat. Nein, es war an Auflagen gebunden. Gestaffelt nach der Zeit, die gearbeitet wurde, durfte man auch nicht länger als insgesamt zwei Wochen krank und/oder im Urlaub gewesen sein und so weiter und so fort. Dennoch haben viele Kollegen im Altenheim eine schöne Summe erhalten. Dabei reden wir in meinem Umfeld von einem Betrag zwischen 400 und 900 Euro.

In der Krankenpflege sieht es etwas anders aus. Durch die Medien und die Regierung wurde ein anderes Bild gezeichnet, als es die Realität vorgibt. Dieser Bonus wurde übrigens aus dem Topf genommen, welcher von den Liquiditätsreserven des Gesundheitsfonds gespeist ist (Anmerkung: dieser Fonds wird von den gesetzlichen Krankenkassen bewirtschaftet.) Von den geplanten 100 Millionen kamen 93 von dort und 7 von den privaten Krankenkassen. An dieser Stelle würde mich eine umfassende Aufstellung der Unternehmen, die finanzielle Unterstützung vom Bund erhalten haben, interessieren. Es zeigt sich, dass das Wort Systemrelevanz ganz schnell in die Bedeutungslosigkeit fällt. Vielleicht war es auch eine vorübergehende Strategie um gewissen Berufe bei Laune zu halten – wer weiß. Durch Ausdrücke wie „Corona-Helden“ wird die Realität verschoben. Ich will keine Heldin sein, ich will meinen Job richtig und ordentlich machen können. Mit dieser Heroisierung werden die Realbedingungen relativiert, immerhin ist es normal sich als Held zu „opfern“.

Von dem Bonus haben viele Kolleg*innen nicht einen Cent gesehen, da die Verantwortlichen nichts Besseres zu tun hatten, als die Auszahlung an Bedingungen zu knüpfen. Zwischen dem 1. Januar und 20. Mai 2020 mussten Häuser mit mehr als 500 Betten mindestens 50 Covid19-Patienten behandelt und entlassen haben, kleinere Häuser brauchten 20 Patienten. Ob es sich dabei um Beatmungspflichtige oder nur einen Zufallsbefund handelte, war egal. Stand Dezember 2020 konnten gerade mal 433 von 2000 Krankenhäusern in Deutschland die Prämie auszahlen. Wir Auszubildenen haben am Anfang dieses Monates per E-Mail erfahren, dass wir 225 Euro erhalten werden. Natürlich freue ich mich über das Extrageld, nur ist es in meinen Augen heuchlerisch. Darüber hinaus werden keinerlei ernstzunehmende Anstrengungen unternommen die allgemeinen Bedingungen wirklich zu verbessern. Die neue Pflegeausbildung ist eine nette Idee, die Umsetzung ist in meinen Augen lächerlich und problematisch. Die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland ist erstens unsolidarisch den anderen Ländern gegenüber und darüber hinaus ganz sicher nicht die Lösung für unseren tiefgreifenden Probleme. Fun Fact: Die Kollegen, die aus Ländern wie Spanien oder Mexiko kommen, sind meist höher qualifiziert als die deutschen – da es in diesen Ländern eine ganz andere Pflegekultur gibt.

Es muss ein grundlegendes Umdenken stattfinden. Die Pfleger*innen sind keine Ärzte. Sie haben keine sechs Jahre studiert, jedoch haben sie sechs Jahre mehr Zeit am Patientenbett verbracht. Die geforderten Aufgabenfelder und Kompetenzen sind ganz andere und müssen klarer abgegrenzt werden. Themen wie chronische Erkrankungen, Wunden oder auch grundlegende Stationsarbeit können in die Hände der Pflege gelegt werden, wenn es umfassende Weiterbildungsprogramme und damit auch Stellen geben würden. Es müssen Karrierechancen für die Krankenpflege geschaffen werden – auch für Kollegen ohne Abitur. Es muss ein Umfeld entwickelt werden, in dem sich die positiven Punkte, Vorteile und Möglichkeiten dieser Arbeitssparte entfalten können. Solche Konzepte existieren schon seit Jahrzehnten in anderen Ländern, wie beispielsweise den Niederlanden oder auch den Skandinavischen Ländern. Wir hängen seit jeher an einem falschen Bild der Pflege fest.

Es ist vergleichbar mit Menschen, die nach einer Sporteinheit mit einer Packung Ben & Jerrys auf dem Sofa sitzen, sich aber wundern, dass sie trotz des Sports nicht abnehmen. Ohne eine grundlegende Veränderung wird es in den nächsten Jahren ein Systemkollaps geben. Es wird ein sehr böses Erwachen geben, wenn die ältere Generation der Pfleger*innen in Rente geht. Sie sind es, die dieses System stützen und die Patienten schützen – auf den Kosten ihrer Gesundheit. Wir müssen diesen Beruf für engagierte, aufgeweckte und vertrauenswürdige Menschen attraktiv machen. Wenn wir das nicht schaffen, wird es in ein paar Jahren besser sein, sich nach einem Unfall oder Operation selber zu pflegen, als sich im Krankenhaus noch kränker machen zu lassen.

Anmerkung Redaktion: Rosa ist 20 Jahre alt, Auszubildende zur Gesundheits- und Krankenpflegerin und arbeitet zusätzlich als Pflegerin im Seniorenheim. An dieser Stelle schreibt sie regelmäßig über ihre Erfahrungen im Beruf und in der Gesellschaft. Feedback: rosa@jungundnaiv.de

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